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Robinson Sphärenklänge

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-20875-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

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Verlag: Heyne
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Nicht von dieser Welt

Johannes Wright, der Meister-Musiker des Jahres 3229, geht mit seinem Orchester auf seine erste große Reise durch das Sonnensystem. Er will den Menschen, die in den letzten Jahrtausenden Planeten, Monde und Asteroiden besiedelt haben, seine Musik bringen. Sie ist nicht nur die beste, sondern, wie er manchmal feststellen muss, auch die einzige Möglichkeit wahrer Kommunikation. Und so starten Wright und seine Freunde auf Pluto und arbeiten sich in Richtung Sonne vor, jenem schicksalhaften Ereignis entgegen, das sie – und mit ihnen jeden einzelnen Menschen – verändern wird: der absoluten Erkenntnis des Universums.

Kim Stanley Robinson wurde 1952 in Illinois geboren, studierte Literatur an der University of California in San Diego und promovierte über die Romane von Philip K. Dick. Mitte der Siebzigerjahre veröffentlichte er seine ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, 1984 seinen ersten Roman. 1992 erschien mit »Roter Mars« der Auftakt der Mars-Trilogie, die ihn weltberühmt machte und für die er mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet wurde. In seinem Roman »2312« erkundet er die verschiedenen Gesellschaftsformen, die die Menschheit nach ihrem Aufbruch ins Sonnensystem erschafft. Zuletzt sind bei Heyne seine Romane »New York 2140«, der in einem vom Klimawandel gezeichneten New York der nahen Zukunft spielt, und sein Bestseller »Das Ministerium für die Zukunft« erschienen. Kim Stanley Robinson lebt mit seiner Familie in Davis, Kalifornien.
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Kapitel eins


SPHÄRENMUSIK

Exemplarische Kontemplation

Lieber Leser, zwei Weißsonnen umkreisen den Planeten Uranus: eine heißt Puck, die andere Bottom. Sie glühen dicht über der wirbelnden Wolkendecke dieses riesigen Planeten, und mit der Hilfe des sanften grünen Planetenlichts erhellen sie diesen finsteren Winkel des Sonnensystems. An der grünlichen Glut des Trios wärmt sich ein Heer von Welten – kleiner Welten natürlich, Welten, die nicht größer sind als der Asteroid Vesta (viele davon eher noch kleiner) –, aber immerhin Welten, jede umgeben von einer durchsichtigen Lufthülle wie Miniaturmodelle in gläsernen Briefbeschwerern, und jede eine in sich geschlossene Zivilisation und Gesellschaft. Diese Welten kreisen in elliptischen Bahnen jenseits der schmalen weißen Bänder der Uranusringe; man könnte sagen, diese Kette von Welten bildet einen neuen Ring im alten Gürtel des Planeten: Das erste Dutzend wurde aus geglätteten Eisklumpen geformt, die neueren aus unregelmäßig aneinandergereihten Seifenblasen zusammengesetzt, von Leben erfüllt. Und was verbindet all diese verschiedenen Welten, was ist ihre lingua franca? Musik.

Unsere Geschichte nimmt also ihren Anfang – einen ihrer Anfänge – auf einer dieser Welten, auf der mit Namen Holland. Holland ist ein zerklüfteter Kleinmond, sattes Grün im Tiefland, kahl und moorig auf den Hügeln, die von den Bewohnern Tòrr genannt werden. Und in einem der mit Heidekraut bewachsenen Hochtäler, an einem Bach im Kieselbett, unter einem der höchsten Tòrrs, steht im Schatten einer einzelnen Eibe eine einsame Kate. Über dieser Kate pulsierte im Frühling des Jahres 3229 die reine Luft einer klaren Morgendämmerung; ein Strahl dieses Morgenlichts, Pucks vorwitziger Schein, lugte durchs Katenfenster, und drinnen erwachte Dent Ios.

Dent kam zu sich, noch in einem Traum gefangen, und richtete sich benommen und furchtsam auf. Er hatte geträumt, Holland habe Feuer gefangen, und seine Aufgabe sei, die Nachbarn zu warnen. Er war mit einer schweren Keule in der Hand den Pfad hinuntergelaufen, brüllend wie Paul Revere auf seinem wilden Ritt, und war über jeden Stein und jede Wurzel gestolpert; hatte ungestüm an die Türen gehämmert, bis sie geöffnet wurden und seine letzten Faustschläge die Bewohner trafen; war vor den wütenden Opfern davongelaufen und hatte, wenn sie an Häusern vorbeikamen, weiter seine Warnrufe ausgestoßen; hatte zu Kanistern gegriffen, um kleine Brandherde zu löschen, nur um festzustellen, dass es sich um Benzinkanister handelte; bis er am Ende von einem heimtückischen Schlag seiner eigenen Keule gefällt keuchend im Staub lag, von Flammen umgeben.

Dent fluchte auf die zufallsbedingten Synapsensprünge, die derartige Visionen hervorriefen, kletterte aus dem Bett und hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn in der Küche. Auf dem Herd stand noch eine große schwarze Pfanne, verkrustet mit einer dicken Schicht Speckfett. Dent rümpfte die Nase. Es war kühl; er schlüpfte in seine Hosen und zog sich ein warmes Hemd über den Kopf. Vom Außenabort kommend hörte er auf dem talaufwärts zu seinem Haus führenden Pfad Musik. Da kam jemand. Er eilte nach drinnen, um etwas Ordnung zu schaffen.

In seiner Kate herrschte Unordnung. Auf sämtlichen Flächen der Kochnische stapelte sich schmutziges Geschirr, der Boden war mit Kleidungsstücken übersät, und überall lagen Bücher und Holo-Würfel herum. Dent war einer jener Bewohner Hollands, die den hier sehr beliebten ländlichen Lebensstil pflegten, auch wenn sein Heim, vollgestopft mit Büchern, Musikinstrumenten, Notenblättern, Stichen, Holo-Würfeln und Computerkonsolen, bei näherem Hinsehen seine diversen kultivierten (manch einer auf Holland würde sagen: allzu kultivierten) Interessensgebiete offenbarte. Obwohl seine Kate dem Namen nach eine Farm war, gab es in ihrem Inneren keinerlei Anzeichen landwirtschaftlicher Tätigkeit zu entdecken – und genau genommen sah es draußen im Freien ganz ähnlich aus. Anders als die meisten seiner Nachbarn wanderte Dent ins nächstgelegene Dorf, um den größten Teil seiner Lebensmittel einzukaufen, und sein vernachlässigtes Tomatenbeet hatte den Kampf gegen das eindringende Unkraut beinahe schon aufgegeben. Jetzt stolperte er hastig um sein ungemachtes Bett herum und versuchte vergeblich, den Raum noch rechtzeitig in Ordnung zu bringen, um seine Gäste würdig empfangen zu können. Er beschloss, sie im Vorgarten zu begrüßen.

Über den schattigen Hügeln im Osten strahlte Puck exakt im Zentrum des Uranus, sodass der Planet hinter dem Diamantsplitter der Weißsonne wie ein immenser Opal wirkte. Das goldene Morgenlicht bekam dadurch einen Grünstich, der das taubenetzte Heidekraut erglühen ließ. Auf den letzten Serpentinen des Pfades aus dem Tal waren Stimmen zu hören. Dent griff mit seinen weichen, zarten Fingern nach den langen Schnurrbartenden und zupfte verzweifelt daran: ungeladene Gäste – am frühen Morgen! Eine Krise!

Drei Gestalten kamen über die steilste Kuppe des Pfades, und Dent entspannte sich. Es nahten drei seiner besten Freunde: June Winthrop, Irdar Komin und Andrew Allendale. June spielte auf einem Klavierstab, und Irdar und Andrew sangen dazu. Als sie Dent in seinem Vorgarten stehen sahen, winkten sie. »Hügelbewohner!«, sang June. »Drei Weise nähern sich mit Neuigkeiten!« Und die beiden Männer an ihrer Seite sangen harmonisches Gelächter.

Dent geleitete sie zu den Bänken unter der Eibe und rieb den Tau ins Holz. »Was führt euch so früh hierher? Ihr müsst vor Sonnenaufgang im Dorf aufgebrochen sein.«

»Nun ja«, sagte June, »du hast gestern Abend unser Treffen verpasst!« Und Andrew und Irdar lachten. Sie waren alle vier Mitglieder des Kollektivs, das Thistledown herausgab, ein Monatsjournal mit Musikkritiken und Kommentaren, das als das Beste im ganzen Uranussystem galt; das Kollektiv traf sich in unregelmäßigen Abständen im Dorf, das sich ins Tal unter Dents kleinem Kar schmiegte.

»Tut mir leid«, sagte Dent hilflos. »Einer meiner Tapire hat gekalbt.«

June lachte höhnisch. »Ich hoffe, du hattest Hilfe! Ich war das letzte Mal dabei, als eins von Dents Muttertieren geworfen hat«, erzählte sie den anderen, »und er hat einen Tierarzt kommen lassen, der die ganze Arbeit gemacht hat, während er selbst leichenblass herumgehüpft ist!«

»Deine unzähligen vergangenen und künftigen Ehen haben dich wohl zur hochqualifizierten Hebamme gemacht«, sagte Dent, was seine Freunde spöttisch aufstöhnen ließ. »Das mit dem Treffen tut mir jedenfalls leid. Hoffentlich habe ich nichts Wichtiges versäumt?«

Da brachen seine drei Freunde in schallendes Gelächter aus! Irritiert sagte Dent: »Ich bitte euch! Was ist passiert?«

June spielte den Anfang von Beethovens Fünfter: das Schicksalsmotiv. »Nach langer Debatte wurde beschlossen, dass Thistledown einen Korrespondenten abstellt, der über die Große Tournee von Holywelkins Orchester berichtet.«

»O nein«, sagte Dent voller Abscheu. »Ich hätte angenommen, das sei unter unserer Würde …« Dann sah er den Ausdruck in den Gesichtern seiner Freunde und hielt inne. »Moment mal, ihr wollt doch nicht etwa sagen …« Er stand auf. »Ihr wollt doch nicht etwa sagen, ihr habt mich …«

June nickte. »Wir haben einstimmig beschlossen, dass du für diese Aufgabe am besten geeignet bist.«

»Nein!«, rief Dent. Er umrundete erregt die Eibe, dann sagte er schlicht: »Ich mach's nicht.«

»Du musst!«, sagte Andrew fröhlich. »Es ist wie beim Posten des Vorsitzenden – wer nicht beim Treffen anwesend ist, kriegt die Sache aufgebrummt.«

»Aber das hier ist viel schlimmer«, sagte Dent. »Nein, nein. Unmöglich. Das könnte ich nicht.« Er wandte sich an June, die zur Zeit Vorsitzende des Kollektivs war. »Dieses Orchester ist doch nichts als ein Spielzeug, eine Kinderei, die benutzt wird, dem ignoranten Volk das Geld aus der Tasche zu ziehen. Warum sollten wir über irgendeine Tournee mit so einem Ding berichten?«

»Das Orchester hat einen neuen Meister«, sagte Irdar. »Hast du sein Wirken nicht verfolgt?«

»Wie ich bereits sagte, habe ich keinerlei Interesse an Holywelkins Orchester.«

»Aber dieser Wright ist anders. Er ist seit fünf Jahren Meister, und während der ganzen Zeit hat er kein einziges öffentliches Konzert gegeben.«

»Ein weiser Mann, würde ich sagen.«

»Er hat lediglich Kompositionen veröffentlicht – Etüden nennt er sie.«

June meinte: »Du hast selbst eine davon besprochen, Dent. Ich habe gestern Abend nachgeschaut. Eine von Wrights Etüden wurde im Journal der Klaviergilde von Lowell veröffentlicht, und du hast sie hoch gelobt. Originell und fremdartig hast du sie genannt.«

»Ah«, sagte Dent, der sich jetzt an den Artikel erinnerte. »Das war Wright? Wie bedauerlich, dass er an so ein monströses Instrument gekettet ist.«

»Vielleicht verändert er ja das Instrument«, sagte Andrew.

»Nein«, sagte Dent, »das Institut, dem es gehört, wird sicherstellen, dass darauf ausschließlich populäre Klassiker gespielt werden. Das ist schließlich seine Aufgabe. Der Meister ist nichts als ein Lakai des Aufsichtsrats.«

»Stimmt nicht«, widersprach June. »Für das Repertoire sind die Meister verantwortlich. Es ist nur so, dass Yablonski und sein Vorgänger gespielt haben, was der Aufsichtsrat vorgeschlagen hat. Aber auch das kann sich ändern. Gerüchteweise habe ich von Reibereien zwischen Wright und dem Rat gehört, und unser Korrespondent auf Lowell teilt mit, dass Wright unter Druck gesetzt wurde, diese Tournee zu unternehmen, und nur unter...


Robinson, Kim Stanley
Kim Stanley Robinson wurde 1952 in Illinois geboren, studierte Literatur an der University of California in San Diego und promovierte über die Romane von Philip K. Dick. Mitte der Siebzigerjahre veröffentlichte er seine ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, 1984 seinen ersten Roman. 1992 erschien mit »Roter Mars« der Auftakt der Mars-Trilogie, die ihn weltberühmt machte und für die er mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet wurde. In seinem Roman »2312« erkundet er die verschiedenen Gesellschaftsformen, die die Menschheit nach ihrem Aufbruch ins Sonnensystem erschafft. Zuletzt sind bei Heyne seine Romane »New York 2140«, der in einem vom Klimawandel gezeichneten New York der nahen Zukunft spielt, und sein Bestseller »Das Ministerium für die Zukunft« erschienen. Kim Stanley Robinson lebt mit seiner Familie in Davis, Kalifornien.



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