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Ronstedt | Menomorphosen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Ronstedt Menomorphosen

"Wunderbare Geschichten über Frauen, die an einem Wendepunkt im Leben sind." Sheila de Liz | Das Mutmachbuch für die Wechseljahre
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-96161-275-8
Verlag: Eisele eBooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

"Wunderbare Geschichten über Frauen, die an einem Wendepunkt im Leben sind." Sheila de Liz | Das Mutmachbuch für die Wechseljahre

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-96161-275-8
Verlag: Eisele eBooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Buch wie ein Hormoncocktail: heiß, unberechenbar und sehr, sehr wirksam.  Ob am Altkleidercontainer, in der Gynäkologinnenpraxis, im leergeräumten Kinderzimmer oder bei einem ersten Date: Die Frauen in Menomorphosen stehen mitten im Leben - und oft am Rand des Wahnsinns. Mit scharfem Blick, radikalem Humor und poetischer Wucht erzählen sie von Aufbrüchen und Abstürzen, der Abwesenheit von Sex, einem Übermaß an Gefühlen - und nicht zuletzt von der lust- und leidvollen Suche nach einem passenden Ich. Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin Jule Ronstedt zeigt schonungslos, was passiert, wenn Frauen nicht verschwinden, sondern sichtbar bleiben -  wütend, wild, witzig.    Ein Buch für alle, die schon mal dachten: 'Ich bin nicht mehr die Alte - und das ist gut so.'  '26 Geschichten über Frauen, die so unterschiedlich sind wie ihre Hormonpegel. Witzig und packend.' Caroline Link - Regisseurin und Oscar-Preisträgerin (Nirgendwo in Afrika)

Jule Ronstedt, 1971 in München geboren, ist Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin, u. a. bekannt für ihre Rollen in Aus heiterem Himmel und Wer früher stirbt ist länger tot. Die Idee für ihr literarisches Debüt Menomorphosen bekam sie nach Gesprächen mit Freundinnen, die in ihr den Wunsch weckten, den Stimmen von Frauen in der Lebensmitte Gehör zu verschaffen. Jule Ronstedt lebt in ihrer Heimatstadt München.
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ANNABELLE


Unglaublich! Fast zehn Uhr – und ich liege immer noch im Bett. Aber was soll ich machen? In letzter Zeit war ich kaum noch zu Hause, ein gesellschaftlicher Empfang jagt den nächsten, gestern wurde es schon wieder nach Mitternacht. Meine neue Strategie funktioniert einfach fabelhaft. Denn seit einigen Wochen ziehe ich in meinem neuen Ich durchs Leben – und was sich mir dabei an Optionen auftut, ist geradezu sensationell.

Die gestrige Hochzeit zum Beispiel – überwältigend! Hundertfünfzig Gäste, weiße Rosen, eine Big Band mit atemberaubender Sängerin, festlich gedeckte Tafeln, das mediterrane Büfett vom Allerfeinsten. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Fisch, Lammfilets, Garnelen mit unzähligen Beilagen und Salaten – als wäre ich versehentlich im Schlaraffenland gelandet. Danach die Hochzeitstorte mit Tischfeuerwerk und eine Dessertpalette, da hätte ich mich am liebsten reingelegt. Habe fast alles durchprobiert. Allerdings spüre ich meinen Magen heute ein wenig. Zu viel Champagner ist auch nicht gut, stelle ich fest – die Kellner in Livree hielten mir pausenlos ein neues Glas vor die Nase, als gäbe es kein Morgen.

Es war ein Mittwoch auf dem Wochenmarkt, als ich es zum ersten Mal begriff. Ich stand in der Schlange vor dem Blumenhändler, hielt einen Strauß oranger Tulpen in der Hand, den ich bezahlen wollte, und wartete geduldig. Vor mir wurde die gestresste Mutter mit Kinderwagen abkassiert, daneben der schicke junge Herr mit Aktenkoffer, hinter mir zwei kichernde Mädchen. Nur mich, mich übersah der Verkäufer. Und zwar konsequent.

Ich räusperte mich. Wedelte vorsichtig mit dem Geldschein. Versuchte es mit einem energischen: »Entschuldigung?«

Nichts. Kein Blick. Kein Wort. Der Blumenhändler reagierte überhaupt nicht.

Nach ein paar Minuten war meine Geduld am Ende. Empört verließ ich den Pulk und stieg in die nächste Trambahn – den Strauß Tulpen noch immer in der Hand.

Erst dort fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich bin unsichtbar.

Die Leute sehen mich nicht mehr. Oder, noch schlimmer, sie sehen durch mich hindurch.

Hatte nicht auch Linus, der Junge hinter der Theke meines Lieblingscafés, mich heute Morgen ignoriert? Seit Jahren wechselte ich beim Bezahlen des täglichen Cappuccinos ein paar freundliche Worte mit ihm. Doch weder Lächeln noch Winken hatte heute geholfen. Er war so im Bann der rot gelockten Studentin an der Bar gewesen, dass alles Fuchteln meinerseits umsonst war.

Es gibt ihn ja manchmal, diesen einen, großen Moment, in dem der Groschen fällt. Wie in dieser großartigen Szene, in der Tobey Maguire plötzlich kapiert, dass er nicht nur ein nerdiger Collegeboy ist, sondern auch Spinnenfäden verschießen und Wände hochlaufen kann.

Die Trambahnfahrt nach Hause war mein Spiderman-Moment.

Ich wurde permanent übersehen. Ein Zustand, der mich eben noch gekränkt hatte, entpuppte sich plötzlich als … Superkraft.

Der Fahrkartenkontrolleur, der in diesem Moment unverrichteter Dinge an mir vorbeizog, um die Schüler hinter mir nach ihrem Ticket zu fragen, bestätigte meine Erkenntnis.

Auf dem Heimweg fiel mir der Tarnumhang aus den dicken Harry-Potter-Bänden ein, die ich vor Jahren meinen – inzwischen erwachsenen – Kindern vorgelesen hatte.

Dieser wundersame Umhang, mit dem Harry und seine Freunde ungesehen durch Gänge huschten, sich an Gefahren vorbeischlichen, verbotene Räume betraten, Geheimnisse belauschten, war ein wahres Geschenk zur richtigen Zeit.

Unsichtbarkeit war also kein Manko. Kein Zeichen des Alterns, der Bedeutungslosigkeit oder gar die Endstation auf dem gesellschaftlichen Abstellgleis. Nein. Sie war ein Abenteuer. Die Eintrittskarte in eine neue Welt.

Ich stellte die wunderschönen, unbezahlten Tulpen in die Vase, holte mir ein Notizbuch und begann zu planen. Wenn ich schon nicht mehr wahrgenommen wurde, wollte ich wenigstens stilvoll davon profitieren.

Noch am selben Abend hatte ich nach gründlicher Recherche im Veranstaltungskalender mein erstes Ziel: ein Kulturempfang in der Stadthalle. Eingeladen waren wichtige Persönlichkeiten aus Theatern, Museen und anderen kulturellen Einrichtungen, denen die Stadt bei Musik und Büfett danken wollte, so stand es in der Zeitung.

Mir hatte niemand gedankt, als meine Filiale schloss und mir gekündigt wurde. Kein Händedruck. Keine warmen Worte. Nur ein trauriger Karton mit meinen persönlichen Dingen und die Kaffeetasse mit hässlichem Logo, aus der ich schon die letzten sechzehn Jahre getrunken hatte.

Ich fand, mir stand mehr zu!

Ich optimierte mein Outfit bis ins Detail, um gründlich übergangen zu werden. Mein persönlicher Tarnumhang: gedeckte Farben, konservativ, einen Hauch Eleganz – auf keinen Fall zu billig und auch nicht zu schön. Zufrieden stand ich in einem schlichten, dunklen Kostüm, einer cremefarbenen Bluse, braunen Halbschuhen und einer großen Handtasche, die ich von meiner Großmutter geerbt hatte, vor dem Spiegel. Ein wenig Puder, dezentes Rosa auf den Lippen, und die halblangen Haare ordentlich geföhnt – fertig war mein zweites Ego:

Sympathisch. Farblos. Sofort vergessbar.

Ich nannte sie Martha Meier.

Die Schlange vor der Stadthalle war lang. Perfekt. Ich hielt Ausschau nach einem passenden Statisten zum Andocken – einem alleinstehenden Mann, der optisch glaubwürdig zu mir passte. Tatsächlich stand da ein älterer Herr mit Hornbrille und Eintrittskarte in der Hand, der nach pensioniertem, verhärmtem Kulturamtsleiter aussah. Vor ihm wartete ein junges Pärchen, beide mit starrem Blick auf ihre Mobiltelefone. Hinter ihm: zwei herausgeputzte, stark geschminkte Damen, angeregt in ein Gespräch über die letzte Opernpremiere vertieft.

Unauffällig stellte ich mich einen halben Schritt versetzt hinter den Herrn, warf den Damen einen entschuldigenden Blick zu und gab ein Handzeichen, als gehörte ich zu ihm. Sie machten sofort höflich Platz, ließen mich in die Schlange und unterhielten sich weiter.

Langsam schob sich die Gesellschaft durch die Einlasskontrolle. Der bebrillte Herr vor mir zückte artig seine Einladung. Ich senkte den Blick, klammerte mich an meine Handtasche und glitt, mit klopfendem Herzen, hinter ihm durch das offene Tor hinein.

Es funktionierte. Die Superkraft war aktiviert. Niemand hielt mich auf, keiner fragte nach meinem Ticket.

Ich war drin – Teil der Festgesellschaft, in der mich niemand kannte.

Sofort nahm ich mir ein Glas Weißwein vom Tablett, um auf diesen ersten Erfolg anzustoßen. Höflich lächelnd, einigen Unbekannten zunickend, zog ich eine Runde durch den Festsaal.

In einem der opulenten Spiegel des Ballsaals fiel mein Blick auf eine ernste, ältere Dame mit Handtasche. Ich musste laut lachen, als ich begriff: Das war ja ich! Ich hatte mich selbst nicht mehr erkannt – diese unscheinbare, grau gekleidete Frau mit Brille und eingedrehten Haaren. So herrlich nichtssagend, dass niemand auf die Idee käme, sie anzusprechen, aus Angst, vor lauter Langeweile ins Koma zu fallen oder sich durch eine tragische Lebensgeschichte den Abend ruinieren zu lassen.

Mein Magen knurrte.

Das Büfett war leider noch nicht eröffnet.

Zunächst musste man einige langatmige Reden über gekürzte Gelder, neu gegründete Förderkreise und die dringende Sanierung des Heimatmuseums über sich ergehen lassen.

Ich applaudierte pflichtbewusst.

Dann endlich ging es zum »ungezwungenen Miteinander« über: Bratwürste wurden auf den Grill gelegt, Salatplatten abgedeckt, Bierfässer angezapft.

Mit einem großen Teller widmete ich mich der kulinarischen Auswahl und begann aufzuladen: Couscous, Gurkensalat, Lachs, Senfsauce, ein halbes Ei, zwei Würste, Quiche, gebratene Austernpilze, ein wenig Brot und sehr viel Käse.

Der Kellner mit dem Tablett kam exakt im richtigen Moment vorbei – diesmal nahm ich den Blauburgunder aus Südtirol.

Halb verborgen hinter einer dekorativen Topfpalme, stand ich in einer Ecke an einem Stehtisch und speiste königlich von meinem riesigen, kostenlosen Teller. Schon nach der Hälfte war ich satt – aber ich war bestens vorbereitet: Der Rest wanderte schnell in die mitgebrachte Tupperdose, die ich still und heimlich wieder in meiner Handtasche verstaute.

Mit meinem lächerlichen Arbeitslosengeld konnte ich keine großen Sprünge machen, geschweige denn dermaßen schlemmen.

Mein neues Konzept ging auf. In Zukunft würde ich noch oft gratis essen. Meine Unsichtbarkeit öffnete mir Türen in eine Welt voller Freigetränke, Häppchen und interessanter Begegnungen. Ich hatte ein neues Hobby. Ein neues Leben, das meinen arbeitslosen Alltag füllen, meine Laune steigern würde.

Die letzten Wochen hatten mir zugesetzt, die Kündigung nagte an mir. Da konnte der Filialleiter noch so nett erklären, dass die Deutsche Post Stellen abbaut und Schalter schließt, weil sich die Menschen keine Briefe mehr schreiben – mein Ego war im Keller.

Offenbar war ich zu alt, zu teuer, zu oft krank. Das war’s.

Nach ein paar Wochen ohne Aufgabe hatte ich einige graue Haare und ein paar Falten mehr im Gesicht. Der Lack blättert von ganz allein ab, wenn du mit Ende fünfzig so erschüttert wirst. Und wenn du...



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