E-Book, Deutsch, 215 Seiten
Rohr / Heimann / Ghahari Sei ein Narr!
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8497-8463-8
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Humorvolle Konfrontation in Beratung, Therapie und Supervision
E-Book, Deutsch, 215 Seiten
Reihe: Beratung, Coaching, Supervision
ISBN: 978-3-8497-8463-8
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dirk Rohr, Dr.; Studium von Sonderpädagogik und Sport (1. und 2. Staatsexamen) sowie Diplom-Heilpädagogik (Schwerpunkt Beratung); Gestalttherapeut, systemischer Lehr-Supervisor (DGSv/DGSF) sowie Instituts- und Weiterbildungsleiter 'Systemische Beratung' im koelner institut für Beratung & pädagogische Professionalisierung und als Akademischer Direktor Leiter des Arbeitsbereiches Beratungsforschung sowie des Zentrums für Hochschuldidaktik an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Herausgeber der Reihe Beratung, Coaching, Supervision im Carl-Auer-Verlag; Publikationen u. a.: 'Das hat ja was mit mir zu tun!? Macht- und rassismuskritische Perspektiven für Beratung, Therapie und Supervision' (2021). Tina Heimann, Master Supervision und Coaching, Master Medien & Bildung; langjährige Lehrtätigkeit; freiberufliche Tätigkeit als Beraterin, Supervisorin und Coach. Mitglied DGSv. Negin Ghahari, Bachelorabsolventin der Universität zu Köln in den Fächern Ethnologie und Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Beratung. Mitglied der Forschungsgruppe 'Feedback in der Beratung'. Esther Scholz, Bachelorabsolventin der Universität zu Köln in dem Fach Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Beratung. Systemische Beraterin (DGSF) (i. A.).
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3 Grundhaltungen: Wertschätzung, Empathie, aber keine Kongruenz?
Anknüpfend an das vorherige Kapitel beginnen wir dieses über die Grundhaltungen in der Beratung mit einem Zitat von Carl Rogers. Es impliziert, dass es oft einen Wunsch nach Veränderung gibt, um Probleme der Gegenwart besser lösen zu können, und dass das hierfür notwendige Potenzial bereits in jeder Person vorhanden ist:
»Das Individuum steht im Mittelpunkt der Betrachtung und nicht das Problem. Das Ziel ist es nicht, ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern dem Individuum zu helfen, sich zu entwickeln, so dass es mit dem gegenwärtigen Problem und mit späteren Problemen auf besser integrierte Weise fertig wird. Wenn es genügend Integration gewinnt, um ein Problem unabhängiger, verantwortlicher, weniger gestört und besser organisiert zu bewältigen, dann wird es auch neue Probleme auf diese Weise bewältigen« (Rogers 2013, S. 36).
Prägendster Vordenker von Rogers ist Otto Rank. Rank (1884–1939) gehörte mit Carl-Gustav Jung, Alfred Adler und Wilhelm Reich zu dem Kreis der Schüler Freuds, die aus eben diesem ausgeschlossen wurden, weil sie sich von elementaren Aspekten der Psychoanalyse und hier v. a. von Freuds biologischem Determinismus abwandten. Rank beschrieb schon 1929 das Grundparadoxon von Therapie (und letztlich auch von Beratung) darin, dass die therapeutische Situation dadurch charakterisiert sei, weswegen Menschen in Therapie gingen: Passivität, Abhängigkeit und Willensschwäche (vgl. Rank 1929). Therapie und Beratung müssten aber gekennzeichnet sein von Aktivität, Unabhängigkeit und Willensstärke. Der zu beratende Mensch
»ist nicht ein krankes Individuum, das darum kämpft, ›normal‹ zu werden, sondern ein rebellierendes Individuum, das darum kämpft, frei – und angebunden zugleich! – zu sein. Der sogenannte ›normale‹ Mensch kommt um viele dieser oft sehr schmerzvollen Kämpfe herum, aber der Preis ist hoch: Es ist Stillstand von Entwicklung und psychisches Sterben« (Quitmann 1991, S. 145).
Rank begreift den rein innerlichen Willenskonflikt grundsätzlich positiv – als menschliche Fähigkeit, Willen und Gegenwillen zur gleichen Zeit zu mobilisieren.
»Damit wird nicht nur das ganze Problem, von allen vergangenen und gegenwärtigen Inhalten befreit, in das Individuum selbst verlegt, sondern auch die einzige Lösung und Erlösung vom Individuum und in ihm selbst gefunden« (Rank 1929, S. 88 f.).
Im Sinne Ranks ist der Gesprächsansatz eine Hilfe des Bewusstwerdens. Rank unterscheidet
»zwischen dem ›Bewusstmachen‹, das eigentlich ein Erklären, ein Deuten ist, und dem Bewusstwerden als einem im Individuum selbst sich vollziehenden Prozess, der mittels der Verbalisierung erfolgt« (Rank 1929, S. 34).
So verändern sich die Dynamik in der Beratung sowie das Verhältnis zwischen Berater:in und Klient:in. Berater:innen müssen nicht mehr die Rolle der alten Weisen spielen, welche für jede Beratungssituation die passenden Methoden, wie von Zauberhand, aus dem Ärmel schwingen lässt. Im Fokus steht vielmehr ein gemeinsames Erkunden der Innenwelt von Klient:innen. Eine gute Berater:in-Klient:in Beziehung ist damit für Rogers ein Kernstück einer gelungenen Beratung. Sie ist wichtig, um Entwicklung und Entfaltung zu erlangen und die Ressourcen des eigenen Selbst so zu nutzen, dass das Leben gelebt werden kann, das jede:r sich wünscht (vgl. Rogers 2013, S. 53).
Damit wir in der Beratung Klient:innen erfolgreich humorvoll-konfrontativ begegnen können, ist es wichtig, dass wir innerlich absolut von der Stärke und dem Potenzial unserer Klient:innen überzeugt sind. Die Haltungen der Wertschätzung, Empathie und Kongruenz, welche Rogers formuliert, sind Vorbedingungen für eine Beratungsbeziehung, in welcher Klient:innen einerseits den Raum bekommen, ihre individuelle Wahrnehmung und ihre Ressourcen in die Beratung einzubringen, und andererseits auch bei der Erkundung noch nicht ganz bewusster Empfindungen von Berater:innen sensibel begleitet werden. Als nachwirkende Resonanz können diese Haltungen der Berater:innen den Umgang der Klient:innen mit Angst und Verwirrung in Verbindung mit eigenen Positionen, Wahrnehmungen und Gefühlen nachhaltig verändern (vgl. Rogers 2013, S. 46). Sie können Klient:innen auch nach der Beratung helfen, ihr Bewusstsein für ihre Empfindungen im Hier und Jetzt weiterzuentwickeln und diesen Empfindungen empathisch und wertschätzend gegenüberzutreten (vgl. ebd., S. 24, S. 35 f., S. 44 f.; Schubert, Rohr u. Zwicker-Pelzer 2019, S. 85).
Im Kontext der humorvollen Konfrontation könnte die Forderung, Klient:innen stets Wertschätzung und Empathie entgegenzubringen, für Leser:innen zunächst paradox erscheinen. Auch wenn wir Konfrontation an späterer Stelle in einem engeren Sinne beschreiben wollen, kann hier darauf verwiesen werden, dass Haltungen, die Berater:innen einnehmen, in einem weiteren Sinne das Erste sind, mit dem Klient:innen in der Beratung konfrontiert sind. Sie werden sichtbar in der Art und Weise, wie Berater:innen mit ihnen in Beziehung treten, und übertönen jede verbal geäußerte Zustimmung und auch jede Konfrontation. Haltungen haben so selbst ein enormes verstecktes Feedbackpotenzial. Sie zeigen Klient:innen den Umgang von Berater:innen mit den von ihnen mitgebrachten Situationen und agieren als grundlegende Basis, in welcher sich Klient:innen in der Beratung neben der eigenen Wahrnehmung erleben können (vgl. Rogers 2013, S. 32 f.; Schubert, Rohr u. Zwicker-Pelzer 2019, S. 85). Feedback auf dieser Ebene muss nicht unbedingt als solches intendiert sein, um als Resonanz für Klient:innen erkannt zu werden. Wir denken an die Kraft, welche die Erwartungen der Umwelt in der Auslösung von selbsterfüllenden Prophezeiungen haben können (vgl. Abschnitt 2.1; Watzlawick 2003, S. 57 ff.).
Darum betonen wir an dieser Stelle, dass gerade in einer humorvoll-konfrontativen Arbeitsweise die genannten Grundhaltungen wichtige Vorbedingungen für das Gelingen und die Wirkung des Geäußerten sind.
3.1 Wertschätzung
»Je mehr ich den Einzelnen zu akzeptieren vermag, je mehr Zuneigung ich für ihn empfinde, desto leichter kann ich eine für ihn nützliche Beziehung schaffen.«
Rogers 1973, S. 47
Im grundsätzlichen Verständnis bedeutet die Haltung der Wertschätzung die Annahme und Akzeptanz unseres Gegenübers sowie unsere grundsätzliche Zuwendung ihm gegenüber, ihn mit jeder Facette und allen Angelegenheiten des Lebens zu sehen und zu hören. Weiter gefasst, kann auch von einer Art »Liebe« gesprochen werden. Liebe, weil es nicht nur um Toleranz und Akzeptanz der Person geht, sondern um das Respektieren der Person als ein eigenständiges Individuum. Eine Liebe, die wenig mit Besitzanspruch zu tun hat, sondern aus einer Menschenliebe heraus resultiert (vgl. Sander u. Ziebertz 2021, S. 74). Die Liebe hat positive Kraft und verurteilt nicht, die Achtung der Person gegenüber steht im Vordergrund (vgl. ebd.; Tausch u. Tausch 1979, S. 67). Einher geht sie mit der bewertungsfreien Auseinandersetzung und Kommunikation, die Rogers »positive Wertschätzung« (Sander u. Ziebertz 2021, S. 74) nennt.
»Das Akzeptieren jeden schillernden Aspekts dieses anderen Menschen lässt die Beziehung für ihn zu einer Beziehung der Wärme und Sicherheit werden. Die Sicherheit, als Mensch gemocht und geschätzt zu werden, ist anscheinend ein höchst wichtiges Element einer hilfreichen Beziehung« (Rogers 1973, S. 47).
Die Zuwendungen und Aufmerksamkeiten der Beratenden sind an keine Bedingung oder Leistung geknüpft. Es gibt keine Situation, in der eine Ablehnung stattfindet, nur weil sich die Klient:innen anders verhalten als vorher oder als üblich. Ohne Bewertungen und Vorurteile wird sich mit dem Menschen auseinandergesetzt (vgl. Rogers 1973, S. 73.). Oft wird in diesem Zusammenhang auch von »bedingungslos« oder »unbedingt« (Sander u. Ziebertz 2021, S. 73) gesprochen. Das bedeutet, dass die Klient:innen keine Verhaltensweisen oder Denkmuster erfüllen müssen, um angenommen zu sein (vgl. Weinberger 2013, S. 59). Die Person soll wertgeschätzt werden, unabhängig von den eigenen Bewertungen, die das Verhalten des anderen aufwerfen könnte (vgl. Rogers 1959, S. 35). Die Klient:innen sollen so sein können, wie sie sind, sich offen zeigen und das Gefühl haben, ohne Vorurteile, Einschränkungen oder sogar Ablehnung angenommen zu werden (vgl. Sander u. Ziebertz 2021, S. 73). Sowohl positive als auch negative Gefühle werden gleichermaßen akzeptiert und weder mit Lob und Anerkennung noch mit Abwertung oder Distanz konnotiert. Durch diese Form der Annahme und das Auslassen von Bewertungen kann Raum geschaffen werden, dass das Individuum sich selbst ganz frei und ehrlich begreifen kann (vgl. Rogers 1972, S. 46):
»Es hat nicht mehr das Bedürfnis, seine negativen Gefühle zu verteidigen. Es hat keine Gelegenheit, seine positiven...