E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Roß Innere Schreie
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-947612-72-7
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Doppelmord im Paulusviertel
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-3-947612-72-7
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Andreas Roß, derzeit 58 Jahre alt, Tendenz steigend, verheiratet, zwei nahezu vollständig erwachsene Kinder, die ihn nicht mehr so oft brauchen. Deswegen bleibt ihm mehr Zeit, um als 'Mundwerker' Geld zu verdienen und Geschichten zu Papier zu bringen. Er ist Sozialpädagoge und in der Mieterberatung für verschiedene Südhessische Baugesellschaften tätig. Während seiner Arbeit in den langen dunklen Fluren der in die Jahre gekommenen Miethäuser findet er Anhaltspunkte für seine skurrilen Geschichten. Dazu kommt die Liebe zu seiner Wahlheimat Darmstadt. Neben zwei Kurzgeschichtensammlungen 'Begegnung mit dem Berserker' (2011) und 'Das Leben ist eine Zicke' (2018) sind drei Kriminalromane erschienen: 'abgedrückt' (2013), 'weißkalt' (2015) und 'Tage, die alles verändern' (2017).
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2.
Papier raschelte.
Alle Kommissare schwiegen.
Sieben , wie Kriminalrat Löwental die bedruckten Zettel neudeutsch nannte, lagen verstreut auf den Tischen. Die Anwesenden wirkten angespannt und schüttelten zum Teil mit dem Kopf. In dem Besprechungsraum hatte sich eine eigenartige Stimmung breitgemacht, nachdem Kriminalrat Löwental eine kurze Ansprache gehalten und die Papiere verteilt hatte.
Benjamin Dobermann saß etwas am Rand, wie es seinem Gefühl entsprach. Daniel Hartmann hatte den Stuhl neben ihm besetzt, ohne ein Wort zu verlieren. Alles war so schnell gegangen. Ein Anruf und der kurze Befehl: .
Benjamin hatte sich seinen ersten Tag im Polizeipräsidium Südhessen anders vorgestellt. Er hatte gehofft, gemütlich sein Büro zu beziehen, einen Plausch mit dem Teamkollegen Daniel Hartmann halten zu können, um sich anschließend an seinem neuen Arbeitsplatz etwas einzurichten.
Doch das von Kriminalrat Löwental berichtete von einem Doppelmord in der Nacht von Sonntag auf Montag. Im ehrenwerten Paulusviertel. Das war wohl auch der Grund, dass jetzt schon so viele Kollegen zusammensaßen, überlegte Benjamin und musste innerlich grinsen. Wenn die Tat in Eberstadt-Süd stattgefunden hätte, ob dann auch so ein Aufriss veranstaltet worden wäre?
Er schnappte nochmals das Handout und las darin. Es war die Rede von Mehrfach- und Intensivtätern, MIT genannt, die in diesem Jahr ein größer werdendes Problem darstellten. Benjamin hatte während seiner Ausbildung auch schon davon gehört. Diese, vor allem jugendlichen Täter, trafen sich in kleinen Gruppen und brachen in Wohnungen ein. Dafür war ein Villenviertel prädestiniert. Im Darmstädter Lokalblatt, dem Echo, war darüber berichtet worden und es gab einige, zum Teil reißerisch gehaltene Kommentare und natürlich der eine oder andere Leserbrief. Die Einbruchserie wurde intensiv, auch auf der Straße, diskutiert. Die vorwiegend ältere Bewohnerschaft im Paulusviertel bangte um ihre Sicherheit und einige prominente Darmstädter besprachen dies mit den Personen, die etwas bei der Polizei zu sagen hatten. Und nun dieser Doppelmord, bei dem auch ein Einbruch nicht auszuschließen war.
Kriminalrat Löwental hatte sofort reagiert und eine Sonderkommission eingerichtet, deren Mitglieder nun zusammensaßen. Neben den beiden Novizen Dobermann und Hartmann waren noch die Hauptkommissare Pia Stenger, Franz Glauberg, Hannes Petersen und Kriminaloberkommissarin Klara Potente in dem kleinen Raum versammelt.
Das Papier, das Löwental ausgeteilt hatte, berichtete über alle momentan vorliegenden Fakten und stellte darüber hinaus einige Vermutungen an. Die Palette war breit: Raubmord, ein Familiendrama, Erbschaftsstreitigkeiten oder heimtückischer Mord durch eine polnische Pflegekraft an ihren Schutzbefohlenen.
Benjamin legte das Papier auf den Tisch und dachte nach. Er hatte noch ein anderes Szenario vor Augen und spürte, wie sich alles in seinem Kopf drehte. „Ich muss mal schnell um die Ecke“, flüsterte er Hartmann zu und wollte sich erheben.
„Was ist los mit dir? Ist dir der Fall auf den Magen geschlagen? Du bist ja ganz weiß um die Nase“, zischelte Hartmann hinter vorgehaltener Hand. Benjamin machte eine abwehrende Handbewegung und verließ eilig den Besprechungsraum.
„Was is´ mit dem los?“, fragte Kriminalrat Löwental.
„Ist halt sein erster Fall und gleich ein Doppelmord. Das kann schon ein wenig wirr im Kopf machen“, bemerkte Kriminaloberkommissarin Klara Potente mit einem abfälligen Ton in ihrer Stimme.
Der Kriminalrat grunzte lediglich und fragte in die Gruppe hinein: „Haben Sie das vollständig gelesen?“
Alle nickten.
„Noch Fragen?“
Alle schüttelten die Köpfe.
„Und, was halten Sie davon?“
Die Kommissare dachten nach und Kriminaloberkommissarin Klara Potente hob die Hand.
***
Währenddessen stürmte Benjamin durch den langen Flur. Er musste immer wieder an gestern Abend denken. Sein Freund hatte ihm von seinem Traum berichtet, der mit dem, was tatsächlich passiert war, einige Parallelen aufwies. Vielleicht war es gar kein Traum, dachte Benjamin. Vielleicht war es ein Geständnis.
Quatsch, das konnte nicht sein. Der junge Kommissar schüttelte den Gedanken ab, er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Freund ein Mörder sein sollte.
Aber dennoch blieben Zweifel. Lange hatte er Fabian Breuer nicht mehr gesehen. Zufällig waren sie sich vor ein paar Tagen auf dem Darmstädter Wochenmarkt begegnet, hatten ein paar Worte und die Handynummern getauscht. Gestern früh hatte Fabian spontan angerufen und sich mit ihm verabredet.
Gedankenversunken rannte der junge Kommissar in Richtung Toilette. Er riss die Tür auf, ging in die nächstbeste Kabine und schloss gewissenhaft ab. Er kramte sein Handy heraus und wählte die Nummer seines Freundes.
„Mist“, grummelte Dobermann. „Noch nicht einmal die Mailbox.“
Er versuchte es auf dem Festnetz.
„… also melde dich auf meinem Handy, wenn du nach Hause kommst! Meine Nummer hast du ja, aber zur Sicherheit gebe ich sie dir nochmals …“
Benjamin beendete die Nachricht auf dem Anrufbeantworter und steckte sein Handy zurück in die Hosentasche. Unwirsch stieß er die Tür der Toilettenkabine auf. Am Waschbecken schaufelte er sich zwei Hände mit eiskaltem Wasser ins Gesicht, ein Versuch, etwas besser denken zu können. Es half nichts. Noch immer drehten sich seine Gedanken wild im Kreis und sein Herz klopfte. Er musste schnell zurück in den Besprechungsraum, um nicht noch mehr kritischen Fragen ausgesetzt zu sein. Das war ihm klar. Also drehte er den Wasserhahn zu und verließ die Toilette.
Als er kurz darauf die Tür zum Besprechungsraum leise öffnete, hörte er die Worte des Kriminalrates: „… also wie gesagt, ich will bis morgen früh Ergebnisse haben. Dann wird es eine Pressekonferenz geben. Hartmann und Dobermann schauen sich am Tatort um, die anderen recherchieren im Umfeld. Alles klar?“
Die Beamten nickten und der Kriminalrat beendete die Sitzung mit den Worten: „Erheben Sie sich. Ran an den Feind.“ Die Kollegen, die den Besprechungsraum verließen, drückten Benjamin zur Seite. Auch Löwental verließ eilig den Raum und verschwand, ohne den jungen Kommissar eines Blickes zu würdigen.
Hartmann blieb neben seinem Kollegen stehen. „Lass uns in unser neues Büro gehen und erst einmal beratschlagen, wie es weitergehen soll“, sagte er und lief los.
Benjamin folgte.
Das Büro war klein. Es roch intensiv nach frischer Farbe.
„Mach bitte das Fenster auf“, bat Hartmann und nahm an seiner Schreibtischseite Platz. Benjamin gehorchte und setzte sich seinem Kollegen gegenüber. „Und jetzt?“, fragte er auffordernd.
„Wir haben an der Polizeiakademie in Wiesbaden einiges gelernt. Wir haben zwar keine Erfahrung, aber unser theoretisches Wissen sollten wir jetzt nutzen“, erwiderte Hartmann und es klang irgendwie überheblich. Er biss genussvoll in einen Schokoriegel, den er aus seiner Hose gezaubert hatte, und fügte sinnierend hinzu: „Lass uns mal eine Fallanalyse machen. Vielleicht sollten wir das hypotheticodeduktive Vorgehen bevorzugen oder die Sequenzierung des Tathergangs?“
Schwachkopf, dachte Benjamin und bemerkte vor lauter Ärger nicht das schelmische Grinsen, das sich auf Hartmanns Gesicht gebildet hatte. Vielmehr war er mit gehässigen Gedanken beschäftigt. Wie hatte Daniel die Sportprüfungen geschafft?, fragte er sich. Bei seiner Liebe zu Süßigkeiten und dem daraus resultierenden Bauchansatz. Und immer diese Gemütlichkeit, die er an den Tag legte. So konnte doch nichts aus ihm werden. Sie waren lediglich Beamte auf Probe. Sollte man sich da nicht ein wenig mehr engagieren? Wahrscheinlich hatte Hartmanns Vater, der bis vor ein paar Jahren noch gemeinsam mit seinem Vater ein sehr erfolgreiches Team gebildet hatte, seine Beziehungen spielen lassen. Bestimmt gab es auch in Südhessen gut gepflegte Seilschaften, um das eine oder andere auf dem ‚‘ erreichen zu können. Sein eigener Vater, der alte Lothar Ludwig Dobermann, hatte ihm zwar immer wieder gepredigt, dass es so etwas nicht gäbe, aber Benjamin glaubte ihm in dieser Hinsicht nicht. Er glaubte vielmehr, dass sein Vater, aus einem übertriebenen Ehrgefühl heraus, ihm einfach nicht helfen wollte und das ärgerte ihn. Der alte Dobermann hatte niemals die Nähe zu seinen Vorgesetzten gesucht. Hartmanns Vater dagegen verstand sich privat ausgezeichnet mit Kriminalrat Löwental, so munkelte man. Bestimmt hatten die beiden etwas gedeichselt, sodass Hartmanns Sohn problemlos die Sportprüfung und vielleicht...