E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Page Das zweite Glück im kleinen Vintage Shop
23001. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8437-3055-6
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Vom Suchen und Finden der Liebe
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-8437-3055-6
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Libby Page wollte schon immer Romane schreiben. Als neben der Arbeit die Nächte nicht mehr ausreichten, nahm sie sich eine Auszeit von sechs Monaten. Neben dem Schreiben ist Schwimmen ihre zweite große Leidenschaft, auch bei Wind und Wetter schwimmt sie draußen. Libby Page lebt in London.
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Donna
Donna mag keine Überraschungen. Sie mag auch keine Veränderungen, und deshalb lebt sie schon ihr ganzes Leben in Cold Spring, einem kleinen Ort im Bundesstaat New York, der sich gefährlich nah ans Ufer des Hudson Rivers schmiegt. Sechzig Jahre lang hat sie nie davon geträumt, irgendwo anders hinzugehen. Jeden Tag macht sie mit ihrem Hund Luna denselben Spaziergang die Main Street hinauf, sieht dieselben Schindelhäuser mit ihren umlaufenden Veranden und bemalten Briefkästen und blickt über den Fluss hinüber zum Wald, der sich im Laufe der Jahreszeiten von Grün über Gold bis hin zu flammendem Rot verfärbt. Der Wechsel der Jahreszeiten ist die einzige Art von Veränderung, die sie mag, denn es ist eine Veränderung, die man vorhersagen und in einen Kalender eintragen kann.
Jeden Morgen nimmt sie dasselbe Frühstück zu sich (eine halbe Grapefruit und eine Schale Cheerios, dazu schwarzen Kaffee), zieht sich immer gleich an (dunkelblaue Jeans und ein schlichtes Sweatshirt, sie hat davon mehrere in verschiedenen Blautönen) und geht in ihr Büro im Sycamore Inn zur Arbeit. Sie hat als Teenager im Familienbetrieb angefangen und das Hotel später, als ihre Eltern in Rente gingen, mit ihrem Mann übernommen. Um das konfuse Durcheinander, das die Gäste verursachten, kümmern sich ihr Mann und die langjährige Managerin, Donna widmet sich der Buchhaltung, der Verwaltung und dem Buchungssystem. Im Großen und Ganzen folgen ihre Tage einem Muster, das so klar und einfach zu befolgen ist wie ein gutes Backrezept.
Deswegen läuft ihr auch ein Schauer über den Rücken, als ihr betagter Vater, mit dem sie erst am nächsten Tag zum Essen verabredet ist, sie an einem Dienstag um elf Uhr anruft.
Sie nimmt den Anruf sofort entgegen und fragt ängstlich: »Dad? Was ist los?«
»Ist John bei dir?«, entgegnet ihr Vater mit unsteter Stimme. Donna blickt von ihrem Schreibtisch auf, wo sie damit beschäftigt war, die Monatsausgaben zu ordnen, und sieht ihren Mann in der Tür stehen. Vielleicht ist er durch das Telefonklingeln aufmerksam geworden, vielleicht aber wird er auch einfach magisch zu ihr hingezogen, wenn sie ihn am meisten braucht, den Eindruck hatte sie in den letzten Jahren oft.
»Ich weiß, du hasst es, dich zu erschrecken«, fährt ihr Vater fort, »aber ich … wir hatten leider gerade einen Schreck. Es geht um deine Mom.«
Donna hat bereits vierzehn Mal den Wasserkocher angemacht, und es ist noch nicht einmal Mittag. Ein steter Strom von Gästen kommt in ihrem Elternhaus an, seit ihre Mutter nach ihrem leichten Schlaganfall – oder der transitorischen ischämischen Attacke, wie die Ärztin es nannte – aus dem Krankenhaus zurück ist. Sie musste nur eine Nacht dortbleiben, aber sie leben in einem kleinen Ort, und irgendwie hat die Neuigkeit so schnell die Runde gemacht wie eine Erkältung in der Grundschule. Während Donna in der Küche schon wieder den Wasserkocher auffüllt, hört sie, wie John und ihr Vater sich im Wohnzimmer mit ein paar Nachbarn unterhalten.
»Wir haben uns solche Sorgen gemacht, als wir davon hörten, nicht wahr, Don? Unsere Cousine Jean hatte letztes Jahr einen Schlaganfall und ist seitdem nicht mehr dieselbe.«
»Aber sagen die Ärzte denn, dass jetzt alles wieder in Ordnung ist?«
»Hier, ich habe euch selbst gemachte Marmelade mitgebracht, nur eine Kleinigkeit, ihr wisst schon.«
»Oh, wie nett von dir«, hört sie John antworten. »Selbst gekocht, sagst du? Köstlich. Shirley wird sich bestimmt freuen, ich zeige sie ihr, wenn sie wach ist.«
Das ist der Grund, warum Donna den ganzen Vormittag damit verbracht hat, Kaffee zu kochen, und die Betreuung der Gäste lieber John überlassen hat. Sie hat einfach nicht die Kraft, so zu tun, als wäre sie dankbar für ein weiteres Glas Marmelade.
Die Besucher bleiben nicht lange, und nachdem Donna gehört hat, dass sie sich verabschiedet haben, kommt sie aus ihrem Versteck und gesellt sich zu ihrer Familie. Ihre Tochter Brooke ist mit dem Zug aus Manhattan angereist. Chloe, ihr Kleinkind, hat sie den Tag über bei ihrem Mann Tom gelassen. Es beunruhigt Donna, ihre Tochter in Jogginghose, Kapuzenpulli und ungeschminkt zu sehen anstatt wie sonst, wenn sie in Downtown zur Arbeit geht, elegant gekleidet und mit sorgfältigem Make-up. Brooke hat ihrer Großmutter immer sehr nahegestanden, in mancherlei Hinsicht haben die beiden mehr gemein als Donna und ihre Tochter.
»Wenn noch jemand ein Glas Marmelade mitbringt, müssen wir vielleicht einen Laden eröffnen«, murrt Donna schlecht gelaunt. Brooke lächelt schwach.
»Sie versuchen nur nett zu sein, Mom.«
»Mir wäre mehr damit gedient, wenn sie zu Hause blieben, das wäre netter«, sagt Donna und versucht, ihre Stimme nicht zu erheben. »Deine Großmutter braucht Ruhe und wir auch. Warum glauben die Leute, dass der Tag, an dem ein Familienmitglied aus dem Krankenhaus zurückkommt, der richtige Zeitpunkt für einen Besuch ist?«
»Du hast recht«, sagt ihr Vater Ken, »aber man macht das einfach so, schätze ich.«
»Was würdest du tun, wenn eine Freundin von dir aus dem Krankenhaus entlassen wird?«, fragt John.
»Also, wenn sie nur kurz drin gewesen wäre, würde ich mit ihrem Hund Gassi gehen. Wenn sie länger gelegen hätte, würde ich wahrscheinlich ihr Auto putzen.«
»Warum denn das?«, fragt Brooke überrascht.
»Na ja, wenn man frisch aus dem Krankenhaus kommt, hat man nicht auf dem Schirm, dass man das Auto sauber machen muss, aber ihr wisst ja, was für einen Dreck die Blätter in dieser Jahreszeit anrichten. Bei Regen wird aus ihnen ein Matsch, der an der Windschutzscheibe klebt. Das ist das Letzte, woran man denken will, wenn man versucht, gesund zu werden.«
Zu Donnas Überraschung streckt Brooke die Hand aus, zieht sie in eine Umarmung und drückt sie fest an sich.
»Ich hab dich lieb, Mom.«
Donna blinzelt hastig.
»Ich hab dich auch lieb.«
Im Obergeschoss regt sich etwas, und alle heben den Blick zur Decke.
»Gehen wir hoch und sehen nach ihr«, schlägt Ken vor. Schweigend folgen die anderen Familienmitglieder ihm nach oben ins Elternschlafzimmer, wo Donnas Mutter sich ausruht. Sie ist blass, und ihr sonst stets fluffig geföhntes weißes Haar liegt flach am Kopf an, sodass ihre grauen Augen im schmalen Gesicht größer wirken.
Donna wendet den Blick ab, weil sie sich noch nicht daran gewöhnt hat, ihre Mutter so zu sehen. Shirley mag fünfundachtzig sein, aber sie ist immer noch ein umtriebiges Mitglied in so gut wie jedem Club dieser Stadt, einschließlich des Wandervereins, der regelmäßig Wanderungen durch die Hudson Highlands organisiert. Donna weiß, sie kann angesichts des Alters ihrer Mutter froh sein, dass Shirley bisher ein so aktives Leben führte. Sie hätte damit rechnen müssen, dass irgendeine gesundheitliche Beeinträchtigung irgendwann eintreten würde. Doch obwohl Logik normalerweise Donnas Verbündete ist, hilft sie ihr jetzt nicht weiter. Wenn sie ihre betagte Mutter so im Bett liegen sieht, fühlt sie sich nicht wie eine Sechzigjährige, die auf eine Fünfundachtzigjährige blickt, sondern wie ein Kind, das sich wünscht, seine Eltern wären unbezwingbar.
»Oh, gut, ihr seid alle da«, sagt Shirley mit leicht brüchiger Stimme. »Jetzt, wo wir alle beisammen sind, möchte ich euch etwas sagen. Also, vor allem , Donna.«
Die Stimmlage ihrer Mutter lässt Donna in Panik geraten. »Haben die Ärzte dir noch etwas anderes gesagt? Gibt es Komplikationen?«
Ihre Mutter schüttelt schnell den Kopf. »Das ist es nicht. Ich soll natürlich vorsichtig sein, meine Medikamente nehmen und darauf achten, was ich esse. Nein – diese ganze Geschichte hat mir einen Schrecken eingejagt. Sie hat mir klargemacht, dass ich dir endlich etwas erzählen muss. Etwas, das ich schon vor Jahren hätte ansprechen sollen.«
»Wir haben beide so oft daran gedacht«, mischt sich Donnas Vater ein, der sich nun neben seine Frau stellt und ihre Hand nimmt. »Aber wir haben nie die richtigen Worte oder den richtigen Moment dafür gefunden. Und je länger wir es aufgeschoben haben, desto unmöglicher erschien es uns.«
Donna blickt sich hastig im Zimmer um, sieht die verstohlenen Blicke, die sich ihre Eltern zuwerfen, die gerunzelte Stirn ihres Mannes und dass Brooke immer wieder zu ihr schaut, als wollte sie sich vergewissern, dass es ihr gut geht, obwohl sie selbst ganz eindeutig ebenfalls beunruhigt ist.
»Was ist, Mom?«, fragt Donna. Sie hat Mühe, die Worte an dem Kloß in ihrem Hals vorbeizuschleusen.
Shirley neigt den Kopf zur Seite, ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Dieser Schreck hat mich daran erinnert, dass ich alt bin. Und sie ist es auch, falls sie noch am Leben ist.«
»Wer?«
Ihre Mutter fährt fort, als hätte sie Donnas Frage nicht gehört, dabei rinnen ihr Tränen in die tiefen Falten in ihrem Gesicht. »Ich habe schon so lange einfach nichts getan. Es könnte zu spät sein. Aber ich muss es dir endlich sagen. Vielmehr ist es vielleicht einfacher,...




