E-Book, Deutsch, 248 Seiten
Ramb / Zaborowski Helden und Legenden
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8353-2791-7
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
oder: Ob sie uns heute noch etwas zu sagen haben
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-3-8353-2791-7
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
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Martin W. Ramb, geb. 1969, studierte Philosophie, Andragogik und Theologie in Vallendar und Bonn. Als Schulamtsdirektor i. K. leitet er die Abteilung Religionspädagogik im Bischöflichen Ordinariat Limburg und ist Chefredakteur des Bildungsmagazins »Eulenfisch'. Holger Zaborowski, geb. 1974, studierte Philosophie, Theologie, Latein und Griechisch in Freiburg i. Br., Basel und Cambridge und promovierte in Oxford und in Siegen. Nach Zwischenstationen in Freiburg und Washington, D. C., ist er seit 2012 Professor fu?r Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Philosophie der Neuzeit, Ethik, Religionsphilosophie und politischen Philosophie.
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LUKAS BÄRFUSS
Die schwarze Halle
Frau Hoffmann, was haben Sie mir mitgebracht.
Einige Fragen, Hot Berry.
Nichts weiter.
Was haben Sie erwartet.
Alles, Frau Hoffmann, ich erwarte immer alles.
Vergangene Woche hat der Staatsanwalt formell Klage gegen Sie erhoben. Er wirft Ihnen Steuerbetrug in Millionenhöhe vor. Wie sehen die Grundzüge Ihrer Strategie aus.
Welche Strategie.
Wie werden Sie sich verteidigen.
Ich verteidige mich nicht. Ich habe mich noch nie verteidigt.
Ihnen drohen sechs Jahre Gefängnis.
Keine Sorge, Frau Hoffmann, mir droht gar nichts.
Man hat in den letzten Jahrzehnten wiederholt versucht, Sie des Betrugs, der Gründung einer kriminellen Organisation, der Nötigung und des sexuellen Missbrauchs zu überführen. Jedes Mal vergeblich. Ihre Organisation und Sie selbst waren bis anhin unantastbar. Und nun könnten Sie wegen einiger Steuermillionen die nächsten Jahre hinter Gitter verbringen. Man fragt sich, warum Hot Berry nicht einfach seine Steuerrechnung bezahlt.
Weil ich niemandem nichts schulde, Frau Hoffmann.
Das heißt, Sie haben Ihre Steuern beglichen.
Hören Sie nicht zu. Ich habe keine Schulden. Wie könnte ich begleichen, was ich nicht schulde. Wenn man mir den Vertrag zeigt, auf dem meine Unterschrift steht, wenn man mir den Schuldschein präsentiert, mit dem ich irgendeine Verpflichtung eingegangen bin, dann werde ich gerne meine Obliegenheiten regeln.
Steuern werden voraussetzungslos geschuldet. Das müsste Ihnen bekannt sein.
Eine voraussetzungslose Schuld. In die man geboren wird und von der man sich nie befreien kann. Ich dachte, unsere Gesellschaft hätte dieses Stadium überwunden.
Der Staat braucht Mittel, um die Infrastruktur zu unterhalten, Infrastruktur, auf die auch Sie angewiesen sind, Straßen, Wasserleitungen, die Gehälter für das öffentliche Personal.
Wie können Sie wissen, worauf ich angewiesen bin, Frau Hoffmann. Wie lange kennen wir uns. Ich habe nicht um diese Dinge gebeten. Nicht um Wasserleitungen, nicht um Straßen. Um gar nichts habe ich gebeten.
Sie haben Bücher geschrieben über die emanzipatorische Kraft der Armut, über das wahre Glück, über die innere Befreiung. Doch offensichtlich sind Sie selbst nicht frei von niederen Trieben.
Was sind niedere Triebe.
Gier zum Beispiel.
Ich werde Ihnen sagen, was passiert ist. Dieser Staat, der sich an die Stelle der alten Götter gesetzt hat, kommt und verlangt Geld. Ich sage: Ich anerkenne dich nicht. Ich werde dir nicht opfern. Der Staat, dieser Götze, sagt: Du musst bezahlen. Ich sage: Gut, ich werde die Schuld begleichen, wenn du mir sagst, wie ich mich verpflichtet habe. Der Staat antwortet: Du hast dich nicht verpflichtet, du bist verpflichtet. Und ich sage: Zeige mir wenigstens den Schuldschein, den Vertrag, unter den ich meine Unterschrift setzte. Das ist mein gutes Recht. Und der Staat, dieser große Gott, antwortet: Es gibt keinen Vertrag, es gibt keinen Schuldschein. Und ich frage: Warum sollte ich also das Opfer bringen. Und der Staat entgegnet: Weil wir dich sonst büßen. Weil du sonst ins Gefängnis wanderst. Weil wir dich mit Schande überhäufen. Mit welchem Recht, frage ich. Und als Antwort erhalte ich: Mit dem Recht des Stärkeren. Bin ich gierig, weil ich dieses Unrecht nicht anerkenne. Dann bin ich gerne gierig.
Sie haben diese Welt nicht leer vorgefunden. Sie leben von den Leistungen der Generationen vor Ihnen. Sollten nicht auch Sie etwas zurückgeben.
Ich gebe nicht, Frau Hoffmann, ich nehme nur.
Und Sie nehmen eine ganze Menge. Auf dem Weg zu Ihnen bin ich an riesigen Hallen vorbeigekommen, gefüllt mit gebrauchten Gütern des täglichen Lebens. Fernsehgeräte, Teppiche, Autos, Geschirr. Eine Halle, zum Beispiel, durfte ich besuchen, da lagen in schweren Kisten nichts als Orangenpressen, in einer anderen stapeln sich Wäschetrockner, ferner allerhand Sportgeräte wie Skier, Tennisschläger, Bein- und Armschoner aller möglichen Disziplinen, daneben Schraubenzieher, Lötkolben, Mikroskope, und, sehr berührend, einige Hallen voller Teddybären und Kuscheldecken. Hot Berry, warum bringen Ihnen die Menschen ihr gesamtes Hab und Gut.
Weil ich nicht frage. Weil ich nicht prüfe. Weil ich alles nehme, jeden Dreck und jede Schande.
Man bringt nicht nur Dreck. Ich sah auch eine Halle voller Preziosen, Diademe, Hochzeitsringe, Krawattennadeln.
Das ist der größte Dreck. Was man Ihnen wegnehmen könnte. Worauf Sie aufpassen müssen, jeden Tag und jede Stunde.
Womit werden die Menschen für diese Geschenke entschädigt.
Geschenke, Frau Hoffmann, das sind keine Geschenke. Mit Geschenken macht man Sklaven. Für jedes Geschenk erwartet man ein Gegengeschenk, und dafür ein Gegengegengeschenk, und immer so weiter, ad infinitum.
Was ist Ihre Gegenleistung.
Ich verstehe nicht.
Was erhalten die Menschen von Ihnen.
Nichts.
Sie gehen leer aus.
Was verstehen Sie daran nicht, Frau Hoffmann.
Ich verstehe nicht, warum ein vernünftiger Mensch auf seinen hart erarbeiteten Besitz verzichtet, wenn er ganz und gar leer dabei ausgeht.
Genau deshalb. Um leer auszugehen.
Man hat gehört, dass man Ihnen alles, das ganze Vermögen überlassen muss. Einzelne Teile würden Sie nicht akzeptieren.
Wie gesagt, ich nehme alles. Ich frage nicht.
Ich kann Ihnen also zum Beispiel mein altes Frittieröl bringen.
Sie dürfen gerne damit anfangen, Frau Hoffmann. Die meisten, die zu mir kommen, beginnen mit dem Leichten.
Und überschreiben Ihnen schließlich den ganzen Besitz, das ganze Vermögen, bis sie dastehen im Unterhemd.
Es standen tatsächlich viele Menschen nackt vor mir, genau an der Stelle, wo Sie jetzt stehen. Und es ging ihnen nicht schlecht dabei, das kann ich Ihnen versichern.
Sie predigen Besitzlosigkeit – und gehören selbst zu den Reichsten unter den Reichen.
Ich predige nicht, Frau Hoffmann, ich habe nie gepredigt.
Das Material, das Sie den Menschen abnehmen, verscherbeln Sie zu Schleuderpreisen und machen damit weltweit die Märkte kaputt. Zum Schaden der normalen Geschäftsleute, die ihre Ware nicht geschenkt bekommen, sondern kaufen müssen. Ist das gerecht.
Sind das Ihre Fragen, Frau Hoffmann. Sind Sie wirklich deswegen gekommen. Um mich der Scharlatanerie zu überführen, der Lüge und der Heimtücke. Sind Sie gekommen, um Hot Berry die Maske des Menschenfreundes vom Gesicht zu reißen, um der Welt zu zeigen, welche Fratze sich hinter diesem ungemein liebevollen Lächeln verbringt. Das war doch stets Ihre Aufgabe, nicht wahr. Sie haben Georg Brandt getroffen und geknackt, Sie haben William Cage getroffen und geknackt, die Dietrich, so hat man mir erzählt, hätten Sie nach vierundzwanzig Minuten geknackt gehabt, und das im Alter von keinen fünfundzwanzig Jahren. Ihr Ruf als Knackerin ist unerreicht. Monumente haben Sie vom Sockel gerissen, den Mächtigen die Maske vom Gesicht. Die Kollegen nennen Sie den Nussknacker, habe ich recht, weil Sie alle Widerstände überwinden, jeden Trick durchschauen. Und jetzt also, Frau Hoffmann, habe ich diesen Soldaten zu erwarten, der mich zwischen seine Kiefer nehmen und mich der Schale entledigen wird, die mich geschützt hat ein Leben lang, bis zur Erstarrung, zur Versteinerung. Sind Sie wirklich gekommen, um mich mit anfänglich harmlosen Fragen einzulullen, wie Sie es mit Maréchal gemacht haben, diesem...