Powell | Ein Tanz zur Musik der Zeit / Die Philosophen des Krieges | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 9, 288 Seiten

Reihe: Ein Tanz zur Musik der Zeit

Powell Ein Tanz zur Musik der Zeit / Die Philosophen des Krieges

Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-941184-84-8
Verlag: Elfenbein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 9, 288 Seiten

Reihe: Ein Tanz zur Musik der Zeit

ISBN: 978-3-941184-84-8
Verlag: Elfenbein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der zwölfbändige Zyklus 'Ein Tanz zur Musik der Zeit' - aufgrund seiner inhaltlichen wie formalen Gestaltung immer wieder mit Marcel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' verglichen - gilt als das Hauptwerk des britischen Schriftstellers Anthony Powell und gehört zu den bedeutendsten Romanwerken des 20. Jahrhunderts. Inspiriert von dem gleichnamigen Bild des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, zeichnet der Zyklus ein facettenreiches Bild der englischen Upperclass vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die späten sechziger Jahre. Aus der Perspektive des mit typisch britischem Humor und Understatement ausgestatteten Ich-Erzählers Jenkins - der durch so manche biografische Parallele wie Powells Alter Ego anmutet - bietet der 'Tanz' eine Fülle von Figuren, Ereignissen, Beobachtungen und Erinnerungen, die einen einzigartigen und aufschlussreichen Einblick geben in die Gedankenwelt der in England nach wie vor tonangebenden Gesellschaftsschicht mit ihren durchaus merkwürdigen Lebensgewohnheiten.

Anthony Powell (1905-2000) besuchte das Eton College, studierte in Oxford und heiratete eine Adlige. Er arbeitete als Lektor in einem Londoner Verlag, schrieb Drehbücher und Beiträge für britische Tageszeitungen, war Herausgeber des Magazins 'Punch' und Autor zahlreicher Romane. Jene gesellschaftliche Oberschicht Großbritanniens, der er selbst angehörte, porträtierte er in seinem zwölfbändigen Romanzyklus 'A Dance to the Music of Time'. Während seine Altersgenossen und Freunde Evelyn Waugh, Graham Greene und George Orwell sich auch im deutschsprachigen Raum bis heute großer Popularität erfreuen, ist Anthony Powell hierzulande noch nahezu unbekannt. Über den Übersetzer Heinz Feldmann vermerkte Anthony Powell in seinem Tagebuch: 'I am lucky to have him as a translator.'
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Wie Finns schmerzender Kiefer in jener Marschkolonne pochte auch der Krieg weiter und weiter, unterbrochen nur von Intermezzi, in denen in der Eile mehr als einmal der falsche Zahn gezogen worden zu sein schien. Inzwischen lebte ich in einer Einzimmerwohnung im achten Stock eines nüchternen Wohnblocks im Stadtteil Chelsea. Das private Leben, scheinbar im Stillstand befindlich, formte, wie stets, neue Muster. Isobels Bruder George Tolland (mittlerweile zum Oberstleutnant befördert und als
A und Q im Stab einer Division im Mittleren Osten diensttuend) war schlimm verwundet worden und lag in einem Lazarett in Kairo. Roddy Cutts, der Ehemann ihrer Schwester Susan, Major in einer Kavallerieeinheit, die in ein Aufklärungscorps umgewandelt worden war, hatte kürzlich nach Hause geschrieben, er habe sich in eine der Frauen verliebt, die am Generalhauptquartier der Persien/Irak-Streitkräfte die Telegramme entschlüsselten, und wünsche die Scheidung, auch wenn er damit den Ruin einer vielversprechenden politischen Karriere riskiere. Diese Eventualität, die für Susan, aber auch für den Rest der Familie, völlig unerwartet kam, denn Roddy hatte stets als ein in dieser Hinsicht ziemlich wenig unternehmungslustiger Mann gegolten, erzeugte große Bestürzung.

Wenn es nicht notwendig war, dass ich bis spät im Regierungsviertel blieb, ging ich gewöhnlich nach dem Dienst direkt in eine nahegelegene Kneipe, aß dort zu Abend und zog mich dann mit einem Buch ins Bett zurück. In dieser Periode war es das siebzehnte Jahrhundert, das mich besonders beschäftigte, so dass Werke wie Anthony Woods »Athenae Oxonienses« oder Narcissus Luttrells »Brief Relation« Ausblicke auf eine Vergangenheit eröffneten, die, wenn man sie auch nicht notwendigerweise unserer eigenen Zeit vorzuziehen vermochte, zumindest deutlich anders war. Als Abwechslung von dieser historischen Lektüre las ich Proust. Die Wohnung selbst war eigentlich gar nicht so übel. Die stetig wechselnde Einwohnerschaft des Blocks, eine bunte Mischung, die zu einem großen Teil aus Personen beiderlei Geschlechts bestand, die für die Ministerien arbeiteten, umfasste auf der weiblichen Seite eine Skala, die von hochrangigen Sekretärinnen, Offizieren der Frauendienste und Organisatorinnen des einen oder anderen bis hin in die nebulöse Welt von alleinlebenden Geschiedenen und unsteten Typen noch schwerer zu definierenden Charakters reichte, Typen, die wahrscheinlich, was die Kriegsanstrengungen‹ anging, so gut wie unbrauchbar waren, es jedoch aus dem einen oder anderen Grund vorzogen, in London zu bleiben und die Luftangriffe zu ertragen. An warmen Abenden konnte man diesen ungebundenen Damen auf dem flachen Dach des Gebäudes begegnen, wo sie sich ergingen, den zu ihrem Einsatz startenden Bombern nachschauten, um Zigaretten oder Feuer baten und sich untereinander oder gegenüber jedem, mit dem sie in Kontakt getreten waren, über die Unzulänglichkeiten von Miss Wartstone beschwerten.

In einem anderen Stockwerk des Blocks hatte auch Hewetson, der Offizier der Abteilung, der für die Belgier und Tschechen zuständig war, eine Wohnung gemietet. Eine Zeitlang gingen er und ich jeden Morgen zusammen zum Dienst. Doch dann entschloss er sich, sich mit einem Freund bei der Admiralität (der eine Beziehung zu einer Frau hatte, die kochen konnte) eine größere Wohnung zu teilen, und zog weg. Hewetson war in seinem Privatleben Rechtsanwalt und vermittelte, obwohl er nicht viel über solche Dinge sprach, den Eindruck, bei Zufallsbekanntschaften erfolgreicher als Borrit zu sein. Er gab einmal zu, eine Art Abenteuer, das daraus entsprang, dass er sich während der Erholungsphase nach einem Grippeanfall auf dem Dach sonnte, mit einer jener Sirenen der Schornsteinaufsätze zu haben. Eine andere sagte ihm, sie könne emotionale Intimität nur mit jemandem ihres eigenen Geschlechts erreichen. Hewetson kannte also das Dach wahrscheinlich besser, als man vielleicht annehmen mochte. Mit Miss Wartstone kam allerdings auch er nicht zurecht. Sie war die Wohnungsverwalterin. Schon ihre äußere Erscheinung bereitete die Bewohner auf ein ungewöhnlich zänkisches Temperament vor. Ja, ihre mittleren Jahre hatten sich zu einem Alter pathologischer Streitsucht entwickelt, möglicherweise die Folge nervöser Spannungen, die sich während der ersten Jahre der deutschen Luftangriffe aufgebaut hatten. In der letzten Zeit hatte nichts Schlimmeres als der gelegentliche Bruch einer Fensterscheibe durch eine Detonation die unmittelbare Nachbarschaft beunruhigt, aber im Fortgang des Krieges blieb das Nervenkostüm nur weniger so stabil wie zu Anfang.

Miss Wartstone pflegte, wie in der Schule, Notizen aufzuhängen, und wie dort pflegten Leute Bilder darauf zu malen oder Kommentare zu schreiben. »Wiederwertiges Manegement« hatte jemand gekritzelt – wahrscheinlich einer der alliierten Offiziere, von denen eine ziemlich große Zahl in den Wohnungen untergebracht war. Hewetson selbst wurde jedes Mal weiß, wenn man den Namen Miss Wartstones erwähnte.

»Diese Frau«, pflegte er dann zu sagen.

Als die achte Armee in Tripolis einmarschierte, wurde Hewetson eine Beförderung in einer neuen Abteilung des Justizministeriums, die in Nordafrika entstand, angeboten. Wie es sich ergab, hatte das auch eine Veränderung meiner eigenen Position in der Abteilung zur Folge. Diese Wende lässt sich mehr oder weniger genau datieren, und zwar durch die Tatsache, dass in dem Augenblick, als Hewetson nach seinem Gespräch mit Finn über seinen eigenen Weggang herunterkam, Oberst Cobb, einer der amerikanischen stellvertretenden Militärattachés, sich in unserem Zimmer aufhielt und mit uns über die Gefangennahme der deutschen Generäle bei Stalingrad sprach. Obwohl die Amerikaner für den größten Teil ihrer Belange ihre eigene Mission hatten, pflegte Cobb Finn von Zeit zu Zeit wegen einiger Routineangelegenheiten aufzusuchen. Hinterher schaute er gewöhnlich für ein paar Minuten bei uns herein, hauptsächlich, so glaube ich, um sein großes persönliches Interesse an der britischen Armee und ihren unerwarteten Besonderheiten zu befriedigen, ein Interesse, das inzwischen über das Stadium eines bloßen Wunsches, professionelle Informationen zu erhalten, hinausgewachsen und zu einer Obsession geworden war. Wenn sich die Gelegenheit ergab, befragte er die Leute endlos über ihr Corps; ob es zur Berufsarmee oder zur Landwehr gehöre; welche besonderen Gepflogenheiten und Bräuche es pflege; wann es gegründet worden sei; wo es gedient habe; was getragen wurde. Bei den Frotzeleien, die manchmal diesen Befragungen folgten, hatte Cobb es ganz gern, wenn auch eine Spur von Grimmigkeit sich einmischte, und er lächelte mit ernster Zustimmung, als im Verlauf einer solchen Nachforschung zufällig ans Licht kam, dass mein eigenes Regiment unter den Namen von gewonnenen Schlachten auf seinen Fahnen auch Detroit und Miami aufgeführt hatte.

»Ah, Detroit?«, sagte er in einem Ton, als sei es erst gestern geschehen. »Eine unglückliche Geschichte das … Miami … Der Name erinnert mich an den Großvater meiner Großtante – ein Mann, mit dem nicht zu spaßen war, ein Offizier von König Georgs Gnaden im Westflorida-Provinzregiment.«

Seine eigenen Anekdoten, von denen er einen eindrucksvollen Vorrat besaß, brachte er in einem würdevoll-ruhigen Erzählstil vor, der ihm in Hollywood vielleicht ein hohes Einkommen gesichert haben würde, wenn er je ins Auge gefasst hätte, eine militärische Karriere schauspielerisch darzustellen, statt sie in Wirklichkeit zu durchleben. Er erzählte sie in einem tiefen, zurückhaltenden Gemurmel, wobei er die Wörter und Sätze weit zurück in den Mund zog, was an gewisse altmodische Typen von Paris-Amerikanern erinnerte. Wie Finn, doch in einem völlig anderen Genre, stellte Cobb gern sein dramatisches Talent zur Schau – eine Neigung, so vermutete ich, die auch das Motiv für absichtliche Besuche bei uns (zum Beispiel am Tag nach Pearl Harbour) sein mochte, wenn er das Gefühl verspürte, öffentliche Bestätigung zu brauchen.

»Was wird Amerikas nächster Schritt sein, Oberst?«, hatte jemand bei jener Gelegenheit gefragt.

Cobb antwortete nicht sofort. Stattdessen nahm er eine relativ dramatische Pose ein, eine jener stilisierten, aber ungezwungenen Haltungen, die ihm besonders gut gelangen; diesmal war es die eines Mannes, der einem Problem von extremer Komplexität tiefe Aufmerksamkeit schenkt. Dann fällte er sein wohlüberlegtes Urteil.

»In der U. S. Navy ist Alkohol verboten«, sagte er. »Wir werden ihre Golfschläger einziehen müssen, vermute ich.«

Als ich Jahre später in New York war, wiederholte ich diesen Kommentar gegenüber Harrison F. Wisebites Neffen Milton, den ich auf einer Party eines Verlegers im St.-Regis-Hotel getroffen hatte. Milton Wisebite, der zu dieser Zeit im Büro von »Time-Life« arbeitete, hatte selbst mit dem Expeditionscorps seines Landes in Europa gedient.

»Gerichtssaal Cobb?«, sagte er. »An den hab ich seit Jahrzehnten nicht mehr gedacht.«

»War das sein Spitzname?«

»In der gesamten U. S. Army.«

»Was hatte er zu bedeuten?«

»Es war ein Hinweis auf seine angebliche Strenge in der Verhängung disziplinarischer...


Anthony Powell (1905—2000) besuchte das Eton College, studierte in Oxford und heiratete eine Adlige. Er arbeitete als Lektor in einem Londoner Verlag, schrieb Drehbücher und Beiträge für britische Tageszeitungen, war Herausgeber des Magazins „Punch“ und Autor zahlreicher Romane. Jene gesellschaftliche Oberschicht Großbritanniens, der er selbst angehörte, porträtierte er in seinem zwölfbändigen Romanzyklus „A Dance to the Music of Time“. Während seine Altersgenossen und Freunde Evelyn Waugh, Graham Greene und George Orwell sich auch im deutschsprachigen Raum bis heute großer Popularität erfreuen, ist Anthony Powell hierzulande noch nahezu unbekannt.
Im Elfenbein Verlag wird Powells Hauptwerk unter dem Titel „Ein Tanz zur Musik der Zeit“ bis Ende 2018 in zwölf Einzelbänden erscheinen. Jeder Band ist separat erhältlich. Bei Abnahme des gesamten Zyklus wird ein Preisnachlass gewährt.



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