Pontoppidan | Hans im Glück | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 622 Seiten

Pontoppidan Hans im Glück


1. Auflage 2021
ISBN: 978-87-28-13478-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 622 Seiten

ISBN: 978-87-28-13478-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Um den Bevormundungen und strengen Regeln seiner christlichen Familie zu entkommen, zieht der junge Däne Per Sidenius im späten 19. Jahrhundert nach Kopenhagen, um dort zu studieren. Er träumt davon, mithilfe eines großen Wasserprojektes das Land zu revolutionieren. Doch die Finanzierung ist schwierig, kaum jemand glaubt an Pers revolutionäre Idee. Doch dann lernt Per die hübsche Jakobe, Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie kennen, und verliebt sich in sie. Wird sich das Blatt für Per wenden?

Henrik Pontoppidan (1857-1943) zählt zu Dänemarks bedeutendsten Schriftstellern und Vertretern des Naturalismus; er wurde 1917 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Der Roman 'Hans im Glück', der zwischen 1998 und 1904 entstand, gilt als Pontoppidans wichtigstes und eindringlichstes Werk.
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Erstes Kapitel


In einer der ostjütischen Kleinstädte, die zwischen grünen Hügeln an dichtbewaldeten Fjordbuchten versteckt liegen, lebte in den Jahren vor und nach unserem letzten Krieg ein Pastor namens Johannes Sidenius. Er war ein frommer und strenger Mann. In seiner äußeren Erscheinung wie in seiner ganzen Lebensweise unterschied er sich deutlich von den übrigen Bewohnern des Städtchens. Diese sahen ihn deswegen viele Jahre als einen lästigen Fremden an und zuckten über sein merkwürdiges Gebaren die Achseln oder ärgerten sich. Wenn er in seinem langschößigen grauen Rock gewichtig und ernst durch die winkligen Gassen schritt – vor den Augen eine große dunkelblaue Brille, den Griff eines riesigen baumwollenen Regenschirms, den er bei jedem Schritt wuchtig auf das Pflaster stieß, fest in der Hand –, drehten sich die Leute unwillkürlich nach ihm um; und diejenigen, die hinter den Fenstern saßen und im Spion Ausschau hielten, lächelten bei seinem Anblick oder schnitten Grimassen. Die Geldleute der Stadt, die alten Landhändler und Pferdezüchter, grüßten ihn nie, nicht einmal dann, wenn Sidenius im Talar war. Obwohl sie sich selbst in Holzpantoffeln, schmutzigen Leinenkitteln und Pfeife schmauchend auf der Gasse sehen ließen, betrachteten sie diesen Arme-Leute-Pastor als eine Zumutung für ihre Stadt. Der ging ja wie ein Küster gekleidet und hatte offenkundig alle Mühe, sich und seine vielen Kinder zu ernähren. Man war hier an andere Geistliche gewöhnt, an Männer in feinen schwarzen Anzügen mit schneeweißen Halsbinden aus Batist, die später Stiftspröpste und Bischöfe geworden waren und so der Stadt und ihrer Kirche Ehre gemacht, die aber nie mit ihrer Frömmigkeit geprahlt oder sich gar für zu schade gehalten hatten, sich um die weltlichen Angelegenheiten der Stadt zu kümmern und an den geselligen Festen der Bürger teilzunehmen.

Damals hatte das große rote Pfarrhaus jeden gastfreundlich aufgenommen. Waren die Geschäfte drinnen beim Pastor erledigt, so wurde man in die Wohnstube zu der Frau Pastor und den jungen Fräulein gebeten, um bei einer Tasse Kaffee oder – wenn es bessere Leute waren – bei einem Gläschen Wein und selbstgebackenem Kuchen über Tages- und Stadtneuigkeiten zu plaudern. Jetzt betrat keiner mehr ohne zwingenden Grund das Pfarrhaus, und niemals gelangte ein Besucher weiter als bis in Pastor Sidenius' grabgewölbeähnliches Studierzimmer, wo die Rouleaus meistens halb herabgelassen waren, weil die Augen des Geistlichen den Widerschein der hellen Mauern von der anderen Seite der Gasse nicht ertragen konnten.

Hier empfing der Pastor die Leute fast immer im Stehen. Er forderte sie gar nicht erst auf, sich zu setzen, sondern fertigte sie kurz und sichtlich ohne Interesse ab. Am wenigsten höflich war er ausgerechnet zu denen, die ein Recht auf besondere Rücksichtnahme zu haben glaubten. Sogar die Beamtenfamilien der Stadt machten im Pfarrhaus keine Besuche mehr, seit Pastor Sidenius angefangen hatte, sie über ihren Glauben auszufragen, statt ihnen Erfrischungen zu reichen. Und dabei behandelte er sie, als seien sie Konfirmanden, die in der Kirche vor ihm stehen.

Ganz besondere Erbitterung erregte er jedoch bei den großen Bürgerbegräbnissen, zu denen die Einwohner in feierlichem Zug mit Blasmusik und florumwundenen Zunftfahnen kamen, die Beamten in goldbestickten Uniformen mit Hahnenfedern am Hut – alle nach dem leichten Portweinfrühstück im Trauerhaus so recht zu Andacht und Erbauung gestimmt. Aber statt in einer feierlichen ergreifenden Rede den Dahingegangenen zu loben und zu preisen, beschränkte sich Pastor Sidenius unerbittlich darauf, lediglich ein Gebet zu sprechen, was sonst nur bei Kinder- und Armenbegräbnissen üblich war. Kein einziges Wort über den redlichen Charakter und den strebsamen Erdenwandel des Entschlafenen, kein Hinweis auf dessen Verdienste um das Wohl der Stadt, auf das opferbereite Interesse an der Straßenpflasterung oder am städtischen Wasserwerk. Kaum daß der Verstorbene am Grab überhaupt genannt wurde, und wenn, dann nur mit Zusätzen wie »dieses elende Häufchen Staub« oder »dieser Fraß der Würmer«. Je größer und angesehener die Trauergemeinde war, zu der Pastor Sidenius sprach, je mehr Fahnen und Wimpel rings um das Grab im Wind flatterten, desto kürzer wurde das Gebet, desto erbärmlicher wurden die Überbleibsel, um die man sich versammelt hatte, so daß das Trauergefolge oft voller Empörung auseinanderging, die sich mehr als einmal sogar auf dem Friedhof in hörbarer Weise Luft gemacht hatte.

Die einzigen Bewohner des Städtchens, die im Pfarrhaus verkehrten, waren ein paar verwachsene alte Fräulein aus dem Damenstift, eine bleiche langbärtige Christusfigur von Schneidergesellen und einige sogenannte Erweckte aus unbemittelten Schichten. Sie hatten in Pastor Sidenius' Haus einen lange entbehrten Zufluchtsort in dieser weltlich gesinnten Stadt gefunden. Von einem geselligen Umgang konnte jedoch schon deshalb keine Rede sein, weil Frau Sidenius sehr krank war und schon seit einigen Jahren das Bett hüten mußte. Außerdem war Pastor Sidenius nicht im mindesten gesellig veranlagt, und seine Anhänger suchten ihn nur in Glaubensangelegenheiten auf. Sonntags dagegen fanden sie sich regelmäßig in der Kirche ein, wo sie an einer bestimmten Stelle gleich unter der Kanzel saßen und die übrigen Kirchgänger dadurch verärgerten, daß sie betont auffällig selbst die längsten Kirchenlieder sangen, ohne auch nur ein einziges Mal ins Gesangbuch zu sehen.

Pastor Sidenius gehörte einem uralten und weitverzweigten Pastorengeschlecht an, das seine Ahnen bis in die Zeit der Reformation zurückverfolgen konnte. Drei Jahrhunderte lang war in diesem Geschlecht der geistliche Beruf gleichsam als heiliges Erbe von den Vätern auf die Söhne übergegangen, ja sogar auf die Töchter, die sich sehr häufig mit den Kaplanen der Väter oder den Studienkameraden ihrer Brüder verheiratet hatten. Daraus war auch die selbstbewußte Sicherheit erwachsen, mit der ein Sidenius von alters her die christliche Lehre verkündete. Es gab im ganzen Land nicht viele Pfarren, wo im Verlauf der Jahrhunderte nicht wenigstens einer aus dem Geschlecht die Gemüter zum Gehorsam unter die kirchlichen Gesetze gezwungen hätte.

Natürlich waren diese zahlreichen Diener der Kirche nicht alle gleich eifrig gewesen. Es hatte unter ihnen sogar einzelne ziemlich weltlich gesinnte Herren gegeben, deren kräftiger, seit Generationen unterdrückter Lebensdrang sich in recht unbeherrschter Weise geäußert hatte. So lebte im vorigen Jahrhundert in Vendsyssel ein Pastor, der »tolle Sidenius«, der in den großen Wäldern des jütischen Hügellandes ein ungebundenes Jägerleben geführt haben soll. Oft habe er in den Schenken gehockt und mit den Bauern Branntwein getrunken, bis er an einem Ostersonntag in seiner Trunkenheit den Küster in der Kirche niederschlug, so daß das Blut bis auf das Altartuch spritzte.

Doch die meisten Angehörigen des Geschlechts waren fromme Streiter der Kirche gewesen, mehrere von ihnen sogar sehr belesene, ja gelehrte Männer, theologische Forscher, die in ihrer ländlichen Abgeschiedenheit, in der grauen Gleichförmigkeit der Jahre für alle Entbehrungen Ersatz gesucht hatten in einem stillen, nach innen gekehrten Gedankenleben. Vertieft in ihre eigene Ideenwelt, hatten sie zuletzt die wahren Werte des Daseins, sein reichstes Glück und eigentliches Ziel gefunden.

Diese von Generation zu Generation vererbte Geringschätzung aller irdischen Dinge hatte auch Johannes Sidenius in seinem Lebenskampf beschützt. Sein Rücken war ungebeugt und sein Sinn aufrecht geblieben, trotz drückender Armut und vielfachen Mißgeschicks. Hierbei war ihm seine Frau eine feste Stütze gewesen, und er lebte innig und glücklich mit ihr, obwohl sie sich gar nicht ähnlich waren. Auch sie besaß ein tief religiöses Gemüt, aber im Gegensatz zu ihrem Gatten war sie eine schwermütige, leidenschaftliche Natur. Das Leben flößte ihr Unruhe und dumpfe Angst ein. Von Hause aus nicht sehr gefestigt im Glauben, hatte sie sich unter dem Einfluß ihres Mannes zu einer Eiferin entwickelt. Der Kampf ums tägliche Brot und das wiederholte Kindbett hatten in ihr krankhaft übertriebene Vorstellungen von den Drangsalen des Erdenlebens und von der Verantwortung eines Christen hervorgerufen. Ihr langes Krankenlager, die vielen Jahre, die sie seit ihrer letzten Niederkunft gelähmt im dunklen Zimmer gelegen hatte, schließlich der vor kurzem überstandene schreckliche Krieg mit seinen feindlichen Einquartierungen, seinen Brandschatzungen und blutigen Demütigungen – das alles hatte nicht dazu beigetragen, ihre Lebensansichten zuversichtlicher zu gestalten.

Obwohl ihr Gatte ihr deswegen oft ernstlich ins Gewissen redete, fand sie doch niemals wirklich Ruhe vor ihren ewigen Sorgen. Sie begriff zwar, daß sie ein sündhaft geringes Vertrauen in die Gnade der Vorsehung setzte, konnte es aber doch nicht lassen, ihren Kindern bei jeder Gelegenheit äußerste Genügsamkeit als Pflicht vor Gott und...



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