Rathgeb | Maler Friedrich | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Rathgeb Maler Friedrich


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-949203-76-3
Verlag: Berenberg Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-949203-76-3
Verlag: Berenberg Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Natur und Mensch: Damit ist es nicht gut ausgegangen, und Caspar David Friedrich hat das Malheur schon gemalt. Ausgerechnet Friedrich? Eberhard Rathgeb zeigt, warum dieser verschlossene und universal denkende Künstler heute, da Natur auch Angst macht, seine Aura mächtiger denn je entfaltet. Was waren die Lebensumstände des schon zu seiner Zeit berühmten und umstrittenen Malers, Hauptfigur der deutschen Romantik, aus der er zugleich herausfällt - weshalb er besonders intensiv leuchtet?? Dieses Buch erzählt das Leben des Künstlers und erklärt die Wirkung seines berühmten inneren Blicks, mit dem er bis heute berührt und verunsichert.

Eberhard Rathgeb wurde 1959 in Buenos Aires geboren und kam als Kind mit seiner Familie nach Deutschland, wo er heute im Norden auf dem Land lebt. Für seinen ersten Roman »Kein Paar wie wir« wurde er mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Es folgten weitere Romane sowie Sachbücher, zuletzt »Zwei Hälften des Lebens. Hegel und Hölderlin. Eine Freundschaft« (2019) und »Die Entdeckung des Selbst. Wie Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard die Philosophie revolutionierten« (2022, beide Blessing).
Rathgeb Maler Friedrich jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


4


Selbstporträts sind ein möglicher Weg für eine erste Selbstvergewisserung, und vielleicht auch eine Form des Bekenntnisses. Bei diesen Versuchen hat Friedrich sich selbst in der Hand, deren Vermögen von seinen Fähigkeiten begrenzt ist. Aber wie er sich sieht oder sich sehen möchte, das kommt aufs Papier.

Ein Porträt um 1800 zeigt einen jungen Mann mit leicht zur Seite gewandtem Kopf und großen Augen, ganz so, als wundere er sich über etwas, lasse sich aber davon oder von seinem Gegenüber nicht überrumpeln. Er sieht aus wie einer, der sich zu wehren weiß, er macht einen eigensinnigen und unberechenbaren Eindruck, als könnte ihm eine direkte Bemerkung rausrutschen, auch eine, die verletzen kann, eine Beleidigung. Er ist jung und hat offensichtlich noch nicht den Platz in der Welt eingenommen, der ihn ruhig und zurückhaltend werden lässt. Das Staunen beherrscht ihn, wie überall dort, wo die Empfindsamkeit durch die Wirklichkeit herausgefordert ist und ein Mensch sich orientieren muss. Sein Mund ist voll und weich, nicht verbissen und verkniffen, was nur dem gelingt, der genug Selbstvertrauen besitzt, dass er seinen Weg finden wird. Der wache Blick ist durch quälende, übermäßige Lektüre nicht abgestumpft und müde geworden, so wie die ganze Physiognomie des jungen Mannes, die Kontur seines Gesichts, eine deutliche Abwehr gegen das trostlose Grau der Gelehrtenwelt zu erkennen gibt und eine viel größere Nähe zum Reichtum der Anschauungen verrät. Er sucht das Unmittelbare, Sinnliche, nicht das Vermittelte.

Ein anderes Mal, datiert um 1802/03, sitzt ein junger Mann, immer noch ohne Backenbart, an einem Tisch vor einer Zeichnung. Er stützt den Kopf in die rechte Hand, die den Zeichenstift hält, und schaut verträumt aus dem Fenster, als könnte für sein Gefühl auf diese leise Weise der ganze Tag vergehen, ohne dass er sich deswegen grämen würde. Die Gedanken, denen er nachhängt, stimmen ihn zufrieden und er scheint darüber den Rest der Welt zu vergessen. Er sieht friedlich aus und möchte am liebsten in Ruhe gelassen werden, damit er Zeit für sich hat. Er hat sich ganz nahe an den Tisch herangerückt, als wollte er sich einigeln. Sein linker Arm liegt schwer auf dem Papier, als wäre sein Tagwerk abgeschlossen. Die Anforderungen der Realität hat er beiseitegeschoben, er sucht sich mit der Welt auf eine Art zu verbinden, bei der nicht Arbeit und Forschung maßgeblich sind, sondern Träumen und Sinnen, er möchte sich in sich selbst und in eine Anschauung versenken, ohne einem Zweck, einer Absicht zu folgen. Der Blick ist wehmütig, wie bei Verliebten, die nicht zusammen sind, aber aneinander denken. In seinem Gefühlsüberschwang könnte der junge Mann mit dem weichen Gesicht Gedichte schreiben. Dafür würde er die richtigen Wörter finden, er müsste nicht viel machen, sie fielen ihm zu, durch das Fenster, das nicht nur den Blick nach draußen öffnet, sondern auch nach innen. Träte jetzt ein Besucher ins Zimmer, der junge Mann würde nicht aufmerken, und wenn, er würde wie aus einem Tagtraum erwachen und sich verwundert umsehen.

Auf einem weiteren Porträt, datiert vom Künstler auf den 8. Mai 1802, trägt er eine Mütze und eine Visierklappe, die er zum besseren Sehen, zum Fixieren von Dingen und Details beim Zeichnen in der Natur verwendet. Er ist frontal zu sehen. Der aufmerksame, durchdringende Blick aus dem freien großen Auge ist streng und unerbittlich geradeaus gerichtet, wie bei einem Jäger, dem kein Tier in der nebeligen Morgendämmerung auf der Lichtung entgehen soll. Dieser junge Mann lässt sich nichts sagen, er prüft die Dinge von seinem Gesichtspunkt aus, und lieber widerspricht er, als dass er gleich nachgibt. Er besteht darauf, seine eigenen Erfahrungen zu machen, und er ist bereit, dafür Wegezoll zu zahlen. Im Fall eines Malers bedeutet das, dass er nicht den akademischen Regeln folgen und sich nicht mit unerheblichen Arbeiten abfinden wird, wie sie zur Finanzierung der Existenz nötig sein können, zum Beispiel Kopieren und Kolorieren. Er ist voller Hoffnung, Zuversicht und Tatendrang, und er vertraut seinen Kräften, deren Ausmaß ihm noch nicht bewusst ist.

Ein Kieler Freund, der Maler Johan Ludvig Lund, hat ihn um 1800 porträtiert, ein Medaillon-Bildnis. Friedrich hat hellblondes Haar, große blaue Augen und macht einen selbstgewissen Eindruck, nicht überheblich, aber seiner Sache sicher. Er ist fast im Profil zu sehen und sein Blick, der leicht nach oben gerichtet ist, schaut offen in die Zukunft, wie bei einem Mann, der gute Aussichten hat und sich etwas zutraut. Schüchtern sieht er nicht aus, eher so, als könnte er sich schnell aufregen und sich dann nicht mehr im Griff haben, als würde bei ihm, ohne dass er weiß, wie ihm geschieht, für Sekunden die Sicherung durchbrennen. Nicht dass er jähzornig ist, aber in ihm steckt ein ungezähmtes Potential, wie eine Erinnerung, die, kaum dass sie von irgendetwas berührt worden ist, hochschießt und ihn paralysiert. Er scheint zu wissen, dass er von solchen Kräften heimgesucht werden kann und dass er sich vor ihrer Eruption schützen muss. Nirgendwo in seinem Gesicht nistet die Dumpfheit, die sich dem Schicksal tatenlos überlässt, das die eigenen dunklen Gefühle einem Menschen bereiten. So wie er hier locker sitzt und beherzt schaut, ähnlich einem kleinen französischen Landadeligen vor der großen Revolution, von der er nichts ahnen möchte, scheint er zuversichtlich zu sein, dass es ihm immer besser gelingen wird, sich in den Griff zu bekommen und seine Gefühle ins rechte Fahrwasser zu leiten.

Ein Selbstbildnis um 1802, die Zeichnung für einen Holzschnitt, den sein Bruder herstellen wird, zeigt Friedrich im Profil mit Backenbart. Hier sieht er städtisch und energisch und etwas intellektueller aus, als ginge er zu einem Treffen der Romantiker, wo viel geredet wird und jeder sagt, was er denkt und fühlt. Es kommt nicht darauf an, viel gelesen zu haben, sondern darauf, eigene Ideen und Empfindungen vortragen zu können, die letztlich um einen selbst und die eigenen Projekte kreisen, um das, was man macht und sich vorgenommen hat. Das Profilbild als solches trägt dazu bei, den Charakter des Porträtierten stabil wirken zu lassen. Der Mensch, den es zeigt, hat eine eindeutige Kontur, die ihn, wie eine scharfgezogene Grenze, sowohl mit der Umgebung verbindet als auch von ihr abgrenzt, was sich als Zeichen einer sozial erfolgreichen Selbstbehauptung sehen ließe. Dieser junge Mann kennt seinen Weg, und er hat ihn zu seiner Zufriedenheit eingeschlagen. So sieht ein Maler aus, der auf erste Erfolge zurückblicken kann, der überzeugt ist, dass dieser Erfolg kein Zufall ist, sondern seinem Talent geschuldet, und der davon ausgeht, dass der gute Stern über ihm nicht erlöschen wird.

Auf einer Zeichnung um 1810 ist Friedrich sichtlich gealtert, er wirkt sehr hager. Jetzt ist er sechsunddreißig Jahre alt. Den Kopf hält er etwas gesenkt, leicht schaut er von unten nach oben, wie jemand, der Distanz wahren möchte und skeptisch ist gegenüber den kursierenden Ansichten und Meinungen und sich fragt, ob er all den Leuten trauen kann. Der Blick aus den großen Augen wirkt streng, beobachtend, kritisch. Er trägt einen rauschenden Backenbart. Ganz sicher wird er immer unverblümt sagen, was er denkt und fühlt, und er wird dabei keine Rücksicht auf Konventionen nehmen oder auf ein Wohlgefallen, das er wecken möchte. Die Dinge, mit denen er sich beschäftigt, ja das ganze Leben, sie sind zu ernst, als dass er sich und anderen etwas vorspielen möchte. Doch das bedeutet nicht, dass er einfach preisgibt, was ihn zutiefst bewegt. Er ist unnahbar und reserviert, als traute er dem freundlichen Schein nicht, den üblichen Oberflächlichkeiten des gemeinen sozialen Lebens. Sein Misstrauen scheint noch tiefer zu reichen. Nicht dass er vor sich selbst misstrauisch wäre und voller Anspannung auf der Lauer liegen würde, aber es fällt ihm schwer, sich emotional gehen zu lassen und völlig unbeschwert zu sein und auf diese Weise herauszufinden aus inneren Zwängen, was er tun und was er unterlassen soll, und aus selbstgestellten Grundsatzanforderungen, wer er ist und wie er ist. Vielleicht hat er bei entsprechenden Versuchen und unverhofften Erlebnissen schlechte Erfahrungen gesammelt.

In der Alten Nationalgalerie in Berlin hängt in einem Saal, der seinen Werken gewidmet ist, ein Porträt von ihm, das Caroline Bardua malte und das in Dresden im Jahr 1810 ausgestellt wurde. Er schaut jetzt etwas jünger aus als auf der Zeichnung, die er von sich mit sechsunddreißig Jahren gemacht hat, jünger und erholt, ein Eindruck, der sicher auch der fremden Hand geschuldet ist, die ihn im Glanz und mit der Würde eines erfolgreichen Künstlers porträtieren wollte. Er wirkt ernst, intelligent, selbstbewusst, wie einer, der sich gut überlegt hat, was er denkt und was er tut, der ein gewisses Ansehen bei seinen Mitbürgern genießt, wie es ein Künstler erfährt, der mit seinen Bildern Aufsehen...


Eberhard Rathgeb wurde 1959 in Buenos Aires geboren und kam als Kind mit seiner Familie nach Deutschland, wo er heute im Norden auf dem Land lebt. Für seinen ersten Roman »Kein Paar wie wir« wurde er mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Es folgten weitere Romane sowie Sachbücher, zuletzt »Zwei Hälften des Lebens. Hegel und Hölderlin. Eine Freundschaft« (2019) und »Die Entdeckung des Selbst. Wie Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard die Philosophie revolutionierten« (2022, beide Blessing).



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.