E-Book, Deutsch, 1212 Seiten
Riebe / Monte / Bonn Schwestern der Sehnsucht: Drei Romane in einem eBook
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96655-561-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
"Pforten der Nacht" von Brigitte Riebe, "Das Herz der Falknerin" von Rena Monte und "Der Jahrmarkt zu Jacobi" von Susanne Bonn
E-Book, Deutsch, 1212 Seiten
ISBN: 978-3-96655-561-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Brigitte Riebe, geboren 1953 in München, ist promovierte Historikerin und arbeitete viele Jahre als Verlagslektorin. 1990 entschloss sie sich schließlich, selbst Bücher zu schreiben, und veröffentlichte seitdem mehr als 50 historische Romane und Krimis, mit denen sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten vertreten ist. Heute lebt Brigitte Riebe mit ihrem Mann in München. Die Website der Autorin: www.brigitteriebe.com Bei dotbooks veröffentlichte Brigitte Riebe ihre historischen Romane: »Schwarze Frau vom Nil« »Liebe ist ein Kleid aus Feuer« »Die Braut von Assisi« - auch als Hörbuch erhältlich »Die schöne Philippine Welserin« »Der Kuss des Anubis« »Die Töchter von Granada« »Pforten der Nacht« »Die Hexe und der Herzog« »Die Prophetin vom Rhein« Die letzten drei Romane sind auch im Sammelband »Töchter einer dunklen Zeit« erhältlich. Auch bei dotbooks veröffentlichte Brigitte Riebe ihre Jakobsweg-Saga mit den Romanen: »Die Straße der Sterne« »Die sieben Monde des Jakobus« Auch als Sammelband erhältlich. Sowie den Roman »Der Wahnsinn, den man Liebe nennt«.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Prolog
Ihr Gesicht. Nur immer ihr Gesicht. Es verfolgte ihn im Wachsein und erst recht in den wilden, fieberhaften Träumen, die ihn schon seit einiger Zeit überfielen und morgens zerschlagen und schuldbewußt erwachen ließen. Unablässig war es bei ihm, wohin er ging, was immer er tat, mit wem er auch sprach. Manchmal fühlte er sich ganz schwerelos dabei, leicht wie eine Feder im Wind, dann wieder kam es ihm vor, als stürze er ohne Vorwarnung in einen tiefen Abgrund, genarrt durch das Verhallen ihrer Stimme. Schien nicht alles, was er erlebte, plötzlich unwirklich? Jede Farbe leuchtender, die Konturen schärfer? Roch nicht alles intensiver, wenn er ihr begegnete oder sich nach ihr sehnte? War nicht selbst der leiseste Laut durch sein eigenes Echo verstärkt?
Die feste, zart bräunliche Haut. Die Nase mit dem schmalen Rücken, zu kühn für ein Mädchen, fast schon herrisch. Die Lippen, schmal und spöttisch, leicht gekräuselt und unwiderstehlich, wenn sie lachte und dabei starke, weiße Zähne sehen ließ, eine harte Linie, wenn sie zornig oder ärgerlich wurde. Am schönsten für ihn aber waren Annas Augen, weit auseinanderstehend, schiefergrau und so unergründlich wie das Meer an stürmischen Tagen, an dem er sich nicht hatte satt sehen können, als er mit seinem Onkel Jakub vor zwei Jahren aus seiner Vaterstadt Köln aufgebrochen war, um Verwandte in Flandern zu besuchen.
Jetzt waren sie geschlossen. Sie schlief, den Rücken an eine Säule in der Kapelle gelehnt, wo im letzten Sommer die große Feuersbrunst gewütet hatte, sorglos und gelöst wie ein kleines Kind; ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Schweißtröpfchen schimmerten auf ihrer hohen Stirn, und auch das braune Haar, das sich längst aus den stets ungeduldig geflochtenen Zöpfen gelöst hatte, war an den Schläfen feucht. Es lag vermutlich nicht allein an der frühsommerlichen Hitze, die sich in diesen ersten Maitagen anno Domini 1338 wie eine dumpfe Glocke über die große Stadt am Rhein gestülpt hatte und in dem rußstarrenden Kirchenschiff beinahe ins Unerträgliche gesteigert wurde. Wahrscheinlich war Anna hierher gelaufen, so schnell sie nur konnte, wie sie es meistens tat, als sei gemächliches Bewegen ihrem Wesen ganz und gar fremd. Sie ist ein Wirbelwind, dachte er zärtlich, eine frische Brise, die unbekümmert durch die Gassen fegt und selbst tiefhängende Wolken zum Aufreißen zwingt.
Er machte einen Schritt auf sie zu. Und blieb unentschlossen doch wieder in einigem Abstand vor ihr stehen. Esra David Joshua, Sohn des verstorbenen Pfandleihers Simon, Neffe des von der ganzen Gemeinde verehrten Rabbiners Jakub ben Baruch de Friedland, zögerte, sie einfach anzustupsen und aufzuwecken. Er wußte, daß Anna die Bettstatt mit den ungezogenen kleinen Stiefschwestern teilen mußte, die sie piesackten und ihr den Platz streitig machten. Daß ihr Tagwerk lang und anstrengend war und sie nach der Arbeit am Blaubach immer häufiger bis spätabends ihrer Stiefmutter in der Wirtsstube bei der Bedienung der Gäste helfen mußte. Sie war nach dem viel zu frühen Tod ihrer Mutter und ihres neugeborenen Zwillingsbruders ein Waisenkind gewesen wie er, aber sie hatte nicht das Glück gehabt, unter der Obhut einer liebevollen Tante und eines klugen Onkels aufzuwachsen, der ihm die meisten seiner zahlreichen Fragen beantworten konnte. Ihre kräftigen Hände, die nichts Kindliches mehr hatten, verrieten, wie hart die Tochter des Färbers Hermann Windeck herangenommen wurde. Spuren von blauem Waid zogen sich bis über die Ellenbogen; und unter den abgebrochenen Fingernägeln hatte sich rötliches Krapp abgesetzt.
Sie seufzte leise und räkelte sich im Schlaf. Dabei verschob sich ihr verschlissenes Kleid, das über der Brust allmählich zu eng wurde, rutschte nach oben und gab eine schlanke, unerwartet schutzlose Wade frei. Unwillkürlich schoß ihm das Blut in die Lenden, und ein seltsames, wehes Gefühl ließ ihm die Kehle ganz eng werden. Sie an sich zu reißen, in ihren Haaren zu wühlen, sie zu küssen, ihre Hüften zu berühren ...
Beschämt wandte er sich ab. Seine grünlichen Augen, die ins Blaue gehen konnten, wenn er wütend wurde, schlossen sich. Verlegen kratzte er in seinem lockigen, dunklen Haar, das kein Kamm jemals vollständig bändigen konnte. Dann wischte er sich die Hände an den Hosenbeinen ab. Gehörte er jetzt etwa auch schon zu der Horde geiler Gaffer, die ihr, wie sie ihm kürzlich errötend anvertraut hatte, in der Taverne hinterherstarrten und dabei anzügliche Zoten rissen? Die versuchten, sie im Vorbeigehen zu begrapschen und auf den Schoß zu ziehen? Abwehrend schüttelte er den Kopf.
Anna Windeck war seine Freundin seit frühen Kindestagen, und sie wurde erst im kommenden Monat zwölf. Fast auf den Tag ein Jahr jünger als er mit seinen beinahe Dreizehn. Die Feier seiner Bar Mizwa, die ihn zum Vollmitglied der jüdischen Gemeinde machen würde, war längst angesetzt. Tante Rechas umfangreiche Vorbereitungen strebten allmählich ihrem Höhepunkt zu; Jakub sprach nur noch davon, wie er ihm künftig bei allen Feierlichkeiten in der erst jüngst frisch gedeckten Synagoge zur Hand gehen könne. Alles schien so fest bestimmt, so unausweichlich. Zum erstenmal in seinem Leben empfand Esra beinahe so etwas wie Furcht davor, das zu erreichen, wonach er sich lange gesehnt hatte: erwachsen zu werden.
»Ich bin spät, ich weiß, aber ich dachte schon, diese schreckliche Lateinschule hört nie mehr auf!«
Johannes war gekommen, der dritte im Bunde. Nun waren sie komplett. Der Klang seiner Stimme hatte Anna geweckt, und sie setzte sich gerade auf. Ihre Augen begannen zu strahlen, und die schmerzhafte Enge ins Esras Kehle wuchs weiter zu. Verzweifelt rang er nach Luft. So sieht sie mich nie an, dachte er. Niemals! Immer nur ihn. Den anderen. Und er scheint sich nicht einmal besonders viel daraus zu machen.
»Du hast ja lauter Tinte im Gesicht«, sagte Anna lächelnd. »Versuchst du sie zu trinken, anstatt mit ihr zu schreiben?«
Johannes rieb seine Wange nachlässig mit Spucke und wischte anschließend die schwärzlichen Spuren an seinen Beinlingen ab, nicht aus billigem Barchent geschneidert, wie Esras und Annas Kleidung, sondern aus hellem Strickstoff gewirkt. Die enge, kurze Bux, die er darüber trug, war aus feinstem Leinen.
»Gar keine schlechte Idee! Wenn du wüßtest, wie langweilig es ist, Stunde über Stunde stillzusitzen! Bruder Matthias und erst recht der alte Pater Raffael bestehen nun mal darauf, die Lektionen so lange durchzugehen, bis sie auch der Dümmste in der Klasse verstanden hat – und das kann dauern, sag' ich euch! Dazu dieses gräßliche Rechnen auf den Zeilen, das mich schon bis in den Schlaf verfolgt. Zum Teufel mit diesem Buchstabensalat! Ich wünschte, ich müßte niemals mehr im Leben dorthin!«
Er zog eine Grimasse; sein schmaler Kopf mit dem dunkelblonden, schulterlangen Haar flog übermütig nach hinten. Mit seinen sensiblen Zügen, den Augen, hellbraun wie frisch gebrautes Bier, und der zarten Haut hatten ihn früher viele irrtümlich für ein Mädchen gehalten, aber nachdem er im letzten Jahr so in die Höhe geschossen war, konnte man sich unschwer vorstellen, was für ein Mann er bald schon sein würde. Leider war seine Stimme noch hell und knabenhaft und ließ die tiefen Töne vermissen, mit denen Esra schon ab und an prahlen konnte. Er warf dem Freund einen raschen Blick zu. Manchmal fürchtete er, er würde niemals dessen Stärke und körperliche Geschicklichkeit erreichen.
»Und ich wünschte, wir könnten tauschen, Johannes!« sagte Anna belegt. »Liebend gern würde ich statt deiner in der Schule sitzen, um Latein zu studieren und das Rechnen von Grund auf zu lernen. Aber das bleibt wohl nur ein Traum. Hilla hat mir seit neuestem sogar verboten, daß ich weiterhin von Tante Regina unterrichtet werde.«
»Auch sonntags?« warf Esra ein. Er wußte, wieviel Anna an den Stunden bei der frommen Begine lag. Sie war fast so wißbegierig wie seine kleine Schwester Lea, die nicht genug von allem Geschriebenen bekommen konnte.
Sie nickte. »Gerade sonntags. Nach dem Kirchgang haben die Leute Durst und kehren um so lieber bei uns ein. Außerdem ist sie fest davon überzeugt, daß Lesen den Charakter verdirbt – vor allem den weiblichen!« Jetzt waren die dunklen Brauen tief über die Augen gezogen. Sie traf Hillas Mimik und Gestik bis ins Kleinste. »›Das Weib steigt höher in der Tugend, aber es fällt auch tiefer in der Sünde – amen!‹ Und das ausgerechnet von der Maulwürfin, die selber halb blind ist und zu blöd, um auch nur einen Buchstaben vom anderen zu unterscheiden!«
»Ich denke, wir sollten endlich anfangen«, wechselte Johannes abrupt das Thema. »Oder habt ihr es euch inzwischen etwa anders überlegt?«
»Ich bin dabei«, sagte Anna schnell und war froh, daß ihre Stimme nicht zitterte. Sie fühlte sich ganz und gar nicht wohl an diesem schwülen, viel zu heißen Morgen. Etwas rumorte in ihrem Bauch. Wahrscheinlich hätte sie vorhin nicht so viel Wasser auf einmal trinken sollen. Seitdem sie die Wasserstelle des Klosters von St. Georg nicht mehr benutzen durften und auf die städtischen Galgenbrunnen angewiesen waren, klagte immer wieder eines der Kinder aus der Familie über Übelkeit und Durchfall. Aber was hätte sie anderes machen sollen? Hillas Grütze war klumpig und angebrannt wie meistens gewesen, die klapprige Milchkuh, die sie einige Zeit im Schuppen gehalten hatten, war längst verkauft, und sie war bereits wieder durstig.
»Und du?« wandte Johannes sich an Esra, barsch vor Ungeduld. Ton und Haltung hatte er von seinem Vater abgeschaut, dem reichen Kaufmann Jan van der Hülst, der mit Tuchen, Gewürzen und Waffen im Westen und Süden überaus erfolgreich Handel trieb.
Der Junge war blaß geworden. Er...




