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E-Book

E-Book, Deutsch, 80 Seiten

Reichert Krypto-Kunst

Digitale Bildkulturen

E-Book, Deutsch, 80 Seiten

ISBN: 978-3-8031-4325-9
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Warum werden plötzlich Millionen für Dateien gezahlt? Bringen digitale Eigentumszertifikate – NFTs genannt – eine Demokratisierung des Mäzenatentums? Radikalisieren sie nur bestehende Machtgefälle? Oder handelt es sich um einen bloßen Fetisch?

Wieder bläst eine Avantgarde zum Sturm auf die etablierte Kunst und ihre Institutionen. Im Gepäck hat sie eine nostalgische Computerspielästhetik und eine neue Sorte Ware mit gigantischen Gewinnversprechen. Mit dem Boom NFT-zertifizierter Krypto-Kunst ergießt sich eine Schwemme digitaler Folklore über eine Kunstwelt, die ihre mühsam errungenen Werte infrage gestellt sieht. Kolja Reichert zeigt, dass es weniger Kunst als Geschichte selbst ist, auf die hier gewettet wird – und wie darin die Grenzen von Publikum und Werk, von Kunst und Geld verschwimmen.
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Kurze Einführung in die Blockchain
Die Blockchain ist ein kollektives Register oder Kontobuch, das für alle einsehbar auf allen Festplatten ihrer Nutzer:innen liegt und sich dort laufend aktualisiert. Wenn ich 0,2 Bitcoin von meiner digitalen Geldbörse (Wallet) an die Wallet bc1qwqdgdg6squsna38e46vckulcc7kytlcckxswvvzej sende, entsteht ein neuer Datenblock, in dem sinngemäß steht: »1zBWREnnkgVywAXSfr72WOPOseg7JR35M sendet am 4. Mai 2021 um 8:45 Uhr 0,02 Bitcoin an dg6squsna38e46vckulcc7kytlcckxswvvzej«. Dieser Block genannte Datensatz wird an den vorherigen Block angefügt, ist für alle Zeiten einsehbar und kann nie wieder verändert werden. Niemand kann auf einer Blockchain Bilanzen fälschen. Deshalb sind auch keine Dritten nötig, die zwischen zwei Parteien das Vertrauen herstellen, so wie Banken oder Notare es tun. Blockchains kommen also ohne zentrale Instanzen aus. Sie kommen aber auch ohne zentrale Server aus. Die traditionelle Weise, sich im World Wide Web zu bewegen, beruht auf dem Austausch von Daten zwischen dem eigenen Computer und einem Server, auf dem die aufgerufene Website oder andere Inhalte gespeichert sind – zum Beispiel die Fotos, die ich in Sozialen Medien poste, den Betreiberfirmen Nutzungsrechte überlassend. Diesen zentralen Server gibt es in der Blockchain nicht. Die Blockchain befindet sich nirgendwo anders als auf den Computern ihrer Nutzer:innen. Das macht die Blockchain auch sicher gegen Angriffe von außen (wenn auch nicht unbedingt von innen – so entzogen Hacker:innen 2016 der ersten DAO Ether im Wert von 53 Millionen US-Dollar12). Die erste Blockchain war die Bitcoin-Blockchain. Das Konzept für sie wurde 2008 von unbekannten Autor:innen unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto veröffentlicht,13 benutzbar war sie ab 2009. Unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise im Vorjahr und der immensen öffentlichen Ausgaben zur Rettung von Privatunternehmen und zur Stabilisierung der Märkte erschien Bitcoin als basisdemokratische Alternative zu staatlich kontrollierten Währungen. Tatsächlich erlaubt Bitcoin etwa Flüchtlingen ohne Kontozugang, Bankgeschäfte übers Internet zu tätigen. Venezolanische Bürger:innen sichern sich mit Bitcoin gegen die Folgen der Politik ihrer Regierung ab und umgehen die verhängten Abgaben auf Währungsimporte14 – während sich die venezolanische Regierung selbst, wie auch die argentinische, mit Bitcoin-Anlagen über Inflationen rettet. In El Salvador schrieb im Juni 2021 ein neues Gesetz sogar Gewerbetreibenden vor, Bitcoin als Zahlungsmittel zu akzeptieren.15 Nach einem Einbruch der Krypto-Währungskurse 2018 beförderte die Pandemie, wohl durch die viele zuhause verbrachte Zeit, ein spektakuläres Wachstum. Im April 2021 überstiegen die weltweit in Bitcoin und anderen Krypto-Währungen angelegten Vermögen mit über zwei Billionen US-Dollar zum ersten Mal den Marktwert von Apple. Als, ebenfalls im April 2021, die größte Krypto-Währungsbörse Coinbase an die US-Börse ging, erzielte sie eine Bewertung von knapp 100 Milliarden Dollar.16 Während die Möglichkeiten von Blockchain-Transaktionen für Kriminalität wie Waffen- und Drogenhandel und Prostitution lange im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung standen, scharten sich um die neue Technologie von Anfang an Utopisten, die in ihr das Potenzial für eine andere Organisation der Gesellschaft sahen. Neben IT-Entwickler:innen zählen viele Künstler:innen dazu. So finden sich auch unter den interessantesten Kommentator:innen der Entwicklungen um Blockchains (und neuerdings NFTs) Künstler:innen und Musiker:innen wie Daniel Keller, Lilinternet (beide gemeinsam mit Caroline Busta mit dem Podcast »New Models«),17 Holly Herndon und Mat Dryhurst (die gemeinsam den Podcast »Interdependence« betreiben).18 Alle Genannten leben in Berlin, wo sich seit Anfang der Zehnerjahre zwischen Aktivist:innen, Unternehmer:innen und Künstler:innen eine international einflussreiche experimentelle Krypto-Szene gebildet hat. Hier herrscht eine Euphorie, als sei das Internet neu erfunden worden. Denn Blockchain wird schon lange nicht mehr nur als bloßes Kontobuch und Zahlungsmittel, sondern als Technologie für gemeinschaftliche Kommunikation, Abstimmung und Willensbildung angesehen. Sie wird im Kontrast zu den Sozialen Medien gesehen, die Partizipation für alle versprachen, aber letztlich Nutzer:innen von Plattformen wie Facebook, Google und YouTube als Ressourcen vernutzen, deren unbezahlte Online-Aktivitäten die Machtkonzentration in wenigen großen IT- und Finanzkonzernen befeuern.19 Bitcoin war die erste Blockchain, aber inzwischen gibt es unzählige weitere. Die am zweithäufigsten genutzte ist Ethereum. Dieses Netzwerk, für das Vitalik Buterin 2013 das Konzept vorstellte und das 2015 an den Start ging, kann nicht nur Transaktionen in der Währung Ether ausführen. Es erlaubt auch die Herstellung eigener Währungen. Darüber hinaus lassen sich automatisierte Verträge implementieren, sogenannte Smart Contracts. Diese erlauben prinzipiell endlose Anwendungen: zum Beispiel Überweisungen zu festgelegten Anteilen an bestimmte Empfänger:innen, sobald ein gewisser Kontostand erreicht ist, was ein ganzes Feld automatisierter Finanzdienstleistungen eröffnet. Oder das Öffnen eines Schlosses – beispielsweise eines Autos auf einen Zahlungseingang hin, was Geschäftsmodelle der Sharing Economy vereinfachen kann. Aus Smart Contracts lassen sich auch ganze Software-Anwendungen bauen, sogenannte Dapps (Decentralized Apps). Zu den bekanntesten zählen die an Tamagotchis erinnernden CryptoKitties, das Spiel Axie Infinity und die virtuelle Welt Decentraland, deren Mitglieder Accessoires handeln, Grundstücke kaufen und bebauen, aber auch über die Regeln der virtuellen Welt abstimmen können. Auch NFTs basieren auf Smart Contracts. Charakteristisch für die Blockchain ist die Verschlüsselung, die nicht nur beim Schutz der Identitäten der Nutzer:innen eine Rolle spielt, sondern auch den reibungslosen Ablauf der Transaktionen sicherstellt. Denn könnte jede:r einfach so Transaktionen vollziehen, würde nicht nur die Rechenkraft der Blockchain schnell an ihre Grenzen kommen, zumal bei automatisierten Transaktionen. Es herrschte auch sofort Chaos, weil nicht zu bestimmen wäre, welche Transaktionen in welcher Reihenfolge hintereinander ins kollektive Kontobuch einzutragen wären. Aber die Zuverlässigkeit von Transaktionen ist nur dann gewährleistet, wenn über die Reihenfolge der Einträge absolute Einigkeit unter allen Teilnehmer:innen besteht. Für ihre Effizienz braucht die Blockchain also eine eingebaute Ineffizienz: Das legitime Interesse am Hinzufügen eines Eintrags muss mit der Lösung einer Aufgabe bewiesen werden – ähnlich dem Lösen eines Bildrätsels für das Versenden eines Online-Formulars. Diese Methode heißt »Proof of Work«. Die Aufgabe besteht darin, dass jeder Block einen Zahlencode enthält, den Hash, der erst geknackt werden muss, bevor etwas an die Kette angefügt werden kann. Wenn ich eine Transaktion tätige, landet sie als Block in einer öffentlichen Warteschleife. Tausende Computer weltweit machen sich automatisch an das Knacken seines Hash. Ist er erfolgreich dechiffriert, muss die Lösung noch von mindestens sechs weiteren der automatisiert vor sich hin rechnenden Mining-Stationen bestätigt werden. Erst dann ist die Transaktion getätigt. Als Absender:in zahle ich eine Gebühr, die bei Bitcoin Stand Mai 2021 im Schnitt bei etwa 30 US-Cent liegt. Der Nutzer, dessen Computer den Hash geknackt hat, erhält für seine investierte Rechenkraft eine Belohnung in Bitcoin, Ether oder der entsprechenden Währung (Coin) des Netzwerks. Auf diesem Weg entstehen neue Coins und treten erstmals in die Zirkulation ein. Deshalb heißen diese Nutzer:innen Miner (Schürfer:in oder Präger:in). Im Bitcoin-Netzwerk ist die Zahl der maximal möglichen Coins auf 21 Millionen begrenzt. Diese Beschränkung macht Bitcoin zum raren digitalen Rohstoff, vergleichbar dem Gold, sie sichert relative Wertstabilität und macht ihn als Schutz gegen Inflation interessant.20 Mit der Zeit wird das Mining immer aufwändiger, während die Belohnung sinkt. Durch die beschriebene »Proof of Work«-Methode wird die Blockchain so langsam, dass auch hier der Vergleich mit dem frühen Internet Sinn ergibt. So dauert eine durchschnittliche Bitcoin-Transaktion Stand Mai 2021 eine Stunde. Im Zuge der gestiegenen Popularität von Bitcoin ab 2020 kam es auch schon zu Wartezeiten von bis 16 Stunden.21 Die Technik des Minings ist auch verantwortlich für die berüchtigte Energiebilanz der Krypto-Währungsnetzwerke. Riesige Farmen von Mining-Computern halten Blockchain-Systeme aufrecht. Mining-Farmen sind vor allem dort entstanden, wo Strom am günstigsten ist, vor allem neben Geothermiekraftwerken in Westchina oder Island. Bis zum Verbot unautorisierter Blockchain-Dienstleistungen und Mining-Aktivitäten durch die chinesische Zentralbank im Mai 2021 wurde mehr als die Hälfte der Mining-Rechner in China vermutet. Ihre Betreiber suchen sich jetzt neue Standorte.22 Die University of Cambridge schätzt, dass die Bitcoin-Blockchain pro Jahr mehr Strom verbraucht als die Niederlande. Das Netzwerk der Krypto-Währung Ethereum verbraucht angeblich so viel Strom wie Portugal, und eine einzelne Transaktion hat den Kohlendioxidfußabdruck von fast 1,78 Millionen Visa-Zahlungen.23 Der Künstler Memo Akten hat ausgerechnet, dass jeder NFT einen Kohlendioxidfußabdruck von 211 Kilogramm hinterlasse, was einem zweistündigen Flug entspricht.24 Höhere NFT-Editionen verursachten sogar die...


Kolja Reichert, geboren 1982, ist Kunstkritiker. Er war Redakteur von Spike Art Quarterly, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 2018 erhielt er den Will-Grohmann-Preis der Akademie der Künste Berlin.


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