Robling | Rhetorische Ethik | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 228 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

Robling Rhetorische Ethik


unverändertes eBook der 1. Auflage von 2020
ISBN: 978-3-7873-3894-8
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 228 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

ISBN: 978-3-7873-3894-8
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wenn Rhetorik die Theorie der Wirkung einer Äußerung ist, dann ist rhetorische Ethik die Theorie des moralischen Umgangs mit dieser Wirkung. Auf diese kurze Formel lässt sich die These des vorliegenden Buches bringen. Die Legitimation dafür liegt in der Ambivalenz rhetorischer Wirkungsmacht, denn was dem Redner nützt, kann den Zuhörern schaden, wenn er sie nur überredet, ohne sie auch respektieren und überzeugen zu wollen. Ziel dieses Buches ist eine philosophische Reflexion des rednerischen Handlungsanspruchs, dessen persuasives Interesse zweifellos legitim ist, der aber gegenüber den Zuhörern auch moralisch glaubwürdig sein muss. Zunächst beschäftigt sich der Autor mit der kulturbegründenden Ambivalenz rednerischer Wirkung zwischen der Vermeidung physischer Gewalt und der Erzeugung neuer psychischer Gewalt. Danach werden auf kulturtheoretischer Basis ein rhetorischer Handlungsbegriff und ein rhetorisches Ethikmodell entwickelt sowie Überlegungen zur rhetorischen Güterlehre, den rhetorischen Moralnormen und Tugenden präsentiert. Abgerundet wird das Buch schließlich durch die Interpretation zweier Beispielreden, die das vorgeschlagene Ethikmodell auch praktisch illustrieren sollen.

Franz-Hubert Robling studierte in Münster und Tübingen, promovierte bei Walter Jens in Rhetorik und habilitierte sich an der Universität Straßburg für das Fachgebiet 'Historische Kulturtheorie der Rhetorik'. Von 1987 bis 2011 war er Redakteur am 'Historischen Wörterbuch der Rhetorik'. Bis heute ist er Lehrbeauftragter am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Gegenwärtig befasst er sich mit Anthropologie, Ethik und Kulturtheorie in rhetorisch-philosophischer Perspektive. 2007 erschien bei Meiner: Redner und Rhetorik. Studie zu Begriffs- und Ideengeschichte des Rednerideals.
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Einleitung


Wozu heute (noch) rhetorische Ethik?


Eine Frage wie die in der Überschrift gestellte hat auf den ersten Blick etwas Altmodisches, Rückwärtsgewandtes und provoziert beinahe die weiterführende Frage: »Wozu heute noch Rhetorik?« Gibt es nicht anstelle von »Rhetorik« inzwischen »strategische« oder »persuasive Kommunikation«, Begriffe und Konzepte, die das Beste der alten Rhetorik in sich aufgesogen haben und den angeblich unbrauchbaren Rest von dem, was die rhetorische Tradition ausgemacht hat, fachgerecht entsorgten? Eine ähnliche Bewandtnis scheint es auch mit der rhetorischen Ethik zu haben. Ist denn ihre Erbmasse nicht in den verschiedenen Spielarten der modernen Kommunikationsethiken aufgegangen bzw. weiterentwickelt worden, als da sind: journalistische Ethik, Publikumsethik, Diskursethik, Medienethik, Informationsethik, Internetethik? Sicher, all diese Konzepte haben etwas von der Ethik rhetorischer Wirkung übernommen. Aber nur einzelne Aspekte werden jeweils berücksichtigt, so dass die Idee einer eigenen, auf Beeinflussung und Wirkung setzenden rhetorischen Ethik darin eher vorausgesetzt als wirklich entwickelt wird.

Die Gründe dafür liegen allerdings nicht im Unvermögen der genannten Disziplinen, sondern darin, dass die moderne Rhetorikforschung zwar ethische Ansätze, aber keine systematisch fundierte eigene Ethik mehr anzubieten hat. Denn mit dem Untergang der Rhetorik als Produktionstheorie von Texten seit dem Ende des 18. Jahrhunderts verschwand auch das ehemals den rhetorischen Unterricht bestimmende und auf der antiken bzw. humanistischen Tugendethik gründende Ideal des , des »Ehrenmanns, der reden kann«. Außerdem wurde das mit der Tugendethik verbundene Modell der Strebens- und Klugheitsethik von der Prinzipien- und Pflichtenethik des 18. Jahrhunderts verdrängt, die in ihrem Handlungsverständnis auf hohe methodische Standards und universale Regelhaftigkeit setzte. »Die Konzepte der und , der Topik und rhetorischen Plausibilität, die Vico noch gegen die Methodik der neuzeitlichen Naturwissenschaft zu verteidigen suchte, fallen daher seit Kant aus der Architektonik Praktischer Philosophie heraus.« (Krämer)2 Als um die Mitte des 20. Jahrhunderts die rhetorische Forschung wieder auflebte, existierte für sie kein glaubwürdiges ethisches Theorieangebot mehr. Es gab zwar nach wie vor ethische Interpretationen von Reden aufgrund von Maximen der populären Moral oder anhand von Begriffen aus dem Grenzbereich zwischen Rhetorik und praktischer Philosophie wie »Überredung« und »Überzeugung«. Aber es fehlte ein ethisches Modell, das die moralischen Forderungen der rhetorischen Tradition mit den Erkenntnissen der zeitgenössischen Ethik verbunden hätte.3 Die neue Rhetorikforschung konzentrierte sich stattdessen auf Fragen der persuasiven Adressatenlenkung und verfolgte dieses Ziel bei ihren Untersuchungen über Argumentation und Topik, über die Beziehungen der Rhetorik zu Linguistik und Pragmatik, zu Psychologie, Soziologie, Sprachphilosophie und Anthropologie4 sowie ihre Rolle in Literatur- und Kulturwissenschaft. Dazu kam die Erforschung der antiken Rhetorik in der klassischen Philologie.5 Die hier genannten Forschungsrichtungen analysierten die Rhetorik vor allem als Technik der Persuasion, weshalb eine Beschäftigung mit ethischen Fragen meist unterblieb.

Heute ist die Entwicklung einer rhetorischen Ethik also allein deshalb schon ein Desiderat, weil das Spektrum kommunikativer Ethiken auch mit normativen Überlegungen zur Moral der persuasiven Einwirkung komplettiert werden sollte. Zu diesen innerdisziplinären Gründen kommen noch externe Gründe hinzu. Da die modernen Gesellschaften in ihrem Handeln immer mehr durch Informationsaustausch und symbolvermittelte Interaktionen bestimmt sind, wird die Kommunikation allgemein und insbesondere die persuasive Kommunikation für den gesellschaftlichen Verkehr immer wichtiger. Wer hier den größten Einfluss entfalten kann, gewinnt bei der Realisierung seiner Ziele am meisten. Die Folge ist, dass deshalb gerade die manipulativen Potentiale der Rhetorik gefragt sind, wie sich an der persuasiven Strategie vieler Politiker und Parteien, aber ebenfalls an den Werbekampagnen großer Unternehmen und Institutionen zeigen lässt. Auch heute bestätigt sich für viele Menschen daher der schon seit der Antike bestehende schlechte Ruf der Rhetorik, nicht viel mehr als eine raffinierte Kunst der Verführung zu sein. Unsere Gesellschaft wie alle Gesellschaften früher kann jedoch nicht auf den Einsatz von Rhetorik im öffentlichen und privaten Sektor verzichten, will sie ihren Bestand erhalten, und darin zeigt sich der positive Wert der Redekunst – d. h.: ihr »Gutes« – und ihres Gebrauchs. Schon Aristoteles wendet sich gegen eine einseitige Verurteilung der Rhetorik und ihrer Wirkung, wenn er eine kenntnisreiche Beherrschung dieser Kunst fordert, damit man z. B. Argumente, die jemand nicht nach Recht und Gesetz gebraucht, auch entkräften kann.6

Doch die Aufdeckung von Fehlschlüssen und Täuschungen in der Argumentation ist zwar eine wichtige Aufgabe der Kritik rhetorischer Texte, begründet aber noch keine rhetorische Ethik. Denn Ethik beschäftigt sich mit der Theorie moralischen Handelns und rhetorische Ethik entsprechend mit den moralischen Grundsätzen persuasiven Handelns. Die Frage ist allerdings, wie man eine rhetorische Ethik ansetzen soll. Von der rhetorischen Technik, die als Instrumentarium der Persuasion fungiert und deshalb moralisch neutral ist, führt kein Weg zu einer Ethik der Rhetorik. Aber der Redner7 als Akteursrolle wirkungsbezogener Kommunikation, ein Konzept, das seit der Entstehung der Rhetorik im 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland auch zur Theorie der Redekunst gehört8, bietet eine Projektionsfläche für die Reflexion ethischer Fragen rhetorischen Handelns. Diese Reflexion muss von der »unvertretbaren Eigenperspektive des Handelnden« (Krämer)9 ausgehen, von Entscheidungsdruck und Konflikterfahrung, dem damit verbundenen Orientierungs- und Beratungsbedarf, die in die Frage münden: »Was soll ich tun?« und dann zum Entschluss führen. Der Rückgang auf die subjektive Sicht des Redners also ermöglicht erst die ethische Reflexion des Handelns, und auf diese Sicht muss sich der Entwurf einer dieses Handeln anleitenden Ethik beziehen. Der Redner erscheint in der Öffentlichkeit allerdings nicht nur als Sprecher von mündlichen, sondern auch als Verfasser von schriftlichen Texten, also als Autor und dann in verschiedenen politischen, juristischen, sozialen oder kulturellen Rollen, und zwar in monologischer Rede oder im Dialog mit anderen Personen und Institutionen. Er tritt als einzelne Person auf oder fungiert als institutionelle Instanz, weshalb Unternehmen und Behörden ebenfalls unpersönlich als ›Redner‹ erscheinen können, wenn sie sich öffentlich äußern. Doch Entpersönlichung ist nicht mit Entsubjektivierung zu verwechseln, denn zu jeder Erscheinungsform der Rednerinstanz gehört die interessenbestimmte Handlungsperspektive und damit die ethische Verantwortung für Mittel und Ziele der Persuasion.

Der im Folgenden präsentierte Entwurf einer rhetorischen Ethik geht von Kultur, Geschichte und Philosophie als leitenden Gesichtspunkten der Untersuchung aus. Kultur ist als Ausgangspunkt deshalb wichtig, weil die Kultivierung des Menschen durch Sprachentstehung und rhetorischen Sprachgebrauch nach Auffassung der rhetorischen Tradition Bedingung für die Humanisierung des Lebens ist. Erst mit der Entwicklung der Sprache hat der Mensch die wirklich entscheidenden Schritte aus der Abhängigkeit von der Natur gemacht. Die Kulturgenese durch Sprachgebrauch führte aber nicht nur zur Versittlichung des menschlichen Handelns, sondern ermöglichte auch die Entstehung des moralischen Bewusstseins und damit ebenfalls die ethische Beurteilung des persuasiven Handelns. Alle hier aufgeführten ethischen Aspekte der Rhetorik haben daher eine kulturelle Dimension, womit der Kulturaspekt10 in den normativen Vorgaben dieser Ethik immer präsent ist.11

Doch nicht nur der Einsatz mit der Kultivierung des Menschen macht die Geschichte zum konstitutiven Moment dieses Entwurfs, sondern auch die Orientierung an den ethischen Vorgaben der rhetorischen Tradition. Geschichtliche Rückbesinnung begründet den rekonstruktiven Zug dieser Ethik, die zunächst die tradierten Vorgaben aufsucht, um sie dann mit dem Ziel der Konzeption einer modernen rhetorischen Ethik weiterzuentwickeln. Das Gegensatzpaar »überreden« und »überzeugen« etwa, das die moralische Qualität der Persuasion bewertet, wird zur Formulierung einer moralischen Grundnorm für die Rhetorik benutzt; die -Lehre, welche die tugendhafte Selbstdarstellung des Redners in der Rede als persuasives Mittel beschreibt, dient zur kritischen Erörterung der Beziehung zwischen Reden und Handeln; und die -Formel, welche die Rechtschaffenheit des Redners einfordert, wird zum Ausgangspunkt für die Konzeption einer zeitgemäßen rhetorischen Tugendlehre und eines...


Robling, Franz-Hubert
Franz-Hubert Robling studierte in Münster und Tübingen, promovierte bei Walter Jens in Rhetorik und habilitierte sich an der Universität Straßburg für das Fachgebiet „Historische Kulturtheorie der Rhetorik“. Von 1987 bis 2011 war er Redakteur am „Historischen Wörterbuch der Rhetorik“. Bis heute ist er Lehrbeauftragter am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Gegenwärtig befasst er sich mit Anthropologie, Ethik und Kulturtheorie in rhetorisch-philosophischer Perspektive. 2007 erschien bei Meiner: Redner und Rhetorik. Studie zu Begriffs- und Ideengeschichte des Rednerideals.



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