Reinhardt | No Alternative | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten, Printausgabe 304 Seiten

Reinhardt No Alternative


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-8369-9237-4
Verlag: Gerstenberg Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 304 Seiten, Printausgabe 304 Seiten

ISBN: 978-3-8369-9237-4
Verlag: Gerstenberg Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wir können uns nicht ewig damit rausreden, dass die anderen auch nichts tun. Dann ändert sich nie etwas.' Emma Larsen hat sich entschieden, etwas zu tun, um unseren Planeten zu retten. Die mutige junge Aktivistin ist bereit, dafür notfalls ihr Leben zu riskieren. Nachdem ihr Freund bei einer aufsehenerregenden Kampagne gegen den Pharmakonzern PLS zu Tode gekommen ist, schließt sie sich NO ALTERNATIVE an und geht in den Untergrund. Eine halsbrecherische Aktion auf der Spitze des Frankfurter Messeturms macht die radikale Umweltschutzorganisation in der Öffentlichkeit bekannt. Doch das ist erst der Anfang ... Spannend, brisant und hochaktuell - auch in seinem neuesten Roman trifft Dirk Reinhardt einen Nerv unserer Zeit.

Dirk Reinhardt, geb. 1963, studierte Geschichte und Germanistik. Er arbeitete als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster und als freier Journalist. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben von Büchern. Seine erfolgreichen Romane 'Train Kids' und 'Über die Berge und über das Meer' waren beide für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert; 'Perfect Storm' wurde mit dem Glauser ausgezeichnet.
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Emma


»Falls es nicht Liebe ist«, sagt Nike, während sie über dem Abgrund schwebt, sich mit der einen Hand festhält und mit der anderen auf die Lichter der Stadt in der Tiefe zeigt, »falls es nicht Liebe ist, ist es der Tod.«

Sie lächelt, auf diese geheimnisvolle Art, die so typisch für sie ist, mehr mit den Augen als mit dem Mund, mit ihren dunklen, etwas schräg stehenden Augen über den hervortretenden Wangenknochen, die ihr Gesicht beherrschen, dieses schmale Gesicht, in dem es kein einziges Gramm Fett zu geben scheint. Dann lässt sie los. Sie lässt die Querstrebe, an der sie sich festhält, einfach los, indem sie die Finger auseinanderreißt. Für einen Moment steht sie bewegungslos da, auf dem vom Regen noch feuchten, röhrenförmigen Leuchtkörper, der die Pyramide des Messeturms auf allen Seiten umgibt und jetzt so hell strahlt, dass es kilometerweit zu sehen ist, dann zieht die Schwerkraft sie hinunter und sie droht, immer noch lächelnd, in den Abgrund zu stürzen.

Mit einem Schrei springt Emma, die auf der kleinen, geschützten Plattform hinter der Brüstung steht, zu ihr, greift ihre Hand und zieht sie zurück. Nike rutscht aus und fällt ihr in die Arme. Gemeinsam stürzen sie auf das Gitter der Plattform, das unter ihrem Aufprall zittert und bebt. Emma hält Nike fest und presst sie mit beiden Händen an sich.

»Warum machst du das?«, stößt sie hervor. Ihr Herz schlägt heftig, fast schmerzhaft, als hätte sie selbst über dem Abgrund geschwebt. »Es ist auch so schon gefährlich genug hier oben. Du musst unser Schicksal nicht noch herausfordern.«

Nike hebt den Kopf, stützt sich auf ihren Ellbogen und blickt Emma an. Im Gegensatz zu ihr wirkt sie ruhig, fast entspannt. »Ich habe keine Angst vor dem Tod«, sagt sie. »Wenn er zu mir kommen will, soll er es tun.«

»Ich will aber nicht, dass er zu dir kommt. Hörst du? Noch lange nicht.«

Nike streicht ihr über die Haare. »Es war doch überhaupt nicht gefährlich«, sagt sie.

»Was redest du da für ein Zeug? Es war lebensgefährlich.«

»War es nicht. Ich wusste, dass du mich halten würdest.«

Emma schüttelt den Kopf. Mit einer raschen Bewegung wischt sie die Tränen fort, die ihr in die Augen getreten sind. »Manchmal hasse ich dich«, sagt sie.

Nike nimmt ihr Gesicht zwischen die Hände und beugt sich zu ihr hin. »Tust du nicht«, sagt sie leise.

Im nächsten Augenblick springt sie auf, zerrt Emma ebenfalls nach oben und lehnt sich mit ihr, den Arm um ihre Schultern gelegt, über die Brüstung.

»Sieh sie dir an«, sagt sie und zeigt hinab. »Die kleinen Ameisen da unten in ihren stickigen Häusern und stinkenden Autos. Wie sie an ihrem armseligen Leben hängen! Von der Freiheit, die hier oben wartet, haben sie keine Ahnung.«

»Nein«, murmelt Emma. »Die kennen nur wir beide. Nur du und ich, Nike.«

Sie schaut hinunter, über die Leuchtröhre hinweg, die den oberen Abschluss der Brüstung bildet. Es ist jetzt tief in der Nacht, bestimmt schon nach zwölf, aber in dieser Stadt ist es niemals dunkel. Mehr als zweihundert Meter unter ihr, nur als winzige Punkte erkennbar, wie kleine Glühwürmchen, die durch Spalten und Gräben kriechen, schieben sich Autos durch die Straßen, beschleunigend und bremsend, haltend und wieder beschleunigend, in einem endlosen und von hier oben reichlich sinnlos wirkenden Strom. In manchen Hochhäusern brennt noch Licht, vor allem im Osten, in den Bankentürmen. Im Süden, jenseits der Schienen, hinter den Kuppeldächern des Hauptbahnhofs, kann Emma das dunkle Band des Flusses mehr erahnen als sehen. Es ist ein Anblick, der ihr den Atem raubt, und als sie in die Tiefe schaut und dabei den Wind spürt, der hier oben ungebremst und hemmungslos ist, muss sie daran denken, wie es ihr damals, als sie zum ersten Mal einen solchen Ausflug über den Dächern der Stadt gewagt hatte, noch das Herz zusammenschnürte, sich alles in ihr verkrampfte vor Angst. Inzwischen hat sie sich an die Höhe gewöhnt, sie ist ihr vertraut geworden.

Nike bohrt ihr den Ellbogen in die Seite. »Vervollständigen Sie den folgenden Satz«, sagt sie. »Die Nacht …«

Emma grinst. »… ist des Freien Freund«, sagt sie.

Nike stößt triumphierend ihre Faust in den Nachthimmel. »Sie haben die Höchstzahl von einhundert Punkten erreicht«, ruft sie. Dann bricht sie abrupt ab und dreht sich zu Emma hin. »Was verstehst du unter Freiheit?«, fragt sie. »Komm, sag es mir.«

»Unter Freiheit? Pah! Was du alles wissen willst.« Emma überlegt, aber auf Anhieb fällt ihr keine gute Antwort ein. »Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Schätze, das habe ich noch nicht so richtig rausgefunden. Muss erst noch ein bisschen darüber nachdenken. Wenn es mir einfällt, verrate ich’s dir. Irgendwann.«

»Aber vergiss es nicht«, sagt Nike. »Du weißt ja: Die Zeit geht an uns vorbei. Sie wartet nicht auf uns.«

Emma nickt, dann sieht sie nach oben. Der Himmel ist dunkel, sternenlos, nur der Mond steht dort, blass und von Wolken umgeben, die langsam an ihm vorbeiziehen, ihn mal verhüllen und wenig später wieder freigeben, so als wollten sie ihn beschützen vor allzu neugierigen Blicken.

Sie denkt an den Weg, der sie hier heraufgeführt hat. Spät am Abend, kurz bevor die großen Eingangstüren des Messeturms geschlossen wurden, hat sie sich hineingeschlichen, in einem günstigen Moment, als das Sicherheitspersonal abgelenkt war. Sie ist zu einem der beiden Treppenhäuser gegangen, in denen man selten jemandem begegnet, weil alle anderen die Aufzüge benutzen, und nach oben gestiegen, Stufe um Stufe, an den vielen grauen Türen mit den schwarzen Zahlen vorbei, die die Etagen anzeigen. Erst durch die oberste der Türen, die mit der »61« darauf, hat sie das Treppenhaus verlassen und ist, an den Rohren der Kühltürme und der riesigen Fensterputzmaschine vorbei, in den Sockel der Pyramide gelangt, die den Messeturm nach oben abschließt. Dort hat sie gewartet, lange gewartet, dem Regen zugehört, der auf die Fassade tröpfelte, und mit sich gerungen, ob sie den Plan, den sie gefasst hat, diese verrückte, halsbrecherische Aktion, tatsächlich durchführen soll.

Als sie kurz davor stand, aufzugeben und wieder hinunterzusteigen, tauchte Nike auf. Die mutige, geheimnisvolle Nike, die in Wahrheit nur ein Traum war, die schönste Erfindung ihrer Fantasie, und ohne die sie diese gefährlichen Ausflüge niemals wagen würde. Sie hatte sie lange nicht mehr gesehen, über ein Jahr, und zweifelte schon daran, ob sie überhaupt noch kommen würde, aber plötzlich war sie da, aus dem Nichts, wie sie es immer tat, und machte sich mit ihr auf den Weg. Von da an war sie bei ihr, mal neben ihr, mal einige Stufen voraus. Meistens blieb sie unsichtbar, wie ein Luftzug, den man im Wind kaum spürt, aber überall dort, wo es gefährlich wurde, wo nur eine winzige Leiter weiter hinaufführte oder sich plötzlich, mit einer kalten Faust nach dem Herzen greifend, der Blick in den Abgrund öffnete, tauchte sie auf, nahm Emmas Hand und sprach ihr Mut zu. So kletterten sie im Inneren der Pyramide nach oben, Meter für Meter, den Höhenwind schon spürend, immer weiter hinauf, bis zu dem kleinen Absatz zwischen dem mittleren und dem oberen Teil der Pyramide, auf dem sie jetzt stehen.

Nike zeigt nach oben. »Siehst du den Mond?«, fragt sie. »Er ficht wieder mit den Wolken.«

»Ja«, sagt Emma, »ich hab’s schon von der Straße aus gesehen.« Ihr Blick wandert zur Spitze der Pyramide, die hoch über ihnen aufragt. Als sie die steile Glasfassade sieht, die hinaufführt, läuft ihr ein Schauer über den Rücken. Schnell wendet sie sich ab, umarmt Nike und legt den Kopf auf ihre Schulter.

»Lass uns lieber nicht da hochgehen«, flüstert sie. »Nicht heute, hörst du? Ich habe ein schlechtes Gefühl und außerdem – na ja, es hat geregnet, alles ist rutschig und …«

Nike wartet einen Moment. Als Emma nicht weiterspricht, löst sie ihre Hände, mit denen sie sie umklammert, und schiebt sie ein Stück von sich.

»Vertraust du mir?«, fragt sie.

»Ja. Das weißt du doch.«

»Dann lass uns weitergehen. Wir haben es uns vorgenommen. Jetzt tun wir’s auch.«

Emma seufzt. Widerstrebend bückt sie sich und zieht die Verkleidung, die sie vorbereitet hat, aus ihrem Rucksack: einen schwarzen Frack und eine Maske, die sie wie ein Pinguin aussehen lassen. Während sie beides überstreift, hört sie schon das leise Surren der Drohne, die die Aktion filmen soll. Gleich darauf sieht sie sie auch, wenige...


Reinhardt, Dirk
Dirk Reinhardt, geb. 1963, studierte Geschichte und Germanistik. Er arbeitete als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster und als freier Journalist. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben von Büchern. Seine erfolgreichen Romane „Train Kids“ und „Über die Berge und über das Meer“ waren beide für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert; „Perfect Storm“ wurde mit dem Glauser ausgezeichnet.



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