E-Book, Deutsch, Band 2, 285 Seiten
Reihe: Tageswandler
Rey Tageswandler 2: Anzheru
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7393-7143-6
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 2, 285 Seiten
Reihe: Tageswandler
ISBN: 978-3-7393-7143-6
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Al Rey ist in Solingen geboren und aufgewachsen. Jetzt wohnt sie im schönen Rheinland.
Autoren/Hrsg.
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Gefangenschaft
Als Mira wieder zu sich kam, mussten ein paar Stunden vergangen sein. Sie spürte als erstes, dass ihre Füße den Boden nicht berührten. Sie war an ihren Handgelenken an einem starken Ast aufgehängt worden. Ein Blick nach oben bestätigte ihr, dass es Stahlketten waren, die ihre Gelenke fest umschlangen. Diese würde sie auch als Vampirin nicht einfach zerstören können. Um sie herum herrschte ein heilloses Durcheinander. Etwa vierzig Wächterhunde kläfften sich gegenseitig auf der breiten Lichtung im norwegischen Laubwald an, zu der sie sie geschleift hatten. Es war wohl jeder einer anderen Meinung. Neben ihrem Anführer stand der hagere blasse Gestaltwandler, den Mira als Rabenspäher kennengelernt hatte. Er verabschiedete sich gerade. „Ich fliege zum Hauptquartier.“
Der Oberste der Wächter nickte ihm zu und sorgte anschließend endlich für Ruhe. Offenbar gab es eine klare Rangordnung. Wenn dieser Mann etwas befahl, folgten die Hunde umstandslos. Einzelne nahmen ihre menschliche Gestalt an.
„WARUM ZUR HÖLLE LASSEN WIR DIESE KREATUR AM LEBEN, DRAGO?“, brüllte einer von ihnen.
„Sie hat Miguel getötet!“, schallte es von weiter hinten. Mira empfand keine Reue, obwohl sie nun auch den Namen ihres Opfers kannte. Der Hund hatte sie angegriffen und sie hatte sich verteidigt.
„Ich will ein paar Fragen stellen.“ Der Wächter namens Drago wandte sich betont langsam zu ihr um. „Und dann lassen wir dich brennen.“
Seine dunklen Augen wollten Mira durchbohren, doch sie war nicht sonderlich beeindruckt. Wahrscheinlich setzte er auf die Sonne, die so weit im Süden des Landes bald aufgehen würde, doch das würde absolut nichts nützen. Drago näherte sich ihr, wobei er vom dumpfen Knurren der anderen begleitet wurde.
„Das Halbblut lebt immer noch. Wo ist sie?“
Aus dieser Frage schloss Mira, dass die Hunde die Adler im dichten Schneetreiben nicht gesehen hatten. Nur ihren Aufprall auf dem hartgefrorenen Boden hatten sie bemerkt. Folglich kannten ausschließlich die beiden Raubvögel die Antwort. Sie bleckte die Zähne. „Ich weiß nicht.“
Drago schlug sie ins Gesicht. Im Vergleich zu Asheroths Verhör in seinem Haus in Frankreich war es erträglich.
„Was will Asheroth von ihr?“, bohrte er weiter. Mira schnaubte verächtlich. „Frag ihn doch selbst.“
Die Wächter brachen erneut in ohrenbetäubendes Bellen aus. Einige schienen nur noch einen Funken davon entfernt, die Vampirin in Stücke zu reißen. Dragos Miene wurde zusehends finsterer. Der Rabe hatte vermutlich schlechte Nachrichten für die Gestaltwandler überbracht.
„Und in welcher Beziehung stehst du zu diesem Monster?“, knurrte Drago leise. Diese eine Frage konnte Mira ehrlich beantworten. „Er ist mein Schwiegervater.“
Der versteckte Hinweis auf Asheroths leiblichen Sohn rief erneut in Erinnerung, dass die Vampire den Gestaltwandlern von Zeit zu Zeit ihre unverzichtbaren Begabten stahlen. Dass Mira selbst keinen Anteil daran hatte, sondern nur mit einem Geborenen liiert war, spielte selbstverständlich keine Rolle. Es steigerte den Zorn der Hunde nur noch. Allerdings schien ihnen nun auch bewusst zu werden, mit wem sie sich außer Asheroth noch angelegt hatten. Es war allgemein bekannt, dass Anzheru sehr viele mächtige Verbündete besaß. Sicher wussten auch die Gestaltwandler davon. Die ersten schlugen aus Furcht vor, seine Gefährtin lieber gehen zu lassen. Sofort entbrannte eine neue hitzige Diskussion, der Mira nicht ganz folgen konnte.
„RUHE!“, befahl Drago erneut. Die Hunde verstummten. Mira stieg mit einem Mal ein vertrauter Geruch in die Nase. Der Wind trug ihn her und natürlich nahmen ihn auch die feinen Nasen der Wächter wahr. Es waren Vampire und sie kamen näher. Die Hunde schauten beunruhigt zu ihrem Anführer und wieder in die Richtung, aus der sich die Vampire näherten. Worauf sie wohl warteten? Wenn Mira mit ihrer Vermutung richtig lag, hatten sie ihr Oberhaupt verloren. Ohne ihren Leitlöwen fiel es den Hunden offenbar schwerer, Entscheidungen zu treffen. Die Vampire hatten es nicht eilig. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie in Sicht kamen. Sie trugen schlichte, schwarze Umhänge mit großen Kapuzen, weshalb sie wie aus einer anderen Zeit wirkten. In ihrer Mitte zerrten sie zwei Gestalten mit sich, die an den Händen gefesselt waren. Mira hörte an ihrem rasenden Herzschlag, dass es Sterbliche waren. Die Hunde bildeten unter argwöhnischen Blicken eine Gasse für sie. Als die kleine Gruppe die Mitte der Lichtung erreicht hatte, blieben sie stehen. Der Vampir, der sie anführte, streifte seine Kapuze ab. Darunter kam ein kalkweißes Gesicht zum Vorschein, mit grauen Augen, die leicht aus dem Schädel hervortraten, und einem auffallend kräftigen Kiefer.
„Ich grüße euch, Wächter.“ Sein Lächeln war aufgesetzt. Mira beschlich augenblicklich die Angst vor dem, was er vorhaben könnte. Mit den Hunden hätte sie es aufgenommen, obwohl sie schon allein durch die massive Überzahl der Wächter keine Überlebenschance gehabt hätte. Aber mit diesem Vampir war es etwas anderes. Er musste einer der Ältesten sein.
„Was willst du, Cinric?“, fragte Drago ungeduldig. Sein Tonfall ließ eine alte Feindschaft vermuten.
„Ich möchte euch ein Angebot machen.“ Auf einen Wink stießen die Vampire hinter Cinric, die seine Leibwache sein mussten, die beiden Sterblichen ein paar Schritte vor und zogen ihnen die Kapuzen von den Köpfen. Es waren zwei junge Mädchen. Völlig verängstigt starrten sie von den Vampiren zu den Wächterhunden und anschließend kurz zu Mira.
„Diese beiden reizenden Geschöpfe haben wir in Aberdeen ausfindig gemacht. Sie sind Begabte, jung und gesund.“
Mira konnte sich denken, dass sie die Gabe besaßen, unsterbliche Nachkommen zu gebären. In der Nähe von Aberdeen lag die große Festung des Ältestenrats der Vampire. Vermutlich mieden die Gestaltwandler aus diesem Grund die gesamte Gegend und hatten die Familie der beiden Mädchen nie entdeckt. Es handelte sich ganz offensichtlich um Schwestern.
„Ihr habt für diese Gefangene dort keinerlei Verwendung“, fuhr Cinric fort, wobei er mit einer fahlen Hand auf Mira wies. „Ich schlage einen Austausch vor.“
„Sie hat einen von uns getötet!“, hielt Drago dagegen. Allerdings musterte er die beiden Mädchen schon mehr als interessiert.
„Das ist sehr bedauerlich, aber sie unterstützt Gesetzesbrecher unter den Vampiren. Bitte übergebt sie daher in unsere Gerichtsbarkeit.“ Cinric lächelte erneut künstlich in Miras Richtung. Seine Worte fraßen sich regelrecht durch ihre Trommelfelle in ihre Gedanken. Sie hasste Cinric jetzt schon wie die Pest. Ein paar der Hunde knurrten misstrauisch, doch Drago nahm das Angebot des Vampirältesten an. Miras Ketten wurden geöffnet, wobei Cinrics Leibwächter sie festhielten. Sie pressten sie auf den Boden und drehten ihr die Arme auf den Rücken. Offensichtlich besaßen sie Übung darin, ihresgleichen gefangen zu nehmen. Nicht für den Bruchteil einer Sekunde hatte Mira eine Chance, sich zur Wehr zu setzen. Sie verschnürten sie mit zwei kräftigen Seilen. Diese neuen Fesseln erlaubten überhaupt keine Bewegung ihrer Gliedmaßen. Ein großer, kräftiger Vampir warf sie über seine Schulter, woraufhin sie die Lichtung verließen. Nur wenn sie den Rücken so weit wie möglich bog, konnte Mira etwas außer dem schwarzen Umhang des Leibwächters sehen. Die Hunde streiften um die beiden Mädchen herum, die ihnen im Austausch für sie übergeben worden waren, und stupsten sie mit den Schnauzen an. Trotz ihrer eigenen Lage empfand Mira tiefstes Mitleid für sie. Sie wusste, dass der Handel mit Begabten früher einmal gang und gäbe gewesen war. Doch selbst ein Teil davon zu sein, widerte sie noch wesentlich mehr an als das bloße Wissen darüber. Als Mensch hätte Mira sich in dieser Situation wahrscheinlich übergeben müssen, aber ihr Vampirkörper hielt stand.
„Halt still!“ Der Leibwächter, der neben ihr ging, schlug sie auf den Hinterkopf. Mehr aus Reflex als aus Absicht ließ Mira ein dumpfes, aggressives Grollen ertönen. Ruckartig setzte ihr Träger sie ab und drehte sie um. Seine Hand schloss sich um ihre Kehle und presste ihren Kopf gegen seine Schulter.
„Anzheru hat dich aber auch wirklich nichts gelehrt. Man knurrt ältere Vampire nicht an.“ Der andere Leibwächter kam bedrohlich näher. Mira konnte sogar sein fahles Gesicht unter der riesigen Kapuze sehen. Er zog ein Messer hervor und hob es an ihre Wange.
„Lass das“, mischte Cinric sich ein. „Verschwendet ihr Blut nicht. Dafür ist es viel zu kostbar.“
Die beiden Leibwächter tauschten einen Blick aus. Mira konnte an ihren Augen ablesen, dass sie sich etwas anderes ausdachten, als ihr das Gesicht zu zerschneiden. Und das wahrscheinlich schon für jede Strafe für Gefangene, die es wagten, aufmüpfig zu werden. Am liebsten hätte sie sie auf der Stelle erschlagen, doch sie landete unsanft im Schnee. Der Fußmarsch wurde fortgesetzt. Der Vampir, der Mira zuvor getragen hatte, schleifte sie nun an dem Seil, das ihre Fußgelenke umschloss, hinter sich her. Und natürlich mit dem Gesicht nach unten. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie einen großen Hubschrauber. Mira wurde auf die Ladefläche verfrachtet, während sie noch Schnee ausspuckte. Cinric und seine Leibwächter nahmen auf den Sitzen längs der Flanken des Helikopters Platz. Sie durfte gnädigerweise bei ihren beiden persönlichen Bewachern auf dem Boden sitzen. Die Seile hinterließen langsam Abdrücke. Mira war schleierhaft, aus welchem Material sie bestehen mussten, um so stabil zu sein. Cinric telefonierte...