Pasternak / Fischer Meine Schwester - das Leben
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-10-403236-8
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Werkausgabe Band 1. Gedichte, Erzählungen, Briefe
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
ISBN: 978-3-10-403236-8
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Boris Pasternak, 1890 in Odessa geboren, beschäftigte sich ab 1903 mit Komposition, immatrikulierte sich in Moskau und studierte 1912 bei Hermann Cohen in Marburg Philosophie. 1914 erschien sein erster Gedichtband, weitere folgten, doch wurde er ab den Dreißigern immer wieder politisch angegriffen. Bevor er 1955 ?Doktor Shiwago? abschließen konnte, entstanden zurückgezogen große Übersetzungen, u. a. von Shakespeare und Goethe. 1958 wurde ihm für seine Lyrik und Prosa der Nobelpreis zuerkannt, aber er war aus Furcht vor politischer Verfolgung gezwungen, den Preis abzulehnen. 1960 starb er in Peredelkino bei Moskau.
Autoren/Hrsg.
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Ist’s nicht Zeit, dass die Vögel singen
Über diese Verse
Ich zerstoße sie auf dem Bürgersteig
Mit Glas halb, halb mit Sonnensplit.
Die winters dem Plafond ich zeig,
Die feuchten Winkel lesen mit.
Da deklamiert das Dachgeschoss,
Neigt Rahmen erst und Winter sich.
Auf zum Gesims springt das Gesocks –
Die Narrheit, Not und Zeichenschrift.
Den Sturm begrenzt nicht Mondesfrist.
Das Ende, den Beginn deckt Schnee.
Plötzlich weiß ich: die Sonne ist;
Ein anderes Licht längst, das ich seh.
Weihnachten blickt: ein Dohlenkind,
Und ein recht ausgelassener Tag
Eröffnet viel von dem im Sinn,
Was fern, mir und der Liebsten, lag.
Mit vorgehaltener Hand, im Schal,
Ruf ich durchs Klappfenster: He, ihr
Da draußen, Kinder, sagt doch mal –
Welches Jahrtausend haben wir?
Wer bahnte zu der Tür den Pfad
Dem Loch, verstopft von Graupen roh,
Als ich mit Byron rauchend saß
Und als ich trank mit Edgar Poe?
Als zum Darjal, dem Freund gleich traut,
Ich fand, zu Hölle, Zeughaus und
Das Leben, wie Lermontows bebenden Laut,
In Wehmut tauchte, wie den Mund.
Schwermut
Als Epigraph, dies Buch besiegelnd,
Die Wüsten zischten,
Löwengebrüll, zur Reveille der Tiger
Hin zog es Kipling.
Da klaffte, dürr, die grausige Quelle,
Des Sehnens Nacktheit.
Sich wiegend, glättend, eisige Felle,
Und zähneklappernd.
Jetzt wiegen sie sich weiterlebend
Als Verse ranglos,
Trotten in Tau und Wiesennebel,
Träumen dem Ganges.
Das Frühlicht, kalte, giftige Schleiche,
Kriecht in die Löcher.
Im Dschungel Totenmessen-Feuchte,
Des Weihrauchs Röcheln.
Du bist meine Schwester – das Leben, bist heute
Der Regen des Frühlings auf jedem Gesicht;
Und hochnäsig blicken die Kneifer der Leute,
Die schlangengleich beißen aus Höflichkeitspflicht.
Die Älteren wissen der Gründe so viele.
Dein Grund ist ganz sicher, ganz sicher nur Spaß:
Wenns blitzt, schimmern Blicke und Rasen fast lila,
Der Horizont duftet resedenhaft nass.
Im Mai fährst du Bahn und willst Fahrpläne lesen,
Den Schilfdorfer Zweig hast du stets in der Hand;
Die Bibel ist niemals dir wichtig gewesen
Und niemals das Sofa, nach Stürmen, voll Sand.
Da stören die Bremsen mit Jaulen und Quietschen
Die schlafenden Dörfler im Krähwinkelrausch,
Und flüchtig erheben sich Köpfe von Pritschen,
Sein Mitleid mit mir drückt ein Sonnenstrahl aus.
Das Klingeln (das dritte) ist kaum zu erkennen,
Entschuldigend tönt es – nicht hier, nein, noch fern.
Gardinen durchsickert das nächtliche Brennen,
Die Steppe stürzt Stufen hinab bis zum Stern.
Sie blinzeln und zwinkern, sie schlafen mit Wonne,
Die Liebste, die Fata Morgana, sie träumt …
Doch ist durch die Plattform, die Türen, entronnen
Mein Herz – in die endlose Steppe gestreut.
übersetzt von Christine Fischer
Meine Schwester – du Leben und heute als Regen
Versprengt auf alle, ein Frühlingsborn.
Doch die mit Berlocken und eitelem Ekel,
Sie beißen höflich, wie Ottern im Korn.
Die Älteren werden wohl Gründe haben.
Unstrittig – vernunftlos ist deine Vernunft,
Dass violett im Gewitter sind Augen und Rasen,
Und der Horizont – feuchter Reseden Duft.
Dass du, reisend im Mai, im Fahrplan tüftelnd
Auf der Strecke Kamyschin liest im Coupé,
Grandioser sein Text als die Heilige Schrift ist
Und die staub-und-sturm-schwarzen Kanapees.
Dass, da mit Gekläff die Bremse stockt, rammelnd
Auf friedliche Ländler im Krähwinkelwein,
Man schaut – ist’s schon meiner – von den Polstern zum
Bahnsteig,
Und die Sonne, die sinkt, mir ihr Beileid bezeigt.
Seinem dritten Spritzer nach fortschwimmt das Glöckchen,
Ganz Entschuldigung es: Bedaure, der nicht.
Zum Stern stürzt die Steppe sich von dem Treppchen,
Und die rauchende Nacht untern Vorhang schlich.
Zwar blinzelnd und nickend, doch schläft es sich süß so,
Und als Fata Morgana die Liebste erträumt,
Zur Zeit, da das Herz, auf die Plattformen fließend,
Waggontüren in der Steppe verstreut.
Der weinende Garten
Der schreckliche! – Tropft und will wissen ja,
Ob er auf der Welt allein ist,
– Knautscht den Zweig an das Fenster, wie Spitzen da –
Oder ob ein Zeuge dabei ist.
Doch würgt die großporige Erde
Vernehmlich an der Schwere der Schwellungen,
Und man hört – augusthaft – von ferne,
Die Mitternacht wird in den Feldern reif.
Kein Laut. Und auch keine Lauscher.
Sich vergewissernd der Leere,
Greift er zum Alten, rinnt rauschend
Vom Dach, in die Rinnen, sie querend.
Ich berühre die Lippen, will hören,
Ob ich auf der Welt allein bin,
Drauf und dran, mich in Schluchzen zu lösen, –
Oder ob ein Zeuge dabei ist.
Doch still. Nicht ein Blättchen, das raschelt.
Kein Deut, kein Zeichen, nur grauses
Schlucken und Plätschern in Schlappschuhn
Und Tränen und Seufzer der Pausen.
Der Spiegel
Im Trumeau steigt der Dampf einer Tasse Kakao,
Der Tüll schaukelt und geradezu
Den Weg in den Garten, in Windbruch und Chaos
Zur Schaukel hin läuft der Trumeau.
Dort schinden die Kiefern die Luft bis zum Wabern
Mit Harz, in dem Treiben dort sucht
Ihre Brille die Palisade im Grase,
Dort liest der Schatten ein Buch.
Und ins Dunkel, nach hinten, hinters Pförtchen zur Steppe,
Wo der Duft der Schlafkräuter harrt,
Rieselt den Weg lang in den Ästchen und Schnecken
Der blinkende, glühende Quarz.
Der riesige Garten im Saale schüttert
Ins Glas – das er nicht einmal schrammt!
Als sei über alles Kollodium geglitten
Vom Pult bis zum Rauschen im Stamm.
Alles hatte, so schien es, die Flut des Spiegels
Übergossen mit nicht tauendem Eis,
Dass nicht bitter der Ast sei, nicht dufte der Flieder
– Unverdeckt die Hypnose allein.
Eine Welt ohne Maß irrt im Mesmerismus,
Und der Wind nur verbindet noch,
Was ins Leben stürzt und sich bricht im Prisma
Und in Tränen zu spielen frohlockt.
Nicht ersprengbar die Seele wie der Salpeter,
Nicht ergrabbar der Seele Schatz.
Der riesige Garten im Spiegel bewegt sich
In das Glas – das er nicht einmal kratzt.
Ich kann dort, in dieser hypnotischen Heimat,
Die Augen nicht zuwehn mit Staub.
So kriechen nach dem Regen Schnecken den Schleimpfad
– Als Statuen-Augäpfel im Laub.
Das Wasser rauscht an den Ohren, und, zwitschernd,
Ein Zeisig hüpft auf den Zeh’n.
Zerdrücke dreist Blaubeeren auf ihren Lippen,
Du wirst sie nicht trunken sehn.
Der riesige Garten im Saale zittert,
Zeigt dem Spiegel die Faust und rast
Zu ihm auf der Schaukel, hascht, tatscht, beschmiert, rüttelt
Den Trumeau – und zerbricht nicht das Glas!
Ein Mädchen
An der Brust des Felsens, dieses Recken,
nächtigte ein goldenes Wölkchen.
Von Garten und Schaukel, perlicke-perlocke:
Ein Zweig läuft ins Spiegelglas.
Riesig, nah, mit smaragdenen Tropfen
Oben auf seinem spitzigen Quast.
Verdeckt von dem Zweig, seiner wirren Verrücktheit,
Verschwunden des Gartens Gewog.
Trautes du, gartengroß, doch im Charakter –
Die Schwester! Ein zweiter Trumeau!
Doch nun, da man dieses Zweiglein hereinträgt,
In der Vase es stellt zum Trumeau:
Wer, rätselt der, will mir Augen weinen
Mit der menschlichen Kerker-Ruh?
Du, in den Wind dich setzend, prüfst:
Ist nicht der Vögel Zeit
Zu singen? – der benetzt ist wie
Ein Spätzchen, Fliederzweig!
Die Tropfen groß, manschettenknopfschwer,
Der Garten blitzt, ein Fluss,
So blendend, blaue Tränen tropft er,
Tränenmillion, die floss.
Den aufzog meine Sehnsucht mir –
Du ließest Dornen schaun –
Fing neu heut Nacht zu leben an
Mit Düften und...