Pitscheider | Seefeld in Tirol in der NS-Zeit | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 25, 344 Seiten

Reihe: Studien zu Geschichte und Politik

Pitscheider Seefeld in Tirol in der NS-Zeit


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7065-6002-3
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 25, 344 Seiten

Reihe: Studien zu Geschichte und Politik

ISBN: 978-3-7065-6002-3
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die kleine Gemeinde Seefeld in Tirol entwickelte sich ab Mitte der 1930er Jahre zu einem der Zentren illegaler nationalsozialistischer Aktivitäten in Tirol. Die nahe Grenze zum Deutschen Reich, das mit der 1.000-Mark-Sperre Österreich wirtschaftlich enorm schadete, begünstigte die lokalen NS-Organisationen, die ab 1932 zu einer ernsthaften Konkurrenz auf dem politischen Feld aufstiegen und nach dem Verbot das Plateau mit Terror überzogen. Den „Anschluss“ begrüßte die Gemeinde mit einer hundertprozentigen Zustimmung. In den Jahren 1938 bis 1945 beherrschte das NS-Regime jeden Bereich des Lebens, verfolgte Andersdenkende, „arisierte“ Eigentum, beschränkte die Macht der katholischen Kirche und nutzte den touristischen Ruf Seefelds. Politisch blieb die Gemeinde zerstritten; vier Bürgermeister und sechs Ortsgruppenleiter scheiterten an Seefelds Problemen, den Schulden, der verrotteten Infrastruktur und der Wohnungsnot. Ab 1943 besetzten Schulen aus dem bombenbedrohten Deutschen Reich und Innsbruck, Lazarette, Kliniken und Umquartierte die Betten in den Tourismusbetrieben. Ende April 1945 endete der Todesmarsch von Dachauer KZ-Häftlingen auf dem Plateau, das die US-Armee Anfang Mai 1945 befreite. Lange Zeit dominierte der Prozess der nur unzureichend durchgeführten Entnazifizierung; Verhaftungen, Anzeigen, Lügen und Ausreden begleiteten die Verfahren.
Sabine Pitscheiders quellenreiche Publikation schildert die wichtigsten Ereignisse der Gemeinde Seefeld von den 1930er Jahren bis in die 1950er Jahre.

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II. Seefeld 1938–1945
Im März 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht nicht in ein demokratisch organisiertes Gemeinwesen ein, sondern in eine Diktatur, die ohne Gegenwehr zerbrach. Der „Anschluss“ im März und die „Volksabstimmung“ im April 1938 erhoben den Nationalsozialismus zur Staatsideologie und beförderten seine österreichischen ExponentInnen nach Jahren der Verfolgung in einflussreiche Positionen. Das NS-Regime griff nach dem „Führerprinzip“ von oben nach unten in die Gemeinden, ihre Vertretungen, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und in das lokale Geschehen generell ein. Seefeld begrüßte den „Anschluss“ mit wenigen Ausnahmen euphorisch und schenkte dem Regime eine 100%ige Zustimmung. Die Gemeinde blieb politisch zerstritten, was ihr bis Kriegsende vier Bürgermeister und sechs NSDAP-Ortsgruppenleiter bescherte. Keines der lokalen Probleme – Infrastruktur, Schuldenkrise – vermochte das Regime zu lösen. Politisch Andersdenkende, „rassisch Unreine“ und die katholische Kirche als Konkurrentin im Kampf um die gesellschaftliche Vorherrschaft unterlagen der Verfolgung. Seefeld bot dem Regime eine Bühne für sportliche Großveranstaltungen und ab 1943 Betten für Lazarette, Kliniken, Schulen und Flüchtlinge. Kurz vor Kriegsende war Seefeld eine Station des Todesmarsches von KZ-Häftlingen. 1. Der „Anschluss“
Das Treffen Adolf Hitlers mit Bundeskanzler Kurt Schuschnigg am 12. Feber 1938 in Berchtesgaden endete mit der faktischen Kapitulation Österreichs.1 Die österreichische Regierung musste sich verpflichten, Nationalsozialisten mit Regierungsämtern zu betrauen, seine Politik weitgehend mit dem Deutschen Reich abzustimmen und eine weitreichende Amnestie für illegale NationalsozialistInnen zu erlassen, womit Österreich auf den Status eines Satellitenstaates herabsank.2 Bis zum „Anschluss“ entwickelte sich eine Art Doppelherrschaft, auf der einen Seite der Ständestaat und seine „vaterländischen“ Funktionäre, die unbeirrt an der Selbständigkeit Österreichs festhielten, auf der anderen Seite die beiden nationalsozialistischen Minister und der Druck der Straße.3 Einer der Minister war der als gemäßigt geltende Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart, der ausgerechnet das Innenministerium und damit die Polizei übernahm.4 Wie wenig es der austrofaschistische Ständestaat in den vergangenen vier Jahren geschafft hatte, die aufgeheizten politischen Gemüter zu beruhigen und sich NSAnhängerInnen als Alternative anzubieten, zeigte sich in den folgenden Wochen bis zum „Anschluss“. In den Dörfern und Städten traten NS-AnhängerInnen offen auf und ignorierten behördliche Vorgaben, die so viel Spielraum ließen, dass die Gendarmerie sie meist gewähren ließ, besser gesagt angesichts einer überwältigenden Teilnahme der Bevölkerung und unklarer Weisungen gewähren lassen musste. Ende Feber 1938 wies die Bezirkshauptmannschaft alle Gendarmerieposten an, folgende Tatbestände mehr oder weniger zu ignorieren: den „Hitler-Gruß“, so er nicht „demonstrativ“ benutzt werde, das Deutschlandlied oder die Horst-Wessel-Hymne. Die Behörde mahnte zur Vorsicht: „In der nächsten Zeit erscheint es aus staatspolizeilichen Gründen geboten, gegen die Teilnehmer an nat. soz. Demonstrationen, gegen Träger nat. soz. Abzeichen und gegen Personen, welche Hakenkreuzfahnen zeigen oder in demonstrativer Weise den deutschen Gruß gebrauchen, zunächst mit Abmahnungen und Verwarnungen und erst im Wiederholungs- oder Beharrungsfalle mit der entsprechenden Geld- oder Arreststrafe vorzugehen.“5 NS-AnhängerInnen nutzten diese Vorsicht aus: In den Dörfern des südlichen Mittelgebirges, Axams, Götzens oder Rinn, im Tal wie in Zirl oder auf dem Plateau wie in Leutasch feierten sie mit Aufmärschen eine Rede von Seyß-Inquart am 6. März 1938.6 An diesem Tag unternahm der illegale Ortsgruppenleiter Otto Meister zusammen mit Seefelder NationalsozialistInnen in fünf Autos eine Fahrt ins Oberinntal. Alle schwenkten Hakenkreuzfähnchen, grüßten ungestraft mit erhobenem Arm und den Worten „Heil, Sieg Heil“. Otto Meister nannte gegenüber der Gendarmerie die Aktion keinen Aufmarsch, der ja verboten gewesen wäre, sondern eine „Freudenfahrt“.7 Meister gebrauchte die übliche Taktik, zuerst zu provozieren, dann kleinzureden. Die NationalsozialistInnen von Leutasch und Seefeld unternahmen am 7. März 1938 eine Fahrt mit einem LKW, auf dem sie Hakenkreuzfahnen schwenkend durch die Ortschaften fuhren.8 Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck stellte resigniert fest, „dass die militanten Formationen der NS sich um keinen Deuter um die Weisungen der Regierung kümmern“, und verlangte, die Bundespolizeidirektion solle an Wochenenden die Grenzen der Städte stärker bewachen, um NS-Propagandaaufmärsche auf dem Land zu verhindern.9 Bundeskanzler Schuschnigg verkündete am 9. März 1938 bei einer Rede in Innsbruck, dass nur Tage später, am 13. März, eine Volksabstimmung stattfinden werde, bei der folgender Parole zuzustimmen sei: „Für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich. Für Friede und Arbeit und die Gleichberechtigung aller, die sich zu Volk und Vaterland bekennen.“10 Demokratischen Gepflogenheiten wäre die Abstimmung nicht gefolgt: Die Stimmzettel waren mit einem Ja vorgedruckt, wer Nein stimmen wollte, musste selbst einen Zettel in passender Größe zuschneiden und mit Nein beschreiben. Die Stimmabgabe sollte „vor allen Leuten zeigen, daß ich den Ja-Stimmzettel in die Urne werfe“. Zusammengefaltete oder in einem Umschlag eingeworfene Stimmzettel hätten deutlich gezeigt, wer mit Nein stimmte.11 Nach einer am 10. März 1938 abends zentral ausgegebenen Weisung marschierten am folgenden Tag in ganz Tirol NationalsozialistInnen und zeigten massive Präsenz auf den Straßen. Am Morgen des 11. März, einem Freitag, marschierte die Leutascher und Scharnitzer SA nach Seefeld und weiter nach Reith, begleitet von der nationalsozialistischen Bevölkerung der vier Gemeinden.12 Der Gendarmerieposten Seefeld hisste schon die Hakenkreuzflagge.13 Währenddessen rissen die Nationalsozialisten in Innsbruck die Macht nach und nach an sich, bis am Abend und nach der Abdankung Schuschniggs die Hakenkreuzfahne vom Landhaus wehte.14 Abb. 8: Die SA marschiert am Vormittag des 11. März 1938 in Seefeld. Trotz „fünfjähriger brutalster Unterdrückung“ sei die nationalsozialistische Bewegung, „genährt vom unbändigen Glauben an den endlichen Sieg“, gewachsen und habe „in hinreißendem Schwung einen so unerhörten Proteststurm in allen Ländern Österreichs erweckt, daß die jetzt erfolgte Lösung kommen mußte“, bejubelten die Innsbrucker Nachrichten in ihrer Ausgabe am 12. März 1938 die Machtübernahme. „Befreit atmet das ganze Volk auf! Lachende Gesichter, glänzende Augen, Freude und Frohsinn“, glaubte die Zeitung auszumachen. Der Sieg sei „[u]nblutig, frei von Schuld, mit reinstem Gewissen“, ohne Ausschreitungen oder Blutvergießen errungen worden.15 Am Morgen des 12. März erreichten um acht Uhr deutsche Truppen die Grenze bei Scharnitz: „Am Schlagbaum stehen die Grenzer und die Beamten der österreichischen Gendarmerie und erheben den Arm zum Gruß. Die Bevölkerung eilt den ersten Soldaten mit Hakenkreuzfähnchen in der Hand jubelnd entgegen. […] Vor dem Schulhaus weht die Fahne Adolf Hitlers.“ Ähnliche Begeisterungsstürme erwarteten die deutschen Truppen in Seefeld: „Die Truppen der deutschen Wehrmacht marschieren unter tosender Begeisterung in Seefeld ein. Dicke Bündel von Hakenkreuzzeichen tauchen auf, die Jugend springt auf die Wagen und weiß nicht, wo sie mit ihrer Freude hinsoll. Aber nicht minder die Erwachsenen. Im Nu sind Fahrzeuge und Soldaten umringt. Auch Volksgenossen aus dem Reich werden mit in den Strudel hineingezogen. Die Bevölkerung, die Gendarmerie, die Gemeindebeamten, alles läuft auf dem Markplatz zusammen, wo inzwischen das Musikkorps des Regiments Aufstellung genommen hat und mit flotten Weisen den Tag einweiht. Wie in Scharnitz, so melden sich auch in Seefeld sofort die Gemeindebehörden der einreisenden Truppe, der sie sich zur Verfügung stellen. In Seefeld erstattet auch die erste Abteilung des Bundesheeres Meldung. Es gibt ein freudiges Händeschütteln. Menschen haben zusammengefunden, die jahrelang durch eine unsinnige Politik voneinander ferngehalten wurden. […] In das Glockengeläut der kleinen Kirche klingt immer wieder der helle Jubel, klingt immer wieder die Musik der Soldaten. Österreich ist erwacht! Die ersten deutschen Soldaten haben die Grenze überschritten und sind eingekehrt bei ihren Brüdern in Österreich!“16 Dass in diesem Artikel nicht nur Pathos und politischer Eifer die Worte diktierte, zeigt ein Film, der die Seefelder Jubelstürme, die dicht gedrängt...


DIE AUTORIN:

Sabine Pitscheider, Univ.-Ass. Mag. Dr., ist seit März 2008 am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck tätig. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Österreichischen Geschichte nach 1945 mit dem Schwerpunkt Tirol und Parteiengeschichte, Soziale Disziplinierung und der Entnazifizierung in Tirol.



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