E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Rätsch / Liggenstorfer Maria Sabina
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-03788-661-8
Verlag: Nachtschatten Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Botin der heiligen Pilze
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-03788-661-8
Verlag: Nachtschatten Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christian Rätsch (1957-2022), Ethnopharmakologe, Referent und Autor, studierte Altamerikanistik und Völkerkunde, erforschte weltweit schamanische Kulturen und deren Gebrauch psychoaktiver Pflanzen. Roger Liggenstorfer ist Gründer und Geschäftsleiter des Nachtschatten Verlags. In seiner verlegerischen Tätigkeit spezialisiert er sich auf Publikationen zur Drogenaufklärung. Er ist Mitbegründer verschiedener drogenpolitischer Organisationen und Initiativen, so u.a. der DroLeg, Verein für eine vernünftige Drogenpolitik, Hanfkoordination, Eve&Rave Schweiz (Begründer und Präsident von 1996 - 2006). Er ist Mitglied des ECBS (Europäisches Collegium für Bewusstseinstudien), Gründer des Uhuru-Weltmusikfestivals bei Solothurn, Mitinhaber der 1. Absinthe-Bar der Schweiz, Die Grüne Fee in Solothurn. Diverse Buch-Publikationen als Autor und Herausgeber und Texte in Fachzeitschriften.
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Albert Hofmann
Meine Begegnung mit María Sabina
Wenn man sich in die Lebensgeschichte der indianischen Schamanin oder (»Heilerin«) María Sabina vertieft, die im vorliegenden Buch lebendig dargestellt ist, wird man in eine fremdartige Welt, in eine abgelegene Gegend in den südlichen Bergen Mexikos, versetzt, die von der Wirklichkeit, in der wir Menschen in der europäischen Industriegesellschaft leben, zutiefst verschieden ist. Es sind ganz andere soziale Verhältnisse, eine andere Glaubens- und Gedankenwelt, andere Wertmaßstäbe, die das Leben dieser einfachen Indianerfrau bestimmt haben. Schon als Kind mußte sie körperlich hart arbeiten, um überleben zu können; sie hat nie eine Schule besucht und konnte daher weder lesen noch schreiben. Als kleines Mädchen aß sie, innerer Eingebung folgend, die »heiligen Pilze«, die schon ihre Vorfahren um Rat angefragt und um Hilfe gebeten hatten. So wuchs sie in das Amt einer »weisen Frau«, einer Medizinfrau und Priesterin im altindianischen Pilzkult hinein, gelangte als solche bei ihren Landsleuten zu hohem Ansehen und wurde im Alter noch weit über die Landesgrenzen von Mexiko hinaus bekannt und berühmt.
Bei aller Verschiedenheit und Fremdartigkeit des kulturellen Rahmens und im individuellen Lebenslauf der María Sabina entdeckt man bei ihr aber auch uns vertraute, offenbar allen Menschen gemeinsame Wesenszüge, ein Sehnen und Suchen nach einer besseren Welt. Die Fremdartigkeit auf der einen Seite und die Verbundenheit im gemeinsamen Menschlichen und auch Allzumenschlichen auf der anderen Seite machen die Lebensgeschichte dieser mexikanischen Schamanin zu einer spannenden, auch für uns geistig bereichernden Lektüre.
Die Verwendung von gewissen Pilzen im Rahmen von religiösen Zeremonien und magisch bestimmten Heilpraktiken bei den Indianern Mittelamerikas reicht weit in die präkolumbianische Zeit zurück. Hinweise dafür liefern sogenannte Pilzsteine, die in Guatemala, in El Salvador und in den anschließenden gebirgigen Gegenden Mexikos gefunden worden sind. Es handelt sich dabei um Steinplastiken von der Form eines Hutpilzes, in dessen Stiel das Antlitz oder die Gestalt eines Gottes oder tierartigen Dämons eingemeißelt ist. Die meisten haben eine Größe von ungefähr 30 Zentimetern. Die ältesten Exemplare werden von den Archäologen bis in das 5. Jahrhundert v. Chr. zurückdatiert. Daraus kann man schließen, daß der Pilzkult, der magisch-medizinische und der religiös-zeremonielle Gebrauch der Zauberpilze, über zweitausend Jahre alt ist.
Alle die ungezählten Vorgänger und Vorgängerinnen von María Sabina im Amt des Pilzkultes sind unbekannt geblieben. In den Chroniken der spanischen Mönche und Naturalisten aus dem 16. Jahrhundert, die bald nach der Eroberung von Mexiko durch HERNAN CORTÉZ ins Land kamen, in denen man die ersten schriftlichen Angaben über den Gebrauch der »heiligen Pilze« findet, sind wohl einige Namen von Indianern, die solche Pilze verwendeten, angeführt. Sie werden im Zusammenhang mit Prozessen genannt, die gegen Personen, die dem Pilzkult huldigten, geführt wurden, denn die Verwendung der Zauberpilze wurde von den christlichen Missionaren als »Teufelswerk« verdammt und verfolgt. So wurde denn der den Indianern heilige Pilzkult in den Untergrund verdrängt, blieb aber dort, den Augen des weißen Mannes verborgen, im geheimen bis in unsere Tage erhalten. Erst in der Mitte unseres Jahrhunderts entdeckten amerikanische Forscher das geheime Weiterbestehen eines zeremoniellen Gebrauchs gewisser Pilze in den südlichen Bergen Mexikos.
Die Strukturformeln der Pilzwirkstoffe in Albert Hofmanns eigener Handschrift.
Die umfassendsten Untersuchungen über den heutigen Gebrauch des , wie die aztekische Bezeichnung für die Zauberpilze lautet, die mit »göttlicher Pilz« übersetzt werden kann, verdankt man dem Forscherehepaar Dr. VALENTINA PAWLOVNA und R. GORDON WASSON. Es war nun die schicksalshafte Bestimmung von María Sabina, in den Blickpunkt dieser modernen ethnomykologischen Forschung zu geraten. Sie war es, die, aus was für Gründen auch immer, das Geheimnis um die heiligen Pilze lüftete, indem sie den Fremden Zutritt zu nächtlichen Pilzzeremonien gewährte. Aus ihrer Hand erhielten R. GORDON WASSON und sein Fotograf ALAN RICHARDSON in Huautla de Jiménez, einer Ortschaft in der mexikanischen Provinz Oaxaca, in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1955 im Rahmen einer solchen Zeremonie, sehr wahrscheinlich als erste Weiße, den heiligen Pilz zu essen. Durch die daraufhin folgenden Publikationen der WASSONS in Büchern und Zeitschriften über die mexikanischen Zauberpilze wurde María Sabina weitherum berühmt.
»Die entheogene Droge Psilocybin war durch Albert Hofmann aus María Sabinas Pilzen isoliert worden. LSD, ein halbsynthetisches pilzliches Entheogen, war von Hofmann, der etwas ganz anderes gesucht hatte, 12 Jahre bevor Wasson den Schleier des heiligen Mysteriums in México gelüftet hatte, entdeckt worden. Beide Drogen zusammen wurden zu den wichtigsten Wegbereitern einer weltweiten anachronistischen Wiedergeburt archaischer Religionen, von der die westliche Gesellschaft bis in ihren Kern erschüttert wurde.«
JONATHAN OTT
(1995a: 11)
Ich lernte diese außergewöhnliche Frau schon zu der Zeit persönlich kennen, als ihr Name noch nur einem kleinen Kreis bekannt war. Diese Bekanntschaft verdanke ich, wie so vieles andere, Erfreuliches und Unerfreuliches, letztendlich der Entdeckung von LSD, eines das Erleben der äußeren und inneren Welt zutiefst verändernden Wirkstoffes. Um das zu erklären, muß ich weiter ausholen und zuerst erzählen, wie ich als Chemiker in die Erforschung der mexikanischen Zauberpilze einbezogen wurde.
Nachdem die WASSONS bei ihren völkerkundlichen, auf die Rolle und Bedeutung der Pilze in den verschiedenen Kulturen spezialisierten Studien auf den mexikanischen Pilzkult gestoßen waren und die magischen Wirkungen des an sich selbst hatten erfahren können, beschlossen sie, die Zauberpilze auch einer naturwissenschaftlichen Untersuchung zuzuführen. Zu diesem Zweck traten sie mit einem bekannten Pilzforscher, dem Mykologen Professor ROGER HEIM, Direktor des Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris, in Verbindung. HEIM begleitete die WASSONS auf weiteren Expeditionen in das Mazatekenland und führte die botanische Bestimmung der heiligen Pilze durch. Er fand, daß es größtenteils noch nicht beschriebene Blätterpilze der Gattung waren. HEIM ließ die Pilze in verschiedenen Laboratorien chemisch untersuchen. Nachdem es nirgends gelungen war, das wirksame Prinzip zu isolieren, fragte er auch noch in den pharmazeutischchemischen Forschungslaboratorien der Sandoz in Basel an, ob wir Interesse hätten, die Untersuchungen fortzuführen. Er hoffte, daß in den Laboratorien, in denen ich das LSD entdeckt hatte, das ähnliche Wirkungen auf die menschliche Psyche entfaltet wie die Zauberpilze, dank der dort vorhandenen Erfahrungen mit dieser Art Wirkstoffe es doch noch gelingen könnte, das Problem zu lösen. Auf diese Weise zog das LSD die mexikanischen Zauberpilze in mein Laboratorium.
Tatsächlich gelang es mir und meinem Laborassistenten HANS TSCHERTER in verhältnismäßig kurzer Zeit, das psychisch wirksame Prinzip aus den Pilzen zu extrahieren und in Form von zwei farblosen kristallisierten Substanzen, die ich Psilocybin und Psilocin nannte, zu isolieren. In der Folge konnte ich mit meinen Mitarbeitern diese beiden Wirkstoffe auch ohne Zuhilfenahme der Pilze im Glaskolben synthetisch herstellen. Anstatt ein halbes Dutzend der bitter schmeckenden Pilze zu essen, genügt die Einnahme von etwa 0,01 Gramm Psilocybin, um die gleichen Veränderungen im Erleben der äußeren und inneren Welt hervorzurufen.
Die Aufklärung der naturwissenschaftlich-chemischen Seite des Zauberpilze-Problems brachte mich in persönliche Verbindung mit GORDON WASSON. Er lud mich ein, an der Erforschung von weiteren mexikanischen Zauberdrogen mitzuwirken. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit reisten meine Frau und ich im Herbst 1962 nach Mexiko, um an einer Expedition ins Mazatekenland, die WASSON vorbereitet hatte, teilzunehmen.
Nach einem zweiwöchigen abenteuerlichen Ritt über die Berge der Sierra Mazateca kamen wir am Schluß unserer Expedition auch noch nach Huautla de Jiménez. Es konnte nicht ausbleiben, daß wir hier María Sabina aufsuchten, die abgelegen am Berghang außerhalb der Ortschaft wohnte. Das Haus, in dem fünf Jahre vorher die historische Pilzzeremonie mit WASSON und RICHARDSON stattgefunden hatte, war abgebrannt. In ihrer neuen Hütte, in der wir uns nun mit María Sabina befanden, herrschte, wie wahrscheinlich auch damals in der alten, eine unvorstellbare Unordnung, in der sich halbnackte Kinder unter Hühnern und Schweinen tummelten. María Sabina war damals Anfang Sechzig, doch ihr gelbbraunes, schon etwas verrunzeltes Gesicht mit den dunklen, tiefliegenden, eng beieinanderliegenden Augen und...




