Poe / Baudelaire | Unheimliche Geschichten | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 424 Seiten

Poe / Baudelaire Unheimliche Geschichten


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-423-43215-3
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 424 Seiten

ISBN: 978-3-423-43215-3
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
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Zum Sterben schön - der Poe für das 21. Jahrhundert Poes Werk war von Anfang an eine Provokation, das Modische, Unoriginäre war ihm verhasst. Das puritanische Amerika strafte ihn dafür mit übler Nachrede und Vergessen. Erst in Frankreich fand er posthum geistiges Exil, als niemand geringeres als Baudelaire ihn in den Rang setzte, der ihm gebührt, seine Werke in fünf Bänden übersetzte und kommentierte. Mit ebendieser Poe-Ausgabe von Charles Baudelaire beginnt die literarische Moderne. Andreas Nohl überträgt sie ins Deutsche und zeigt Poe, den großen Pionier, im Zeitalter von Copy & Paste und Epigonen auf der Höhe seiner Kunst. Der vorliegende erste Band trägt den Titel Unheimliche Geschichten: Poes unvergleichliche Erzählungen - von den Detektivgeschichten wie »Doppelmord in der Rue Morgue« über »Der Gold-Skarabäus« bis hin zu den Grotesken und den visionären Traumbildnissen wie »Ein Sturz in den Malstrøm« - bezeichnen bis heute die Höhepunkte ihrer Gattung, wenn sie sie nicht überhaupt erst begründet haben. Poe steht keineswegs in der Tradition der gothic tales, die von der Romantisierung der Angst leben - denn er hat das Gegenteil getan: Er hat der Angst alles Schauerlich- Beschauliche genommen und ihre zuckenden Herzmuskeln bloßgelegt. 'Wenn jeder, der seine Einfälle Poe verdankt', so Arthur Conan Doyle, 'den zehnten Teil seiner Einnahmen opfern müsste, könnte diesem ein Denkmal errichtet werden, das größer ist als die Pyramiden...' Enthalten sind: >Der Doppelmord in der Rue Morgue<, >Der entwendete Brief<, >Der Gold-Skarabäus<, >Ente einer Ballonfahrt<, >Das beispiellose Abenteuer eines gewissen Hans Pfaall<, >»Manuskript in Flasche gefunden«<, >Ein Sturz in den Malstrøm<, >Die Fakten im Fall von M. Valdemar<, >Mesmerische Offenbarung<, >Eine Geschichte aus den Ragged Mountains<, >Morella<, >Ligeia< und >Metzengerstein<. Texte von Charles Baudelaire über Edgar Allan Poe und seine Erzählungen vervollständigen den Band. Bibliophile Ausstattung: Transparenter Schutzumschlag, farbige Zwischenblätter, Lesebändchen. So wird diese Poe-Ausgabe zum Sterben schön.

Edgar Allan Poe, geboren 1809 in Boston als Sohn von Schauspielern, gilt als eigenwilligste und faszinierendste Dichterpersönlichkeit im Amerika des 19. Jahrhunderts. Sein kurzes, aber bewegtes Leben, das 1849 in Baltimore unter geheimnisvollen Umständen ein Ende fand, wurde schon bald zur Legende.
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Der entwendete Brief


Nil sapientiae odiosius acumine nimio.

In Paris, an einem stürmischen Herbstabend des Jahres 18**, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, genoss ich den doppelten Luxus der Meditation und einer Meerschaumpfeife in Gesellschaft meines Freundes C. Auguste Dupin in seinem kleinen, nach hinten gelegenen Bücherkabinett oder Studierzimmer, . Mindestens eine Stunde saßen wir schon in tiefem Schweigen. Ein Außenstehender hätte wohl den Eindruck gewonnen, dass wir uns intensiv und ausschließlich mit den Kringeln und Wirbeln des Rauchs beschäftigten, der die Luft des Zimmers vernebelte. Was mich betraf, setzte ich in Gedanken unsere Diskussion bestimmter Themen fort, die zuvor Gegenstand unseres Gesprächs gewesen waren; ich meine den Fall in der Rue Morgue und das Rätsel um den Mord an Marie Rogêt. Ich betrachtete es deshalb als eine Art Fügung des Zufalls, als die Zimmertür aufgerissen wurde und unser alter Bekannter Monsieur G…, der Pariser Polizeipräfekt, eintrat.

Wir begrüßten ihn herzlich, denn der Mann hatte mindestens ebenso viel Unterhaltsames wie Verächtliches an sich, und wir hatten ihn mehrere Jahre nicht gesehen. Wir saßen im Dunkeln, und Dupin stand auf, um eine Lampe anzuzünden, setzte sich aber unverrichteter Dinge wieder, als G. erklärte, er sei gekommen, um uns, oder vielmehr meinen Freund, in einer dienstlichen Angelegenheit um Rat zu fragen, die beträchtlichen Ärger verursache.

»Wenn es sich um einen Gegenstand handelt, der Nachdenken erfordert«, bemerkte Dupin und ließ den Docht unangezündet, »sollten wir ihn besser im Dunkeln untersuchen.«

»Das ist wieder einer Ihrer seltsamen Einfälle«, sagte der Präfekt, der die Neigung hatte, alles ›seltsam‹ zu finden, was über seinen Verstand hinausging, und infolgedessen in einer Welt voller Seltsamkeiten lebte.

»Sehr richtig«, sagte Dupin, während er seinem Besucher eine Pfeife reichte und ihm einen bequemen Sessel hinschob.

»Und was ist nun das Problem?«, fragte ich. »Nicht wieder ein Mordfall, hoffe ich?«

»O nein, nichts dergleichen. Um ehrlich zu sein, ist die Sache eigentlich simpel, und ich habe keinen Zweifel, dass wir sie selbst hinreichend gut in den Griff bekommen. Aber dann dachte ich doch, Dupin würde vielleicht ganz gern die Einzelheiten erfahren, weil das Ganze so seltsam ist.«

»Simpel und seltsam«, sagte Dupin.

»Ja, schon, aber eigentlich auch wieder nicht. Wir sind alle ein bisschen ratlos, die Sache so simpel ist und uns gleichzeitig Rätsel aufgibt.«

»Vielleicht ist es ja gerade die Einfachheit der Angelegenheit, die Sie irreführt«, sagte mein Freund.

»Was für einen Unsinn Sie doch reden«, erwiderte der Präfekt und lachte laut.

»Vielleicht liegt die Lösung des Rätsels ein wenig offen auf der Hand«, sagte Dupin.

»Du meine Güte! Hat man so was schon gehört?«

»Ein wenig offensichtlich.«

»Hahaha – hahaha – hohoho!«, lachte unser Besucher höchst belustigt, »oh, Dupin, Sie bringen mich noch um!«

»Um was geht es denn nun eigentlich?«, fragte ich.

»Tja, das will ich Ihnen erklären«, erwiderte der Präfekt, nahm einen langen und nachdenklichen Zug aus seiner Pfeife und rückte sich in seinem Sessel zurecht. »Ich will es Ihnen in wenigen Worten darlegen. Aber bevor ich beginne, muss ich Sie darauf hinweisen, dass diese Angelegenheit äußerster Geheimhaltung unterliegt und ich meinen Posten verliere, wenn bekannt werden sollte, dass ich mit irgendjemandem darüber gesprochen habe.«

»Fahren Sie fort«, sagte ich.

»Oder auch nicht«, sagte Dupin.

»Also gut! Ich bin von sehr hoher Stelle persönlich unterrichtet worden, dass ein gewisses Dokument von größter Wichtigkeit aus den königlichen Gemächern entwendet wurde. Die Person, die es entwendet hat, ist bekannt – hier besteht kein Zweifel. Er wurde gesehen, als er es an sich nahm. Es ist auch bekannt, dass sich das Dokument noch in seinem Besitz befindet.«

»Woher bekannt?«, fragte Dupin.

»Das ergibt sich eindeutig«, erwiderte der Präfekt, »aus der Natur des Dokuments und dem Ausbleiben gewisser Folgen, die sofort eintreten würden, wenn es vom Dieb gereicht würde; – das heißt, wenn er es so verwendet, wie er es letzten Endes vorhaben muss.«

»Werden Sie etwas deutlicher«, sagte ich.

»Nun, ich kann vielleicht so viel verraten, dass das Papier seinem Besitzer eine gewisse Macht in einem gewissen Bereich verleiht, wo diese Macht von unschätzbarem Wert ist.« Der Präfekt liebte es, sich in diplomatischen Phrasen zu ergehen.

»Ich verstehe immer noch nicht ganz«, sagte Dupin.

»Nicht? Nun, wenn das Dokument einer dritten Person, die ungenannt bleiben soll, zugänglich gemacht würde, wäre eine Persönlichkeit von allerhöchstem Rang kompromittiert. Und diese Tatsache verleiht dem Besitzer des Dokuments Macht über die illustre Persönlichkeit, deren Ehre und Seelenfrieden damit auf dem Spiel stehen.«

»Aber diese Macht«, warf ich ein, »würde doch davon abhängen, dass der Dieb weiß, dass die bestohlene Person weiß, wer der Dieb ist. Wer aber würde wagen …«

»Der Dieb«, sagte G., »ist Minister D…, der alles Mögliche wagt, ob es sich für einen Mann schickt oder nicht. Seine Vorgehensweise war ebenso ingeniös wie dreist. Das besagte Dokument – ein Brief – wurde der bestohlenen Person übergeben, als sie sich allein im königlichen befand. Bei der Lektüre wurde sie plötzlich durch das Eintreten der anderen hochgestellten Persönlichkeit unterbrochen, vor der sie den Brief unbedingt geheim halten wollte. Nach einem vergeblichen Versuch, ihn rasch in der Schublade verschwinden zu lassen, war sie gezwungen, ihn offen auf den Tisch zu legen, allerdings mit der Adresse nach oben, so dass der Inhalt verdeckt war und der Brief unbeachtet blieb. In ebendiesem Augenblick tritt Minister D… ein. Sein Luchsauge entdeckt sogleich das Papier, erkennt die Handschrift auf der Adresse, bemerkt die Nervosität der angeschriebenen Person und durchschaut ihr Geheimnis. Nachdem er einige dienstliche Angelegenheiten in seiner üblichen Art rasch abgehandelt hat, zieht er einen Brief hervor, der dem fraglichen anderen ähnelt, öffnet ihn, tut so, als würde er ihn kurz lesen, und legt ihn dann neben den anderen. Erneut spricht er etwa fünfzehn Minuten über öffentliche Angelegenheiten. Endlich verabschiedet er sich und nimmt dabei den Brief vom Tisch, der ihn nichts angeht. Dessen rechtmäßige Eigentümerin sah dies, wagte aber natürlich nicht in Gegenwart der dritten Person, die an ihrer Seite stand, auf die Tat hinzuweisen. Der Minister machte sich davon und ließ seinen eigenen Brief – von belanglosem Inhalt – auf dem Tisch zurück.«

»Na, da haben Sie ja genau das«, sagte Dupin zu mir, »was Sie fordern, um die Macht vollkommen zu machen – nämlich die Gewissheit des Diebes, dass der Bestohlene weiß, wer der Dieb ist.«

»Ja«, erwiderte der Präfekt, »und diese Macht wird seit einigen Monaten in einem sehr gefährlichen Ausmaß für politische Zwecke missbraucht. Die bestohlene Person ist jeden Tag mehr von der Notwendigkeit überzeugt, den Brief zurückzufordern. Aber das kann natürlich nicht vor aller Augen geschehen. Kurzum, in ihrer Verzweiflung hat sie mich mit der Sache betraut.«

»Und vermutlich«, sagte Dupin aus einer ihn regelrecht umhüllenden Rauchwolke heraus, »kann man sich keinen klügeren Sachwalter wünschen oder auch nur vorstellen.«

»Sie schmeicheln mir«, antwortete der Präfekt, »aber es ist durchaus möglich, dass ein solcher Gedanke eine Rolle gespielt hat.«

»Es ist eindeutig«, sagte ich, »dass der Brief sich immer noch im Besitz des Ministers befindet, wie Sie sagen, weil es der Besitz selbst ist, der ihm Macht verleiht, nicht etwa seine Verwendung für irgendwas. Mit der Verwendung wäre die Macht dahin.«

»Richtig«, sagte G…, »und in dieser Überzeugung bin ich vorgegangen. Meine erste Aufgabe sah ich in der gründlichen Durchsuchung seines Palais, wobei das Hauptproblem darin lag, dass diese Durchsuchung ohne sein Wissen vonstatten gehen musste. Man hat mich eindringlich vor der Gefahr gewarnt, sollte er unserem Plan auf die Schliche kommen.«

»Aber«, sagte ich, »Sie sind doch in solchen Durchsuchungen. Die Pariser Polizei hat das doch schon oft gemacht.«

»O ja, und aus diesem Grunde war ich guten Mutes. Auch brachten mir die Gewohnheiten des Ministers einen großen Vorteil. Er ist häufig die ganze Nacht nicht zu Hause. Seine Dienerschaft ist alles andere als zahlreich. Sie schlafen in einiger Entfernung von den Gemächern ihres Herrn, und da es hauptsächlich Neapolitaner sind, lassen sie sich leicht betrunken machen. Wie Sie wissen, verfüge ich über Schlüssel, mit denen ich jedes Zimmer oder Kabinett in Paris öffnen kann. Drei Monate lang verging keine Nacht, in der ich nicht den größeren Teil damit zubrachte, das D…-Palais persönlich zu durchsuchen. Es geht um meine Ehre und, um die Wahrheit zu sagen –: die Belohnung ist enorm. Also habe ich die Suche nicht abgebrochen, bis ich mir vollkommen sicher war, dass der Dieb gerissener ist als ich selbst. Ich glaube, ich habe wohl alle Ecken und Winkel durchstöbert, in denen der Brief hätte versteckt sein können.«

»Aber ist es nicht möglich«, gab...


Baudelaire, Charles
Charles Baudelaire, geboren 1821 in Paris, begründete als Herausgeber und Übersetzer der Werke Edgar Allan Poes dessen Weltruhm. Mit seinem Gedichtzyklus Les Fleurs du Mal (1857) setzte er ein neues Datum in der Dichtungsgeschichte. Er starb 1867 in seinem Geburtsort.

Nohl, Andreas
Andreas Nohl wurde 1954 in Mülheim an der Ruhr geboren. Seine Übersetzungen u. a. von Mark Twains ›Tom Sawyer & HuckleberryFinn‹ und Rudyard Kiplings ›Dschungelbuch‹ wurden von der Presse hochgelobt. 2016 erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis.

Poe, Edgar Allan
Edgar Allan Poe, geboren 1809 in Boston als Sohn von Schauspielern, gilt als eigenwilligste und faszinierendste Dichterpersönlichkeit im Amerika des 19. Jahrhunderts. Sein kurzes, aber bewegtes Leben, das 1849 in Baltimore unter geheimnisvollen Umständen ein Ende fand, wurde schon bald zur Legende.

Edgar Allan Poe, geboren 1809 in Boston als Sohn von Schauspielern, gilt als eigenwilligste und faszinierendste Dichterpersönlichkeit im Amerika des 19. Jahrhunderts. Sein kurzes, aber bewegtes Leben, das 1849 in Baltimore unter geheimnisvollen Umständen ein Ende fand, wurde schon bald zur Legende.

Edgar Allan Poe, geboren 1809 in Boston als Sohn von Schauspielern, gilt als eigenwilligste und faszinierendste Dichterpersönlichkeit im Amerika des 19. Jahrhunderts. Sein kurzes, aber bewegtes Leben, das 1849 in Baltimore unter geheimnisvollen Umständen ein Ende fand, wurde schon bald zur Legende.



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