E-Book, Deutsch, 625 Seiten
Rabelais Gargantua und Pantagruel (Illustrierte Ausgabe)
1. Auflage 2015
ISBN: 978-80-268-4476-1
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klassiker der Weltliteratur: Band 1 bis 5 - Groteske Geschichte einer Riesendynastie
E-Book, Deutsch, 625 Seiten
ISBN: 978-80-268-4476-1
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Gargantua und Pantagruel (Illustrierte Ausgabe)' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Gargantua und Pantagruel ist ein Romanzyklus von François Rabelais. Die beiden Protagonisten Pantagruel, ein junger Riese, und dessen Vater Gargantua sind heute vor allem noch durch die Adjektive pantagruélique und gargantuesque bekannt. Das Werk war also sogleich als unter einem witzigen Pseudonym veröffentlichte Parodie der Gattung Ritterroman und damit als humoristisch erkennbar. Der Erfolg Rabelais' beruht darauf, wie er auf der Stilebene spielerische Ironie und Sarkasmus, derben Witz und pedantische Gelehrtheit, Wortspiele und komisch verwendete echte und fiktive Zitate vermischt; auf der Strukturebene kombiniert er meist knappe, immer wieder die Grenzen zum Phantastischen und Grotesken überschreitende Handlungssequenzen mit längeren Erzähler- und Figurenreden. Die satirische Absicht ist nicht zu übersehen, auch wenn sie sich versteckt, z. B. hinter einer gespielten Naivität. Rabelais wurde denn auch jeweils nach dem Erscheinen der Bände von den konservativen Theologen der Sorbonne attackiert, die in Rabelais den Anhänger eines unorthodoxen, überkonfessionellen Ökumenismus erkannten. François Rabelais (* ca. 1494, vielleicht aber auch schon 1483-1553 in Paris) war ein französischer Schriftsteller der Renaissance, Humanist, römisch-katholischer Ordensbruder und praktizierender Arzt.
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Drey und Zwanzigstes Kapitel.
Wie Gargantuä beym Ponokrates solcher Lehrzucht theilhaft ward, daß ihm nicht eine Stund vom Tag veloren ging.
Als Ponokrates die falsche Lebensart des Gargantua erkannt, beschloß er ihn in seinen Studien anders zu führen: doch übersah ers ihm noch die ersten Tag, in Betracht die Natur nicht ohn grosse Gewalt eine plötzliche Aendrung erleiden mag. Um also desto reiflicher sein Werk zu beginnen, ersucht' er einen gelehrten Arzt derselben Zeit, mit Namen Meister Theodor, darauf zu denken wie man den Gargantua auf bessern Weg geleiten möchte. Selbiger purgirt' ihn kanonisch mit Nieswurz von Anticyra, und reinigt' ihm durch solche Arzney das Hirn von aller Alteration und bösen Gewohnheit. Auch bracht ihm Ponokrates durch dieß nämliche Mittel alles in Vergessenheit was er unter seinen alten Lehrern erlernt hätt: wie Timotheus mit seinen Jüngern thät, wenn sie von andern Meistern in der Musik unterwiesen worden waren. Solches besser ins Werk zu richten, führt er ihn in die Versammlungen der gelehrten Leut ein, die es dort hätt, aus deren Nachahmung ihm der Geist und das Verlangen wuchs auf eine andre Art zu studieren und sich besser herfürzuthun.
Darnach half er ihm dergestalt ins Gleis der Studien, daß er auch nicht eine Stund vom Tag verlor, vielmehr sein ganze Zeit mit edler Kunst und Wissenschaft zubrachte. Es erwacht' demnach Gargantua gegen vier Uhr des Morgens. Während man ihm abrieb, ward ihm eine Seit aus heiliger Schrift laut und vernehmlich hergelesen mit jeden Kapitels schicklichen Fürtrag, und war dazu ein junger Knab aus Basché bürtig angestellt, names Anagnostes. Auf Anlaß und Inhalt selbiger Lektion erging er sich öfters im Gebet, Lob Preis und Danksagungen gegen den guten Gott, deß Majestät und wunderbare Gericht ihm die Schrift offenbaret hätt. Dann begab er sich auf den heimlichen Ort um sich der natürlichen Däunungsmateri zu entladen. Da wiederholet' ihm sein Präceptor was gelesen worden war, und legt' ihm die schwerverständlichsten Punkt aus. Kamen sie dann wieder zurück, so beschauten sie sich den Stand des Himmels, ob er noch war wie sie ihn Abends zuvor gemerkt, in welche Zeichen die Sonn am selbigen Tag einträt, deßgleichen der Mond. Wenn dieß vollbracht war, ward er gekleidet, gestrält, frisirt, geputzt und parfümiret, während deß man mit ihm die Lectiones des vorigen Tages repetirt'; die sagt' er selbst auswendig her, und gab dazu allerley praktische Fäll und Exempel aus dem Weltlauf an, welches mitunter an zwey, drey Stunden währt'; hörten jedoch meist auf damit, sobald er fertig gekleidet war. Darauf ward drey volle Stunden lang mit ihm Lection gehalten. Hierauf gingen sie aus und sprachen dabey vom Inhalt der Lectur, ergötzten sich im Bracken oder auf den Wiesen mit Ballenspiel, dem Handball oder Dreyball, übten eben so weidlich nun den Leib, als sie zuvor die Seelen geübet. Ihr ganz Spiel war nach Lust und Freiheit, denn sie liessen davon ab, wann es ihnen wohlgefiel und hörten gemeinlich zu spielen auf wann sie am Leib von Schweisse trieften oder sonst ermüdet waren. Da wurden sie aufs best getrocknet und abgerieben, zogen frische Hemder an und schlenderten sacht davon, zu sehen ob der Imbiß gar gekocht wär. Während sie nun darauf warteten, sagten sie deutlich und beredsam etliche Sprüche her, so sie aus der Lection behalten. Inzwischen kam Herr Appetit, und setzten sich mit guter Ordnung zu Tisch. Da ward zu Anfang des Essens etwann eine feine Geschichte von alten Heldenthaten verlesen, bis er erst einen Trunk gethan hätt. Dann, wenn es ihm gefällig, fuhr man in der Lectur fort oder fingen auch mit einander lustig zu discurriren an, handelten zuvörderst von Tugend, Kraft, Eigenschaften und Natur alles dessen was ihnen bey Tisch serviret ward: vom Brod, Wein, Wasser, Salz, Fleisch, Fischen, Früchten, Kräutern, Wurzeln und deren Zubereitung. Durch welch Verfahren er in kurzem alle hierauf bezügliche Stellen im Plinius, im Athenäus, Dioskorides, Julius Pollux, Galen, Porphyrius, Oppianus, Polybius, Aristoteles, Heliodorus, Aelianus und vielen andern kennen lernt'. Liessen auch öfters nach solchen Gesprächen zu mehrer Vergewisserung ermelde an Bücher Tafel bringen: dadurch er die gedachten Stück so fein und tief ins Gedächtniß prägt', daß dazumal kein Arzt war, der nur halb so viel davon als er verstanden hätt. Dann sprachen sie von den früh gelesnen Lectionen und endeten ihre Mahlzeit mit einem Quittenlatwerglein; da stört' er sich die Zähn mit einem Mastixstengel, wusch Händ und Augen in schönem frischen Wasser, und brachten Gott in etlichen guten, zum Lobe göttlicher Huld und Milde verfaßten Lieder ihren Dank dar. Wenn dieß vorüber, trug man Karten auf, nicht um zu spielen, sondern daraus viel tausend kleine neue Fündlein und Artigkeiten zu erlernen, die all in die Rechenkunst einschlugen, wodurch er selbige Zahlenweisheit sehr lieb gewann und sich alle Tag die Zeit nach Mittag- und Abendessen damit so angenehm vertrieb, als weiland mit den Würfeln und Karten: auch nebenher sowohl Theorik als alles vom Scheitel bis zum Fuß geharnischt. Auch sonst das kleine Praktik davon so gründlich erfaßt', daß der Engländer Tunstal der ausführlich darüber geschrieben, bekennen mußte, gegen ihn wüßt er nicht mehr davon als vom Hochdeutsch.
Und nicht allein hierinn, sondern auch in den andern mathematischen Scienzien, als Geometri, Astronomi und Musik. Denn während sie die Verdauung und Concoction ihrer Speissen abwarteten, machten sie tausend kleine zierliche geometrische Instrument und Figürlein, praktizirten auch die astronomischen Canones. Nach diesem erlustirten sie sich musikalisch zu vier, fünf Stimmen, oder über ein Thema zu singen was nur zum Hals heraus wollt. Und von musikalischen Instrumenten lernt' er spielen das Spinett, die Laut, die Harf, die deutsche Zwergpfeiff und die neunlöchrige, die Viol und die Baßposaun.
Nachdem man diese Stund also verwandt und die Verdauung vollbracht hätt, purgirt' er sich des natürlichen Ueberlastes, und ging darnach drey Stunden oder länger wieder an sein hauptsächlichs Studium, theils die Morgen-Lection zu wiederholen, sein fürgenommen Buch und Materi auszuführen, theils auch schreibend die alten römischen Lettern zu zeichnen und formiren zu lernen. Wenn er damit fertig, gingen sie aus ihrem Quartir nebst einem jungen Edelmann aus Touraine mit Namen Gymnastes seinem Waffenträger, der lehrt' ihm die Reitkunst. Da verwechselt' er die Kleider und bestieg ein Rennroß, einen Spanier, Holsteiner, Barben, ein leichtes Pferd: dem gab er hundert Carrieren, ließ es voltigiren in Luft, über Pfähl und Gräben setzen, kurz im Kreis traben links und rechts. Da brach er nicht etwann die Lanz, (denn es ist die größte Narrheit von der Welt wenn einer spricht: ich hab zehn Lanzen im Turnier oder Feld gebrochen: ein Schreiner könnts auch thun, wohl aber ists ein feiner Ruhm mit Einer Lanz zehn seiner Feind zerbrochen zu haben.) Er also, mit seiner starken stählernen Lanz' sprengt ein Thor auf, zerspellt' einen Panzer, stutzt' einen Baum, spießt' einen Ring, entführt' einen Rüstsattel, einen Halsberg, einen Handschuh, und dieß Poppenspiel und Gedänzel zu Roß verstund kein Mensch so gut als er, und der Bereiter von Ferrar war nur ein Grasaff gegen ihn. Fürnehmlich war er wohl geübt von einem Pferd schnell auf das andre über zu springen, ohn an die Erd zu streifen, und nannt man solche Pferd Desultorios; die Lanz in der Faust von beiden Seiten aufzusitzen, ohn Stegreif; ohn Zaum nach seinem Willen das Roß zu lenken. Denn solche Wagstuck dienen zur Kriegszucht. Einen andern Tag übt er sich mit der Streit-Axt, die er so wacker ansetzt', so kräftig nach einem jeden Stoß wieder einholt', so geschmeidig im Rundhieb schwenkt', daß er im Feld und allen Proben für einen geschlagenen Ritter galt.
Dann schwang er die Piken, voltirt' mit dem breiten zweyhandigen Schwert, mit dem Bastardschwert, dem spanischen, mit dem kurzen Degen, dem Dolch, mit und ohn Harnisch, mit Schild, im Mantel, mit Rundeln.
Hetzt' den Hirschen, den Rehbock, den Bären, den Damhirsch, den Eber, den Hasen, das Rebhuhn, den Fasan, den Trappen. Schlug den grossen Ballen und prellt' ihn in die Höh sowohl mit Füssen als mit Fäusten.
Rang, lief, sprang, nicht etwa auf drey Schritt einen Sprung, nicht hinkepinke Knapfuß, nicht den Schwabensprung (denn solche Sprüng, meint' Ponokrates, taugten nichts, und wären zu nichts nutz im Krieg) sondern mit einem Satz schnellt' er über einen Graben, flog über einen Zaun, lief sechs Schritt eine Mauer auf, und erklomm also ein Fenster speerhoch.
Schwamm in vollem Strom, grad, rücklings, auf der Seit, mit ganzem Leib, mit den Füssen allein, eine Hand in der Luft, darinn er ein Buch hielt; so rudert' er, ohn daß dies naß ward, über den ganzen Seine-Fluß, und zog seinen Mantel in den Zähnen nach, wie Julius Cäsar: drauf schwang er sich auf einer Hand mit grosser Gewalt in einen Kahn, stürzt sich daraus von neuem ins Wasser, den Kopf voran, sondirt' den Grund, durchstört' die Klippen, taucht in die Strudel und Abgründ unter, drehet' dann den Kahn, und steuert', fuhr jählings, langsam, stromauf, stromunter, hielt ihn an im vollen Schuß, lenkt' ihn mit einer Hand, mit der andern tummelt er ein mächtigs Rudel, strafft' das Segel, stieg auf den Stricken zum Mast hinan, lief aufs Gestäng, justirt' den Kompas, bracht die Bolinen untern Wind, spannt den Helmstock.
Wenn er dann aus dem Wasser kam, lief er mit Macht den Berg hinauf und gleichen Sprunges wieder hinunter, erklettert' die Bäum wie ein Katz, sprang wie ein Eichhorn vom einen zum andern, schlug die grossen Aest herab wie ein anderer Milo, stieg mit zween...




