E-Book, Deutsch, 180 Seiten
Reimer Gottes Herz für deine Stadt
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96140-056-0
Verlag: Brendow
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ideen und Strategien für Gemeinde in der Stadt
E-Book, Deutsch, 180 Seiten
ISBN: 978-3-96140-056-0
Verlag: Brendow
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Neben der Digitalisierung ist die Urbanisierung (Verstädterung) einer der großen Megatrends, der unsere Gesellschaft prägt. Mehr als drei Viertel der Deutschen leben inzwischen in urbanen Kontexten. Die Umgebung prägt ihr Denken, ihr Sozialleben, ihren Alltag. Und auch die Art und Weise, wie sie glauben. Für Christen in der Stadt lautet die entscheidende Frage: Was können wir tun, um Menschen vor Ort mit der besten aller Nachrichten zu erreichen? Der Missiologe Johannes Reimer gibt Antworten. Er untersucht die Struktur und den Alltag in unseren Städten, beschreibt die Motivation und Sehnsüchte der Menschen vor Ort, um anschließend Modelle und Strategien vorzustellen, mit denen es gelingen kann, die Menschen in der Stadt zu erreichen. „Wir müssen Gemeinden dort gründen, wo die Hoffnung stirbt“ (Johannes Reimer). Fundiert, pointiert und hilfreich – für Christen in der Stadt, Gemeindebauer und -gründer. Der Missiologe Johannes Reimer zeigt auf, wie wir als Gemeinden in der Stadt effektiv das Evangelium verbreiten können. Spannende Lektüre nicht nur für Theologen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Gemeinden gründen,
wo der Glaube stirbt
1.1. Sehnsuchtsort Stadt
Die Stadt – seit Urzeiten ist sie ein Ort menschlicher Sehnsucht. An keinem anderen Ort erhofft sich der Mensch so sehr, das Leben in die eigene Hand nehmen zu können. Und so strömten seit der Gründung der ersten uns bekannten Stadt Jericho vor 10000 Jahren bis heute Millionen von Menschen in die rasant wachsenden Städte der Welt.5 Sie verlassen ihre Dörfer, weil sie sich auf dem Land unsicher fühlen und oft nur wenig Chancen zum Überleben sehen.
John, ein junger Afrikaner, der gerade in Hamburg gelandet ist, erzählt:
„Ich bin in einem Dorf im östlichen Kongo geboren. Zusammen mit einigen jungen Leuten aus meinem Dorf gelang mir nach Jahren langer und gefährlicher Reise die Flucht nach Deutschland. Heute lebe ich hier in Hamburg in einer Flüchtlingsunterkunft. Nur noch wenige Alte leben in unserem Dorf. Die meisten Einwohner sind weg. Bei uns zu Hause wollen alle so schnell wie möglich in die Stadt. In der Stadt gibt es Arbeit, und man findet immer etwas zu essen. Im Vergleich mit dem Elend auf dem Land im Kongo ist jedes Leben in der Stadt ein Paradies. Sogar in den Slums von Kinshasa.“
So wie John geht es Millionen. Fast ein Drittel der Weltbevölkerung lebt bereits in Städten, und es werden immer mehr. Am Ende des 21. Jahrhunderts, so die Prognosen, werden drei Viertel der Weltbevölkerung in Städten wohnen. Die Erde wird zu einem urbanisierten Planeten.
Städte wachsen, weil Menschen in die Stadt fliehen. Während die klassische Landbevölkerung, z.B. in Afrika, hohe Geburtenraten vorweist, werden die Familien in der Stadt immer kleiner.6 Es ist die wachsende Landbevölkerung, die für das Wachstum der Städte sorgt. Die Urbanisierung erweist sich somit als die effektivste Methode der Geburtenkontrolle.
Menschen suchen ihr Glück in der Stadt. Kommen sie dieser aber näher, so finden die meisten von ihnen zunächst bittere Armut und Elend. Viele von ihnen landen in den Elendsvierteln, Slums und Favelas, die Doug Saunders, kanadischer Journalist und Reisender, „Arrival Cities“ nennt. Er hat 25 Slums auf fünf Kontinenten besucht und überrascht mit einer radikalen, weil positiven These. Sein Buch „Arrival City“ weitet den Blick und zeigt auf, wie gerade die Landflüchtlinge heute die Zukunft so mancher Stadt bestimmen.7 Denn sie sind es, die den Kampf ums Überleben aufnehmen und dabei nicht nur einen erstaunlichen Lebenswillen, sondern auch einen hohen Grad an Innovation aufweisen. In ihren „urbanen Dörfern“ wird alles von dem einen Ziel getragen, so schnell wie möglich den Weg zum sozialen Aufstieg zu finden, koste es, was es wolle. Saunders spricht von den Ankunftsstädten als Hotspots urbaner Innovation.
Natürlich, jeder auch noch so geringe Aufstieg resultiert in der Transformation oder auch im Wechsel des sozialen Raumes. Und schafft man den Aufstieg in die besser betuchte Gesellschaft, so landet man heute in den sogenannten „gated communities“, geschlossenen Wohnvierteln, in die man nur durch einen entsprechenden Ausweis hineinkommt. Diese Entwicklung nahm ihren Anfang in den USA8 und ist heute in den meisten Ländern der Welt zu beobachten.9 Der soziale und ökonomische Wohlstand sind gerade in der Stadt gefährdet, schließlich drängen Massen von Neuankömmlingen nach oben und beanspruchen den gleichen Stand auch für ihr eigenes Leben. Die Angst vor Kriminalität zwingt dem Erfolgreichen regelrecht ein Leben hinter hohen Mauern auf.10
Städte sind somit keine einheitlichen sozialen Räume. Sie zeichnen sich durch ständige Veränderung, Wachstum und Verfall und vor allem Ausdehnung aus. Die kompakte, ummauerte Stadt, wie sie noch im Mittelalter existierte, gibt es so nicht mehr. Heute dehnen sich die Städte weit ins Umland aus und bilden ein metropolitanes Gebiet, das in seinen Vororten immer wieder beides sein kann, sowohl Stadt als auch Dorf mit urbanem Charakter. In der Literatur spricht man von der Zwischenstadt.11 Zeichneten sich Städte früher durch Urbanität aus, eine Haltung größerer Toleranz und Durchmischung der Bevölkerung, die die Lebensweise der Städter von der Landbevölkerung unterschied, so ist das Bild heute um ein Vielfaches differenzierter und komplexer. Die rasante Entwicklung dieser komplexen, sozialen Räume schürt seit der Mitte des letzten Jahrhunderts Angst vor dem Kollaps gesellschaftlicher Strukturen.12 Muss man tatsächlich Angst vor der Stadt haben? Oder bietet diese Entwicklung eine Chance, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren? Meinungen, ja sogar Untersuchungen dazu gehen weit auseinander. Und was bedeutet die Urbanisierung für die Entwicklung der christlichen Mission und den Gemeindebau? In diesem Buch gehen wir der Frage nach.
1.2. Die Kloake Sao Paulo und der Saustall in Berlin
Sao Paulo im Osten Brasiliens ist eine der größten Städte der Welt. 26 Millionen Menschen leben in dieser Stadt. Wie keine andere in der Region hat sie die verarmte Bevölkerung des Landes angezogen. Viele, sehr viele, haben in ihren überdimensionalen Fabriken Arbeit gefunden. Volkswagen, GM, Bosch und andere Weltkonzerne haben sich hier angesiedelt und produzieren für den Weltmarkt. Man sagt, in Sao Paulo gibt es mehr deutsche Firmenniederlassungen als in irgendeiner deutschen Stadt.
Sao Paulo ist riesig. Das Leben hier pulsiert Tag und Nacht. Die Straßen ersticken an dem niemals endenden Verkehr. Drei Stunden brauche er für die sieben Kilometer von seinem Haus bis zur Arbeitsstelle, berichtet mir ein Mitarbeiter der Brasilianischen Bibelgesellschaft. „Bei uns gibt es immer Stau“, fügt er traurig und müde hinzu. Sicher auch, weil es keinen vernünftigen öffentlichen Nahverkehr gibt. Die städtischen Verkehrsbetriebe scheinen den Kampf gegen das Wachstum dieser Metropole längst aufgegeben zu haben. Genauso, wie die Stadtväter den Kampf gegen die Luftverschmutzung aufgegeben haben. Überall stinkt es nach Abgasen und dem längst toten Wasser des einmal so stolzen Rio Tietê. Die Einheimischen nennen ihn fast schon liebevoll „unsere Kloake“. Das Wasser im Fluss ist dunkelgrau, an manchen Stellen fast schwarz. Was da alles mitschwimmt! Sowohl die Industrie als auch private Haushalte lassen ihre Kanalisation hier abfließen.
Leben gesucht – Tod gefunden. So kann man heute das Leben großer Massen von Menschen, die in die rapide wachsenden Städte der Welt geflohen sind, beschreiben. Sie ähneln sich alle. Ob Hanoi, Johannesburg, Moskau, Nairobi, Bangkok, Mexiko-City, New York oder eben Sao Paulo. Lebensflüsse, die durch sie fließen, werden erstickt und zu Kloaken. Sie sind Orte der Sehnsucht für Millionen und werden zu Orten der Verzweiflung für die meisten von ihnen.
Unsere deutschen Metropolen heißen Berlin, München, Hamburg, Düsseldorf, Köln oder auch das Ruhrgebiet mit Dortmund, Bochum, Essen, Oberhausen und Duisburg. Berlin ist unsere „Hauptstadt der Armut“, wie sie der Berliner Kurier genannt hat.13 Jeder fünfte Berliner lebt unter der Armutsgrenze.14 Entsprechend problematisch entwickeln sich bestimmte Bezirke der Stadt. Längst spricht man von Slums. Im Stadtteil Kreuzberg zum Beispiel. Ein Kurier-Reporter spricht gar vom „Saustall Kreuzberg“. Er schreibt:
„Zwischen Müll und Dreck, zwischen Spree und Schlesischer Straße: Hinter zuplakatierten Bauzäunen wächst ein wahrer Slum, in dem Lebensbedingungen wie in Armenvierteln von Bombay herrschen. Oder in Favelas brasilianischer Mega-Städte. Es sind etwa 30 Bretterbuden, Wellblechhütten und Zelte – zusammengeschustert zu einer kleinen Stadt. Mitten in Berlin. In Deutschland.“15
Foto: Sabeth Stickforth16
Wie in den meisten Städten dieser Welt ist auch das Berliner Problem verursacht von den in die Stadt strömenden Massen an Einwanderern. Auch hier suchen Menschen besseres Leben, Arbeit, sicheres Einkommen. Leider finden viele statt sozialem Aufstieg nur einen Platz in der Gosse.
Sicher, in Deutschland sind es noch nicht die Massen. Hier wachsen die Städte auch, weil Menschen der Faszination der Stadt mit ihrem bunten und breiten Angebot an Bildung, Kultur, Lebensfreude und Ähnlichem erliegen. Es ist eben „cool“, in der Stadt zu leben, sagen mir junge Leute. Und viele finden, was sie suchen. Aber die Schere zwischen denen, die sich in der Stadt finden, und denen, die von der Stadt „geschluckt“ werden, geht immer weiter auseinander.
1.3. Wo der Glaube stirbt
Städte versprechen ihren Ankömmlingen, den Glauben an sich selbst zu stärken. Hier kann jeder etwas werden. Und wer es in der Stadt schafft, schafft es auch überall sonst. Die Erfolgreichen sind die Reklametafeln der Stadt. Sie feuern Sehnsüchte an. Wer sich in der Stadt ausprobiert, wer einmal Selbstverwirklichung in der Stadt getankt hat, der wird immer mehr auf Distanz zu dem gehen, der alles Leben geschaffen hat – Gott. So geschah es im biblischen Babylon. So ist es auch heute noch.
Heute gilt die Stadt als der eigentliche Säkularisierungsmotor der Gesellschaft. Wo immer in der Welt Städte wachsen, verlieren ihre Einwohner zunehmend den Bezug zu Gott. Das ist nicht nur in der sogenannten nachchristlichen Welt der Fall. Ähnlichen Verfall religiöser Bindungen kann man...