E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Popov Für Fortgeschrittene
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7017-4471-8
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-7017-4471-8
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alek Popov, 1966 in Sofia geboren, studierte dort bulgarische Philologie und war u.a. als Kulturattaché der bulgarischen Botschaft in Großbritannien und Nordirland tätig. Er arbeitet als Schriftsteller und ist zudem Autor einer Reihe von Erzählungen, Drehbüchern und Hörspielen. Popovs Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem 'Helicon' für das beste Prosawerk 2002, 'Mission: London' (Residenz Verlag 2006). Sein zweiter Roman,'Die Hunde fliegen tief' (Residenz Verlag 2008), stand wochenlang an der Spitze der bulgarischen Bestsellerlisten und erhielt 2007 den renommierten Elias-Canetti-Preis. Alek Popov lebt in Sofia.
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WIE MAN SICH BETTET
Als ich letztes Jahr in London war, landete ich aus Gründen, die nicht allein mit mir zu tun haben, auf der Straße … Ich hatte keine große Wahl, also beschloss ich, unter einer der Themsebrücken zu übernachten. Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, und in meinem Rucksack hatte ich einen ganzen Liter Wodka, den ich in weiser Voraussicht im Duty-free-Shop am Flughafen in Bulgarien gekauft hatte.
Ich hatte außerdem zur Vorsicht einen dicken Wintermantel mitgenommen, der mir jetzt, wie ich dankbar feststellte, als Decke dienen konnte. Es gab keinen Grund, Trübsal zu blasen.
Um die Wahrheit zu sagen, ich halte mich nicht oft bei Einbruch der Dunkelheit an solchen Orten auf, deshalb war ich auf der Hut. Das kulturelle Umfeld, in dem ich gelandet war, hat seine Besonderheiten. Überall lagen Bierdosen herum, die Wände und Metallträger waren mit Graffiti übersät. Es roch ein wenig nach Fäkalien. Bald entdeckte ich, dass ich nicht alleine war … Der Mann hatte sein Biwak in einer der Nischen zwischen den Metallrippen aufgeschlagen. Er trug einen dichten, gescheckten Bart und war mächtig von Gestalt. Er war nicht alt, aber die Furchen auf seiner Stirn zeugten von einer ständigen gedanklichen Anstrengung, die ihn schneller hatte altern lassen. Er saß auf einer durchgescheuerten Matratze, das eine Bein untergeschlagen, die Schultern entspannt, und ließ seinen Blick über den Fluss streifen.
– Hier wird nicht gepinkelt, hörte ich ihn mit deutlich schottischem Akzent sagen.
– Ich habe auch nicht die Absicht, hier zu pinkeln, entgegnete ich leicht gekränkt mit deutlich slawischem Akzent.
Ich machte es mir in der Nische nebenan bequem. Ich streckte mich auf meinem Wintermantel aus und holte den Wodka hervor. Ich hatte einen Plastikbecher aus dem Flugzeug mitgenommen, sodass ich mich gepflegt bedienen konnte. Und so trank ich Wodka Gorbatschow – weich und glatt im Geschmack, die Wellen plätscherten gegen die Brückenpfeiler, und weit entfernt über meinem Kopf zischten die Reifen der Autos über den regennassen Asphalt. Sowie ich eingeschlummert war, empfing ich einen undeutlichen Reiz an den Rändern meiner Wahrnehmung. Ich ignorierte ihn, aber er drängte sich erneut in mein Bewusstsein … Es vergingen einige Sekunden, bis ich begriff, dass der Typ die Flasche mit sengenden, gierigen Blicken anstarrte. Solche Begehrlichkeiten sind gefährlich und ich bin nicht knauserig, also sagte ich zu ihm:
– Gib mir deinen Becher, Alter!
Ich hatte überhaupt keine Lust, dass er mir den Flaschenhals einspeichelte – wer weiß, was alles in seinem Mund gedieh. Ich konnte nicht einmal blinzeln, schon hielt mir der Drecksack ein Colaglas unter die Nase, large size. Ich goss ihm ein paar Finger hoch ein, damit er Ruhe gab, aber er ließ sich neben mir nieder. Jetzt will er auch noch Gesellschaft, dachte ich mit wachsender Feindseligkeit, als mir sein Geruch in die Nase stach …
Ich erwartete, dass er zu schwatzen anfangen, mich mit der faden Prosa seines Lebens unterhalten würde, aber er schaute mich nicht weiter an. Er saß schweigsam da und trank aus seinem riesigen Glas. Mir ging ebenfalls mehr als genug im Kopf herum und ich brannte nicht darauf, meine Zunge zu wetzen. So verging beinahe eine Stunde. Der Verkehr auf der Brücke ließ allmählich nach, zwei Drittel vom Wodka waren dahin, und ich gewöhnte mich langsam an den Gestank meines Nachbarn. Ich fand sogar etwas Tröstliches in seiner Nähe … Ich machte Anstalten, ihm nachzuschenken, aber er zog sein Glas weg. Entschlossen erhob er sich und trat an den Rand der Plattform. Einige Sekunden stand er da und starrte ins schwarze Wasser hinunter. Dann sprang er.
Er sprang, verflucht!
Ein dumpfes Platsch, und das war’s. Ich hatte Glück, dass ich betrunken war und so langsam reagierte, denn sonst hätte es mir einfallen können, ihn retten zu wollen … Ich kroch an den Rand der Plattform und schaute hinunter. Der Fluss roch nach Schlamm. An den Brückenpfeilern bildeten sich Wasserstrudel, von dem Unglücklichen fehlte jede Spur. Was sollte ich jetzt machen? Ich wollte nichts mit der Polizei zu schaffen haben, ich sah keinen besonderen Vorteil darin. Sie würden mich lang und breit ausfragen, was ich um diese Zeit unter der Brücke verloren hatte … sie würden es nicht verstehen … und sie würden mir etwas anhängen. Nein, danke! Mein Verstand, so viel mir davon noch geblieben war, riet mir, meine Siebensachen einzusammeln und mich von den Socken zu machen. Aber wer vertraut schon auf seinen Verstand! Stattdessen begann ich, in den Abfällen des Unbekannten zu wühlen, in der Hoffnung, etwas über ihn in Erfahrung zu bringen. Einen Namen, irgendein Detail, eine Erklärung für seine verrückte Tat. Schließlich hatten wir fast einen ganzen Liter Wodka miteinander getrunken … Seine Matratze war verklumpt und knisterte seltsam. Ich machte mit dem Feuerzeug etwas Licht. Der Bezug war an einer Ecke aufgetrennt, und aus dem Inneren hing ein Fetzchen Papier. Ich zog es heraus. Es war eine Banknote. Fünfzig Pfund. Wow! sagte ich zu mir. Ich fuhr fort, in dem Loch herumzustochern. Kurz darauf hatte ich ein ganzes Bündel davon in der Hand …
Die Matratze war vollgestopft mit Geld!
Plötzlich näherten sich heisere Stimmen. Aus der Dunkelheit tauchten zwei hagere Schatten auf, die wie Gespenster schwankten.
– Derek, schläfst du?
Ich wusste nicht, was tun, also schmiegte ich mich an die Matratze und harrte aus.
– Er ratzt, der Hurensohn …, stellte der andere fest. – Er hat sich ordentlich vollaufen lassen …
Der Wodka zog sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ich nutzte das zu meinem Vorteil und zog mir Dereks Lumpen über den Kopf. Ich war wie Rob Roy, der sich in dem verwesenden Kadaver einer Kuh vor den Engländern versteckte … Ich lag auf Unmengen von Geld und fragte mich, wie dieser arme Schlucker wohl an so viel Kohle gekommen war?! Und warum er sie nicht genutzt hatte, statt sich in die eisige Umarmung der Themse zu stürzen? … In meinem Kopf ging es rund. Von Zeit zu Zeit horchte ich auf, um zu belauschen, worüber sich die zwei unterhielten. Aber in dem Mix aus Cockney, Bier und Wodka konnte ich nichts verstehen … Ich tat, als schliefe ich, bis ich am Ende wirklich schlief.
Ich wachte auf, von einem Alptraum geplagt: Irgendjemand hatte die Matratze unter mir weggezogen, und ich lag starr vor Kälte auf dem nackten Boden … Ich sah sofort nach, Gott sei Dank, die Matratze war an Ort und Stelle, prall und hart. Von den beiden Herumtreibern keine Spur. Die Sonne stand hoch am Himmel, es ging auf halb elf zu. Ein Boot, randvoll mit Touristen, fuhr gerade unter der Brücke durch. Offenbar sorgte ich für einen malerischen Anblick, denn sofort richteten sich Dutzende Photoapparate und Kameras auf mich. Das machte mich nervös, ich war nicht scharf auf Öffentlichkeit. Ich wollte nur die verfluchte Matratze zusammenrollen und an einen sicheren Ort bringen, und das war nicht so einfach, wie es aussah. Der Stoff war ziemlich dünn, stellenweise sogar zerschlissen, und ich wollte nicht riskieren, dass die Matratze aufriss und das Geld sich überall verteilte. Deshalb schien es mir vernünftiger, es in einen Sack umzupacken. Nur dass ich keinen Sack hatte! Auch unter Dereks Hab und Gut fand sich nichts Passendes, und meine Reisetasche und mein Rucksack waren lächerlich klein. Erst jetzt, angesichts dieser Schwierigkeiten, wurde mir das Ausmaß der Summe bewusst. Es war unglaublich! In der Matratze steckten sicher zwei Millionen Pfund. Ich setzte mich, um sie unter mir zu spüren. Ich brauchte Säcke!
– He, Derek!
Ich erblickte eine Uniform und erstarrte.
– Wo ist Derek? fragte der Mann.
Es war kein Polizist, er sah eher aus wie ein Angestellter der Stadtverwaltung.
– Naja … – Ich zuckte die Schultern.
– Klar, nickte er. – Er ist weg. Er hat sich ohnehin ziemlich lange gehalten …
Er schien nicht überrascht zu sein. Im Gegensatz zu mir.
– Gab es denn einen anderen vor ihm?!, fragte ich verwirrt.
– O ja, nickte der Angestellte energisch. – Ich glaube, er hieß Bob, aber er ist nur zwei Wochen geblieben. Dann kam Derek. Dieser Platz bleibt nie leer … Hey, hat er dir verraten, dass du das eine oder andere Pfund verdienen kannst, wenn du hier sitzt? – Seine Stimme bekam einen geschäftlichen Unterton.
Ich schüttelte verneinend den Kopf. Der Mann zeigte auf die gegenüberliegende Seite der Brücke, die im morgendlichen Dunst über dem Fluss nur undeutlich zu sehen war. Trotz der vergleichsweise frühen Stunde wimmelte es dort vor Menschen.
– Also, die Sache ist die … Dort drüben sind gebührenpflichtige Fernrohre montiert, solche für Touristen, die für Kleingeld durchschauen wollen … Was es da zu glotzen gibt, wusste ich auch nicht, bis wir vor zwei...