Peterlini / Cennamo / Donlic | Wahrnehmung als pädagogische Übung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 7, 216 Seiten

Reihe: Erfahrungsorientierte Bildungsforschung

Peterlini / Cennamo / Donlic Wahrnehmung als pädagogische Übung

Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7065-6063-4
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung

E-Book, Deutsch, Band 7, 216 Seiten

Reihe: Erfahrungsorientierte Bildungsforschung

ISBN: 978-3-7065-6063-4
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



„Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen?“ Diese scheinbar einfache Frage von Käte Meyer-Drawe geht diesem Buch als Inspiration voraus: Wohl alle glauben zu wissen, was es heißt, etwas zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu tasten, zu hören. Die Frage aber, was das nun wirklich heißt, erfordert die Überprüfung vermeintlicher Selbstverständlichkeiten und gewohnter Einordnungen. Im pädagogischen Handeln wird das Hinschauen, Hinhören, Einfühlen vielfach übersprungen zugunsten eines vorschnellen Deutens und Urteilens. Wahrnehmen als pädagogische Übung bedarf eines Innehaltens, das dem Verstehen bequeme Abkürzungen versperrt und eingespielte Sicherheiten irritiert. Erst dies erlaubt es, hinter Diagnosen, Bewertungsrastern und Begabungskategorien das konkrete Kind in seinem Lernen, den Mitmenschen in seinen Nöten und Potenzialen zu suchen.
Das vorliegende Buch diskutiert und vertieft die phänomenologisch orientierte Vignetten- und Anekdotenforschung als Methode für die Reflexion und Sensibilisierung der Wahrnehmung von Lern- und Bildungsprozessen in Schule und Gesellschaft.

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I. Erkenntnistheoretische Hinführung
Dieses Buch untersucht das Verwobensein von Aisthesis5 und Ethos6 in ihrer Bedeutung für das Lernen, Lehren und Forschen von (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern. Damit wird der Fokus auf das professionelle Handeln von Lehrerinnen und Lehrern im Spannungsfeld von (er-)kenntnisreicher Aisthesis und pädagogischem Ethos gelegt.7 Professionelles Lehrer/-innenhandeln, so die These vorliegender Arbeit, zeichnet sich durch eine besondere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für fremde Ansprüche aus, eine Umlenkung der Blickrichtung, eine Hin- oder Zuwendung, ein bestimmtes „Ethos der Sinne“ (Waldenfels 2006a: 103). Professionelle Lehrerinnen und Lehrer schauen hin, sie horchen auf und hören zu. Ihre Wahrnehmungen erhalten eine gewisse Bestimmtheit, wenn auch noch keine präzise Bedeutung. Dabei lassen sie sich insbesondere durch ihre engagierte Wahrnehmungsweise charakterisieren, die aufgrund ihres sinnlich-leiblichen Responsoriums allererst ermöglicht wird (vgl. Waldenfels 2000: 388 ff.; Meyer-Drawe 2001) und anhand von so genannten Vignetten8 (vgl. z. B. Schratz, Schwarz & Westfall-Greiter 2012; Agostini 2016a; Baur & Peterlini 2016) – unabhängig von Alter und Schultyp – ausgebildet werden kann. Vignetten als Narrationen leiblicher Erfahrungsvollzüge, so die weiterführende These, vermögen in besonderem Maße eine Schulung des Blicks, im Sinne der Entwicklung einer genuinen Wahrnehmungssensibilität für Fremdes, Anderes und nicht zuletzt Eigenes, aber auch im Sinne einer grundsätzlichen Erfahrungsfähigkeit im Hinblick auf außerordentliche Ansprüche.9 Diese Wahrnehmungssensibilität kann einerseits anhand von Vignetten veranschaulicht und andererseits im Erfahrungsvollzug, im (wiederholten) Lesen und Schreiben von Vignetten(-Lektüren) geübt und in der Form einer ethisch-sittlichen Grundhaltung verfestigt werden.10 Damit soll aufgezeigt werden, dass Vignetten für professionelles Lehrer/-innenhandeln große Bedeutsamkeit erlangen können. Um die angeführten Thesen zu stützen, werden bereits veröffentlichte Beiträge bzw. Buchauszüge aus den Bereichen der (ästhetischen) Wahrnehmung und Erfahrung mit Blick auf insgesamt vier Themenfelder neu gegliedert, verknüpft und im Kontext der Lehrer/-innenbildung positioniert. Dabei wird der Versuch neuer Erkenntnisgewinnung unternommen: Anhand der forschungsleitenden Fragestellung zur Verwicklung von Aisthesis und Ethos wird dem Pathos11 Rechnung getragen und im Hinblick auf die Bedeutung für professionelles Lehrer/-innenhandeln unter besonderer Berücksichtigung der Schwerpunkte Lernen, Lehren und Forschen diskutiert. In Frage steht, mit welchen Potenzialen und Herausforderungen dabei sowohl in anthropologischer als auch in institutioneller und hochschuldidaktisch-methodischer bzw. nicht zuletzt methodologischer Hinsicht zu rechnen ist und wie genau Vignetten als „Methoden“ der Wahrnehmungsschulung für die Aus- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer konkret fruchtbar gemacht werden können. Im kumulativen Teil der Arbeit entstehen dadurch Erörterungen auf der Grundlage früherer Texte und jüngerer Forschungszusammenhänge sowohl zu präreflexiv-leiblichen als auch zu reflexiv-ästhetischen Erfahrungsvollzügen im Kontext von phänomenologischen, pädagogischen, bildungsphilosophischen, praxis- und handlungstheoretischen Ansätzen. Professionelles Lehrer/-innenhandeln als institutionalisiertes Handeln umfasst Lernen, Lehren und Forschen als komplementäre, aufeinander bezogene und miteinander verwobene Erfahrungen. Dieser Gedanke wird insbesondere von der phänomenologischen Lerntheorie aufgegriffen, in lebensweltliche und koexistenzielle Bezüge eingebunden und erfahrungstheoretisch ausgewiesen. Phänomenologie selbst fängt mit der Frage an, was geschieht, wenn Erfahrungen „gemacht“ werden – sei es im Alltag bzw. in einem lebensweltlichen Kontext, sei es in wissenschaftlich-methodischer Bemühung. Im Besonderen geht es dabei um die Frage, welcher Sinn, welche Gestalten, Strukturen und Regelungen in statu nascendi aufgehen. Dazu wird erfahren und artikuliert, wie sich „Welt“ – in vorliegender Arbeit die Welt des ästhetischen oder des ethischen Handelns und Erfahrens – in ihrer jeweiligen Logik in der Grundstruktur der Erfahrung, der phänomenologischen „Formel“ des „etwas als etwas“ ausbildet. Ausgehend vom Ereignis der Erfahrung wird die mit allen zustoßenden Ereignissen verbundene Passivität ernst genommen – und damit einhergehend auch die Sphäre der Affektivität und des (Er-)Leidens. Eher als „gemacht“ werden diese Erfahrungen „durchgemacht“, wobei sie sich der Alternative von Aktivität und Passivität, Aktion und Passion entziehen. Die pathische Struktur der Erfahrung betont geradezu das Pathos als das ereignishafte „Zustoßende“, „An-gehende“, als „Affektion“ und „Widerfahrnis“ und verortet Erfahrung damit zwischen Aktivität und Passivität, Handeln und Erleiden. In einer pädagogisch-phänomenologischen Sichtweise wird (professionelles) Handeln von Lehrerinnen und Lehrern damit als erfahrungsbezogene Praxis bestimmbar, in der auch die vorreflexiven, passiven, nicht intentionalen und somit pathischen Aspekte in den Blick geraten. So geht dem Aufmerksamwerden stets etwas voraus: Etwas oder jemand fällt auf, stört, unterbricht, bietet einen Anblick oder erhebt einen Anspruch. Man wendet sich diesem etwas zu und richtet sein Augenmerk darauf. Vor allem pädagogisch-phänomenologische Betrachtungen rücken diese pathische Struktur sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrung, die Umlenkung der Blickrichtung und das Aufhorchen in den Mittelpunkt (vgl. z. B. Meyer-Drawe 2013a). Damit zeichnet sich bereits in Ansätzen ab, dass Aisthesis und Ethos im Pathos verwickelt sind und als Aspekte professionellen Lehrer/-innenhandelns zwischen Wahrnehmung und Bewusstsein, Präreflexivität und Reflexivität, aber auch zwischen den beiden Weltzuwendungen Sinnlichkeit und Vernunft anzusiedeln sind. Im (professionellen) Lehrer/-innenhandeln sind Aktivität und Passivität, Präreflexivität und Reflexivität, Vernunft und Affektivität, aber auch Autonomie und Heteronomie sowie Subjekt und Objekt unwiderruflich miteinander verwoben. 1. Aisthesis und Ethos als Aspekte professionellen Lehrer/-innenhandelns
„Es ist eine unabänderliche Tatsache, daß wir endliche Wesen sind, uns gelegentlich täuschen und immer in einer Welt leben, deren Komplexität unser Fassungsvermögen übersteigt. Wir müssen erst Wissen erwerben, um zu erfahren, dass es negierbar ist.“ Hauke Brunkhorst 1994: 135 Im einleitend kritischen Überblick über aktuelle und außerordentlich wirkmächtige Forschungsansätze in der Lehrer/-innenbildung werden Grenzen und Herausforderungen der vorwiegend von der Kognitiven Psychologie dominierten Diskurse im Hinblick auf die Entwicklung eines neuen Verständnisses von professionellem Lehrer/-innenhandeln deutlich gemacht. 1.1 Professionelles Lehrer/-innenhandeln – eine kritische Bestandsaufnahme
In den überwiegend kognitionspsychologisch orientierten Überblicken über Theorie und Problemfelder der beruflichen Entwicklung von Lehrpersonen (vgl. z. B. Messner & Reusser 2000; Blömeke, Reinhold, Tulodziecki & Wildt 2004; Helsper & Böhme 2008), in denen Forschungsperspektiven in diesem Bereich aufgezeigt und Konsequenzen für die Grundausbildung bzw. die Berufslaufbahn von (angehenden) Lehrpersonen diskutiert werden, wird davon ausgegangen, dass die berufliche Entwicklung von Lehrerinnen und Lehrern mit der Grundausbildung beginnt und sich über die ganze Spanne der Berufslaufbahn erstreckt.12 Diese berufliche Entwicklung wird auf der einen Seite vom Berufsbild und den beruflichen Anforderungen her definiert, auf der anderen Seite von der subjektiven Bewältigung dieser Anforderungen. Dabei werden meist unterschiedliche, aufeinander aufbauende Entwicklungsphasen unterschieden, die von einem Novizinnen- bzw. Novizen-Stadium hin zu einem Expertinnen- bzw. Experten-Stadium verlaufen und auf der Seite der Lehrerinnen und Lehrer einen Erwerb zunehmender Expertise zur Folge haben. Das hauptsächliche Ziel besteht dabei darin, den Anforderungen unterschiedlicher berufsspezifischer Entwicklungsaufgaben immer besser gewachsen zu sein (vgl. z. B. das Stufenmodell des Lehrenlernens nach Fuller & Brown 1975 und in Anlehnung dazu Terhart, Czerwenka, Ehrich & Jordan 1994, aber auch das „Novizen-Experten-Paradigma“ zum sukzessiven Aufbau von professionellen Fähigkeiten und von professionellem Wissen,13 vgl. Berliner 1988 und Dreyfus & Dreyfus 1987, aber auch Bromme 1992: 96 ff.).14 Diese Idealmodelle der Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz fokussieren somit vorwiegend die hauptsächlichen Ziele, Sorgen und Herausforderungen der Anfängerinnen und Anfänger hin zur entwickelten Lehrperson und gehen zudem ganz selbstverständlich davon aus, dass sich Expertinnen und Experten des Lehrens insbesondere durch eine zunehmend progressive Haltung,15 Handlungssicherheit und Routine charakterisieren lassen.16 Zugleich wird unter forschungsmethodologischen Gesichtspunkten eingeräumt, dass es nicht möglich sei, diese Entwicklung hin zum Meisterstadium anhand von Prädiktoren verlässlich vorherzusagen (vgl. Messner & Reusser 2000: 160). Helmut Messner und Kurt Reusser (2000: 168 f.) kommen zu dem Schluss: „Mit der Vermittlung formaler Kompetenzen bzw....



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