Pietrantonio | Arminuta | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Pietrantonio Arminuta


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95614-273-4
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-95614-273-4
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im Dorf nennen sie alle nur Arminuta, die Zurückgekommene. Warum hat man sie zu ihren leiblichen Eltern zurückgeschickt? Wer ist ihre Mutter? Die, die sie geboren hat, oder die, bei der sie aufgewachsen ist? »Als Dreizehnjährige kannte ich meine andere Mutter nicht mehr.« So beginnt die Geschichte, in der ein junges Mädchen mit einem Koffer und einem Sack voller Schuhe bei einer ihr unbekannten Familie abgeliefert wird. Die echten Eltern wollten sie wieder haben, mehr haben ihr die, die sie bisher Vater und Mutter nannte, nicht erklärt. Niemand scheint auf sie gewartet zu haben, alle haben offensichtlich andere Sorgen. Das Essen ist knapp, die Neue muss sich das Bett mit der kleinen Schwester teilen und das Zimmer mit den drei Brüdern. Hier ist alles fremd, die Armut, der Schmutz, die harten Worte. Während sie einen Weg zurück in ihr behütetes Leben in dem kleinen Haus am Strand sucht, entwickeln sich neue Bindungen, zur mutigen Schwester, den Brüdern, der Mutter. Und sie beginnt zu verstehen, wie viele Facetten die Liebe haben kann. Donatella Di Pietrantonio erzählt in dieser ungewöhnlichen Familiengeschichte von Zugehörigkeit und Verantwortung, Verstrickungen und Mutterliebe und davon, was es bedeutet, den eigenen Platz im Leben zu finden. Poetisch, zart und unvergesslich.

Donatella Di Pietrantonio wurde in in den Abruzzen geboren und lebt heute in der Nähe von Pescara. Ihre Romane Meine Mutter ist ein Fluss (Kunstmann 2013) und Bella mia (Kunstmann 2015) wurden mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Mit ihrem neuen, in zahlreiche Länder verkauften Buch ist ihr der internationale Durchbruch gelungen.
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Ich vergaß, den Brief zu unterschreiben, den ich auf eine aus einem linierten Heft herausgerissene Seite gekritzelt hatte. Neben der Tür des Tabakladens warf ich ihn in den roten Briefkasten und zählte das Restgeld, genug für zwei Wassereis, eins mit Pfefferminzgeschmack für mich und eins mit Zitrone für Adriana.

»An wen hast du den Brief geschickt?«, fragte sie, während sie das Eis auspackte und das Papier sorgfältig ableckte.

»An meine Mama in der Stadt.«

»Die ist keine Mama.«

»Na gut, an die Tante«, korrigierte ich mich genervt.

»Genau, sie ist die Cousine zweiten Grades von unserm Vater. Das heißt, in Wirklichkeit ist der Mann der Cousin, der, der dich hergebracht hat, der Carabiniere. Aber das Geld hat sie, sie sorgt für dich.«

»Woher weißt du das?« Die hellgrüne Flüssigkeit lief am Stil entlang auf meine Finger.

»Gestern Abend hab ich unsre Eltern im Schlafzimmer reden hören. Ich hatte mich im Schrank versteckt, weil Sergio mich verhauen wollte. Anscheinend will dich diese Adalgisa sogar auf die Oberschule schicken, du Ärmste.«

»Was haben sie noch gesagt?« Ich drehte das Eis um, damit es von der Spitze tropfte.

Adriana schüttelte den Kopf, nahm es mir weg, leckte es rundherum ab, gab es mir zurück und forderte mich mit einer ungeduldigen Geste auf, es endlich zu essen.

»So wie die in der Patsche steckt, wiederholten sie immerzu.«

Lustlos lutschte ich an dem Rest Eis, steckte es eine Weile ganz in den Mund, bis nur noch ein farbloser, frostiger Hauch übrig blieb.

»Gib her«, sagte Adriana gereizt und nagte den Stiel vollends ab.

Ich fragte den Postboten, wie lange ein Brief in die Stadt brauchen würde, verdoppelte die Tage und gab für die Antwort noch einen zu. Dann begann ich zu warten, saß jeden Morgen ab elf Uhr auf dem Mäuerchen, während die Kinder auf dem Platz Fangen oder Kästchenhüpfen spielten. In der freundlichen Septembersonne baumelte ich mit den Beinen und malte mir manchmal aus, anstelle eines frankierten Umschlags würde gleich der Onkel kommen, der Carabiniere, den ich für meinen Vater gehalten hatte. Mit einem langen, grauen Auto würde er mich heimfahren, und dann würde ich ihm alles verzeihen, dass er sich nicht geweigert hatte, mich zurückzugeben, dass er mich dort auf dem Asphalt hatte stehen lassen.

Oder sie würden alle beide kommen, sie wieder gesund, die Haare toupiert von dem üblichen Friseur, der auch mir die Haare schnitt – mittlerweile war mir der Pony über die Augen gewachsen –, um den Hals eines der weichen Seidentücher, die sie in den Übergangszeiten trug.

»Was erwartest du, einen Liebesbrief?«, scherzte der Postbote, nachdem er zu meiner Enttäuschung vergeblich in seiner Ledertasche gesucht hatte.

Der Lieferwagen hielt mitten am Nachmittag unter dem azurblauen Himmel. Der Mann am Steuer stieg aus, um zu fragen, in welchem Stock die Empfängerin der Waren wohnte, der Name war der meiner Mutter. Er begann, einige verpackte Teile auszuladen, die Kinder unterbrachen sofort ihre Spiele, um ihm zu helfen, die Sachen die Treppe hinaufzutragen. Wir waren alle neugierig, und ihm machte es Spaß, uns in Spannung zu halten.

»Vorsicht, Vorsicht mit den Ecken. Gleich, wenn ich es aufbaue, werdet ihr sehen, was es ist«, wiederholte er den Ungeduldigsten.

»Wo schlafen die Mädchen?«, fragte er, als folgte er auswendig gelernten Anweisungen.

Adriana und ich öffneten ihm die Tür zu unserem Zimmer und sahen uns ungläubig an. In wenigen Minuten nahm vor unseren Augen ein Stockbett Gestalt an, komplett mit Leiter und neuen Matratzen. Der Mann schob es an die Wand und stellte rund um die freien Seiten einen faltbaren, dreiteiligen Paravent auf, um es abzuschirmen. Dann lief er hinunter, um noch etwas zu holen, die Antwort auf meinen Brief war noch nicht vollständig.

»Wer hat dieses ganze Zeug überhaupt bestellt? Und wer soll das jetzt bezahlen?«, fragte Adriana besorgt, als erwachte sie plötzlich aus einem Traum. »Papa hat schon Schulden. Und wo ist Mama eigentlich abgeblieben?«

Nach dem Mittagessen war sie mit dem Kleinen verschwunden, ohne uns Bescheid zu sagen. Vielleicht war sie bei irgendeiner Nachbarin hängen geblieben.

»Unsere Eltern haben uns aber kein Geld dagelassen«, begann meine Schwester, sich dem Mann gegenüber zu rechtfertigen, der mithilfe des üblichen Rattenschwanzes an Gassenkindern etliche Kartons heraufgetragen hatte. Sie enthielten zwei Garnituren farbige Bettwäsche, eine wollene Steppdecke und eine leichtere Decke. Alles schien nur für eines der zwei Betten übereinander bestimmt zu sein. Außerdem noch Toilettenseife, mein Lieblingsshampoo und eines gegen Läuse, das konnte ich hier vielleicht brauchen. Und ein Pröbchen des Parfüms meiner Mutter, sie hatte bemerkt, dass ich ihr morgens, bevor ich zur Schule ging, immer ein paar Tropfen stibitzte.

»Die Ware ist schon bezahlt. Ich brauche nur noch die Unterschrift eines Erwachsenen als Quittung.«

Adriana übernahm es, die unsichere Schrift des Vaters nachzuahmen. Als wir wieder allein im Zimmer waren, fragte sie mich, ob sie oben schlafen dürfe, dann unten, dann noch mal oben. Sie hatte die Schuhe ausgezogen und kletterte die Leiter rauf und runter, um verschiedene Positionen auszuprobieren. Das alte, klapprige Bettgestell und die übel riechende Matratze schleppten wir auf den Treppenabsatz.

»Ich habe Angst, dass ich die neue Matratze vollmach.« »Sie hat auch ein undurchlässiges Gummituch gekauft.

Nimm du es.«

»Wer hat was gekauft?«

In diesem Augenblick kam die Mutter heim, auf ihrer Schulter baumelte der Kopf des schlafenden Kindes. Sie war gar nicht erstaunt über die Neuigkeit, die Adriana ihr sofort zeigen wollte, indem sie sie an der Bluse hinzog. Verärgert über die Begeisterung der Tochter, betrachtete sie mit stumpfer Geringschätzung erst das Bett und den Rest, dann mich.

»Das schickt dir diese zimperliche Zicke von Tante. Wer weiß, was du über uns erzählt hast. Gestern hab ich am öffentlichen Fernsprecher mit ihr geredet, Signora Adalgisa hat mich von Ernesto zur Cantina rufen lassen.«

Das Privileg, hinter einem Wandschirm auf fabrikneuen Matratzen zu schlafen, hat sich schon am ersten Abend gegen mich und Adriana gewendet. Die Jungen versteckten sich hinter dem Dingsda, so nannten sie es, und erschreckten uns, indem sie plötzlich mit einem Schrei heraussprangen. Sie warfen es mehrmals um, und im Lauf einer Woche war die Bespannung der drei Flügel an mehreren Stellen zerrissen. Sie steckten die Köpfe durch die Löcher und kreischten laut. Machtlos wohnten meine Schwester und ich der Zerstörung unserer keinen separaten Welt bei, unsere Proteste nutzten nichts, und die Eltern griffen nicht ein. In den Jahren als Einzelkind hatte ich nicht gelernt, mich zu verteidigen, hilflos und wütend musste ich die Angriffe über mich ergehen lassen. Es war seltsam, dass Sergio, wenn er vor mir auftauchte, nicht von meinen stummen Flüchen getroffen tot umfiel.

Nur Vincenzo beteiligte sich nicht an dem Schabernack; genervt von ihrem Radau, schrie er die Brüder manchmal an, sie sollten endlich aufhören. Nachdem wir den mittlerweile unbrauchbaren Wandschirm in den Abstellraum hinuntergetragen hatten, sah er mich abends und morgens beim Aufwachen lange an, als hätte ihm der Blick auf meinen Körper gefehlt. Wegen der anhaltenden Hitze dieses endlosen Sommers waren wir weiterhin spärlich bekleidet.

In dem Bett, das Adriana so begeistert hatte,...


Donatella Di Pietrantonio wurde in in den Abruzzen geboren und lebt heute in der Nähe von Pescara. Ihre Romane Meine Mutter ist ein Fluss (Kunstmann 2013) und Bella mia (Kunstmann 2015) wurden mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Mit ihrem neuen, in zahlreiche Länder verkauften Buch ist ihr der internationale Durchbruch gelungen.

Donatella Di Pietrantonio wurde in in den Abruzzen geboren und lebt heute in der Nähe von Pescara. Ihre Romane Meine Mutter ist ein Fluss (Kunstmann 2013) und Bella mia (Kunstmann 2015) wurden mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Mit ihrem neuen, in zahlreiche Länder verkauften Buch ist ihr der internationale Durchbruch gelungen.



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