E-Book, Deutsch, Band 2, 496 Seiten
Reihe: Im Zeichen des Löwen
Rivers Rapha - Die Tore von Ephesus
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-96122-176-9
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 496 Seiten
Reihe: Im Zeichen des Löwen
ISBN: 978-3-96122-176-9
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Francine Rivers war bereits eine bekannte Bestsellerautorin, als sie sich wieder dem christlichen Glauben ihrer Kindheit zuwandte. Danach schrieb sie 1986 ihr bekanntestes Buch, 'Die Liebe ist stark', dem noch rund 20 weitere Romane folgten. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Nordkalifornien. © Foto: Elaina Burdo
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Prolog
Alexander Democedes Amandinus stand an der Tür des Todes und wartete auf seine Chance, das Leben zu studieren. Er mochte die Spiele nicht und war nur widerwillig gekommen. Doch was er jetzt sah, faszinierte ihn bis ins Mark. Er starrte auf das still daliegende Mädchen und verspürte einen unerklärlichen Triumph.
Er war immer zurückgeschreckt vor der wilden Gier des Mobs. Sein Vater hatte ihm das damit erklärt, dass es manchen Menschen innere Erleichterung brachte, bei Gewaltszenen zuzuschauen, und manchmal hatte Alexander diese Erleichterung, schon fast krankhaft und pervers, tatsächlich in den Gesichtern lesen können, in Rom, in Korinth und hier in Ephesus. Vielleicht waren die Zuschauer den Göttern dankbar, dass nicht sie es waren, die da den Löwen oder einem geschulten Gladiator oder einem noch schlimmeren Todbringer gegenüberstanden. Vielleicht brauchten sie dieses geplante Abschlachten, um die Sinnlosigkeit ihrer vor sich hin faulenden Welt vergessen zu können.
Alexander packte das Eisengitter fester und spähte in die Arena hinaus, wo die junge Frau in ihrem Blut lag. Merkwürdig ruhig, fast freudig war sie in die Arena geschritten. Sie hatte eine besondere Ausstrahlung, etwas Unerklärliches an sich gehabt, das ihn gefesselt hatte. Gesungen hatte sie; einen Augenblick lang hatte ihre Stimme sich wie eine Lerche in die Luft erhoben, dann hatte das Gebrüll des Mobs sie verschluckt. Sie war weiter über den Sand geschritten, auf Alexander zu, und mit jedem ihrer Schritte hatte sein Herz stärker gepocht. Schlicht hatte sie ausgesehen, aber irgendetwas war von ihr ausgegangen – eine Art Leuchten; oder hatte er sich das nur eingebildet? Dann hatte die Löwin sie gepackt, und Alexander hatte den Schmerz fast selbst gespürt.
Jetzt kämpften zwei der Tiere um ihren Körper. Alexander kniff die Augen zusammen, als die eine Löwin ihre Zähne tief in den Schenkel der jungen Frau schlug und sie wegzuschleifen begann. Die andere Löwin wollte ihr die Beute streitig machen und schon rollten sie beide fauchend und kratzend im Sand.
Ein kleines Mädchen in einer verschmutzten und zerlumpten Tunika rannte schreiend an dem vergitterten Tor vorbei, hinter dem Alexander stand. Er biss die Zähne zusammen, versuchte nicht hinzuhören. Die Mutter stellte sich vor ihr Kind. Ein Löwe mit glitzernden Juwelen am Halsband streckte sie nieder, ein zweiter sprang hinter dem Kind her. Renn, Kleine, renn! Alexanders Finger schlangen sich um das Gitter. Er lehnte seine Stirn dagegen. Langsam atmen, nicht durchdrehen.
Er kannte sie alle, die Argumente für die Spiele: Die Menschen, die man den Löwen vorwarf, waren Verbrecher, die den Tod verdient hatten. Die, die jetzt gerade niedergemacht wurden, gehörten zu einer Religion, die Rom zerstören wollte. Nun gut. Aber vielleicht hatte eine Gesellschaft, die derart grausam selbst kleine Kinder umbrachte, nichts anderes verdient?
Die verzweifelten Schreie des Kindes jagten eiskalte Schauer durch seinen Körper. Fast war er dankbar, als das Maul der Löwin sich um die kleine Kehle schloss und sie verstummen ließ. Dann hörte er das rohe Lachen des hinter ihm stehenden Wachsoldaten: „Das füllt dem Löwen mal gerade ’nen hohlen Zahn!“
Alexanders Unterkiefer mahlte. Am liebsten hätte er die Augen geschlossen, aber er spürte, wie der Soldat ihn durch das Visier seines polierten Helms hindurch beobachtete. Er durfte sich jetzt keine Blöße geben! Wenn er ein guter Arzt werden wollte, musste er das überwinden. Wie sein Lehrer Phlegon ihm mehr als einmal gesagt hatte: „Wenn du Erfolg haben willst, darfst du nicht so zart besaitet sein. Sterben und Tod mitzuerleben ist nun einmal das Los eines Arztes.“
Phlegon hatte recht. Und Alexander wusste auch, dass er ohne diese Spiele keine Gelegenheit bekommen würde, seine Kenntnisse der menschlichen Anatomie zu vervollständigen. Die Schriften und Zeichnungen, die es gab, hatte er alle studiert. Noch mehr lernen konnte er nur durch das Sezieren noch lebender Menschen. Phlegon wusste wohl, wie sehr Alexander diese Eingriffe zuwider waren, aber der alte Arzt war unnachgiebig gewesen und seine Logik ebenso: „Du willst ein guter Arzt werden? Dann sage mir, mein lieber Schüler, ob du dich von einem Arzt operieren lassen würdest, der keine Anatomiekenntnisse aus erster Hand hat! Alle Bilder der Welt können das Studium am lebenden Objekt nicht ersetzen. Sei dankbar, dass die Spiele dir eine Gelegenheit dazu geben!“
Dankbar. Alexander schaute zu, wie ein Opfer nach dem anderen fiel und die entsetzlichen Angst- und Schmerzensschreie von den gedämpften Fressgeräuschen der Löwen abgelöst wurden. Dankbar? Er schüttelte den Kopf. Nein, für so etwas würde er niemals dankbar sein können.
Ein neues Geräusch kam auf, unheimlicher als das Reißen und Knurren der Löwen. Es kam von den Zuschauerrängen, und Alexander erkannte es sofort: das Murmeln und Murren der Langeweile. Der dramatische Teil des Schauspiels war vorbei, an den fressenden Tieren war der Mob nicht mehr interessiert. Das Murren schwoll an, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Der Veranstalter der Spiele reagierte rasch: Die Tore zu den Löwenkäfigen öffneten sich wieder und bewaffnete Wärter kamen heraus, um die Tiere zurückzutreiben, die ihre Krallen und Zähne instinktiv tiefer in ihrer Menschenbeute vergruben.
Alexander betete zum Mars, dass die Männer schnell arbeiten würden, und zum Äskulap, dass mindestens eines der Opfer noch nicht ganz tot war, damit er das tun konnte, wozu er gekommen war.
Das schwierige Unterfangen, hungrige Raubtiere von ihrer Beute zu trennen, interessierte Alexander nicht. Seine Augen schweiften ruhelos über den Sand, suchten nach Überlebenden. Viel Hoffnung hatte er nicht.
Sein Blick fiel wieder auf die junge Sängerin. Kein Löwe war bei ihr. Merkwürdig, wo sie doch weit entfernt von den Männern lag, die die Tiere zurück in die Käfige trieben. Aber was war das? Er reckte den Kopf und blinzelte gegen die Sonne an. Ihre Finger bewegten sich!
Er drehte sich hastig zu dem Soldaten um. „Da drüben, die in der Mitte!“
„Die haben sie doch als Erste erwischt, die ist tot.“
„Ich möchte sie mir ansehen.“
„Wie du wünschst.“ Der Wächter trat nach vorn und pfiff zweimal kurz. Alexander sah, wie der als Totenfährmann Charon verkleidete Schauspieler, der zwischen den Opfern herumtanzte, sich umdrehte und auf das Mädchen zusprang. Seine gefiederte Schnabelmaske ging nach unten, als er auf ein Lebenszeichen horchte, sein Hammer winkte theatralisch durch die Luft. Der Hammer fiel nicht.
Charon packte einen Arm der jungen Frau und schleifte sie über den Sand zur Tür des Todes. Im gleichen Augenblick sprang eine Löwin den Wärter an, der sie zurück in den Tunnel trieb. Die Menge schrie begeistert auf. Mit knapper Not gelang es dem Mann, sich das wütende Tier mit der Peitsche vom Leib zu halten und endlich von dem Kind wegzutreiben, das es gerade verspeisen wollte.
Der Wachsoldat benutzte die Ablenkung, um das Tor des Todes weit zu öffnen. „Schnell!“, zischte er, und Charon rannte mit der jungen Frau im Schlepptau herein. Der Wächter schnippte mit den Fingern, und zwei Sklaven sprangen herbei, packten sie an Armen und Beinen und trugen sie in den schwach erleuchteten Gang.
„Vorsichtig!“, rief Alexander, als sie das Mädchen auf den blutbesudelten Tisch warfen. Er schob die Sklaven ärgerlich beiseite. Wenn diese Trottel ihr jetzt nur nicht den Rest gegeben hatten!
Die Hand des Soldaten legte sich auf Alexanders Arm. „Sechs Sesterzen, bevor du sie aufschneidest“, sagte er kühl.
„Ist das nicht ein bisschen teuer?“
Der Wächter grinste. „Nicht für einen Schüler von Phlegon. Du musst eine Kiste voll Gold haben, dass du dir so einen Lehrer leisten kannst.“
„Sie wird zusehends leerer“, gab Alexander trocken zurück und öffnete den Beutel an seiner Hüfte. Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch blieb, bevor das Mädchen starb, und hatte keine Lust, jetzt um ein paar Münzen zu feilschen. Der Wachsoldat nahm sein Bestechungsgeld, von dem die Hälfte schon für Charon reserviert war, und ging.
Alexander wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Mädchen zu. Ihr Gesicht war eine rohe Masse aus zerrissenem Fleisch und Sand, die Tunika blutgetränkt. Viel Blut. Eigentlich musste sie tot sein. Er beugte sich über sie, legte sein Ohr an ihre Lippen – und spürte einen warmen Hauch. Sie lebte noch! Aber viel Zeit konnte er nicht mehr haben.
Er winkte seine eigenen Sklaven herbei und wischte sich mit einem Tuch die Hände ab. „Legt sie da drüben hin, wo es ruhiger ist. Aber vorsichtig!“
Die beiden Sklaven traten eifrig in Aktion. Phlegons Sklave Troas stand daneben und schaute zu. Alexander kniff die Lippen zusammen. Troas war ein fähiger Mann, aber zu kaltschnäuzig für seinen Geschmack.
„Licht bitte“, sagte Alexander und schnippte mit den Fingern. Der eine Sklave holte eine Fackel.
Alexander beugte sich wieder über die junge Frau, die jetzt auf einem Steintisch in einer Nische des Ganges lag. Der große Augenblick, für den er das schaurige Schauspiel in der Arena auf sich genommen hatte, war da: Gleich würde er die Bauchdecke öffnen, um die darunterliegenden Organe zu studieren. Er schluckte schwer und band dann die Ledertasche auf, in der seine Instrumente lagen. Er wählte ein schmales, scharfes Skalpell aus. Seine Hand schwitzte und zitterte. Jetzt brach ihm auch auf der Stirn der Schweiß aus. Er spürte Troas’ kritischen Blick in seinem...