E-Book, Deutsch, Band 3, 521 Seiten
Reihe: Die Antichrist-Trilogie
Reading Corpus Maleficus - Der dritte Antichrist
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96655-986-7
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller - Die Antichrist-Trilogie: Band 3 | Steht das Ende der Welt kurz bevor?
E-Book, Deutsch, Band 3, 521 Seiten
Reihe: Die Antichrist-Trilogie
ISBN: 978-3-96655-986-7
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mario Reading (1953-2017) war ein britischer Autor. Er wuchs in England, Deutschland und Frankreich auf und hatte bereits in zahlreichen Berufen gearbeitet - darunter als Reitlehrer in Afrika und Verwalter einer Kaffeeplantage in Mexiko -, bevor er sich dem Schreiben widmete. Gleich mit seinem Debütroman gelang ihm der große internationale Durchbruch »Corpus Maleficus - Die verbotenen Verse«. Bei dotbooks veröffentlichte Mario Reading seine Antichrist-Trilogie mit den Bänden »Corpus Maleficus - Die verbotenen Verse«, »Corpus Maleficus - Die unheilvolle Bruderschaft« und »Corpus Maleficus - Der dritte Antichrist«.
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KAPITEL 13
Abi brauchte mehr als eine Stunde und wäre sechsmal fast abgestürzt, bis er sich zum letzten Sims, drei Meter unter dem Rand des Zenote, hinaufgearbeitet hatte. Diese drei Meter hätten jedoch ebenso gut drei Meilen sein können, denn soweit Abi erkennen konnte, war die Felswand glatt wie Plexiglas.
Er kauerte sich auf den schmalen Vorsprung und sah zu seinen Geschwistern hinunter. Seine Kleidung, die während des Aufstiegs zu trocknen begonnen hatte, war mittlerweile wieder triefend nass vor Schweiß.
Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt über dem Zenote erreicht. Abi spürte, wie sie ihm auf den Scheitel brannte. Die ungute Mischung aus Entkräftung durch Hunger, Durst und erbarmungsloser Hitze drohte zu Halluzinationen zu führen. Zweimal zu Beginn des Aufstiegs war ihm eins der Montiereisen entglitten, aber Rudra hatte es beide Male entweder im Flug gefangen oder aus dem Wasser gefischt, bevor es untergehen konnte. Dann hatte er es wieder zu Abi hinaufgeworfen, wobei die Mädchen wie der Block in einem Volleyballteam agierten für den Fall, dass der Wurf danebengegangen wäre.
Etwa vierzig Minuten nach Beginn des Aufstiegs hatte Abi beide Füße und seinen freien Arm in den Spalt gezwängt, weil er befürchtete, ohnmächtig zu werden. Es war ihm gelungen, eine fünfminütige Atempause einzulegen, nachdem er das Abschleppseil an den Wagenheber gebunden und mittels eines Halbmastwurfs eine Sicherung daraus gemacht hatte. Der Gedanke, er könnte unerwartet das Bewusstsein verlieren, hatte Abi mit existenzieller Furcht erfüllt. Er wusste mit Bestimmtheit, dass, falls er in den Zenote zurückfiel, alles vorbei sein würde – noch einmal würde er die Wand auf keinen Fall hinaufklettern können.
Abi drehte sich auf der Stelle und spähte zu dem Bereich oberhalb seines Kopfes hinauf. Keine Spur von einem Halt. Nicht einmal der kleinste Ansatz eines Risses, den er vielleicht hätte erweitern können. Nur das Kalksteinäquivalent einer glatten, leicht konvexen Glasscheibe.
»Hat irgendwer einen Vorschlag?«
Rudra räusperte sich. »Gibt es keine Stelle, wo du eins der Eisen hineinhämmern kannst? Um es als Meißel zu benutzen?«
»Nein.«
»Kannst du dann vielleicht springen? Nach oben, meine ich.«
»Nein. Ich würde es ungefähr bis zur Hälfte schaffen, dann würde ich in den Zenote zurückstürzen und ertrinken. Oder so gut wie. Die Wand ist geneigt.«
Es gab ein kurzes Schweigen. »Was willst du dann machen?«
»Ich weiß es nicht. Es hat von unten nicht so glatt ausgesehen. Ich kann nicht glauben, dass Fels seinen Charakter derart verändert. Das muss menschengemacht sein.«
Nawal kam unter ihm in Sicht. »Kannst du das Ende des Abschleppseils beschweren und es über den Rand schwingen?«
»Vielleicht. Aber woran sollte es sich einhaken? Es gibt keine Brüstung oder so etwas. Wir waren ja erst gestern oben. Auch wenn es einem vorkommt, als wäre es Jahre her. Ihr habt alle gesehen, wie es da oben ist. Nur flaches Gelände mit ein paar losen Steinen.«
»Das kannst du nicht wissen. Wir haben es nicht unter diesem Gesichtspunkt betrachtet.«
Abi seufzte. »Da ist was dran.«
»Also, was haben wir zu verlieren?«
Nawal schwamm näher zur Klippe. Ihr Gesicht war ernst. Sie sah aus, als würde sie sich an einen naturwissenschaftlichen Kurs wenden. »Wenn du den Feuerlöscher durch den geöffneten Wagenheber steckst und dann fest zudrehst, müsstest du ein ziemlich effektives Kontergewicht haben. Dann kannst du die Montiereisen noch durch den Wagenheber rammen; das wirkt dann wie eine Art Enterkralle, die man früher bei Schiffen benutzt hat. Vielleicht bleibt es irgendwo hängen.«
»Und wenn es irgendwo hängen bleibt, sich aber wieder löst, sobald ich zu klettern anfange?«
Niemand gab eine Antwort.
»Also gut. Ich werde tun, was Nawal vorschlägt. Ich kann sowieso nicht mehr lange hier kauern, sonst kriege ich einen Krampf und stürze ab.«
Abi band den Wagenheber vom Abschleppseil los. Er schraubte ihn vollständig auf und schob dann den Feuerlöscher in der Mitte durch. Als er zufriedenstellend saß, schraubte er den Wagenheber wieder zu, sodass dessen Backen in das Metall des Feuerlöschers drückten.
»Binde jetzt das Abschleppseil wieder am Wagenheber fest, bevor du die Montiereisen hineinrammst. Nur für alle Fälle. Nicht, dass du ihn fallen lässt.«
»Danke, Nawal. Hat dir schon einmal jemand gesagt, was für eine fürchterliche Pedantin du bist?«
»Als Nächstes rammst du die Montiereisen von entgegengesetzten Seiten hinein. Wenn du sie kreuzweise durch den Mechanismus des Wagenhebers steckst, müssten sie sich fest verhaken.«
»Okay, immer langsam, ich mach ja schon.«
»Hat es funktioniert?«
»Ja, es hat funktioniert. Aber ich bezweifle, dass es einen harten Schlag aushält. Wenn dieses Ding falsch landet, wird es sich einfach auflösen und auf uns herunterkommen.«
»Dieses Risiko müssen wir eingehen.«
»Wir? Ich bin doch wohl derjenige, der das Risiko eingeht, nicht ihr.«
»Dann glaubst du also, wir riskieren nichts? Du glaubst, wir schwimmen hier herum und denken: Großartig, Abi hat unser aller Leben in der Hand? Aber das macht nichts, damit haben wir überhaupt kein Problem. Und während er sich eifrig bemüht, uns zu retten, paddeln wir hier zum Zeitvertreib ein wenig herum.«
Abi blies die Backen auf. »Okay, tut mir leid, dass ich das gesagt habe. Es war daneben. Aber ich fühle mich hier ein bisschen unter Druck. Wenn das jetzt nicht funktioniert, werde ich nicht hier oben sitzen und die Sache analysieren. Ich werde in den Zenote zurückspringen. Kapiert?«
Abi band sich ein Ende des Abschleppseils lose um die Mitte. Dann ließ er den Wagenheber nach unten baumeln. Langsam und gleichmäßig gab er immer mehr Seil, bis etwa sieben Meter Seil wie ein Pendel nahe an der Felswand schwangen. Je weiter das Seil schwang, desto mehr begann es allerdings ihn in Schwingung zu versetzen.
Abi erkannte schnell, dass er bald handeln musste, wenn er nicht von dem Sims katapultiert werden wollte, um mit dem Wagenheber und Feuerlöscher als Anker ins Wasser zu stürzen.
Bei der dritten Pendelbewegung drehte er die Arme nach oben und über den Kopf, um dem Abschleppseil einen gewissen zentrifugalen Schwung zu geben. Der Wagenheber flog in Richtung Beckenrand. Im letzten Moment drückte sich Abi fest an die Wand und riss an dem Seil, um ihm das vielleicht entscheidende Quäntchen Seitwärtsbewegung zu geben. Der Wagenheber landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden über ihm, und das Seil erschlaffte in seinen Händen. Abi stand schwer atmend auf dem Sims.
»Wenn ich an dem Ding ziehe und wenn der Wagenheber nicht irgendwo hängen bleibt, dann fällt er über den Rand der Klippe und mir auf den Kopf, ist euch das klar?«
»Nicht, wenn du kräftig genug ziehst. Dann fällt er an dir vorbei. Dann musst du nur noch aufpassen, dass du nicht aus dem Gleichgewicht gerätst, wenn das Seil mit einem Ruck anzieht. Anschließend kannst du es noch mal versuchen.«
»Dann ist also alles klar, Nawal? Wir machen es so? Ich reiße an dem Seil, so stark ich kann, und fertig?«
»Ja.«
»Fällt irgendwem ein Gebet ein?«
»Zieh einfach, Abi. Bringen wir es hinter uns.«
Abi riss an dem Seil. Der Wagenheber schlitterte über den Rand der Klippe und flog ins Leere.
»Scheiße!«
Der Feuerlöscher verfehlte Abis Kopf um einen knappen halben Meter. Im letzten Moment drückte sich Abi an die Wand und stemmte sich gegen den Ruck, den das Seil machen würde. Aber das tote Gewicht am Ende des Seils unter ihm schrammte an der Wand entlang, was viel von seiner Energie absorbierte und verhinderte, dass es Abi über den Rand zog.
»Jesus, Maria und Joseph, ich dachte, es reißt mich hinunter.«
»Reiß dich lieber zusammen und sieh zu, dass du das Ding irgendwo da oben einhängst«, meldete sich Nawal wieder. »Uns läuft die Zeit hier unten davon. Du bist wenigstens aus dem Wasser. Aber glaub mir, uns fällt es hier unten immer schwerer, uns über Wasser zu halten. Wenn du keinen Erfolg hast, ertränke ich mich. Das ist besser, als langsam zu verhungern. Oder an Unterkühlung zu sterben.«
»Okay, Nawal, ich habe verstanden. Ich versuche es noch einmal.«
»Überprüf erst die Eisen.«
»Zum Teufel mit den Eisen. Diesmal wird es funktionieren.« Abi begann wieder, das Seil zu schwingen. Dieses Mal legte er etwas mehr Wucht dahinter und schwang es so weit aus, wie er konnte, während er sich selbst eng an die Felswand drückte, um nicht vornüberzukippen.
Im letzten Moment riss er die Arme vor und nach außen. Der beschwerte Wagenheber drehte sich am Ende seiner Pendelbewegung und segelte über den Rand der Klippe.
Im selben Moment, in dem er ihn landen hörte, zerrte Abi mit einem Ruck abwärts. Er rechnete damit, dass der Wagenheber wieder über die Kante gesaust kam, aber diesmal hatte er sich irgendwo verfangen. Abi wusste nicht, woran. An einer Leiche vielleicht? Zum ersten Mal fühlte sich das Seil in seinen Händen jedenfalls straff an.
»Okay. Es gibt eine Reaktion. Ich werde nicht mehr daran reißen. Ich werde es nicht testen. Ich habe nicht mehr sehr viel Kraft übrig, deshalb unternehme ich den entscheidenden Versuch, bevor ich die Zuversicht verliere.« Abi kletterte an dem Seil empor. Seine Eingeweide zogen sich in Erwartung des Sturzes zusammen, der unweigerlich kommen musste.
Nach zwei Metern rutschte das Seil ein wenig ab, als hätte sich das Objekt, an dem es hing, bewegt.
»Himmel.« Abi hing für einen Moment in der Luft. Dann setzte er seinen Aufstieg fort. Er konnte den Rand des...




