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E-Book, Deutsch, 247 Seiten

Rapic Geld

Eine symbolische Realität?
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-11-162344-3
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine symbolische Realität?

E-Book, Deutsch, 247 Seiten

ISBN: 978-3-11-162344-3
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



The chapters in this volume investigate the symbolic character of what is still an insufficiently defined payment method – money – from an interdisciplinary perspective. Different viewpoints from philosophy, economics, cultural theory, and the social sciences are brought into dialogue with each other against the backdrop of recent developments like digital and crypto currencies.

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Zielgruppe


Literaturwissenschaftler*innen, Kulturwissenschaftler*innen, Phil


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Wann ist das Geld „wirklich“? Macht es uns etwas aus, wenn es unwirklich wird?


Colin Crouch

Gemäß der Analyse von Karl Marx ist das Geld das „allgemeine Äquivalent“ in einer kapitalistischen Gesellschaft. Der Wert von allem, was wir haben, kann in Geld ausgedrückt werden, und das ermöglicht es, die Werte aller Güter miteinander zu vergleichen. Wenn sie keinen Preis haben, zählen sie nichts: Das gilt auch für die tiefsten menschlichen und (wie wir heute erkennen) natürlichen Anliegen. Wir können die Terminologie von Ferdinand de Saussure von signifiant und signifié hierauf applizieren.1 Das Geld (le signifiant) bringt den Wert von abstrakten oder physischen Gütern (les signifiés) zum Ausdruck. Le signifiant ,ist‘ aber kein signifié, sondern ein Stellvertreter. Deshalb gibt es immer eine Lücke, eine Kluft zwischen beiden. Eine ähnliche Auffassung, die allerdings von einem ganz anderen Ausgangspunkt aus entwickelt wird, vertritt Suzanne de Brunhoff mit ihrer marxistischen Theorie des Geldes.2 In ihrer Sicht ist das Geld kein einfaches Äquivalent der Waren, deren Wert es repräsentiert, weil es drei Rollen habe: eines Maßstabs des Werts, eines Mediums des Güterverkehrs und des allgemeinen Äquivalents.

Dies führt auf drei Fragen:

  1. Wie weit sollte die Rolle des Geldes ausgedehnt werden, wenn es immer eine Kluft zwischen signifiant und signifié geben muss?

  2. Wie leistungsfähig ist das Geld als allgemeines Äquivalent?

  3. Wie können wir Dinge, die uns teuer sind, die aber keinen monetären Wert haben, beschützen?

1 Die Rolle des Geldes


Man muss gleichermaßen über das Geld und den Markt sprechen. Das Geld wird wirksam, wenn es auf den Markt tritt; nur der Wert von Gütern auf dem Markt gibt ihm eine kalkulierbare Bedeutung.

Gibt es Dinge, die man mit Geld nicht kaufen kann – zum Beispiel die Liebe, das Glück, den gemeinschaftlichen Geist? Für die allermeisten Menschen ist dies eine rhetorische Frage. Natürlich, würden sie antworten, müssen wir Elemente des Lebens jenseits des Geldes und dementsprechend des Marktes halten, weil das Eindringen des Geldes und damit der Idee der Kalkulierbarkeit vieles zerstören oder zumindest beschmutzen würde. Die Liebe ist wahrscheinlich das erste Beispiel, das genannt würde. Selbst viele Wirtschaftswissenschaftler gehen davon aus, dass das Geld und der Markt nicht alles regeln können. Die Ordoliberalen, ansonsten entschiedene Befürworter des Marktes, glaubten, dass Arbeiter Teile ihres Lebens außerhalb seiner Reichweite verbringen sollten, weil ihr Leben andernfalls unerträglich würde.3 Es ist ein wichtiger Differenzpunkt zwischen den ursprünglichen deutschen und österreichischen Ordoliberalen auf der einen Seite und den zeitgenössischen (insbesondere amerikanischen) Neoliberalen auf der anderen, dass die Letzteren glauben, dass es allen Lebensbereichen zugutekäme, wenn sie unter Marktregeln gebracht würden.

Ein frühes Beispiel dieser Tendenz war das Werk von Gary Becker über die Familie.4 Nach Becker kann man alle Aspekte des Familienlebens als Austauschrelationen betrachten; wenn etwas ausgetauscht wird, könne man ihm einen Wert geben: einen Tauschwert. Und ein Tauschwert kann leicht monetarisiert werden. Richard Posner ging noch weiter: Er plädierte dafür, einen Markt für ungewollte Kinder zu schaffen.5 Es solle erlaubt werden, dass Mütter ihre ungewollten Kinder an Ehepaare, die Kinder adoptieren wollen, verkaufen. Auf diese Weise, argumentiert Posner, könne den Mangel an Kindern für Adoptionen behoben werden. Posner ist keine Randfigur. Er ist ein wichtiger Vertreter des US-amerikanischen Law and Economics-Schule, die er als Professor an der Universität Chicago mit begründete, und war Richter an einem Berufungsgericht. (Man muss aber im Auge behalten, dass er nach der Finanzkrise von 2008 viele seiner früheren neoliberalen Überzeugungen revidiert hat.)

Warum wehren wir uns gegen solche Argumente? Es ist wichtig, dass wir diese Frage rational beantworten. Relevant sind die folgenden drei Antworten:

  • (1.) Wir lehnen die Rolle des Geldes und des Markts häufig dort ab, wo ihr Eindringen nach unserer Überzeugung etwas Wichtiges beschädigen würde. Es ist nicht nur so, dass bestimmte Dinge im wörtlichen Sinne von unschätzbarem Wert sind; etwas, das man wertschätzt, kann bereits dadurch ‚entwertet‘ werden, dass es mit Geld in Berührung kommt. Wenn man sagt, dass eine Beziehung auf Liebe gebaut ist, so meint das, dass die Partner nie ausrechnen, ob sie durch das Geben und Nehmen in der Beziehung gewinnen oder verlieren. Wenn Berechnung hinzutritt, schwindet die Liebe. Ähnlich steht es mit der Loyalität: Wenn Fußballfans oder Mitglieder einer politischen Partei ihre ‚Treue‘ verkünden, erklären sie, dass sie unter allen Umständen ‚treu‘ bleiben werden, ob das Objekt ihrer Loyalität nun gewinnt oder verliert. Es gibt einen Unterschied zwischen Unterstützern, die treu sind, und jenen, deren Unterstützung erfolgsabhängig ist. Wir können diesen Unterschied nur verstehen, wenn wir davon ausgehen, dass bestimmte Lebensbereiche außerhalb der Reichweite des Geldes bleiben.

    Eine andere Art der Beschädigung, die der Einfluss des Geldes menschlichen Werten zufügen kann, tritt ein, wenn Werte wie die Rechtsfindung einer Überprüfung ihres monetären Werts unterzogen werden. Ein schreckliches Beispiel hierfür kam im Vereinigten Königreich im Sommer 2023 ans Licht. 2006 wurde Andrew Malkinson zu lebenslanger Haft wegen brutaler Vergewaltigung verurteilt. Er war jedoch unschuldig. Drei Jahre nach seiner Verhaftung fand die Polizei auf der Kleidung des Opfers Spuren der DNA eines anderen Mannes. Damit wurde klar, dass der falsche Mann verurteilt worden war. Von dieser Entdeckung erfuhren mehrere britische Justizbehörden. Sie kamen allerdings zu dem Schluss, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens sehr kostspielig würde und eine Kosten/Nutzen-Analyse solche Ausgaben nicht rechtfertige, nur um die Zukunft eines Mannes zu retten. Diese Justizbehörden standen unter dem Druck der britischen Regierung, öffentliche Ausgaben zu reduzieren, um die Steuern senken zu können. Die Evidenz blieb dreizehn Jahre lang geheim, bis eine Kampagne der Freunde des Mannes endlich Erfolg hatte.

    Für uns stellt sich damit die Frage: Sollte die Rechtsfindung einen in Geld messbaren Preis haben, oder gehört sie zu den Aspekten des Lebens, deren Wert nicht in Geld gemessen werden kann? Es gibt viele ähnlich gelagerte Beispiele in anderen Lebensbereichen.

  • (2.) Es kann externe Faktoren geben, die so groß sind, dass sie nicht berechenbar bzw. kalkulierbar sind. Die neoliberale Wirtschaftswissenschaft kann externe Faktoren nur in geringem Maße berücksichtigen, zum Beispiel dort, wo es möglich ist, den Gewinn eines Verursachers von Umweltverschmutzung mit dem Schaden der Opfer zu vergleichen. Laut den Neoliberalen sollten die Opfer bereit sein, den Verursacher für seine finanziellen Verluste zu entschädigen, wenn sie von ihm verlangen, die Umweltverschmutzung zu beenden. Wenn sie dies nicht tun wollen, bedeutet das, dass ihr Schaden geringer ist als der Gewinn des Verursachers. Gemäß der neoliberalen Theorie tragen sowohl der Geschäftsgewinn als auch der Umweltschutz zur allgemeinen Wohlfahrt bei. Wenn beides einander zuwiderläuft, soll der Konflikt durch eine monetäre Messung gelöst werden. Für die Neoliberalen ist es kein Problem, wenn die Unternehmen reich und die Opfer arm sind. Es gibt aber zwei Szenarien, mit denen ihr Modell nicht zurechtkommt: (i) die Opfer sind keine überschaubare Gruppe, sondern eine Vielzahl von Menschen, die in die Tausende oder Millionen geht; (ii) der Schaden ist so groß, dass man ihn nicht messen kann. Die Klimakrise ist für beides das beste denkbare Beispiel. Auch wenn es theoretisch möglich sein sollte, die finanziellen Schäden der globalen Umweltverschmutzung mit dem monetären Gewinn aller ihrer Verursacher zu vergleichen, lässt sich dies nicht bewerkstelligen, weil das Ende des menschlichen Lebens in die Rechnung einbezogen werden müsste. Es ist daher nicht verwunderlich, dass unter den Leugnern der Klimakrise viele neoliberale Ökonomen zu finden sind.

  • (3.) Eine monetäre Kalkulation kann normalerweise nur kurzfristige Aspekte einer Kosten/Nutzen-Analyse klären und muss langfristige vernachlässigen, weil diese nicht klar vorhersehbar sind. Die Klimakrise ist hierfür wieder das beste Beispiel; es gibt aber auch viele andere. Ein weniger dramatisches, aber nicht unwichtiges Beispiel ist der sogenannte social investment welfare state. Die Befürworter dieses Konzepts6 argumentieren, dass öffentliche Aufwendungen für Bildung, Weiterbildung, Kinderbetreuung, Schulungen für Arbeitslose und andere Elemente wohlfahrtsstaatlicher Politik als Investitionen und nicht bloß als Ausgaben zu betrachten sind, weil sie langfristig volkswirtschaftlichen Gewinn bringen. Diese Argumentation ist von mehreren Regierungen akzeptiert worden, sieht sich aber immer wieder dem Einwand...


Smail Rapic, Bergische Universität Wuppertal, Deutschland.

Smail Rapic, Bergische University Wuppertal, Germany.



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