E-Book, Deutsch, Band 151, 115 Seiten
Palmer Seewölfe - Piraten der Weltmeere 151
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95439-475-3
Verlag: Pabel eBooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der geheimnisvolle Fremde
E-Book, Deutsch, Band 151, 115 Seiten
Reihe: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
ISBN: 978-3-95439-475-3
Verlag: Pabel eBooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dan O´Flynn mit seinen scharfen Augen erspähte das Etwas, das von den Wellen auf und ab gehoben wurde, als erster. Und dann sah auch Philip Hasard Killigrew dieses Etwas, das sich wenig später als ein Mensch entpuppte. Hasard legte sich einen eisernen Reif ums Herz. Er fühlte sich an seine Abenteuer erinnert, in denen Schiffbrüchige eine Rolle gespielt hatten. Er dachte auch an die Stunde, in denen ihm und seinen Männern ein ähnliches Schicksal widerfahren war. Wer immer der Unglückliche war, ihm mußte geholfen werden...
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2.
Das Haus war aus dicken roten Backsteinen erbaut worden und vermittelte einen soliden Eindruck, wenn man von dem Spitzgiebeldach absah, das als Zeichen seiner Altersschwäche in der Mitte ein Stück eingesackt war.
Was bei Eric Winlow echte Besorgnis erweckte, war der Umstand, daß die beiden Fenster der Vorderfront dunkel und stumpf wie die Augen eines Blinden in die Nacht blickten. Nirgendwo in dem Haus schien Licht zu brennen. Dem Koch der „Vengeur“ stieg die dumpfe Ahnung auf, daß entweder niemand daheim war oder daß man sie als Störenfriede einfach hinauswerfen würde.
Hadley Allen traf Anstalten, mit der Faust gegen die schwere Holzbohlentür zu klopfen. Eric trat jedoch neben ihn und hielt seinen Arm fest.
Allen stellte in diesem Augenblick mit einigem Schaudern fest, welche Kraft allein in der Hand dieses übergewichtigen Mannes steckte. Eine Eisenklammer schien sich um seinen Oberarm zu schließen. Winlow, so pflegten die Männer der „Vengeur“ zu sagen, hatte Fäuste wie Bratpfannen, die wie solche auch zuhauen konnten. Aber von diesem Spruch war Allen nichts bekannt.
„Willst du sie etwa aus dem Bett werfen?“ fragte Eric.
„Na und?“ sagte Roger Lutz. „Die Nacht ist noch lang, und die Basen können bis in den Morgen hinein schlafen, wenn sie wollen. Ein ein- bis zweistündiger Plausch mit uns kann ihrer Gesundheit nicht schaden.“ Er grinste und sah pfiffig und auch ein wenig durchtrieben aus – der echte Schwerenöter.
„Aber du vergißt den kranken Mann“, gab Eric Winlow zu bedenken. „He, Bentley, du weckst deinen Onkel auf, und das geht nicht. Vielleicht kriegt er dabei einen Schlag, von dem er sich nicht wieder erholt.“
Hadley Allen grinste. „Ach was, mein Onkel schläft so tief, daß man ihn wegtragen kann. In der Beziehung hat er keine Schwierigkeiten. Wir können ruhig herumbrüllen, er würde nicht einmal mit den Lidern klappern.“
„Na schön, wie du meinst.“
Allen klopfte also an die Tür. Gleich darauf ertönten im Inneren des Hauses schlurfende Schritte. Eine ziemlich mürrische Frauenstimme erkundigte sich von der anderen Seite der Tür her: „Verdammt, was ist denn los? Wer ist da so verrückt, mitten in der Nacht an die Tür zu hämmern und anständige Leute im Schlaf zu stören?“
„Liebe Base“, sagte Hadley Allen honigsüß. „Ich bin’s, dein Vetter Hadley.“
„Ach, du lieber Himmel.“
„Ich habe zwei Freunde mitgebracht!“
„Auch das noch. Ich will dir mal was sagen …“
„Sie möchten nur einen Schluck von deinem selbstgebrauten Himbeergeist kosten“, sagte Hadley, bemüht, all seine Überzeugungskraft in seine Stimme zu legen. „Das kannst du uns doch nicht verwehren, Mädchen. Also, wir trinken einen, und dann gehen wir wieder, einverstanden?“
Hinter der Tür ertönte etwas, das Roger Lutz für einen gemurmelten Fluch hielt. Er runzelte die Stirn und begann ernsthaft an der Bereitwilligkeit der beiden Basen zu zweifeln. Und überhaupt – wo steckte die andere?
Die Tür wurde geöffnet, und Hadley Allen lud die Männer der „Vengeur“ mit einer freundschaftlichen Geste ein einzutreten. Eric Winlow tappte wie ein Bär in den dunklen Raum, Roger Lutz folgte ihm zögernd. Plötzlich spürte Roger einen finsteren Verdacht in sich aufsteigen. Unwillkürlich legte er die Hand auf den Kolben seiner Pistole.
Hadley Allen trat hinter ihnen ein und schloß die Tür mit sanftem Druck. Es schien soweit alles in Ordnung zu sein, denn jetzt wurde eine Öllampe angezündet. Eric und Roger konnten sehen, wie Allen wohlgefällig lächelte und der dämmrige Lampenschein die Formen einer nur dürftig bekleideten Frau beleuchtete.
„Das ist Pearl“, sagte Hadley Allen.
Pearl lächelte flüchtig und raffte den grobgestrickten Wollumhang, den sie sich über das Nachthemd geworfen hatte, enger um ihre festen Formen zusammen.
Eric musterte Pearl ganz ungeniert von oben bis unten und fand Gefallen an diesem üppigen Frauenzimmer. Roger stellte unterdessen im stillen fest, daß es sich um ein ziemlich reifes Mädchen zwischen dreißig und vierzig Jahren handelte, dessen einst blühende Schönheit schon ein bißchen lädiert war.
Zu weiteren Überlegungen kam er aber nicht, denn Hadley sagte jetzt: „Wo ist Fay?“
„Ich hole sie“, erwiderte Pearl. Sie räusperte sich und verschwand.
Die Öllampe stand auf einem roh zusammengezimmerten Eichenholztisch in der Mitte des großen Raumes, den sie betreten hatten. Stumm sahen sich die Männer über die Tischplatte hinweg an. Roger hatte seinen zweifelnden, argwöhnischen Gesichtsausdruck noch nicht aufgegeben; aber die Lage schien doch klar zu sein: Es war eine ärmliche Behausung, in die sie hier geraten waren. Pearls und Fays einzige Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt zu sichern, schienen „kleine Gefälligkeiten“ zu sein, mit denen sie die Freier bedachten, die Hadley Allen ihnen von Zeit zu Zeit ins Heim brachte. So weit, so gut, aber die ganze Sache behagte Roger irgendwie doch nicht – bis Fay in dem Raum erschien.
Pearl verblaßte trotz ihrer Formen neben dieser Frau, die mindestens zehn Jahre jünger war als sie. Fay war eine echte Cornwall-Schönheit mit dunkelblondem, langem Haar, seeblauen Augen und reizenden Zügen, die jedes Mißtrauen in Roger Lutz dahinschmelzen ließen.
Fay hatte eine volle Flasche mitgebracht, setzte sie auf dem Tisch ab und lächelte die Männer an. Pearl schien jetzt auch freundlicher geworden zu sein. Sie besorgte Gläser, entkorkte die Flasche und servierte den Besuchern den etwas herb riechenden Himbeergeist, der dann aber tatsächlich vorzüglich schmeckte.
Roger trank sein Glas leer, stellte es auf den Eichenholztisch und trat auf Fay zu. Er deutete eine Verbeugung an und sagte: „Gestatten Sie, daß ich Sie begrüße, wie man es bei mir daheim zu tun pflegt, Mademoiselle.“
„Aber gern doch“, erwiderte sie. Kokett bot sie ihm ihre Hand dar. Er ergriff sie, neigte sich darüber und spitzte seine Lippen zum Kuß. Daß es der verhängnisvollste Handkuß sein sollte, den er je einem Frauenzimmer aufgedrückt hatte, erfuhr er einen Atemzug später.
Fay packte seine Hand und zog ihn plötzlich zu sich heran. Sie umarmte ihn stürmisch, aber das diente nur einem Zweck: Sie wollte ihm die Pistole aus dem Waffengurt ziehen. Roger bemerkte es zu spät. Fay hatte die Waffe schon in der Hand, löste sich von ihm, wich zurück und hob die Pistole, so daß die Mündung Roger böse anglotzte.
Eric Winlow hörte auf, die üppige Pearl anzuhimmeln. Er fuhr herum und stieß einen Fluch aus. Sein Pech war, daß er nicht auf Hadley Allen achtete. Allen holte mit dem Fuß aus und trat Eric in den Allerwertesten. Eric stolperte durch den Raum, seine schweren Schritte polterten dumpf über die Bohlen, er drohte zu stürzen und ruderte mit den Armen.
Plötzlich stoppte er doch ab, denn jemand war aus dem dunklen hohen Rechteck der Tür auf ihn zugetreten, die Pearl und Fay kurz zuvor benutzt hatten. Dieser Jemand entpuppte sich als ein muskulöser Kerl mit drohendem Blick, gute sechs Fuß groß und offenbar zu jeder Untat fähig. Die erste Bestätigung dafür erhielt Eric, als der Mann die Faust hochriß. Harte Handknöchel krachten unter Erics Kinn. Der Koch der „Vengeur“ wankte und drohte das Bewußtsein zu verlieren.
„Gut so, Onkel!“ rief Hadley Allen. „Verpaß ihm noch so ein Ding, und er geht auf die Bretter!“
„Aha“, sagte Roger Lutz. „Da haben wir ihn also, den armen, kranken, bettlägerigen Onkel.“
Fay hatte den Hahn der Pistole gespannt. „Keine Bewegung, oder ich drükke ab!“ warnte sie.
„Na los“, sagte Allen. „Erledigen wir sie und nehmen wir ihnen ihre Habseligkeiten ab. Ich denke, wir haben diesmal einen guten Fang gemacht.“
Ivo, der Ausguck im Großmars der „Sparrow“, beugte sich über die Segeltuchverkleidung seines luftigen Postens, um besser erkennen zu können, was mit Bert Anderson vorging. Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und spähte auf die Kuhl hinunter. Anderson schien zusammengebrochen zu sein, aber das war Ivos Meinung nach kein allzu großer Verlust.
Warum Anderson gestürzt war und nun reglos dalag – diese Frage stellte Ivo sich nicht.
„Holla“, sagte Gijsbert, der am Backbordschanzkleid der Kuhl stand. Er sprach nicht zu laut – um Samkalden nicht zu wecken und van Dyck sowie die anderen Kerle im...