E-Book, Deutsch, 453 Seiten
Piazza Julias Hoffnung
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98690-698-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 453 Seiten
ISBN: 978-3-98690-698-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Barbara Piazza, geboren 1945 in Eislingen/Fils, zählt zu den erfolgreichsten deutschen Drehbuchautorinnen - und noch dazu stammen von ihr die Ideen zu den TV-Erfolgsserien »Forsthaus Falkenau« und »Alle meine Töchter«. Gemeinsam mit Hans W. Geißendörfer entwickelte sie außerdem die legendäre »Lindenstraße«. Barbara Piazza ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Oberschwaben. Bei dotbooks veröffentlichte Barbara Piazza ihren Roman »Julias Hoffnung«.
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Kapitel 5
Es war Oktober geworden, und die Umgebung der Burg glühte in Gelb- und in Rottönen.
Alle Lebensläufe der Fränze von Staufenfels waren recherchiert, verifiziert und in eine historische Abfolge gebracht. Es war leichter gegangen, als Julia sich dies vorgestellt hatte, denn die Unterlagen der Familie waren nahezu lückenlos. Allein die Abbildungen der Herren hatten ihr Mühe bereitet und langwierige Korrespondenzen mit Museen und anderen Adelshäusern verlangt. Jetzt aber war alles komplett und wartete auf Graf Franz Anton, der versprochen hatte, bald vom spanischen Hauptsitz der Familie bei Benidorm anzureisen und Korrektur zu lesen, bevor das Werk an den Verlag weitergeschickt werden sollte.
Julia, die sich nun ein paar Urlaubstage gönnen konnte, beschloss, ihre einzige noch lebende Verwandte, Tante Marta, eine Schwester ihrer verstorbenen Mutter, zu besuchen.
Marta Albers lebte von November bis Februar in ihrer Stadtwohnung in München, das restliche Jahr verbrachte sie vorzugsweise in ihrem Haus im Tessin.
Julia fuhr mit dem Zug bis Lugano, wo Tante Marta sie abholte.
»Du siehst fabelhaft aus, Julia. Mir scheint, du hast die Sache mit Jürgen endgültig überwunden«, stellte Tante Marta fest, nachdem sie ihre Nichte umarmt und danach gründlich gemustert hatte.
»Was einen nicht umbringt ...«
»Mach keine Späße darüber. Sehr weit weg davon warst du nicht«, fiel ihr Tante Marta ins Wort.
»Nein. Wirklich nicht«, gab Julia zu und rückte dann ihre neue Handtasche ins Blickfeld der Tante, die auf den Trick hereinfiel und sofort ausrief: »Du musst ja Unsummen verdienen bei diesem Grafen, wenn du dir dieses Label leisten kannst!«
Julia verschwieg, dass der Hersteller der Edeltasche ganz in der Nähe von Staufenfels einen Fabrikverkauf betrieb, in dem man Produkte, die kleine Fehler aufwiesen, für einen Bruchteil des üblichen Preises erhielt. Sie schob das edle Stück über die Schulter und behauptete lässig: »Manchmal gönn ich mir eben was!«
»So gefällst du mir wieder. Und den Männern auch, wie ich sehe«, erwiderte ihre Tante, denn sie hatte den Blick eines entgegenkommenden Herren bemerkt, als sie auf ihr Auto zusteuerte.
Auch Julia hatte ihn registriert – und sie stellte erstmals seit langer Zeit wieder fest, wie euphorisierend männliche Bewunderung wirkte. Es war unbestreitbar der Nachteil einer Mailbeziehung, dass dieses Moment nicht herzustellen war. Was sich bald ändern würde, wie sie seit vorgestern wusste.
Julia lehnte sich zurück und beobachtete ihre Tante, die den schweren Wagen versiert durch Lugano lenkte.
Marta Albers war siebenundsechzig. Sie war mittelgroß und hatte gepflegte, kinnlange graue Haare. Sie war elegant, selbstbewusst und modisch gekleidet, und dennoch war sie eine Frau der Spezies, die am Aussterben war: Sie hatte weder einen Beruf erlernt noch hatte sie jemals gearbeitet; sie hatte geheiratet, bevor so etwas eintreten konnte. Ihr Mann Erich war ein höherer Ministerialbeamter in der bayerischen Kultusverwaltung gewesen und vor wenigen Jahren, kurz nach seiner Pensionierung, verstorben. Er stammte aus einer alten Münchner Akademikerfamilie, war der einzige Sohn eines wohlhabenden Apothekers gewesen und hatte seiner Witwe neben seiner Pension auch ein stattliches Vermögen hinterlassen, was dieser ein unbeschwertes, großzügiges Leben ermöglichte. Ihr Sohn Alwin war nach einem Jurastudium in den diplomatischen Dienst eingetreten und derzeit deutscher Botschafter in Botswana.
»Hin und wieder flieg ich dorthin, so alle drei Monate ein paar Tage. Alwin schlägt mir zwar immer wieder vor, dass ich ganz zu ihm kommen soll, aber ich will meine Selbstständigkeit nicht aufgeben – und auf die Dauer mag ich an diesem abgelegenen Platz und dem ungesunden Klima nicht leben.«
Julia hatte keine genaue Vorstellung davon, wie das Klima in Botswana beschaffen war, aber sie kannte Bilder des stolzen Anwesens, in dem ihr Cousin residierte, und war der Auffassung, dass es so schrecklich dort nicht sein könne. Allerdings verstand sie den Wunsch der Tante, selbstständig zu bleiben.
Der Kaffeetisch war bereits gedeckt, als sie ankamen.
Julia wusch sich die Hände und nahm dann dankbar einen Schluck des heißen, wunderbar aromatischen Kaffees.
»Ich lasse ihn immer noch aus Bolivien kommen, direkt von der Farm, die ich damals besucht habe, als Alwin noch in Südamerika war.«
Die weißen, handbemalten Tassen waren aus der Nymphenburger Porzellanmanufaktur und ein Erbstück der Albers-Familie, die weiße Damasttischdecke war mit demselben Muster bestickt, und die Farben der gezüchteten Vergissmeinnicht waren vom gleichen Blau wie das Motiv auf Tassen und Decke.
»Die absolute Perfektion«, sagte Julia bewundernd. »Und der Kuchen ist erstklassig. Du bist einfach eine Frau mit Stil, Tante Marta!«
»Das will ich doch hoffen«, erwiderte Marta Albers mit der ihr eigenen Ironie. »Vorzeigbar auszusehen und ein gutes Haus zu führen ist das Einzige, was ich wirklich beherrsche, und das hab ich mühsam – und unter Zorntränen – von meiner Schwiegermutter gelernt.« Sie schmunzelte ein wenig, als sie gestand, was Julia ohnehin wusste: »Dein verstorbener Onkel hat mich verführt, als ich knapp siebzehn Jahre alt war. Ich konnte gerade noch das Abitur machen, bevor Alwin geboren wurde. Wir waren damals ein großer Skandal in München, aber wir hatten eine ausgesprochen glückliche Ehe. Ich möchte keinen Tag davon missen, und dein Onkel hatte noch Gelegenheit, mir dasselbe zu sagen, bevor er starb. Glaube mir, Julia, so etwas ist so selten wie ein Hauptgewinn in der Lotterie!«
»Ich glaub es dir auf der Stelle«, erwiderte Julia und dachte prompt wieder einmal an Jürgen.
»Was meinen Sohn betrifft, so wird er das leider nie von sich sagen können, so viel ist heute schon klar«, resümierte Tante Marta inzwischen bekümmert. »Neulich hatte ich Gelegenheit, seine zukünftige Frau kennenzulernen, die vierte, mit der er's versuchen möchte, und nachdem ich sie besichtigt habe, bin ich fast sicher, dass auch diese Ehe ein Flop werden wird.«
»Oje«, murmelte Julia und versuchte, ihre Erheiterung zu verbergen. Sie hatte keine Ahnung, wie ihr dicklicher Cousin es anstellte, immer wieder zu einer beiratswilligen Frau zu kommen. Sein Charme konnte es nicht sein, wohl eher sein Stand und sein finanzieller Hintergrund.
»Und was ist mit dir, diesbezüglich?«, fragte Tante Marta in logischer Fortsetzung ihrer Überlegungen. »Du wirst doch nicht allein bleiben wollen, so hübsch wie du bist?!«
»Für hübsch gibt's in Staufenfels keinen Markt«, wandte Julia ein.
»Nun denn, dorthin hast du dich selbst manövriert. Ich hab dir gleich davon abgeraten, dich in deiner liebeskummerverursachten ... Weltflucht ... auf dieser Burg zu verkriechen, wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen.«
Das allerdings war übertrieben und wurde der Bedeutung von Staufenfels nicht gerecht. Immerhin hatte Karl der Große dort schon gewohnt, zwei volle Tage und eine historisch bedeutsame Nacht.
Tante Marta betrachtete ihre Nichte aufmerksam und seufzte dann, bevor sie aussprach, was sie schon lange beschäftigte: »Ich mache mir wirklich Sorgen um dich, Julia. Diese Geschichte mit Jürgen hat nicht nur dein Urvertrauen zerstört, sondern auch dein Selbstbewusstsein niedergedrückt, und Letzteres schon, lange bevor ihr euch getrennt habt.«
»Wie meinst du das?«, versuchte Julia, sich dumm zu stellen.
Doch Tante Marta war nicht zu täuschen. »Das weißt du doch selbst! Dieser narzisstische Kerl hat sich derart breitgemacht, dass man dich jahrelang nur noch in seinem Schatten wahrnehmen konnte. Dabei hast du ganz eindeutig beruflich mehr geleistet als er. Aber du, du hast dich völlig von ihm vereinnahmen lassen und nahezu anbetend zu ihm aufgeschaut!«
»Also bitte, Tante Marta, so war es dann auch wieder nicht!«
»Doch. Genau so!« Tante Marta schnaubte aufgebracht. Sie hatte Jürgen mit Skepsis betrachtet und ihn als aufgeblasenen Ego bezeichnet. Und sie hatte auch gleich eine Erklärung für Julias angebliche Anbetung: »Das scheint ja leider das Handicap von Töchtern zu sein, die besonders gute Eltern hatten. Sie verlieren offenbar den Sinn für kritische Betrachtungen, weil sie ihr positives Vaterbild auf alle Männer übertragen. So lange jedenfalls, bis die Wirklichkeit sie eines Besseren belehrt.«
Tatsächlich war Albert, Bader ein großartiger Vater gewesen, nur weigerte sich Julia, einen Zusammenhang zwischen dem Scheitern ihrer Beziehung mit Jürgen und den guten Eigenschaften ihres Vaters zu sehen. Allerdings hatte es keinen Sinn, Tante Marta widersprechen zu wollen, wenn sie derart in Fahrt geraten war wie im Moment. Die einzige Möglichkeit, das Thema zu wechseln, war es wohl, Tante Martas Aufmerksamkeit auf die Zukunft zu lenken.
Julia hatte zwar nicht vorgehabt, darüber zu sprechen, aber weshalb eigentlich nicht? Ihre Tante mochte nachtragend, ironisch und überaus direkt sein, aber sie war auch intelligent und weltläufig, und mit irgendwem sollte sie vielleicht ja doch darüber reden, denn Jenny war derzeit mit einer Gruppe am Südpol und in einem Funkloch verschwunden.
»Ich hab vor ein paar Monaten eine nette ... Brieffreundschaft ... mit einem österreichischen Ingenieur begonnen, der auf einer Großbaustelle in Indien arbeitet.« Julia schaute über den Rand ihrer Kaffeetasse und beobachtete die Reaktion ihrer Tante. »Letzte Woche hat er geschrieben, dass er zu einem Heimatbesuch nach Graz kommen wird und mich anschließend gerne besuchen möchte. Was sagst du dazu?«
Ȇberhaupt nichts,...