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E-Book, Deutsch, 544 Seiten, epub

Perler Transformationen der Gefühle

Philosophische Emotionstheorien 1270-1670
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-10-401084-7
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Philosophische Emotionstheorien 1270-1670

E-Book, Deutsch, 544 Seiten, epub

ISBN: 978-3-10-401084-7
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was sind Gefühle? Um diese, in der aktuellen Philosophie heiß umstrittene Frage zu beantworten, geht Dominik Perler einen philosophiehistorischen Weg: Er diskutiert die Theorien von Thomas von Aquin, Duns Scotus, Wilhelm von Ockham, Montaigne, Descartes und Spinoza, um einen neuen Blick auf die gegenwärtigen Debatten zu werfen. In seinem überaus klar und verständlich geschriebenen Buch zeichnet er nach, wie sehr sich der theoretische Rahmen zur Erklärung von Gefühlen verändert hat und damit gleichzeitig die Frage, wie man seine Emotionen kontrollieren kann. Der große Reichtum dieser Debatten, zeigt Dominik Perler, eröffnet ganz neue theoretische Zugänge zur alten Frage: Was sind Gefühle?

Dominik Perler, geb. 1965, ist Professor für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er lehrte nach der Promotion in Fribourg und der Habilitation in Göttingen zunächst in Oxford und dann als Ordinarius für Philosophie an der Universität Basel. Gastprofessuren führten ihn nach Los Angeles, St. Louis, Tel Aviv und Madison. Im Jahr 2006 wurde ihm der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Preis der DFG verliehen, die bedeutendste wissenschaftliche Auszeichnung in Deutschland. Seit 2007 ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
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Einleitung


Ein philosophischer Zugang zu Emotionen


Kaum etwas scheint uns vertrauter zu sein als die Fülle von Emotionen, die wir täglich erleben. Wir freuen uns, wenn wir ein schönes Geschenk erhalten, fürchten uns, wenn wir bedroht werden, und geraten in Zorn, wenn wir von einer großen Ungerechtigkeit erfahren. Auch bei anderen Menschen können wir immer wieder Emotionen feststellen. Wir sehen, wie jemand von Wut gepackt wird, beobachten, wie Kinder vor Freude lachen, und stellen fest, dass zerstrittene Paare sich voller Hass trennen. Emotionen sind im Alltag so allgegenwärtig und natürlich, dass sie keine Erklärung erfordern. Das Bedürfnis nach einer Erklärung taucht erst auf, wenn wir über die bunte Aufzählung punktuell beobachteter Emotionen hinausgehen und all die Phänomene analysieren wollen, die wir an uns selber und an anderen feststellen. Welche Analyse wäre aus heutiger Sicht hier angebracht?

Es scheint zunächst, als könne uns nur eine Analyse weiterbringen, weil nur sie zu einer Einsicht in die Genese und allgemeine Struktur von Emotionen verhilft. Wenn wir nämlich biologische, psychologische, neurowissenschaftliche und andere empirische Untersuchungen durchführen, können wir nicht nur einzelne Emotionen beschreiben, sondern auch erklären, durch welche Reize sie hervorgerufen werden, in welchen Gehirnstrukturen sie sich manifestieren und welche Verhaltensmuster sie auslösen. Wir können dann auch erklären, warum bestimmte Typen von Emotionen mit einem bestimmten Körperausdruck einhergehen, und sind auf dieser Grundlage vielleicht imstande, eine Klassifikation von Basisemotionen vorzunehmen. Wenn wir darüber hinaus auch sozialwissenschaftliche Untersuchungen anstellen, die ebenfalls empirisch fundiert sind, können wir erläutern, wie, ausgehend von den Basisemotionen, je nach Kontext unterschiedliche sozial und kulturell geprägte Emotionen entstehen. Wir können zudem untersuchen, welcher Wert diesen Emotionen beigemessen wird, wie er sich in der historischen Entwicklung verändert hat und welche Differenzen sich dabei in verschiedenen sozialen Gruppen feststellen lassen. Wenn sich diese Untersuchungen auf eine Fülle von Daten stützen und den etablierten Methoden der empirischen Forschung genügen, können wir über eine rein subjektive, mehr oder weniger anekdotische Beschreibung einzelner Emotionen hinausgehen und eine Theorie der Emotionen erstellen – eine Theorie, die über die Natur und die besondere Funktion von Emotionen Aufschluss gibt.

Bleibt hier noch Platz für eine Analyse? Das Bedürfnis nach einer solchen Analyse taucht immer dann auf, wenn die Begriffe, die wir sowohl im Alltag als auch in empirischen Untersuchungen verwenden, unklar oder unscharf sind. Erst wenn diese Begriffe geprüft und in ihrer gegenseitigen Relation erläutert werden, erhalten sie klare Konturen. Erst dann wird auch ersichtlich, was mit ihnen überhaupt erklärt werden soll, in welchen Gesamtrahmen sie sich einfügen und auf welchen expliziten oder impliziten Annahmen sie beruhen. Philosophische Probleme sind daher immer begriffliche Probleme: Sie betreffen nicht die empirischen Daten, sondern die Art und Weise, wie wir die Daten einordnen und auswerten. Folglich lassen sich philosophische Probleme nicht dadurch lösen, dass immer mehr Daten angehäuft und immer mehr empirische Einzeluntersuchungen angestellt werden. Es muss vielmehr über die jeweiligen Ordnungsschemata und ihre Voraussetzungen reflektiert werden.

Natürlich werden solche Schemata auch in den empirischen Einzeldisziplinen kritisch diskutiert. Neue empirische Einsichten werden häufig dadurch gewonnen, dass bereits vorhandene Daten im Rahmen neuer Theorien interpretiert werden oder dass scheinbar selbstverständliche Annahmen in Frage gestellt werden. So ermöglichte erst eine kritische Reflexion über die Annahmen des Behaviorismus eine »kognitive Wende« in der empirischen Emotionsforschung. Erst dadurch wurde es möglich, Emotionen als Zustände mit einem kognitiven Gehalt zu verstehen und die Entstehung dieses Gehalts näher zu untersuchen.[1] Innerhalb der empirischen Wissenschaften gibt es also durchaus Theoriedebatten und daraus hervorgehende Theorierevisionen. Solche Debatten gehen aber meistens von allgemein akzeptierten Grundbegriffen aus, denn nur auf der Grundlage gemeinsamer Begriffe kann überhaupt ein Dissens entstehen. So kann man sich nur dann darüber streiten, wie der kognitive Gehalt von Emotionen entsteht, wenn man sich mehr oder weniger einig ist, was unter einem solchen Gehalt zu verstehen ist.[2] Genau bei diesen begrifflichen Grundlagen setzen die philosophischen Analysen an. Sie gehen nicht davon aus, dass der Begriff von kognitivem Gehalt oder andere Grundbegriffe bereits klar sind, sondern zielen gerade hier auf eine Klärung ab. Mindestens fünf Probleme tauchen dann auf.

Erstens stellt sich die scheinbar naive, aber grundlegende Frage, ob wir überhaupt von Emotionen sprechen dürfen. Man könnte dies das nennen: Ist der Emotionsbegriff ein hinreichend klar abgegrenzter Begriff, der sich auf eine einheitliche Klasse von Phänomenen anwenden lässt? Es liegt nahe, sogleich eine positive Antwort zu geben, denn es scheint uns nicht schwerzufallen, Freude, Furcht, Wut, Zorn und viele andere Emotionen einer einheitlichen Klasse zuzuordnen, die wir von der Klasse der Überzeugungen oder jener der Sinnesempfindungen abgrenzen. Gegen diese Erwiderung ist aber immer wieder Einspruch erhoben worden. »Emotionen bilden keine natürliche Klasse«, hielt Amélie Oksenberg Rorty provokativ fest.[3] Es ist keineswegs plausibel, dass alle Phänomene, die wir normalerweise unter dem Begriff der Emotion zusammenfassen, tatsächlich zusammengehören. Vielleicht ist unser Begriff irreführend, ähnlich wie der Begriff ›Fisch‹ irreführend ist, wenn wir ihn auf Forellen und Wale anwenden; nur weil wir diese Tiere im Wasser sehen, gehören sie noch lange nicht zur selben Kategorie von Lebewesen. Oder vielleicht beruht unser Begriff nur auf einer historisch gewachsenen Konvention, die jederzeit geändert werden könnte. Vielleicht beruht er auch auf der falschen Annahme, es müsse irgendetwas Verbindendes für Freude, Furcht, Wut, Zorn usw. geben. Doch gibt es das tatsächlich? Betrachten wir die spontane Furcht, die jemanden ergreift, wenn ein großer Hund auf ihn einstürzt, und den Zorn, der in ihm aufkommt, wenn er daran denkt, dass Manager Millionengehälter bekommen, während Millionen von Menschen verhungern. Die Furcht ist eine durch Sinnesreize unmittelbar ausgelöste Reaktion, der Zorn hingegen das Resultat einer moralischen Überlegung. Auch eine Katze, die von einem Hund angefallen würde, würde sich fürchten, aber sie wäre nie imstande, in Zorn zu geraten. Warum sollte es sich hier trotzdem um zwei Phänomene handeln, die zu ein und derselben Klasse gehören? Vielleicht sollte man die spontane Furcht eher zusammen mit instinktgesteuerten Sinnesempfindungen klassifizieren, den Zorn hingegen mit moralischen Urteilen. Auf jeden Fall ist es erklärungsbedürftig, warum wir ganz unterschiedlich geartete Phänomene in eine Schublade legen – vielleicht enthält diese Schublade ein Sammelsurium von buntgemischten Dingen.

Dies führt gleich zu einem zweiten Problem, das man das nennen könnte. Selbst wenn man einräumt, dass zu Recht ein einziger umfassender Begriff für unterschiedliche Phänomene verwendet wird, stellt sich die Frage, wodurch sie sich auszeichnen. Was ist das besondere strukturelle Merkmal, das uns erlaubt, Emotionen von anderen geistigen Phänomenen abzugrenzen? Verschiedene Antworten bieten sich an. Man könnte erwidern, dass sie sich durch Intentionalität auszeichnen, d.h. durch die Gerichtetheit auf Gegenstände oder Sachverhalte. Wir freuen uns ja immer über etwas, fürchten uns vor etwas, hoffen auf etwas usw. Doch dieses Merkmal findet sich auch bei anderen geistigen Phänomenen, manche würden sogar sagen, dass es das Merkmal geistiger Phänomene schlechthin ist, denn auch Überzeugungen, Wahrnehmungen, Wünsche, Vorstellungen usw. sind intentional.[4] Weiter könnte man erwidern, dass Emotionen eine körperliche Komponente aufweisen. So zittern wir, wenn wir in großer Furcht sind, und erröten vor Freude. Doch auch dieses Merkmal findet sich bei anderen Phänomenen, insbesondere bei Sinnesempfindungen (etwa Schmerz) sowie bei länger andauernden Stimmungen (etwa Niedergeschlagenheit). Man könnte auch festhalten, dass Emotionen eine phänomenale Komponente haben. Es fühlt sich nämlich auf eine bestimmte Weise an, zornig oder freudig zu sein. Aber natürlich findet sich auch diese Komponente bei Sinnesempfindungen und Stimmungen. Weiter könnte man anführen, dass Emotionen eine motivationale Komponente haben. Wenn wir uns vor einem großen Hund fürchten, sind wir ja spontan zu einem Fluchtverhalten motiviert, und wenn wir über eine Ungerechtigkeit zornig sind, wollen wir sogleich etwas dagegen unternehmen. Diese Komponente findet sich allerdings auch bei Trieben, Begierden und Wünschen; sie alle motivieren uns zu einer Handlung. Schließlich könnte man darauf hinweisen, dass Emotionen sich durch eine evaluative Komponente auszeichnen. Wenn wir uns über ein Geschenk freuen, betrachten wir es als etwas Gutes, und wenn wir uns vor dem Hund fürchten, schätzen wir ihn als gefährlich und schlecht für uns ein. Doch auch diese Komponente findet sich nicht ausschließlich bei Emotionen; Wünsche und vor allem Werturteile sind ebenfalls evaluativ. Gibt es also nichts, was ausschließlich Emotionen auszeichnet? Oder sollte man nach einem weiteren, ganz besonderen...


Perler, Dominik
Dominik Perler, geb. 1965, ist Professor für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er lehrte nach der Promotion in Fribourg und der Habilitation in Göttingen zunächst in Oxford und dann als Ordinarius für Philosophie an der Universität Basel. Gastprofessuren führten ihn nach Los Angeles, St. Louis, Tel Aviv und Madison. Im Jahr 2006 wurde ihm der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Preis der DFG verliehen, die bedeutendste wissenschaftliche Auszeichnung in Deutschland. Seit 2007 ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Dominik PerlerDominik Perler, geb. 1965, ist Professor für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er lehrte nach der Promotion in Fribourg und der Habilitation in Göttingen zunächst in Oxford und dann als Ordinarius für Philosophie an der Universität Basel. Gastprofessuren führten ihn nach Los Angeles, St. Louis, Tel Aviv und Madison. Im Jahr 2006 wurde ihm der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Preis der DFG verliehen, die bedeutendste wissenschaftliche Auszeichnung in Deutschland. Seit 2007 ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.



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