E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Pratt Twilight Imperium: Zerbrochene Leere
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96658-616-0
Verlag: Cross Cult Entertainment
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-96658-616-0
Verlag: Cross Cult Entertainment
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
TIM PRATT ist ein mit dem Hugo-Preis ausgezeichneter SF- und Fantasy-Autor und Finalist u. a. für die World Fantasy, Sturgeon, Stoker, Mythopoeic und Nebula Awards. Er ist Autor von über zwanzig Romanen und einer Vielzahl von Kurzgeschichten. Seit 2001 arbeitet er für Locus, das Magazin für Science-Fiction und Fantasy, bei dem er derzeit als leitender Redakteur tätig ist.
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KAPITEL 1
Felix wartete in der Dunkelheit des unteren Decks der . Die einzige Lichtquelle waren die schwachen Orientierungsleuchten, die am Boden pulsierten und den Weg zu den Ausgängen wiesen. Leise und vorsichtig setzte er sich in Bewegung; er war überzeugt, dass er zumindest für den Moment unbeobachtet war. Er schlich sich einen Korridor entlang, vorbei an unbelegten Mannschaftskabinen, die zu Lagerräumen für Notfallversorgungsgüter umfunktioniert worden waren. Er bewegte sich langsam vorwärts, wobei er in jede der vollgestellten Kabinen hineinschaute, bevor er weiterging. Er lauschte nach dem leisesten Geräusch und versuchte, die kleinsten Veränderungen in der abgestandenen Luft zu spüren.
Felix war auf der Jagd.
Er dachte darüber nach, seine Beute zu verhöhnen und so einen Fehler zu erzwingen, den er ausnutzen könnte, aber das wäre zu riskant; es war besser, damit zu warten, bis er eine bessere Verteidigungsposition gefunden hatte. Am Ende des Gangs hielt er inne: Zu seiner Linken und seiner Rechten befanden sich offene Türen. Bei einer anspruchsvolleren Mission hätten in den Kabinen zu beiden Seiten je zwei Crewmitglieder Platz gehabt. Stattdessen wurden in der linken Kabine Paletten mit Trinkwasser gelagert, während in der rechten Kabine aus irgendeinem Grund Unmengen von Kisten voller Signalfackeln standen. Zweifellos war das militärische Beschaffungswesen in allen Gesellschaften ein Mysterium, das für Kopfzerbrechen sorgte, aber in der Mentak-Koalition liefen die Dinge noch etwas seltsamer ab – die verschiedenen Versorgungsgüter, die von den Piratenflotten geplündert wurden, mussten irgendwo gelagert werden und ein Quartiermeister mit zu viel Ware hatte die Gelegenheit ergriffen, das ungenutzte Deck der mit allerlei Krempel vollzustellen, der niemandem wirklich von Nutzen war.
Felix schlich sich in eine Nebenkabine und ging hinter einer Palette schrumpfverpackter Luftreiniger in Deckung. Er lauschte angestrengt, doch das einzige Geräusch war sein eigener Atem. Er stieß gegen die Palette und atmete scharf ein, so als ob er sich verletzt und einen unfreiwilligen Laut von sich gegeben hätte. Sofort huschte er zur anderen Seite der Kabine und wartete, ob sein Köder geschluckt werden würde. Es gab keine Bewegung, kein Geräusch, nichts. Er hätte genauso gut hier unten in der Dunkelheit allein sein können, aber er wusste es besser.
Felix schlich sich wieder in den Korridor, wobei er die Schatten nach der kleinsten Regung und die Luft nach der leisesten Störung absuchte. Nichts. Seine Beute war woanders. Er betrachtete die Kreuzung, die vor ihm lag: Wenn er nach links ging, würde er zu der stillgelegten unteren Bordküche kommen, und wenn er nach rechts ging, würde er einen Fitnessraum voller ungenutzter Trainingsgeräte erreichen. In der Küche konnte man sich besser verstecken, aber …
In der Kabine zu seiner Linken fiel etwas zu Boden. Es klang wie eine Wasserflasche, die versehentlich angestoßen worden war, vom Rahmen einer Schlafkoje abprallte und dann über den Boden rollte. Felix wirbelte sofort herum und drehte sich stattdessen nach rechts. Es war unmöglich, dass seine geschickte und tödliche Beute so ein Geräusch aus Versehen verursacht hatte. Das kleine Monster versuchte, ihn abzulenken, was bedeutete, dass der Angriff aus der Richtung kommen würde …
Tatsächlich erfolgte der Angriff von oben: Etwas Schweres landete auf Felix’ Nacken und Schultern und zwang ihn in die Knie, dann schlängelte sich ein glatter, weicher Arm, den er nicht sehen konnte, um seine Kehle. Felix war allerdings größer und schwerer als sein Widersacher, deshalb warf er sich nach hinten, in der Hoffnung, den Angreifer zwischen seinem eigenen Körper und der Wand einzuquetschen und ihn auf diese Weise abzuschütteln. Stattdessen krabbelte der Angreifer an ihn herum, bis er sich auf seiner Vorderseite befand, sodass Felix mit dem Aufprall nur seine eigene Wirbelsäule traf.
»Stirb, Abschaum!«, zischte eine Stimme. Heißer Atem drang an sein Gesicht, aber er sah sich gegenüber kein , sondern nur eine Art Flimmern, das seine Augen zum Tränen brachte, wenn er sich zu sehr darauf konzentrierte, und starke, dünne Finger, die um seine Kehle gewickelt waren …
Die Deckenbeleuchtung erwachte mit grellem Schein und die Stimme von Calred, dem Sicherheitsoffizier des Schiffs, schnurrte lakonisch aus den über das Deck verteilten verborgenen Lautsprechern: »Captain, wenn du und Tib dann fertig seid mit eurem Versteckspiel … Wir haben eine dringende Nachricht von einer der Kolonien.«
Das Flimmern erlosch und das runde, grüne Gesicht von Captain Felix Duvals erstem Offizier, Tib Pelta, kam zum Vorschein. Sie lächelte so breit, dass all ihre Zähne zum Vorschein kamen, und ihre gelben, lampenähnlichen Augen leuchteten. Einen Moment später war auch der Rest ihres Körpers, der in die Uniform der Marine der Mentak-Koalition gehüllt war, wieder klar und deutlich zu sehen. Die Fähigkeit der Yssaril, sich zu verbergen – das »Verschmelzen« mit der Umgebung – war zwar technisch gesehen keine Unsichtbarkeit, praktisch betrachtet gab es jedoch keinen großen Unterschied. Als Infiltrationsspezialistin bestanden ihre Uniformen und ihre Raumanzüge aus seltenen Materialien, die das Licht krümmen und mit Geräten erweitert werden konnten, die das Aufspüren von Wärmesignaturen und anderen Lebenszeichen behinderten.
Tib ließ die Kehle ihres Captains los, rückte seinen Kragen zurecht und tätschelte ihm leicht die Wange, bevor sie von ihm heruntersprang und sich auf den Weg zum Aufzug machte.
»Habe verstanden, sind auf dem Weg nach oben«, sagte Felix. Dann: »Wir haben nicht Verstecken gespielt. Wir haben eine taktische Trainingsübung durchgeführt, um auf Zack zu bleiben. Tatsächlich ist das etwas, das du als Sicherheitsoffizier organisieren solltest.«
»Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass ihr am Leben bleibt und dieses einigermaßen wertvolle Schiff nicht in die Luft gejagt wird«, sagte Calred. »Nicht, für deine Unterhaltung zu sorgen.«
»Ich habe gewonnen«, sagte Tib, als Felix zu ihr aufholte. Sie musste zwei Schritte machen für jeden von seinen. »Es steht siebenhundertfünf für mich, einhundertzwölf für dich.«
»Einhundertdreizehn für mich, Tib«, erwiderte Felix. »Du lässt immer das eine Mal weg, als ich vierzehn war und deiner Fährte durch das Lüftungssystem zum geheimen Weinlager des Stationsverwalters gefolgt bin …«
»Das zählt nicht und es wird auch nie zählen. Ich habe nicht versucht, mich vor dir zu verstecken, also hattest du nicht gewonnen, als du mich gefunden hast – du hast einfach nur herumgeschnüffelt.«
»Du hast dich dort in der Hoffnung hineingeschlichen, den Wein ganz alleine zu verkaufen, also hast du dich vor allen versteckt und damit auch vor mir.«
Sie führten ihren alten Streit fort – nach all diesen Jahren mehr eine nette Übung in Schlagfertigkeit als eine echte Meinungsverschiedenheit –, während sie mit dem Aufzug hinauf zum Kommandodeck fuhren. Nicht, dass er viel zu kommandieren hätte, dachte sich Felix: Er hatte das Kommando über sich selbst, Tib Pelta, Calred und ein paar Drohnen. Die Drohnen befolgten jeglichen Befehl sofort und ohne Widerworte, was zwar angenehm war, abgesehen davon waren sie allerdings keine sonderlich tolle Gesellschaft. Es war kein Leichtes, die Aura von lässiger Führungsstärke auszustrahlen, in die Felix sich am liebsten hüllen wollte, wenn die Mannschaft aus seiner besten Freundin seit Kindheitstagen und einem unerschütterlich kompetenten und schwer zu beeindruckenden hacanischen Soldaten bestand. Das Schiff an sich war ganz nett, aber nichts Besonderes: Die war ein Kreuzer der Freibeuter-Klasse, ein leicht bewaffnetes, schnelles Schiff, das dafür gebaut war, schnell zuzuschlagen und wieder zu verschwinden – diese Art von Gefährt spielte eine entscheidende Unterstützungsrolle in der militärischen Flotte der Mentak-Koalition und stellte den Großteil ihrer inoffiziellen Piratengeschwader dar.
Natürlich gab es auf ihrem abgelegenen Posten wenig Bedarf für Schnelligkeit oder Bewaffnung, leicht oder schwer. Die war hier stationiert, um für die »Verteidigung und materielle Unterstützung« der drei Koloniewelten der Koalition (zwei Planeten und ein Mond eines Gasriesen) in diesem System zu sorgen. Felix und Tib waren auf einer Raumwerftstation in der Nähe des Kerngebiets der Koalition aufgewachsen, und hier draußen im Nirgendwo zu sein, war zermürbend langweilig. Diese Versetzung war sowohl eine Bestrafung als auch eine Beförderung gewesen. Felix hatte als Erster Offizier auf einem Schiff in der Piratenflotte gedient, sich bei einem Überfall durch großen Wagemut und Tapferkeit ausgezeichnet und so Ruhm (und Reichtümer) für die Koalition...




