E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Pickener KaisersKinder
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-89741-920-9
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
ISBN: 978-3-89741-920-9
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ursula Pickener lebt und arbeitet als freiberufliche Autorin in Bremen. Die ausgebildete Bauingenieurin studierte Architektur, später dann Deutsch, Sport, Psychologie, Kunst und Behindertenpädagogik. Viele Jahre war sie an einem Schulzentrum als Lehrerin, Mediatorin und Beraterin tätig. Sie schreibt Prosa und Lyrik und veranstaltet Lesungen in Kooperation mit Künstler*innen - oft an ungewöhnlichen Orten. 2019 erschien ihr Kriminalroman »Utopia war gestern« (Fehnland Verlag). Ursula Pickener ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller*innen sowie im Bremer Litera-turkontor und gehört den »Mörderischen Schwestern« an.
Autoren/Hrsg.
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1. Schwimmende Insel
Eine Stockente führte vier Küken gegen die Strömung flussaufwärts. Die war früh dran mit ihrem Nachwuchs. Hatte es wohl nicht erwarten können. Würden die Küken die gefährlichen ersten Tage und Wochen überstehen? Füchse, Waschbären und Greifvögel, Krähen, Wanderratten und Marder – sie hatten viele Feinde am Anfang ihres Lebens.
Marias Blick ging über den träge dahinströmenden Fluss. Weiter hinten entdeckte sie einen Bisam. Sie stieg vom Rad ab und griff nach ihrem Fotoapparat im Fahrradkorb. Das Tier schwamm auf sie zu. Um diese Zeit hatte auch die Bisamratte Junge zu versorgen, der unterirdische Bau konnte hier zwischen den Steinen der Uferbefestigung liegen. Heute, am ersten Tag nach den Osterferien, war es kurz nach sieben schon hell genug. Das Licht würde für ein brauchbares Foto ausreichen.
Maria deutete zu Boden und formte mit den Lippen ein lautloses Platz!. Zu spät: Pawlow, ihr Huskymix, ließ sich ungern spannende Dinge mit Fell oder Federn entgehen und sprang bereits auf die Steine.
Der Bisam tauchte ab und würde sich so bald nicht wieder blicken lassen. Er kannte den Unterschied zwischen einer Nikon und einem Viertelwolf, auch wenn er rassenuntypisch blond war.
»Schade.« Für ihren Biologiekurs machte Maria Fotos von einheimischen Tieren und jede Woche besprach sie mit den Schülern eine Tierart. Das war nicht im Oberstufenlehrplan vorgesehen, aber die Lehrplantreue hatte sie direkt nach ihrem bestandenen Staatsexamen vor ein paar Jahren abgelegt. Manchmal brachten die Schüler Handybilder oder -videos mit: Hunde, Katzen, Kanarienvögel. Am liebsten natürlich von Tierbabys. Aber auch exotische Schlangen, Echsen, Spinnen wurden stolz in viel zu engen Terrarien vorgeführt.
Maria stieg wieder aufs Rad. Pawlow starrte weiter zur Flussmitte: Ein Bündel Schilf, verknäult mit Zweigen und Ästen, trieb abwärts. Obenauf saßen zwei Krähen, die auf etwas einhackten, vielleicht war ein toter Fisch in diesem Gestrüpp angelandet. Saat- oder Rabenkrähen?, fragte Maria sich.
Ein interessantes Motiv: schwimmende Insel mit schwarzglänzenden Aasfressern im morgendlichen Dunst. Unheimlich, morbide, wie ein schlechtes Omen. Aber wer an so was glaubte, glaubte auch an Schornsteinfeger, Kleeblätter, Glücksschweine, Wünsche und Träume. Damit war Maria Brehm durch. Schon lange.
Die Totale zeigte eine Flusslandschaft mit aufgehender Sonne, der Himmel orange, hellblau, dunkelblau, türkis. Das Wasser reflektierte die Farben. Der Dunst schwebte in wolkigen Fetzen darüber. Im Vordergrund griffen die Zweige einer Trauerweide am Ufer ins dunkle Wasser. Am linken Rand glitt langsam das unbekannte, schwimmende Objekt heran. Wie ein Rätsel, eine offene Frage an den beginnenden Tag. Wieder drängten sich Maria magische Vergleiche auf. Sie war wohl noch nicht richtig wach.
Langsam kam das Bündel näher. Kräftige Schnäbel, Hackbewegungen wie Verbeugungen. Rabenkrähen (Corvus corone), jetzt konnte sie sie genau erkennen.
»Schau Pawlow, ist da etwas Rotes? Ein roter Arm, der uns zuwinkt?«, fragte sie mehr sich als ihren Hund.
Ein letztes Brssst der Kamera. Das Floß schwamm mitsamt seiner schwarzfedrigen Besatzung und dem roten Stofffetzen vorüber, die Lesum herab, der Weser und der Nordsee entgegen, um vielleicht mit der nächsten Flut wieder flussaufwärts getrieben zu werden. Das ewige Hin...




