Pfaue | Anna | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Pfaue Anna

Schritt für Schritt ins neue Leben
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7320-1192-6
Verlag: Loewe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Schritt für Schritt ins neue Leben

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-7320-1192-6
Verlag: Loewe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Annas Traum ist es, Primaballerina zu werden. Doch ein schwerer Autounfall zerstört nicht nur beinahe ihr Leben, sondern auch ihre Chancen auf die große Tanzkarriere. Schritt für Schritt kämpft Anna sich zurück ins Leben und auf die Bühne. Bald wird sie sich entscheiden müssen: Ballett oder Liebe.

Justus Pfaue wurde 1942 in Oberhausen geboren. Er studierte Jura und Forensische Psychiatrie. Zunächst war er freier Mitarbeiter beim Hörfunk und bei der Zeit, dann schrieb er Drehbücher für erfolgreiche Serienklassiker wie Timm Thaler, Silas und Die Wicherts von nebenan. Justus Pfaue ist im März 2014 im Alter von 72 Jahren verstorben.
Pfaue Anna jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


  1

Philipp!«

Philipp Pelzer drehte sich ohne Eile um und sah zu dem blauen Pick-up, der mit laufendem Motor im Gang des Parkhauses stand. Er war nicht gerade begeistert, seine Mutter am Steuer des Lieferwagens zu sehen.

Ute Pelzer winkte ihm energisch und rief: »Mach schon! Steig ein!«

Philipp fertigte schnell seine letzte Kundin ab: »Zwei Euro fünfzig, die Firma dankt!«, leierte er einen seiner Sprüche runter. Dann rannte er zum Wagen und auf die Fahrerseite zu seiner Mutter.

»Ich hab erst das Geld für zwei Fahrstunden zusammen«, maulte er und sah sie trotzig an.

Philipp war fast achtzehn Jahre alt und in der Schule eher unauffällig. Vor Kurzem hatte er eine Leidenschaft entdeckt, die die Familie mit großer Gelassenheit über sich ergehen ließ: Autofahren. Philipp hatte beschlossen, so schnell wie möglich seinen Führerschein zu machen. Denn erst mit dem in der Tasche, dachte er, sei er ein echter Mann. Den Antrag und das nötige Foto hatte er schon vorbereitet, aber die nötigen Fahrstunden fehlten noch.

Jetzt stand er vor dem blauen Lieferwagen und war gekränkt, weil ihm seine Mutter die Aussicht auf eine private Fahrstunde verdorben hatte. Aber es kam noch schlimmer.

Ute Pelzer zeigte auf die Einfahrt des Parkhauses, wobei die bunten Armreifen an ihrem Arm klimperten, und sagte: »Dein selbst erfundener Job hier gefällt mir überhaupt nicht!«

Immer, wenn Ute ernsthaft böse wurde, betonte sie jede einzelne Silbe. Das hatte sie von ihrer Mutter geerbt. »Wenn sie dich erwischen, bekommst du deinen Führerschein nie!«

Damit hatte sie recht. Philipp fuhr im Parkhaus die Wagen von Kunden, die in der Dunkelheit und zwischen den Betonwänden der engen Rampen ins Schwitzen kamen, an die freien Stellplätze.

»Da bekomme ich jede Menge Trinkgeld und auch noch Fahrpraxis«, sagte er.

»Aber ohne Führerschein«, sagte Ute. »Und jetzt rein mit dir! Anna wartet schon!«

Philipp änderte seine Taktik und versuchte es mit Erpressung. »Nur, wenn du mich fahren lässt.«

Jetzt wurde seine Mutter richtig böse. »Mach erst deinen Führerschein! Und wenn ich dann den Wagen nicht brauche, kannst du ihn haben. Vorher auf gar keinen Fall! Und damit das klar ist: Du wirst den Pick-up auch nicht heimlich fahren, verstanden!«

Schmollend stieg Philipp ein: »Papa wollte doch Anna abholen.«

»Schnall dich an! Papa sitzt in der Dienststelle des Landesdenkmalpflegers fest! Sonst noch Fragen?«

Jetzt war auch Philipp sauer. Kurz angebunden antwortete er: »Nein.«

Die Fahrt verlief in finsterem Schweigen. Ute, die Realistin in der Familie, kochte innerlich vor Wut über ihren Sohn.

Kaum zu fassen! Keine Ahnung, wo er das herhat, dachte sie. Von Stefan bestimmt.

Stefan Pelzer … Vor knapp 20Jahren hatte sie ihn auf der Kunstschule kennengelernt und bald darauf geheiratet. Und sie hatte es bis heute nicht bereut. Sie lächelte ein wenig in sich hinein und dachte an den Anfang ihrer Ehe.

Nach der Hochzeit hatte Ute ihre Begabungen richtig entfaltet. Sie töpferte und sie schweißte Eisenschrott zu modernen Skulpturen zusammen. Das Kunsthandwerk machte sie glücklich und Stefan bewunderte ihre Arbeit. Dann wurde die Künstlerin Mutter: Erst kam Philipp und fünf Jahre später folgte Anna. Eine ganze Weile sagten Stefan und Ute zueinander »Papi« und »Mami«, aber das gab sich dann.

Und wegen Anna hatten sie auch ihr erstes Zerwürfnis. Nachdem Ute auch für die Kleine alle Sachen für den ersten Schultag gekauft hatte, hatte sie ihren Stefan angesehen und gesagt: »Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, aber das Geld reicht hinten und vorne nicht.«

Er hatte sie angelächelt und seinen Lieblingsspruch gesagt: »Wird schon reichen. Es hat immer gereicht. Mehr als ein Kotelett kann keiner essen.«

Sie hatte tagelang gegrübelt, wie sie ihren weltfremden Mann wachrütteln konnte, und dann war sie auf die Idee gekommen, selbst etwas zu tun.

Die Idee, die dann schließlich das Leben der Familie veränderte und die finanzielle Lage deutlich besserte, kam ihr eines Nachts, kurz nach dem Tod ihrer Mutter.

Sie war aus dem Schlaf hochgeschreckt und hatte ihren Mann wachgerüttelt und gefragt: »Weißt du, was der Blumenschmuck auf Omas Sarg und der Kranz gekostet haben?«

»Wenn du so fragst, war er bestimmt teuer«, brummelte Stefan schläfrig.

»So meine ich das nicht! Daran ist was zu verdienen! Verstehst du das?«

»An Beerdigungen?« Jetzt war Stefan entsetzt und mit einem Schlag hellwach.

»Zum Beispiel. Und an Geburten und Taufen und Geburtstagen und Konfirmationen …«

Stefan war auch nicht auf den Kopf gefallen. Er hatte Utes Idee begriffen und dachte selbst weiter: »Verlobungen, Hochzeiten … Und die Leute kaufen ja auch sonst zu jeder Gelegenheit Blumen. Glaubst du denn, dass Omas Geld als Startkapital ausreicht?«

»Leicht«, sagte Ute und bei dem Gedanken, wie lange ihre Mutter daran gespart haben mochte, kamen ihr die Tränen.

Das Blumengeschäft, das ihnen nach langer Suche in der ganzen Stadt dann schließlich von einem Makler vermittelt worden war, mauserte sich unter Utes tatkräftiger Leitung tatsächlich bald zu einem gesunden Unternehmen und mit der Familie ging es finanziell aufwärts.

Ja, und ausgerechnet sie musste einen Sohn haben, der den Realitäten des Lebens völlig ahnungslos gegenüberstand.

Ute seufzte, als sie vor der Ballettschule hielt und nun ihre Tochter auf sich zukommen sah. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie grazil Anna auf den Pick-up zuschritt.

Als Stefan Pelzer spät am Abend von seiner Dienststelle nach Hause kam, wollte er sofort in Annas Zimmer gehen, um den allabendlichen Gutenachtkuss einzuheimsen.

Er hatte schon die Hand an der Klinke, da rief Ute: »Sie schläft schon.«

Stefan zögerte. Er war runde 40Jahre alt, trug einen erstklassig gebürsteten Schnurrbart und war von Beruf Restaurator. Er liebte seinen Beruf und konnte sich bei der vielfältigen und abwechslungsreichen Arbeit entfalten. Wenn er etwas reparierte, das im Laufe der Jahre und Jahrhunderte Schaden erlitten hatte, war er Maler, Bildhauer, Stuckateur, Maurer, Tischler oder Vergolder, je nach Auftrag. Und er war nicht nur irgendein Restaurator, sondern einer mit einem guten Auge, Fingerspitzengefühl und Fantasie. Deshalb sagte der Oberlandesdenkmalpfleger hin und wieder: »Sie sind mein bestes Pferd im Stall«. Denn wenn Stefan Pelzer Denkmäler, Reliefs, Skulpturen, Ornamente und Bemalungen reparierte, dann war auch auf den zweiten und dritten Blick nichts von seiner Arbeit zu sehen.

Stefan legte ein Ohr an die Tür zum Zimmer seiner Tochter. Was er hörte, machte ihn froh, denn er war einer jener Väter, die unbelehrbar daran glaubten, dass Töchter ohne väterliche Gutenachtküsse nicht gut schlafen. Auch wenn sie schon dreizehn waren.

Anna schlief jedenfalls noch nicht. Sie hatte einen kräftigen Schluckauf, was ihm leidtat. So schlich er ins Zimmer und fragte leise: »Du schläfst noch nicht?«

»Hicks!«, antwortete sie. »Ich hab zu viel Spaghetti gegessen.«

Er grinste und setzte sich auf den Bettrand. »Sind denn Nudeln für eine angehende Primaballerina die richtige Nahrung? Ich denke, du wolltest bloß von Salat und Obst leben, Anna Pelzer.«

»Hicks, Papa, manchmal bist du richtig albern. Erzähl mal, was du heute gemacht hast. Wie war’s denn?«

Es tat ihm gut, dass sie sich um ihn Gedanken machte, dass sie Interesse an ihm zeigte. Aber sollte er ihr mit Fachbegriffen erklären, dass er mit der Pinzette stundenlang fünf verschiedene Farb- und Schmutzschichten vom Holz einer dreihundertjährigen Madonnenstatue abgetragen hatte, um die ursprüngliche Tönung freizulegen? Das langweilte sie sicher. Also sagte er nur: »Manche Tage sind ganz unbedeutend. Ich hab nur geschwatzt und bin zu gar nichts gekommen.«

Sie schien sich mit dieser Antwort abzufinden und kam auf ihre eigenen Probleme zu sprechen: »Du, hicks, Frau Breuer glaubt, dass ich eitel und ehrgeizig bin und unbedingt die Hauptrolle in dem neuen Ballett tanzen will. Hicks. Wie findest du das?«

»›Frau Breuer glaubt‹ …, auf dich kommt es an«, tadelte er. »Willst du oder willst du nicht? Und was ist das überhaupt für ein Ballett?«

»Die Puppenfee, eine Ballett-Pantomime in einem Akt. Für Weihnachten. Und Frau Breuer hat gesagt, dass ich es könnte und dass meine Linie wundervoll sei. Sie meint, ich hätte das Zeug zur klassischen Tänzerin.«

Stefan war in diesem Moment sehr stolz auf seine Tochter und musste sich selbst bremsen, um das nicht zu zeigen. Deshalb fragte er nur: »Und wie beurteilst du deine Leistungen?«

»Ich denke, Elke ist besser – ihr Adagio bestimmt.«

»Ihr was?« Stefan wusste zwar, wie seine Tochter beim Pas de bourrée dessus, dessous oder beim Jeté en tournant par terre die Füße setzte und die Arme hielt, aber ein Adagio war ihm neu.

»Der weibliche Charme im Pas de deux.« Ihre Stimme klang belehrend und altklug.

»Also, Charme hast du auch!« Stefan war sich seines Urteils hundertprozentig sicher. Für ihn war seine Tochter die Liebenswürdigkeit in Person.

Anna rückte nah an ihn heran und überlegte lange, ehe sie fragte: »Meinst du, dass ich über Nacht, hicks, ehrgeizig werden kann?«

»Über Nacht? Nein, sicher nicht. Aber ich würde mich freuen, wenn du Erfolg hättest.«

Etwas Ehrgeiz machte sich bei Anna nun doch bemerkbar. »Papa – du siehst doch zu, wenn es so weit ist,...


Justus Pfaue wurde 1942 in Oberhausen geboren. Er studierte Jura und Forensische Psychiatrie. Zunächst war er freier Mitarbeiter beim Hörfunk und bei der Zeit, dann schrieb er Drehbücher für erfolgreiche Serienklassiker wie Timm Thaler, Silas und Die Wicherts von nebenan. Justus Pfaue ist im März 2014 im Alter von 72 Jahren verstorben.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.