E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Pelluchon Die Durchquerung des Unmöglichen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-406-80754-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-406-80754-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die ökologischen und politischen Katastrophen unserer Gegenwart erklären das Klima der Angst, in dem wir leben. Wie können wir es schaffen, angesichts dieser zunehmenden Beklemmung nicht zu verzweifeln oder tatenlos zu resignieren? Die französische Philosophin Corine Pelluchon entwickelt in ihrem neuen Buch eine kleine Philosophie der Hoffnung, die besonderen Wert auf die erstaunliche Kraft unserer Verletzlichkeit legt. Sie zeigt, dass die Möglichkeit eines Zusammenbruchs unserer Zivilisation die Chance für einen Wandel bietet, der einen gemeinsamen Horizont der Hoffnung eröffnet. Hoffnung entsteht, ohne dass man nach ihr gesucht hat, wenn man alle Illusionen und Überlegenheitsfantasien ablegt und lernt, unsere Wirklichkeit mit einem neuen Blick zu betrachten.
In ihrem philosophischen Essay argumentiert Corine Pelluchon, dass der noch fehlende gesellschaftliche Wille zu einer Änderung unserer Lebensweise nicht auf einen Mangel an geteilten Überzeugungen zurückzuführen ist, sondern auf einen Mangel an Hoffnung. Dabei dürfen wir Hoffnung nicht mit Optimismus verwechseln, der den Ernst der Lage verschleiert. Auch unter sehr düsteren Aussichten die Möglichkeit einer anderen Zukunft sehen zu können – darin besteht das Geheimnis der Hoffnung, deren sanfte Macht Pelluchon in sechs kurzen Kapiteln erkundet. Zu Hoffen bedeutet, beklemmende Tatsachen nicht verdrängen zu müssen, sondern anerkennen zu können. Und den Mut zu finden, sich dem Unerwarteten zu öffnen.
Weitere Infos & Material
Dieses Gedicht von Rilke begleitet mich seit vielen Jahren, denn die Gefangenschaft dieses anmutigen und kraftvollen Tieres ist das Symbol für ein verhindertes Leben. Die Niedergeschlagenheit und der Weltverlust, die entstehen, wenn man in einen starren Alltag eingesperrt ist, sind Ausdruck eines extremen Leidens, das sich nicht in Worte fassen lässt und die gesamte Existenz einschließt. Sicher darf man psychisches Leiden nicht mit der Not eines Tieres verwechseln, dessen Gefangenschaft von Menschen erzwungen wurde, wie bei dem Panther im Jardin des Plantes, der Rilke zu diesem Gedicht inspirierte, und all seinen Nachfolgern, die noch immer in engen Gehegen hausen. Das Gefühl des Gefangenseins, das der Depressive empfindet, entsteht nicht allein oder hauptsächlich durch erlittenes Unrecht oder durch die Demütigungen, die andere ihm zugefügt haben. Solche schmerzlichen Erfahrungen reichen nicht aus, um das Gefühl zu erzeugen, dass man zu seinem Leid verurteilt ist und diesem nicht entfliehen kann. Der Depressive ist von seinem Leid umzingelt, es schließt ihn ein wie die Gitterstäbe eines Käfigs. Doch in gewisser Weise ist er es selbst, der sich in diesem Käfig festhält. Sein Leid ist ständig präsent, er verspürt es als Schwere, Enge, Unmöglichkeit zu atmen. Die Bilder, die von der Außenwelt zu ihm durchdringen, können ihn nicht davon ablenken: Sie ersterben in seinem Herzen, und seine Sinne werden wie die des Panthers taub, bis jeder Lebenswille erloschen ist. Die Depression ist vor allem ein inneres Gefängnis. Der Betroffene ist in seinem Leid oder seinem Kummer gefangen und in sich selbst eingesperrt, weil er sich mit seinem Schmerz identifiziert. In ihm schrumpft die Welt, er kann sie nicht anders betrachten als durch die Gitterstäbe seines Gefängnisses. Das Leben erstarrt im extremen Leiden, doch letzteres hat auch eine Dynamik: Es wächst, und dies erklärt, wie sich Leiden in Schuld verkehrt. Jede Anstrengung, das Leiden zu überwinden, verstärkt es. Wenn der Betroffene wieder in Trauer verfällt, verzweifelt er daran, dass er von den Ereignissen überrollt wurde und so wenig Kontrolle über sich selbst hat. Zur Niedergeschlagenheit kommen Scham und Schuldgefühle hinzu – die Demütigung, sich nicht aus der Verzweiflung befreien zu können, die zugleich als Leid und als Willensschwäche und schließlich als verfehltes Leben empfunden wird. Ein Mensch, der von Verzweiflung gequält wird, nimmt es sich selbst übel, dass er nicht in der Lage ist, die geringste Dankbarkeit zu empfinden. Er ist wütend auf sich, weil es ihm nicht gelingt, die Welt unbeeinflusst von den negativen Überzeugungen zu sehen, die die Mauern seines Gefängnisses bilden. Meistens vergisst er, dass diese Mauern nicht aus Beton sind, und hält seine Wahrnehmung der Dinge für die Realität. Er ist fixiert auf sein Leiden, auf seine Unfähigkeit, das zu erlangen, was er will, oder darauf, sich aus seiner Blockade zu befreien. Er empfindet Abscheu vor sich selbst, und diese Abscheu strahlt auf das Leben aus. Menschen, die durchschauen, dass diese Verzweiflung nicht einfach eine Reaktion auf ein bestimmtes Unglück oder eine Frustration ist, sondern dass etwas in ihnen dazu führt, dass sie an ihrem Leiden festhalten und sich von ihm zerfressen lassen, erkennen, dass sie sich gegen das Leben vergehen. Die Verzweiflung erscheint ihnen wie ein Feind, der sie überwältigt, wie ein Eindringling – sie wollen sich selbst töten, um ihn zu töten, und sie hassen sich selbst und das Leben. Diese Dialektik, die extremes Leiden in Verzweiflung, in Abscheu vor sich selbst und dem Leben oder sogar in Hass verwandelt, ist eine Besonderheit des Menschen. Denn ein Tier, das zu einem Leben in Elend verurteilt ist, kann – wenn es befreit wird – die Lust am Leben wiederfinden, und es hat nicht jene Abneigung oder den Hass gegenüber sich selbst. Gebrochen wird es durch den eisernen Käfig, in dem es gefangen gehalten wird, es ist sein Leben als Arbeitstier, das es vernichtet. Im Gegensatz dazu ist der von Verzweiflung gequälte Mensch sein eigener Kerkermeister – er kämpft gegen sich selbst. Man kann immer behaupten, dass er sein Gefängnis nicht selbst gebaut hat und dass dieser oder jener Umstand sein Leid erklärt, aber die Tatsache, dass er darin verharrt, in Trauer verfällt und sich darin verliert, ist das Ergebnis seines Unbehagens und eines problematischen Verhältnisses zu sich selbst und zum Leben, das durch das Leiden zu Tage gefördert wurde. Ich leugne nicht, dass jedes extreme Leiden eine tiefe Verlassenheit zum Ausdruck bringt. Wenn ein Mensch durch seine Qual in einen Zustand der Benommenheit gerät, trägt er seine Verzweiflung wie ein Schicksal, auf das keiner reagiert und das niemanden interessiert oder berührt. Würde jemand die Person, die dieses extreme Leid und diese Zerrissenheit erlebt, mit Aufmerksamkeit und Wertschätzung betrachten, würde man ihr ein wenig Zeit widmen, ohne zu behaupten, man verstehe sie, und ohne ihr zu sagen: «Morgen wird alles gut», «Du hast alles, um glücklich zu sein», dann verschwänden allmählich die unsichtbaren Barrieren, die sie von der Welt fernhalten und sie daran hindern, Teil davon zu sein oder erneut Teil davon zu werden. Durch die Gnade eines anderen würde sie das, was sie erlebt, als das Produkt einer Illusion erkennen, als eine Art Täuschung. Wahrscheinlich gelänge es ihr – wenn auch nur für einen Moment –, sich selbst mit Abstand zu betrachten, sich selbst von der anderen Seite der Gitterstäbe aus zu sehen, und sie würde sich nicht länger von jenem Unbehagen irreführen lassen, das mit seiner Schwärze auf alles abfärbt, was diese Person sieht oder berührt. Sie wäre nicht mehr in dieser Hölle, die sie einschließt und täuscht und davon überzeugt, dass die Welt ein großes Nichts sei. Die Versuchung, sich umzubringen, um ihre Qualen zu beenden, würde schwächer werden. Das bedeutet nicht, dass sie die Verzweiflung besiegt hätte, sondern einfach nur, dass sie weniger leiden würde. Diese Linderung würde der Person helfen, der destruktiven Dialektik des psychischen Leidens zu entkommen, die auf ihrem Höhepunkt den Menschen der Versuchung der Verzweiflung aussetzt. Die Person würde auch erkennen, dass das Leiden die Möglichkeit eröffnet, nicht länger zu fliehen, sondern sich wieder mit dem Leben zu verbinden, wenn sie über sich selbst hinausgeht und jegliche Kontrollversuche und alle vergeblichen persönlichen Erwartungen aufgibt. Ursache für die Verzweiflung sind nicht die anderen, und eine ausgestreckte Hand ist nicht die Bedingung für Hoffnung. Sie setzt vielmehr voraus, dass man die Freude in sich selbst findet, auch wenn man vieles verloren hat und nichts mehr erwartet. Wir müssen jedoch erkennen, dass ein Mensch, der keine Freude mehr am Leben hat – was auch immer der unmittelbare Grund oder Anlass sein mag –, in diesen Zustand gerät, weil er davon überzeugt ist, dass seine Existenz für andere keine Bedeutung besitzt. Er hat das Gefühl, dass man sich nur für ihn interessiert, wenn man seine Dienste braucht, und dass er sich auf niemanden verlassen kann. Das Selbst bekommt in dieser Situation Risse. So kann die Verzweiflung eindringen – oder besser gesagt: Sie kann zum Vorschein kommen, denn meist war sie tief in der Psyche versteckt und von Arbeit, Geld oder Alltagsroutine überdeckt. Der Selbstmord einer Person ist also Klage und Anklage zugleich, denn wenn man ihr das Gefühl geben würde, dass sie einen Wert hat, würde sie zwar immer noch leiden, aber nicht versuchen, sich umzubringen. Die Verbindung von extremem Leiden mit tiefster Einsamkeit und Verlassenheit ist eine weitere Ähnlichkeit und ein weiterer Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Elend. Man kann dieses Elend sowohl im Blick des Menschen als auch im Blick des Tieres lesen, wenn sie sich in größter Not befinden. Vielleicht zeigt der Blick des Tieres, das von seinen Besitzern verlassen wurde oder schutzlos denen ausgeliefert ist, die es ausbeuten, jenen Abgrund extremen Leidens am besten, jene nicht endende Agonie eines Lebens, das nur Qual ist. Diese Marter ist vergleichbar mit einer Nacht am helllichten Tag – einem Nichts, in dem man nicht einmal stirbt, wo jede Sekunde, jedes Geräusch den gesamten Raum ausfüllt und es nur die bedrohliche Leere gibt. Auch wenn der Mensch diese Erfahrung der Entsubjektivierung erleiden kann, steht ihm doch die Sprache als Werkzeug zur Verfügung: Er kann sprechen, seine Wut ausdrücken, Zeugnis ablegen. Das Tier hingegen kann keinerlei Einspruch erheben. Es erträgt alles mit seinem Leib und ist ganz in seinem Leiden präsent. Es kann ihm nicht durch Gedanken entfliehen oder sich sagen, dass die Folter, die es erleidet, angeprangert werden wird, dass sich die Nachwelt daran erinnert, dass morgen alles besser wird und seine...