E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Roloff Zen Weiße Jade, falsches Gold
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-5231-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lobpreis und Kritik
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7562-5231-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der greise Zhao-zhou! Der greise Zhao-zhou! Unruhe in den Chan-Klöstern zu stiften - noch im hohen Alter hört er nicht damit auf! Wieder einmal tritt hier Zhao-zhou hervor, mittlerweile 88 Jahre alt und notorischer Unruhestifter - um seine bisherigen Aufmüpfigkeiten fort-, vor allem aber, man staune, um sie zu Ende zu führen. Er will mit der Welt des Zen seinen Frieden schließen und nimmt dabei in Kauf, noch einmal anzuecken und vor den Kopf zu stoßen. Das aber nur, um umso deutlicher vor Augen zu stellen, warum und inwiefern Zen für ihn unverzichtbar geworden ist. Zhao-zhou bedient sich dazu der Antithese von Weißer Jade und falschem Gold. Weiße Jade, das ist ihm auch heute noch bewusst, hat im alten China als höchste Kostbarkeit gegolten und war allein dem Kaiser als dem Sohn des Himmels vorbehalten. Ebenso hegt unser Zhao-zhou keinen Zweifel daran, dass niemand, der echtes Gold in Händen halten möchte, sich mit falschem Gold zufrieden geben kann. Nun also 'Zen - Weiße Jade, falsches Gold': Die Geschichte des Chan/Zen weist bis hinein in die Gegenwart unserer persönlichen Praxis außergewöhnliche Stärken, aber auch erhebliche Schwächen auf. Die einen verdienen es, herausgestellt und gewürdigt zu werden; die anderen gilt es schonungslos beim Namen zu nennen: hier die Positionen, denen wir nicht nur unsere Zustimmung nicht versagen können, die wir vielmehr ganz entschieden für unabdingbar halten müssen, und dort diejenigen, die unsere gut begründbare Kritik auf sich ziehen und es sich gefallen lassen müssen, von uns verworfen zu werden. Gerade Letztere kommen oft mit einem Anschein unzweifelhafter Autorität daher, als seien sie, weil scheinbar selbstverständlich, aller Kritik enthoben. Was wir Heutigen gleichwohl als unhaltbar ansehen müssen, kann sich, so sicher es auch durch Tradition etabliert und geschützt sein mag, nicht dagegen wehren, die Einschätzung als falsches Gold hinnehmen zu müssen - wohingegen das, woran wir festhalten sollten, weil es unserem eigenen Zen-Weg neue und unerwartete Wendungen zu geben vermag, zu Recht den Ehrentitel Weiße Jade tragen darf.
Dietrich Roloff, Jahrgang 1934 und seit den achtziger Jahren auf dem Zen-Weg, ist zunächst mit ausführlich kommentierten Übersetzungen der drei großen Koan-Sammlungen Bi-yan-lu, Cong-rong-lu und Wu-men-guan hervorgetreten. Seine Übersetzungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie direkt aus der Originalsprache dieser Texte, dem Chinesischen, erfolgt sind. In der Folge hat er zwei weitere Bücher, ZEN - vom Kopf auf die Füße gestellt und ZEN - 'Der Duft Hunderter von Blumen', vorgelegt, um die Bedeutung des chinesischen Chan für ein Zen des 21. Jahrhunderts herauszustellen. Mit seinem neuesten Buch 'Zen und Zeit' finden seine langjährig-einschlägigen Bemühungen ihren Abschluss.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ist Dôgens Zen Fortschritt oder Rückschritt?
Welche Unverfrorenheit, eine solche Frage überhaupt zu äußern! Dôgen, einer der Giganten des japanischen Zen, der mit seinem Shôbôgenzô ein über die Jahrhunderte ausstrahlendes spirituelles Werk geschaffen hat! Doch gemach! Ob Lehrmeinungen und Maximen einen Fortschritt oder Rückschritt darstellen, hängt allein von der Bezugsgröße ab: wem gegenüber fort- oder rückschrittlich? Und in diesem Fall sei von vornherein klargestellt, dass die nachfolgenden Überlegungen ihre Bezugsgröße im chinesischen Chan der Song-Zeit haben. Aber kann es denn einen nachvollziehbaren Anlass geben, Dôgen ausgerechnet am Songzeitlichen Chan zu messen? Nun, Dôgen hat bekanntlich in den Jahren 1223 bis 1227 einen mehrjährigen China-Aufenthalt absolviert, bei dem er sich insbesondere einem Meister der Cao-Dong-Schule angeschlossen hat. Dieser Aufenthalt fällt in die Blütezeit des Songzeitlichen Chan – sind doch in genau diesen Jahren zwei der drei bedeutendsten Gong-an-oder Kôan-Sammlungen entstanden, nämlich das Cong-rong-lu, die ›Aufzeichnungen aus der Klause der Gelassenheit‹, im Jahr 1224 aus eben der Cao-Dong-Schule hervorgegangen, und wenige Jahre später das Wu-men-guan, die ››Da ist nichts‹-Sperre vor dem Tor des Chan‹, von einem späten Angehörigen des ›Hauses Lin-ji‹ verfasst und 1229 mit einem Vorwort versehen dem Kaiser Li-zong zugesandt. Und nicht nur das: Dôgen hat von seinem China-Aufenthalt obendrein eine komplette Abschrift der ältesten der drei Kôan-Sammlungen, des Bi-yan-lu von 1128, die sog. Abschrift der einen Nacht, mit nachhause gebracht und zusätzlich auch noch eine von ihm selbst zusammengestellte Sammlung von 300 Kôan, das Shôbôgenzô Sambyakuzoku. Schon das erweckt den Anschein, als sei Dôgen bei seiner Rückkehr nach Japan ganz vom Geist des Song-zeitlichen Chan durchtränkt gewesen. Oder täuscht dieser Eindruck? Wie also steht Dôgen da im Vergleich zu den Song-zeitlichen Tendenzen des chinesischen Chan? Soviel fällt sofort ins Auge: Von dem umstürzlerischen Impetus der drei genannten Kôan-Sammlungen ist bei Dôgen nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Dôgens Darlegungen sind durch und durch konservativ und verraten außerdem ein erhebliches Maß an einem magischen Denken, das zu dem aufklärerischen Gestus des Song-zeitlichen Chan, vorsichtig ausgedrückt, nicht so recht passen will! Gehen wir in die Einzelheiten. Da wird der Mythos von den sechs Vorläufern des historischen Buddha, die in je einem der längst vergangenen Kalpas denselben Dharma verkündet haben, den Buddha Shâkyamuni im gegenwärtigen Weltalter gelehrt hat, als unumstößliche Wahrheit ausgegeben und obendrein immer wieder dazu benutzt, den unbedingten Wahrheitsanspruch des gegenwärtigen Buddha-Dharma, genauer gesagt, des von Dôgen propagierten, zu untermauern. Zusätzlich greift Dôgen nicht minder häufig auf die Lehre von einer authentischen Übertragung des Dharma zurück, bei der nicht die geringste Abweichung inhaltlicher und spiritueller Art eintritt und der Empfänger zu einem absolut identischen Buddha wird, wie es sein Vorgänger ist bzw. gewesen ist. Diese dogmatische Überhöhung der Dharma-Übertragung dient dem Nachweis, dass auch heute noch (und ebenso in Zukunft) die Lehrauffassung eines Meisters, der den Dharma von einem seinerseits als Buddha ausgewiesenen Lehrer erhalten hat, mit dem Dharma Buddha Shâkyamunis und aller ihm vorausgegangenen sechs Buddhas bis in die letzten Feinheiten identisch ist! Mit einem solchen Anspruch vertritt Dôgen einen radikalen Konservativismus, der ihn freilich nicht davon abhält, wissentlich oder unwissentlich allerlei Umdeutungen tradierter Lehrinhalte einzuführen. Das gilt allerdings nicht für Dôgens Vorliebe, sich immer wieder mit ausführlichen Zitaten auf altehrwürdige und ihm als uneingeschränkt autoritativ geltende Sûtren zu berufen. Konservativ ist auch Dôgens Einstellung gegenüber der Geschichte des chinesischen Chan. Bodhidharma hat für ihn den Rang einer unumstrittenen Leitfigur, die mit ihrer Versenkungspraxis die authentische Lehre Buddha Shâkyamunis wieder zum Leben erweckt hat, und das ausgerechnet im weit abgelegenen China – die übrigen 27 indischen Patriarchen vor Bodhidharma haben sich in Dôgens Augen, mit Ausnahme Nâgârjunas und seines Schülers Kanadeva, der Entfremdung von der ursprünglichen Buddha-Lehre schuldig gemacht! (Dass Dôgen damit seiner eigenen Lehre von der identischen Übertragung widerspricht, sei hier nur am Rande erwähnt.) Mit seiner Berufung auf die ›leuchtende Perle‹, die das ganze Universum erfüllt, stellt sich Dôgen unmissverständlich auf die Seite des Tang-zeitlichen Chan – Xuan-sha Shi-bei, der Urheber der axiomatischen Aussage ›Das ganze Universum ist eine leuchtende Perle‹, ist mit seinen Lebensdaten 835 – 908 ein jüngerer Zeitgenosse Huang-bos in den letzten Jahrzehnten der Tang-Dynastie, gleichwohl noch ganz vom Geist des Tang-zeitlichen Chan durchdrungen: Die für diese Phase des Chan typische Metaphysik einer höheren und wahren Wirklichkeit, hier gekleidet in die Metapher einer ›leuchtenden Perle‹, findet Dôgens ungeschmälerte Zustimmung: ›Das ganze Universum ist der wahre Körper der Wirklichkeit!‹ (Nishijima I, S. 64). In der Standard-Ausgabe von Ôkubo Dôshû, Shôwa 44 (1969), lautet der betreffende Satz: zen shin kore shin jitsu tai nari, ›Der ganze Körper [shin] ist der wahre Körper [tai] der Wirklichkeit‹ (Ôkubo I, S. 61). Mit zumindest der gleichen Berechtigung kann dieser Satz auch als ›Der ganze Körper [shin] ist der Körper [tai] der wahren Wirklichkeit‹ übersetzt werden. Dann aber drängt sich sofort die Frage auf, was denn unter dem ›ganzen Körper [shin]‹, der da der ›Körper (tai) der wahren Wirklichkeit‹ sein soll, zu verstehen sei. Die Antwort kann nur lauten, dass der ›ganze Körper‹ auf die ›leuchtende Perle‹ zielt, was zu der durchaus sinnvollen Aussage führt, dass eben diese ›leuchtende Perle‹ als der ›ganze Körper‹ [hinter den Erscheinungen] der ›Körper der wahren Wirklichkeit‹ ist! Wenn Nishijima gleichwohl übersetzt: »Das ganze Universum ist der wahre Körper der Wirklichkeit!«, so legt das den Eindruck nahe, er wolle damit Dôgens Tendenz unterstreichen, die alte Mahâyâna-These der Einheit von Nirvâna und Samsâra, anders gesagt, von ›Prinzip‹ und ›Phänomenen‹, zu neuem Leben erwecken. Gerade das jedoch hat Xuan-sha mit seiner ›leuchtenden Perle‹ nicht gemeint: Geht es Dôgen um eine Aufwertung der Erscheinungen, so hat Xuan-sha es auf die umgekehrte Aufwertung des ›wahren Wesens‹ hinter den Erscheinungen abgesehen. Dôgens Hinwendung zum Tang-zeitlichen Chan lässt sich auch mit seiner Übernahme des Axioms jí xin shì fó, ›Also der Geist ist Buddha‹ belegen: Dieser Grundsatz gilt der Überlieferung nach als Wortschöpfung des Ma-zu Dao-yi und wurde in der Hong-zhou-Schule von einer Generation an die nächste weitergegeben; eine besondere Rolle spielt er bei Huang-bo, der ihn zur Grundlage seiner Lehräußerungen macht – im Song-zeitlichen Wu-men-guan hingegen wird das Bekenntnis zu ›Also der Geist ist Buddha‹ als Irreführung verworfen (Kôan 30). Dôgen jedoch stimmt in Soku shin ze butsu vorbehaltlos zu, wobei er obendrein genau die Schriftzeichen verwendet, die auf Chinesisch eben jí xin shì fó lauten. Wenn Nishijima freilich formuliert: »Geist hier und jetzt ist Buddha«, so wäre es verfehlt, ihm das als Übersetzungsfehler vorzuhalten; im Gegenteil versucht Nishijima mit einer Umdeutung der chinesischen Schriftzeichen jí xin gleich ›also der Geist‹ oder auch ›gerade/eben der Geist‹ zu »der Geist hier und jetzt« der besonderen Intention Dôgens gerecht zu werden, der seinerseits aus dem Axiom der Hong-zhou-Schule etwas anderes und Eigenes gemacht hat: ›Wenn alle Buddhas … Buddhas werden, werden sie zweifellos Shâkyamuni Buddha: dies ist nichts anderes als ›Geist hier und jetzt ist Buddha‹!‹ (Nishijima I, S. 78). Dôgen, so muss an dieser Stelle das Fazit lauten, greift hier eindeutig auf eine Formel des Tang-zeitlichen Chan...




