E-Book, Deutsch, 156 Seiten
Ross Pasvikelva
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-7784-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 156 Seiten
ISBN: 978-3-7583-7784-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach einer Fortbildungsveranstaltung wird die Journalistin Marit in einer Bar angesprochen. Ein Mann bietet ihr an, sie mit Informationen zu versorgen, deren Veröffentlichung großes Aufsehen erregen und sie schlagartig bekannt machen würde. Was er ihr erzählen will, ist allerdings höchst brisant, und schon treten mächtige Widersacher auf den Plan, die mit aller Macht verhindern wollen, dass das, was sich am Grenzfluss Pasvikelva abgespielt hat, an die Öffentlichkeit gerät. Wer ist schneller, der russische Geheimdienst? Der norwegische Geheimdienst? Oder gelingt es Ketil und Marit, die hochexplosiven Informationen zu publizieren, bevor die Geheimdienste sie daran hindern und ausschalten? Ein Spionageroman, der an der Grenze zwischen Nordnorwegen und Russland beginnt und aufzeigt, was passieren könnte, wenn mächtige Akteure der Weltpolitik sich wie Schachspieler verhalten, immer auf der Suche nach dem einen spielentscheidenden Zug.
Thomas Ross, geb. 1969 in Lahr/Schwarzwald. Studium der Psychologie in Freiburg i. Br. und Edinburgh, Schottland. Promotion und Habilitation für Forensische Psychotherapie an der Universität Ulm. Außerplanmäßiger Professor an der Universität Ulm, Gastwissenschaftler an der Universität Konstanz. Drei Romane: Der Schlitten; Gelbfieber; Pasvikelva
Autoren/Hrsg.
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ERSTER TEIL KAPITEL 1
DUBLIN, TEMPLE BAR STREET
„Ich möchte schließen, wie ich begonnen habe, und Mark Twain zitieren: Die Lüge ist dreimal um die Erde gelaufen, bevor die Wahrheit ihre Schuhe anzieht!“ Mit salbungsvoller Stimme fordert der Redner das Publikum auf: „Lasst uns gemeinsam die Schuhe anziehen und für die Wahrheit streiten!“ Und dann kommt, nicht minder staatstragend, der gewöhnlichste aller Schlusssätze: „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!“ Höflicher Applaus setzt ein, es ist der Applaus für das Mittelmaß, gerade laut genug, um nicht peinlich zu sein. Inspiration sieht anders aus, wissen die Zuhörer, Twain hätte es gekonnt, aber der Meister ist nicht da. Das zaghafte Klatschen geht im Räuspern und Scharren der Füße unter, Hände greifen ungeduldig nach Mänteln und Taschen. Es ist spät geworden, alle wollen gehen, manche können es kaum erwarten, aus dem Saal zu kommen. Die junge Blondine im hellgrauen Businesskostüm aus der dritten Reihe ist die Erste, die aufsteht. Die Nacht ist noch jung und die Gelegenheit kommt nicht oft, wird sie sich gedacht haben, als sie ihre Sitznachbarinnen durch Drängeln und Kleiderzupfen zum schnellen Aufbruch animierte. Auf geht‘s! Kirstens Ellbogen bohrte sich in Marits Rippen. Die Getroffene stöhnte auf, krümmte sich, aber Kirsten ging lachend darüber hinweg. Es war Zeit, das Leben zu genießen, dachte sie, und das Leben duldet keinen Aufschub. Marit betastete ihre Rippe, der Schmerz ließ ein wenig nach, aber schon zupfte Anna an ihrem Ärmel. Stimmt, dachte Marit, schließlich wurden die drei jungen Frauen nur selten zusammen ins Ausland geschickt, und wenn, dann war meistens der Chef mit von der Partie. So wie der gestrickt war, bedeutete das viel Arbeit und wenig Vergnügen. Doch diesmal, allein auf weiter Flur, war ihnen ein ungeahntes Maß an Freiheit vergönnt. Freiheit, die genutzt werden wollte! Doch Marit konnte mit ihren Kolleginnen nicht mithalten. Der Tag war lang gewesen, der Workshop über effektives journalistisches Schreiben hatte ihr viel abverlangt, und der letzte Vortrag, zum Einschlafen langweilig, hatte ihr den Rest gegeben. Ganz anders ihre Kolleginnen, deren Gesichter blühten und strahlten wie im Frühling. Die Verheißung einer langen Nacht vor Augen, glänzten ihre Augen und lechzten nach Abenteuer. Kirsten hatte schon in der Kaffeepause ihren Lippenstift nachgezogen und Anna brauchte keine zwanzig Minuten, um nach der Veranstaltung wie aus dem Ei gepellt in einem hautengen schwarzen Bodycon-Cocktailkleid in der Hotelhalle zu stehen. Und doch. Marit war nicht begeistert. Sie war müde, vielleicht lag es auch nur an der Erkältung, die sie sich im Flugzeug eingefangen hatte. Ihr Hals kratzte schon den ganzen Tag, und ihre Stimme klang rau und tiefer als sonst. Die Freundinnen wollten es nicht gelten lassen. Sie nahmen Marit unter die Arme und schleppten sie kichernd und scherzend wie Schulmädchen über den regennassen Asphalt. Sie stiegen in den Bus Richtung Innenstadt, das Ziel war längst ausgemacht. Die Temple Bar Street musste es sein, eine Bar reihte sich an die andere, es wurde live musiziert, getrunken und getanzt bis in die frühen Morgenstunden. Fake News, Aufklärung und Demokratie im digitalen Zeitalter? All das wollten sie vergessen, die Verheißungen einer feuchtfröhlichen, schwerelosen Nacht auskosten, bis am nächsten Tag das Flugzeug sie wieder nach Hause brachte. Marit ging es etwas besser. Die frische, kühle Luft tat ihren Lungen gut, das Klappern ihrer hochhackigen Schuhe auf dem feuchten Asphalt klang irgendwie lustig, manchmal gingen sie im Gleichschritt, die Körper in der kühlen Nacht eng aneinandergepresst, schon stolperte eine, die anderen fingen sie auf, kicherten, ahnten erwartungsvoll die Augen lächelnder Männer und Frauen auf ihren Körpern ruhen und gingen lachend weiter. In der Temple Street suchten sie die gleichnamige Bar auf, an der Theke war Platz. Kirsten bestellte ein Pint, Anna wollte lieber einen Cocktail, aber den gab es hier nicht. Marit winkte ab, sie wollte mit dem Alkohol noch etwas warten, aber daraus wurde nichts. Schon standen drei Pints vor ihren Nasen, zwei davon waren eine Viertelstunde später leer. Die Musik war laut und gut, die Band hatte sich warm gespielt, und die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Schon waren Kirsten und Anna untrennbar mit der wogenden Masse verwoben, ein Knäuel aus Körpern, das sich im Takt der Geigen und Gitarren immer weiter von Marits Gemütszustand entfernte. Nach einer Weile löste sich Anna aus der Masse, fordernd zupfte sie an Marits Ärmel. Doch die nippte lustlos an ihrem Glas und schüttelte den Kopf. Nein, heute würde das nichts mehr werden. Es war nicht ihr Tag, der Müdigkeit war nicht beizukommen, und Alkohol und laute Musik halfen nicht. Marit entschied sich zu gehen, und da Anna schon wieder weg war, suchte Marit nach ihren Kolleginnen. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Kolleginnen gefunden hatte, dann rief Marit „Ich will gehen!“ und Kirsten antwortete „Wir auch!“. Überraschung, aber es stellte sich schnell heraus, dass die beiden einfach weiterziehen wollten. Musik und Tanz mussten sein, aber hier fehlten ruhige Ecken, Rückzugsorte, falls sich etwas ergeben sollte. Kirsten und Anna drängten in Richtung Ausgang, Marit fiel zurück; es war schwierig und unangenehm, sich zwischen den Menschen durchzwängen zu müssen, Berührungen zu ertragen, die für Marit, die kaum getrunken hatte, nur allzu deutlich spürbar waren. Es war mehr als deutlich, Marit gehörte nicht hierher, nur weg von hier. In diesem Moment hielt jemand ihren Arm fest. Empört riss sie sich los und hörte auf Norwegisch: „Marit, unsere Armee schickt Soldaten auf russischen Boden.“ Marit blieb augenblicklich stehen. Ein Mann stand dicht vor ihr. Jetzt trafen sich ihre Blicke, ruhig und fest sah der Mann sie an. Marit trat einen Schritt zur Seite, der Mann streifte ihren Unterarm. War das der Mann, der sie angesprochen hatte? Woher kennt er meinen Namen? Der Mann deutete mit dem Kopf auf einen Platz im hinteren Teil der Bar, etwas abgeschirmt von der lauten Musik. Marit schob sich an ihm vorbei, drängte zum Ausgang, wo Kirsten und Anna warteten. Dann drehte sie sich plötzlich um. Sie fand den Mann an der gleichen Stelle wie zuvor, und als hätte er gewusst, dass Marit zurückkommen würde, stand er breitschultrig da. „Wer arbeitet mit den Russen zusammen?“ Der Mann lächelte freundlich, aber das Lächeln galt nicht Marit. Kirsten und Anna waren Marit gefolgt, sie wollten gerade gehen, als sie ihn sahen. Ein hübscher Kerl war er, groß, kräftig, das dunkle Haar fiel von der hohen Wikingerstirn auf breite, kräftige Schultern. Ein gepflegter Vollbart in dem fein gezeichneten Gesicht ließ eine gute Mischung aus kräftiger Männlichkeit und maskuliner Zärtlichkeit erahnen, es roch nach schöpferischer Kraft und zärtlicher Potenz. Kirsten war ganz aus dem Häuschen, auch Anna war entzückt, was für ein Lächeln! Verlegenes Kichern und zwei neidische Blicke, die Marit suchten und fanden. Was für ein unverschämtes Glück sie hatte! So schlecht gelaunt und doch ... es war nichts zu machen. Geschlagen zogen sich Kirsten und Anna zurück. Der Mann gab Marit ein Zeichen, und sie folgte ihm zu einer Sitzecke, wo ein Paar an einem wackeligen Holztisch saß und zwei Pints und zwei Gläser Wasser trank. Der Mann wechselte ein paar Worte mit ihnen, dann standen sie auf und gingen. „Woher kennen Sie meinen Namen?“ Der Mann verstand nicht, aber er lächelte. Marit kam näher und rief: „Wer arbeitet mit den Russen zusammen?“ Der Mann hielt Marit den Finger an die Lippen. Unwillkürlich zuckte sie zurück, ihre Hände umklammerten die Tischkante. Auch der Mann wich ein wenig zurück, schaute sich suchend um, dann sah er, was er gesucht hatte. Das Mädchen, das vorhin noch in der Sitzecke gesessen hatte, bahnte sich einen Weg durch die Menge, mit ausgestreckten Armen öffnete sie den Raum auch für den Jungen, der zwei Gläser in den Händen balancierte. Er stellte sie vor Marit ab. Der Mann nickte, und das Paar verschwand. Auf dem Tisch stand ein halbes Pint Strongbow Cider, das gleiche Getränk, von dem Marit vorhin getrunken hatte. Was war das für eine Anmache? Marits Neugier auf den Mann war wie weggeblasen. Sie sprang auf, schnappte sich ihre Jacke und schob sich am Tisch vorbei ins Freie. „Wollen Sie ein Buch schreiben?“ Hatte Marit richtig gehört? Sie setzte sich wieder. „Ich biete Ihnen an, ein Buch zu schreiben.“ „Was für ein Buch? Worüber?“ „Über den Stoff, den ich Ihnen liefern werde.“ „Sie sind verrückt“, rief Marit und sprang auf, der Hocker kippte, ihre Füße verhedderten sich in seinen Beinen, sie taumelte. Aber der Fremde war da, fing sie auf, sie spürte einen starken Arm in ihrem Rücken. „Norwegen schickt Soldaten auf russischen Boden.“ Marit riss sich los, nervös fuhr sie sich durchs Haar. Wovon redete...