E-Book, Deutsch, Band 2, 419 Seiten
Reihe: Distant Horizons
Ried Distant Horizons 2: A Radiant Hope
23001. Auflage 2023
ISBN: 978-3-646-60922-6
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dystopische Romantasy über eine Piratin auf der Suche nach der Wahrheit
E-Book, Deutsch, Band 2, 419 Seiten
Reihe: Distant Horizons
ISBN: 978-3-646-60922-6
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
P.J. Ried wurde 1997 geboren und lebt als Autorin und freie Lektorin in Hannover. Durch ihr Studium der Literaturwissenschaft entdeckte sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben neu. Seitdem verirrt sie sich regelmäßig in fantastische Welten, was dank ihres mangelnden Orientierungssinns zum Glück kein Problem darstellt. Wenn sie nicht gerade in Geschichten abtaucht, liebt sie es zu zocken oder Serien und Animes zu schauen. Außerdem träumt sie von einem Leben am Meer mit Sushi-All-you-can-eat-Restaurants und einer Katze.
Autoren/Hrsg.
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Mitgefangen, mitgehangen
Sie hat mir meinen Ozean gestohlen.
Meinen wundervollen, nebelweichen, gewittertrüben Ozean.
Sie hat mich eingesperrt in den dunkelsten Winkel eines fremden Schiffes, weit weg von meiner Crew. Weit weg von allem, was mir wichtig ist. In ein finsteres Loch, in dem ich nichts davon hören, nichts sehen, nichts bewegen kann.
Aber das Schlimmste ist, dass sie mir das Meer gestohlen hat.
Zuerst habe ich geschrien, bis mir die Stimme ausblieb und meine Kehle wund war. Dann habe ich mich gegen die Ketten gewehrt, die mich an die Wand in meinem Rücken fesseln, bis meine Handgelenke bluteten. Ich habe um mich getreten, das Essen verweigert, ins Leere gestarrt.
Doch all das hat nichts gebracht.
Also bleibt mir nur noch, das von Evangelines Untergebenen extra für mich angebrachte Metallschild über der Tür mit Blicken aufzuspießen. . Daneben eingravierte Ankersymbole und ein Herzchen, das ich am liebsten ankotzen würde, wenn ich etwas Vernünftiges im Magen hätte.
Wie sehr ich Evangeline hasse. Sie und ihre verfluchte Klinge.
Aber am allermeisten hasse ich mich selbst.
Dafür, dass ich mit einem Blutgefallen meine gesamte Crew und Siebenklinge ins Verderben gestürzt und mein Schiff verloren habe. Dafür, dass ich so naiv war, Kian bedingungslos zu vertrauen. Für meine Mitschuld an Arks Untergang durch die Piraten.
Und vor allem für Moms Tod.
Ein Scharren lässt mich aufhorchen. Anschließend ertönt ein Klicken und kurz darauf schabt die Tür mit einem grässlichen Geräusch über den metallenen Boden.
Natürlich taucht sie genau in dem Moment auf, in dem meine Stimmung auf dem Tiefpunkt ist. Wie bereits unzählige Male zuvor. Egal zu welcher Tages- und Nachtzeit. Nicht dass ich in diesem fensterlosen Raum genau wüsste, wie draußen die Zeit vergeht.
Hin und wieder verschwindet sie für lange Schlaf- und Wachabschnitte, lässt mich mit meiner Schmach zurück, alles verloren zu haben. Dann bin ich gefühlte Wochen allein bis auf eine Frau, die mir einmal am Tag Essen und Trinken bringt – ohne Besteck, das ich nutzen könnte – und den Eimer neben meinen Füßen leert, der mir als Toilette dient. Manchmal bringt sie eine weitere Wächterin sowie einen zweiten Eimer voll Wasser mit und löst für ein paar Minuten meine Fesseln, damit ich mich waschen kann.
Zumindest bedeutet Evangelines Rückkehr stets, dass ich etwas von dem mitbekomme, was außerhalb meiner Zelle vor sich geht. Trotz der dicken Wände dringen dann schwere Motorengeräusche, manchmal metallisches Klirren und Flüche zu mir herein. Ab und zu wehen auch Gesprächsfetzen an mein Ohr, genuschelte Worte über Ark, Baupläne oder neue Bergungsgeräte. Ich nehme an, dass sie in Evangelines Abwesenheit versuchen Teile der Maschine ADAD aus den Trümmern der Kuppelstadt zu bergen, jener Maschine, an der meine Mutter ihr Leben lang geforscht hat. Jener Maschine der , von der ich hoffe, dass sie sie nie wieder zusammensetzen wird. Denn sonst wird die Welt erneut in ein unvorhersehbares Chaos gestürzt.
Und nur selten hat Evangeline nach ihren Ausflügen erträgliche Laune.
»Guten Morgen, Sonnenschein«, flötet diese jetzt und betritt die Zelle. Hinter ihr stehen zwei bullige Männer mit kurz geschorenen Haaren, die jemand Dritten in ihrer Mitte eingehakt haben. Undeutlich erkenne ich eine Gestalt mit dunklen Haaren, Rock und Bluse. »Zeit zum Aufstehen. Ich habe eine Überraschung für dich.«
Ich schweige, starre auf meine bloßen Füße. Auf die verdreckten Sohlen, die schwarz von Ruß und Asche sind, die damals die und vermutlich noch heute jedes Schiff bedecken, das in der letzten Nacht der Kuppelstadt dort verankert war. Die letzten Spuren . Die letzten Spuren meiner alten Heimat.
Jetzt habe ich keine mehr.
»Sieh mich wenigstens an, wenn ich dir schon eine Freundin mitbringe.«
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Eine Freundin? Wechselt sie etwa ihre Methode, um mir Informationen über ADAD zu entlocken? In unregelmäßigen Abständen verhört sie mich stundenlang, versucht mir die Verstecke von Bauplänen, Quellen von Bauressourcen oder Beobachtungen meiner Mutter zu entlocken, um die Maschine wieder zusammenzusetzen. Manchmal ändert sie ihre Taktik, schlägt einen sanften Tonfall an und will mir einreden, dass sie und Mom das gleiche Ziel von einer friedlichen Welt ohne Ressourcenknappheit und Kämpfe verfolgen. Dass sie ADAD zum Wohle der Menschheit nutzen will und Opfer eben erbracht werden müssen. Dass wir beide uns in unserer Wut auf Ark zusammentun sollten, weil die Stadt uns beiden alles genommen hat. Doch egal, wie oft ich sie frage, sie will mir nicht verraten, was sie verloren hat – ich sehe nur Zorn in ihren Augen, der alles andere verzehrt. Das Einzige, was sie die letzten Monate – so glaube ich zumindest – über davon abgehalten hat, mich an die Fische zu verfüttern, ist die Lüge, in sämtliche Forschungen meiner Mutter über ADAD eingeweiht zu sein. Doch je länger ich schweige, desto mehr wächst meine Angst aufzufliegen.
Ein Knall ertönt, gefolgt von einem Scharren. »Setz dich, Liebes«, sagt sie. »Wir sind ja keine Barbaren.«
»Scher dich zum Teufel«, zischt jemand. Die Stimme kommt mir bekannt vor. Beängstigend bekannt.
Mit einer schlimmen Vorahnung sehe ich auf. Evangelines Gesicht liegt zur Hälfte im Dunkeln, nur erhellt vom Schein einer Öllampe. Das unregelmäßige Zucken der sterbenden Flamme verzerrt ihr Lächeln zu einer grotesken Grimasse, während die zwei auffällig blassen Männer hinter ihr hervortreten, um eine Frau auf einen ramponierten Stuhl in der Mitte des Raums zu drücken und dort festzubinden. Eine Frau mit langen schwarzen Locken, einem dunkelblauen Rock und einer weißen Bluse, die einen sanften Kontrast zu ihrer hellbraunen Haut bildet. Eine Frau, die mit blassgrünen Augen meinen Blick sucht.
Ari.
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen.
»Was willst du?«, knurre ich.
Die Diverin stützt sich lässig mit den Händen auf der Rückenlehne des Stuhls ab, sodass sie Aris Schultern berührt und die verwobenen Münzen und Angelhaken ihres Oberteils unheilvoll aufblitzen. Dazwischen erkenne ich die Umrisse von Kapitänsketten, Zeichen der vielen Captains, die bereits vor mir ihrer Masche mit dem Blutgefallen zum Opfer gefallen sind. Das Plättchen mit dem Logo von Ark suche ich allerdings vergeblich – vermutlich hat sie es nach dem Untergang der Kuppelstadt entfernt.
Ich lasse meinen Blick von Evangeline zu meiner Navigatorin wandern, die vor der Berührung der Diverin zurückzuckt, so weit ihre Fesseln es erlauben. Das letzte Mal habe ich sie an Bord der gesehen, während Ark lodernd in den Fluten versunken ist. Danach hat die Diverin mich auf ihrem Schiff eingesperrt und mich von meinen Freunden getrennt. Jeden Tag frage ich, wie es ihnen wohl geht. Ari jetzt vor mir zu haben, ausgemergelt, verschmutzt, aber am Leben, sendet einen jähen Strom von Erleichterung durch mich hindurch. Das bedeutet, dass es vielleicht auch den anderen gut geht.
»Ach, Al. Müssen wir etwa jedes Mal wieder von vorn anfangen?«
Schweigend funkele ich Evangeline an. Obwohl mir das Herz bis zum Hals klopft, versuche ich meine Fassade aufrechtzuerhalten. Sie soll nicht wissen, dass die Angst um meine Freundin sich wie eine Faust um meine Brust schließt und mir das Atmen erschwert.
»Na gut, dann werden wir den Einsatz eben ein wenig erhöhen.«
Panik wallt in mir auf, doch ich bemühe mich sie mir nicht anmerken zu lassen. Ich muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren, den Spieß umdrehen, um Ari und mich aus dieser Situation zu befreien. Wenn ich mich unüberlegt verplappere, sind wir beide vermutlich schneller Möwenfutter, als wir blinzeln können.
»Du findest den Reaktor also immer noch nicht«, stelle ich fest und genieße den Anflug von Zorn, der kurz über ihr Gesicht zuckt. »Und auch keine Baupläne.«
»Macht nichts. Du wirst mir schon verraten, wie ich diese Maschine zum Laufen bekomme.«
Ich schnaube, um zu überspielen, wie sich mein Atem beschleunigt. »Vergiss es.«
Ari hebt kurz die Fußspitze, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und sieht mich eindringlich an.
»Und wenn nicht?«, zische ich, um Zeit zu schinden, obwohl mir klar ist, warum Evangeline Ari zu mir gebracht hat. Sie will sie als Druckmittel einsetzen.
»Dann erinnere ich dich daran,...




