Reuth | Hitlers Judenhass | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reuth Hitlers Judenhass

Klischee und Wirklichkeit
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7844-8493-8
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Klischee und Wirklichkeit

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-7844-8493-8
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ralf Georg Reuth behandelt in diesem Standardwerk die Frage, ob Adolf Hitler von Haus aus ein Antisemit war, oder ob sich eine Entwicklung und Herausbildung des entsetzlichen Antisemitismus bei Hitler historisch belegen lässt. Der Autor, der bereits viel beachtete Biografien zu Hitler und Goebbels vorgelegt hat, stellt Hitlers eigene Behauptung in Frage, denn letzterer beteuerte immer seinen schon seit seiner Zeit in Wien bestehenden Hass auf Juden.

Reuth Hitlers Judenhass jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Der nationalsozialistische Völkermord an den europäischen Juden zählt, so der Philosoph Peter Sloterdijk, neben den Untaten Stalins und Maos zu den »Vernichtungsuniversen« des vergangenen Jahrhunderts2. Er ist zum Trauma geworden für die Überlebenden und deren Nachkommen und auch für die Deutschen, in deren Namen dieser Völkermord begangen wurde. Die Ungeheuerlichkeit der industriellen Vernichtung von Millionen Menschen, für die Auschwitz zur Chiffre geworden ist, scheint sich der intellektuellen Fassbarkeit zu entziehen. Forderungen werden deshalb laut, jegliche historische Darstellung zu unterlassen, weil sie das schlechthin Unbegreifliche begreiflich zu machen versuche und deshalb zwangsläufig scheitern müsse.

Der Hitler-Biograf Joachim C. Fest bezeichnet dieses Anliegen als eine »Art dämonologischer Verdrängung«3. Denn solche Thesen sperrten Hitler aus der Geschichte aus. Damit setzen sie genau jenes Grundprinzip der Geschichtswissenschaft außer Kraft, nach der jede Epoche ihre eigenen Fragen aufwirft, um mit ihrer Hilfe ein immer tieferes Verständnis des Vergangenen zu ermöglichen. Zu diesem gehört auch eine Versachlichung des Diskurses. Tabus, Volkspädagogik und Bewältigungsrituale führen in die falsche Richtung, sind sie es doch, die Mythen- und Legendenbildungen begünstigen. »Erst eine betont nüchterne, von moralisierenden Anklängen freie Geschichtsschreibung schafft die Grundlage, um die historische wie politisch-moralische Tragweite der durch den Nationalsozialismus verübten Massenverbrechen zu ermessen«, schreiben Eckhard Jesse, Uwe Backes und Rainer Zitelmann in ihrem Sammelband Schatten der Vergangenheit4. Die Forscher knüpfen damit an die Forderung nach einer »Historisierung« des Nationalsozialismus an, wie sie von Martin Broszat bereits Mitte der 80er-Jahre vorgebracht worden war5. Der Münchner Historiker hatte davor gewarnt, den Nationalsozialismus und dessen Verbrechen auf ihre »Abnormität« zu reduzieren und als eine »Insel der deutschen Zeitgeschichte« zu sehen6. Vielmehr gelte es, diese genau so wie andere Epochen und Zeiträume zu erfassen. Der Völkermord an den Juden könne nur adäquat verstanden werden, wenn er in den Kontext der deutschen und europäischen Geschichte integriert werde.

Doch Broszats Forderung verhallte weitgehend ungehört. Wer sich heute in seinem Sinne mit dem Holocaust oder seiner Vorgeschichte beschäftigt, läuft Gefahr, sich nicht nur dem Vorwurf emotionaler Kälte und mangelnden Feingefühls auszusetzen, er wird womöglich auch verdächtigt, die Verantwortung der deutschen Nation zu relativieren oder gar ganz von ihr weisen zu wollen. Solche Bezichtigungen musste sich der 1998 nach seiner Frankfurter Paulskirchenrede als »geistiger Brandstifter« titulierte Schriftsteller Martin Walser gefallen lassen. Er hatte 2002 im Verlauf einer Berliner 8.-Mai-Diskussion mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Thema »Nation, Patriotismus, Demokratische Kultur« darauf hingewiesen, dass nicht zuletzt das brutale Versailler Diktat der Sieger des Ersten Weltkrieges Ursache für Hitlers Aufstieg zur Macht und damit auch für Auschwitz gewesen sei.

Wenn wir auf die Vorgeschichte und Geschichte des Nationalsozialismus zurückschauen, tun wir dies fast nur noch aus der Perspektive von Auschwitz. Aller deutscher Antisemitismus, der dabei aus der Zeit vor Hitler zutage gefördert wird – sei es der Wilhelms II., sei es der der Alldeutschen um Heinrich Claß oder der innerhalb des kaiserlichen Heeres, der während des Ersten Weltkrieges in einer »Judenzählung« gipfelte –, all das gerät damit automatisch in einen ursächlichen, deterministischen Zusammenhang mit Auschwitz. Dass die Juden im wilhelminischen Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts emanzipiert waren und auf einen beachtlichen sozialen Aufstiegsprozess zurückblicken konnten, der von einer weitgehenden Anpassung an die kulturellen Normen und Wertvorstellungen des deutschen Bürgertums begleitet war – solche historischen Realitäten bleiben bei dieser eindimensionalen Perspektive ausgeblendet. Allein der im Kaiserreich als Reflex auf die Emanzipation und auf den gesellschaftlichen Aufstieg der Juden aufkommende Antisemitismus im Bürger- und vor allem im Kleinbürgertum bleibt im Fokus, nicht aber, dass es sich hierbei um gesellschaftliche Wechselwirkungen handelte, die auch in anderen europäischen Staaten nachzuweisen sind. So legte zum Beispiel in Frankreich die Spionageaffäre um den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus und die damit einhergehende Diskussion um die Rolle der gesellschaftlich privilegierten Juden einen weitverbreiteten radikalen Antisemitismus offen. In den Ländern der Donaumonarchie war dies nicht anders. Ganz zu schweigen vom zaristischen Russland, dem Hauptland des europäischen Antisemitismus, wo sich die jüdische Bevölkerung seit den 80er-Jahren des 19. Jahrhundert immer wieder blutigen Pogromen ausgesetzt sah, die schließlich zu einer regelrechten Völkerwanderung der Juden nach Westen führten.

Je mehr der nationalsozialistische Völkermord und seine Vorgeschichte aus dem historischen Kontext gerissen werden, desto weniger berücksichtigt bleiben all diese Wirklichkeiten, desto plausibler erscheint die Version von der deutschen Sonderentwicklung, die weit in die Geschichte zurückreiche, desto eingängiger wird die These vom »Tätervolk«, von den Deutschen als den »willigen Vollstreckern« Hitlers, wie sie der amerikanische Soziologe Daniel Jonah Goldhagen in den 90er-Jahren präsentierte.7 In dessen isolierter, zutiefst unhistorischer Betrachtung, in der nicht einmal die dramatischen revolutionären Umbrüche der Jahre 1914 bis 1923 reflektiert werden, wird den Deutschen sozusagen ein »antisemitisches Gen« unterstellt. Während Goldhagens Buch hierzulande zum Ereignis werden konnte, erklärten renommierte jüdische und israelische Holocaust-Forscher wie etwa Raul Hilberg und Yehuda Bauer die Auslassungen des Amerikaners – eben wegen ihrer isolierten Betrachtung – für wissenschaftlich »wertlos«8.

Die zunehmende Neigung, die Geschichte der Deutschen auf den Völkermord an den Juden zu verkürzen, korrespondiert mit dem sozial- beziehungsweise strukturgeschichtlichen Ansatz, der die gegenwärtige Vergangenheitsbetrachtung dominiert. Historische Zäsuren werden dabei eingeebnet, menschliches Planen, Entscheiden oder Handeln treten zurück. Die politisch Verantwortlichen werden Produkt und Spielball gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse. Hitler und der Völkermord werden damit gleichsam automatisch zum Resultat einer tief im Kaiserreich gründenden deutschen Sonderentwicklung, die vor dem Ersten Weltkrieg einen besonders aggressiven Antisemitismus hervorgebracht habe, der in dem Völkermord an den Juden seinen nahezu zwangsläufigen Höhepunkt und Abschluss gefunden habe.

Doch nicht nur die Fixierung auf den Holocaust und der inzwischen alles beherrschende sozial- beziehungsweise strukturgeschichtliche Ansatz, dessen Protagonist in Deutschland seit langem Hans-Ulrich Wehler ist9, prägten die Diskussion um die Geschichte des Nationalsozialismus mit seiner mörderischen antisemitischen Weltanschauung. Hinzu kommt eine immer noch virulente Scheu, das zweite totalitäre Regime des 20. Jahrhunderts, den Kommunismus, mit seinem weltumspannenden Erlösungsanspruch, der ebenfalls mit Abermillionen Menschenleben bezahlt worden ist, in den Diskurs einzubeziehen, wie Hannah Arendt dies schon in ihrem 1951 erschienenen Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft versucht hatte.10 Die Totalitarismustheorie sei ein Konstrukt des Kalten Krieges, mit dem die sozialistischen Länder verunglimpft werden sollten, hieß es damals in der Kritik. In Deutschland hatte die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur und die Frage nach der deutschen Schuld, wie sie in den 60er-Jahren gestellt wurde, den Antifaschismus und damit den Kommunismus zusätzlich aufgewertet. Dies führte in der Geschichtsschreibung nicht nur zu einer eklatanten Verharmlosung, sondern auch zu einer teilweisen Ausklammerung des revolutionären Kampfes der Kommunisten gegen die erste deutsche, die Weimarer Republik und schließlich sogar zu einer rigorosen Abwehrhaltung gegenüber dem Unterfangen, das eine totalitäre System mit dem anderen zu erklären.

Noch gut erinnerlich ist die Ächtung des Historikers Ernst Nolte, der einen »kausalen Nexus« zwischen Gulag und nationalsozialistischen Konzentrationslagern herstellte, das heißt, den Bolschewismus in einen ursächlichen, weil ursprünglicheren Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus brachte.11 Nolte wurde von dem bekannten Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki im Zuge des »Historikerstreits« Mitte der 80er-Jahre als gefährlicher Apologet des Nationalsozialismus gescholten, der »Wahnsinn und Methode« miteinander verbinde und Juden mit Insekten vergleiche.12 Bei diesem ungeheuerlichen Antisemitismus-Vorwurf wurde übersehen, dass der »kausale Nexus« für Nolte nicht etwas »Objektives« darstellte, sondern in den Wahnvorstellungen des Menschheitsverbrechers Hitler begründet war.

Jene ideologische und emotionale Überfrachtung des Diskurses mit seiner Totschlagrhetorik, die Nolte zu Zuspitzungen verführte, gibt es außerhalb Deutschlands nicht. So meint François Furet, der führende Geschichtsschreiber der Französischen Revolution und...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.