E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Paul Die Tänzerin Barberina
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95923-198-5
Verlag: RUTHebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-95923-198-5
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Erstes Kapitel
"Phantasieloses - poesieloses Gesindel!" rief Rinaldo Fossano unmutig, setzte sein Barett auf, warf mit geübter Geschicklichkeit den rot gefütterten Mantel um, dass der rechte Zipfel auf die linke Schulter flog, und verließ, in der Haltung eines mit seinen Truppen unzufriedenen Generals, die Bühne des Teatro Farnese.
Den ganzen Morgen hatte er sich mit den Tänzerinnen abgequält, um ihnen Verständnis für sein neukomponiertes pantomimisches Ballett beizubringen, mit dem er die Saison in Venedig zu eröffnen gedachte, nachdem seine für das Teatro Farnese zusammengestellte Stagione die Vorstellungen in Parma beendigt haben würde.
Die armen Jüngerinnen Terpsichores gaben sich die erdenklichste Mühe und boten ihre ganze Kunst auf, um ihren Herrn und Meister zu befriedigen.
Aber Signor Fossano war nicht nur ein Tänzer von Gottes Gnaden; er war auch ein Dichter, dessen Phantasie nach rhythmischen Orgien verlangte, in denen sich aber der menschliche Körper nur in den seltensten Fällen ergeht.
Von mit den raffiniertesten Kniffen des Kunsttanzes Vertrauten verlangte er noch Evolutionen, die sich mit Selbstverständlichkeit aus der inneren Empfindung heraus rein instinktiv und ohne Berechnung ergäben - Bewegungen ohne Dressur - , ein Spiel der Linien, das sich ganz unmittelbar aus der Phantasie des Tanzenden ins Körperliche übertrüge - ungewollt - fast improvisiert und so, weil natürlich und einfach, als Kunstdarbietung vollkommen.
Das läßt sich nicht erlernen! Das muß von vornherein da sein! Und bei keiner von allen den schönen Ballerinas hat er's bis jetzt gefunden!
"Hüpfen können sie wie die Grasmücken - schöne Drehungen - kunstvolle Pirouetten machen! Auf den Fußspitzen trippeln - himmelhoch springen - bezaubernd lächeln - glühende Blicke abfeuern - Kußhände in die Logen werfen! Küssen können sie auch!
Aber keine einzige, die es verstünde, bloß als lebend gewordener Drang zur Loslösung von der Erdenschwere da zu sein! - als Wille zum Schweben, wie wenn der Schmetterling, soeben aus der Raupe gekrochen, zum ersten Male im Sonnenschein die Flügel ausbreitet, aber noch nicht fliegt! Ein Stück Himmelsbewohner, der Erde entwachsen, aber noch auf Erden da - noch nicht abgeflogen! - Ein Versprechen, im nächsten Augenblick dahinzuschweben - die Hoffnung unserer Sehnsucht - die Gewißheit der baldigen Erhörung auf der Schwelle der Erfüllung!
Keine einzige, die das hat! Keine, die sich bloß zu zeigen braucht, um das zu geben - die, kaum, dass sie sich bewegt, die Seele des Zuschauers in Orgien des wiegenden Tanzes berauscht, welche der Körper nur ahnen lassen kann, die aber die Seele bewegen, wenn man bloß die Augen schließt!"
Er ging sie alle in Gedanken durch - - die Cesi - die Bandolini - die Grassini - die Gandolfi und die viel zu vielen, deren Namen noch keine Namen waren!
Schöne Körper - üppige Formen - schlanke Biegsamkeit - Feuer - Verve - Tempo - virtuoses Können - Geist - Temperament - alles war da!
Nur das eine nicht, was seiner Phantasie vorschwebte, das unnennbare gewisse Etwas, was sie dazu prädestiniert hätte, Psyche darzustellen!
"Zum Teufel mit allem Können! Verflucht die ganze Kunst, wenn sie das nicht hergibt! Lieber die erste beste von der Straße, wenn sie bloß die Empfindung hat und sich treiben läßt - wenn sie bloß ahnt, was ich will, und von keiner virtuosen Verbildung verhindert wird, es auch so zu geben!"
Mißmutig trat er auf den Burghof der "Pilotta" hinaus, wie man den ewig unvollendeten Prachtbau der Farnese nannte, in dessen einen Flügel das riesige Theater eingebaut war. Wie ein Triumphator wurde Fossano von den jungen Parmesanerinnen empfangen. Ein Regen von Blumen überschüttete ihn. Wie ein Schwarm von Schmetterlingen, so flatterte es um ihn, in bunter Mannigfaltigkeit lichter Farben - glutrote Lippen lächelten verheißungsvoll und lachten in übermütigem Jauchzen - Tausende von Händen wetteiferten, einen Zipfel seines Mantels zu erhaschen - es war ein Schreien, ein Aufjauchzen jugendlicher Stimmen, ein Feuerwerk aus glühenden dunklen Augen, ein Drängen, ein Stoßen - wie immer, wenn er nach beendigter Probe oder Vorstellung das Theater verließ.
Keinen Scherz aber hatte er zum Dank bereit, kein munter hingeworfenes Wort - keinen Gruß auf die vielen "Evviva"-Rufe! Die Blumen ließ er liegen, trat sie achtlos mit den Füßen, bahnte sich brüsk seinen Weg durch die Menge - machte dann kehrt, blieb einen Augenblick stehen und musterte sie alle, der Reihe nach, scharf, durchdringend, kehrte ihnen dann achselzuckend den Rücken, drückte den Hut in die Stirn und ging weiter.
"Keine einzige!" murmelte er halblaut, "keine einzige!" und achtete nicht weiter auf die Schar jugendlicher Verehrerinnen, die ihm trotz seiner Gleichgültigkeit das Geleit gaben.
Da, als er in die Strada al duomo einbiegen wollte, glitt eine Gestalt an ihm vorüber, die sofort seine Blicke gefangennahm.
Da war sie! Das war's! - Ein Schweben - ein leichtes Hinschreiten - eine Rhythmik der Bewegung - eine Hoheit der Haltung - ungewollt und selbstverständlich - ein Königtum der Linien, so stolz und frei, dass es die ärmliche Kleidung adelte, die den mädchenhaften, kaum noch der Kindheit entwachsenen Körper umhüllte!
Er wollte ihr nach, kam aber nur langsam vorwärts im Gedränge - verlor sie aus den Augen, fluchte - brach sich mit Ungestüm Bahn, stürzte wie ein Wahnsinniger vorwärts auf die Piazza del duomo hinaus und kam gerade noch zur Zeit, sie mit den Blicken zu fassen, als sie zwischen den roten marmornen Löwen Correggios am Tor des Domes hindurchschritt, um im Dunkel der Kirche zu verschwinden.
Schnell wie der Wind setzte er ihr nach und trat in das Gotteshaus.
Er suchte sie in den Kapellen der Seitenschiffe unter den dort Knienden - suchte sie unter den vor den Beichtstühlen Harrenden, aber umsonst.
Endlich fand er sie!
Da oben, auf den vielen Stufen am Ende des Mittelschiffes, wo die riesige Kuppel sich vor dem Hauptaltar wölbt, stand sie allein, die Blicke nach oben gerichtet. Sie war so tief in inbrünstiges Schauen versunken, dass sie nichts davon merkte, was sich um sie her zutrug. Schlank wie eine Gerte, erhob sich der jugendliche Körper in seltenem Ebenmaß der Formen - fast ohne Schwere stand sie da, kaum noch die Erde berührend, und - als wollte sie sich im nächsten Augenblick zum Fluge heben, so wuchs sie - löste sich allmählich vom Fußboden - hob sich mit unvergleichlicher Grazie auf die Fußspitzen und breitete die Arme nach oben.
So stark war der Eindruck, dass er im Nu die vielen Stufen nahm und auf sie zustürzte, um sie festzuhalten, damit sie ihm nicht entflöge. Aber sie bemerkte ihn nicht. Im Geiste war sie schon da oben, und sein Geist flog mit.
Er sah, was sie schaute und was ihre Seele erfüllte, er empfand ihre Empfindung.
Nicht unten auf den Steinfliesen des Fußbodens stand er mehr - dort oben weilte er unter den Gestalten, die der Pinsel Correggios hingezaubert hatte, teilhaft des Wunders der Erlösung aus dem Fleische.
Zunächst nur als Schauender, vom Licht Geblendeter, als einer der Apostel, die, rings um die Brüstung, über die sich die Kuppel wölbte, in ehrfürchtiger Anbetung festgebannt, kaum die Blicke zu erheben wagen, aber vom Lichte angezogen, in inbrünstiger Verzückung erstarrt, mit den Blicken die Herrlichkeit einsaugen, von der sie nachher den Erdenwürmern künden sollen, während ringsum die Genien den Tempel schmücken, die Flammen der Opferschalen mit den Flammen des ewigen Lichtes schüren und den Raum, durch den der Ausblick ins Himmlische verstattet werden soll, umsäumen, um jedem unheiligen Gedanken das Nahen zu verwehren.
Und sie?! Die Gottesmutter selbst war sie, die, von Genien und Cherubinen getragen, durch rosenrote Wolken dem ewigen Lichte entgegenschwebte, von einem Cherub zärtlich umschlungen, der sie vorwärts drängte und zugleich zurückhielt. Während ihre Blicke angstvoll nach oben starrten - ihre Arme sich öffneten - die Hände nach oben gestreckt, wie um das unfaßbare Glück zu erhaschen: - die Befreiung durch tiefste schmerzlichste Lust - die Auflösung fleischgewordenen Dunkels in geistsprühendes Licht!
Leben - volles leidvolles Leben war dies! - Und das war sie noch nicht - die Erfüllung noch nicht! Die Sehnsucht danach war sie, die süße verheißungsvolle Sehnsucht, die am höchsten trägt, weil sie immer noch unbefriedigt bleibt, immer noch strebt und nach Seligkeit verlangt! - Psyche war sie, die sich dort oben, frei und unbehindert, von ihrer inneren Kraft allein gehoben, aus dem Kranze der Seligen loslöste! Während Maria noch, von ihrer irdischen Mutterschaft beschwert, sich von seligen Kindern tragen lassen mußte! Und er war nicht länger der geblendete Zuschauer, der kaum mit den Blicken zu folgen wagte - der Genius war er, der allein mitten im Kreise am höchsten schwebte, den Weg zu zeigen - dem sie alle zu folgen hatten!
Er hatte ihre Gedanken recht erraten. Erst war sie vom Bilde der leidenden Gottesmutter gebannt, vom Cherub umschlungen und nach oben gehoben wie sie - dann von ihm und den übrigen beschwert und nach unten gezogen! Sie stampfte auf, um sich frei zu machen, und da traf ihr Blick Psyche, die, von nichts gehalten, frei, von ihrer inneren Begeisterung gehoben, nach oben schwebte! Und dieselbe Begeisterung kam über sie! - Kaum noch empfand sie die Berührung mit der Erde - sie erhob sich in voller Entfaltung ihrer natürlichen Grazie, die Hände nach oben gestreckt, mit den Blicken verzückt das Licht und die Farben einsaugend.
...