E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Roth Anschließen, angleichen, abwickeln
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95841-515-7
Verlag: edition berolina
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die westdeutschen Planungen zur Übernahme der DDR 1952-1990
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-95841-515-7
Verlag: edition berolina
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roth erläutert die Planungen, die die beiden wichtigsten westdeutschen Institutionen, die mit der Vorbereitung der Wiedervereinigung befasst waren und die direkt den jeweiligen Bundesregierungen zuarbeiteten - der »Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands« und die »Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen« - von 1952 bis 1990 entwickelt haben.
Anhand des verfügbaren Aktenbestandes dieser Einrichtungen zeigt der Autor, dass die Vereinigung 1990 nach Vorgaben vollzogen ist, die bereits in den 1950er Jahren vor allem von Wissenschaftlern ausgearbeitet worden waren, die zuvor ihre planerischen Fähigkeiten in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt hatten. Hochspannend und absolut empfehlenswert - uns ist kein vergleichbares Buch bekannt!
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Einleitung Der Anschluss der Deutschen Demokratischen Republik an das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland liegt nun fast zehn Jahre zurück. Aber dieses Ereignis ist noch keineswegs Geschichte geworden, sondern mehr denn je Objekt eines erbittert geführten Meinungskampfs über seine Vorbedingungen, Legitimationsgrundlagen, Abläufe und Auswirkungen. Dabei verfügen die bundesdeutschen Akteure und Vollstrecker des Geschehens zusammen mit ihren damals innerhalb weniger Monate rekrutierten ostdeutschen Koalitionspartnern auch heute noch über eine fast uneingeschränkte Führerschaft in Medien, Politik und Wissenschaft. Sie nutzen sie zu immer neu ansetzenden Delegitimationskampagnen gegen die abgewickelten Führungsschichten, Hoheitsträger und Anhänger des unter bundesdeutsche Herrschaft gebrachten realsozialistischen Nachbarlands. Längst ist auf die juristische Abrechnung eine Denunziationsphase gefolgt, die nicht mehr wie in vergangenen Zeiten behördliche Aktenschränke mit anonymen Schreiben füllt, sondern öffentlich-medial zelebriert wird. Die Stimmen der Besiegten sind inzwischen fast vollkommen verstummt. Derartige Konstellationen sind ungünstig für den Historiker. Wo soll er seinen Standpunkt beziehen? Sicherlich nicht bei den Siegern: Ihre Verdikte verdecken nicht nur die eigenen Fehlhandlungen mitsamt ihren katastrophalen Auswirkungen, sondern sind auch der Geschichtsforschung, die nur zu verstehen und zu erklären hat, grundsätzlich fremd. Aber auch zum Anwalt der Unterworfenen vermag sie sich nicht aufzuschwingen, so naheliegend dies angesichts der ihnen zugefügten Demütigungen auch sein mag. Die Historiographie hat generell keine Solidaritätsadressen zu produzieren, sondern die Problemfelder des Vergangenen kritisch zu bearbeiten, um zu einem besseren Verständnis der Gegenwart beizutragen. Im vorliegenden Fall geht es um eine nüchterne Analyse jener Voraussetzungen und Entwicklungstendenzen, die vom politischen Machtzentrum der BRD 1989/90 genutzt werden konnten, um sich die DDR nach jahrzehntelangem Vorplanen und Warten auf ein günstiges »strategisches Fenster« einzuverleiben. Aus diesen Prämissen erschließen sich die Rahmenbedingungen der folgenden Untersuchung. Der vernichterische Selbstlauf der Nazi-Diktatur war 1945 durch die militärischen Anstrengungen der vier alliierten Mächte beendet worden und hatte zur Okkupation des Reichs und seiner Hauptstadt, aufgeteilt in vier Besatzungszonen beziehungsweise Sektoren, geführt. Das in jeder Hinsicht ungleiche Viermächtebündnis hatte nicht lange Bestand gehabt und sich eineinhalb Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation seines Hauptgegners aufzulösen begonnen. Knapp drei Jahre später waren die Relikte des »Deutschen Reichs« unter aktiver Beteiligung ihrer territorial getrennt agierenden Resteliten – aus der Arbeiterbewegung im Osten, dem Bürgertum im Westen – in zwei Staaten gespalten, die sich strukturell und gesellschaftlich – nicht aber mental – an die Normensysteme der jeweiligen Hauptprotagonisten des Kalten Kriegs anpassten. Die deutsch-deutsche Grenze verlor die letzten Austauschfunktionen und Kommunikationsbrücken, wie sie einer Demarkationslinie zwischen benachbarten Okkupationsmächten durchaus noch zu eigen sind, und wurde zur Frontlinie. Es begann eine vierzigjährige separate Entwicklung, die unterschiedliche Gesellschaftsformen und Lebensweisen hervorbrachte und die Gegensätze zwischen den beiden deutschen Staaten vertiefte. Dabei avancierten die BRD, die DDR und das gespaltene Berlin zunehmend zu Musterknaben des jeweiligen Bündnissystems. Vor allem im Gefolge der mehrfach an den Rand eines Dritten Weltkriegs geratenen Konfrontationen zwischen den beiden Supermächten erlangten sie eine herausragende strategisch-politische Bedeutung. Hinsichtlich ihrer Stellung innerhalb der feindlichen Machtblöcke entwickelten sich die beiden deutschen Staaten jedoch extrem ungleich. Die Bundesrepublik avancierte zum sozioökonomischen Gravitationsfeld des westeuropäischen Integrationsprozesses. Vergleichbare Erfolge hatte die durch umfangreiche Reparationsleistungen zurückgeworfene und kleinere DDR nicht aufzuweisen. Hinzu kam, dass der osteuropäische Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) die sich in den staatlichen Planungssystemen manifestierenden Nationalismen Ostmitteleuropas nur sehr begrenzt zu mäßigen verstand. Diese strukturelle Unterlegenheit wirkte sich auf die ohnehin in die Rolle eines hässlichen kleinen Bruders gezwängte DDR langfristig fatal aus. Die ungleichen Entwicklungschancen der beiden deutschen Staaten fanden ihre Entsprechung in ihrer jeweiligen machtpolitischen Verortung. Die Bundesrepublik konnte es sich aufgrund ihrer Bedeutung im westlichen Bündnissystem leisten, die Option einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten unter von ihr zu diktierenden Bedingungen zu formulieren und daran vierzig Jahre lang festzuhalten. Wie wir heute wissen, modifizierte die »neue Ostpolitik« der 70er Jahre diese grundsätzliche Festlegung nur auf der taktischen Ebene. Genauso wenig änderte die schon von Konrad Adenauer in politisches Handeln übersetzte Erkenntnis, dass die »Wiedervereinigung« einen langen Atem brauchte, am Grundsatz einer »Wiedervereinigung« zu ausschließlich westdeutschen Konditionen: Nur ein im Rahmen der Westintegration erstarktes Westdeutschland würde eines Tags in der Lage sein, der im Niedergang begriffenen Sowjetunion die Kontrolle über die DDR zu entreißen. Solche strategischen Möglichkeiten hatten die DDR-Eliten niemals. Die DDR war wirtschaftspolitisch schwach sowie gesellschaftspolitisch häufig instabil. Ihre Regierung konnte sich deshalb eine offensive Langzeitstrategie gegen die Bundesrepublik zu keinem Zeitpunkt ihrer vierzigjährigen Geschichte leisten. Auch eine wie immer geartete Umweg-Konzeption à la Adenauer war nicht konstruierbar, denn eine der BRD-Entwicklung entsprechende Führungsposition innerhalb des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe kam trotz erheblicher Produktivitätsvorsprünge niemals zustande. Als die DDR-Führung beispielsweise zu Beginn der 70er Jahre versuchte, durch eine Außenhandelsoffensive eine Art Katalysatorfunktion innerhalb des RGW zu erlangen, scheiterte sie nicht nur an den unkalkulierbar gewordenen weltwirtschaftlichen Bedingungen. Sie war auch durch die Stagnation und Wankelmütigkeit ihrer Führungsmacht beeinträchtigt, die nach ihrer militärisch-strategischen Niederlage im internationalen Raketen-Wettrüsten Mitte der 80er Jahre der Europäischen Gemeinschaft für den Fall der Konstruktion eines von der USA-Präsenz gereinigten »gemeinsamen europäischen Hauses« einen deutsch-deutschen Konföderationsprozess anbot. Auch in dieser Hinsicht hatte David nie eine Chance gegen Goliath. Ein zur permanenten Defensive gezwungener David verliert die aus seiner Schwächeposition gewonnenen Vorteile größerer Wendigkeit und wird über kurz oder lang von Goliath erdrückt. Alles in allem befand sich die DDR gegenüber der BRD immer in der Defensive. Sie hatte nie eine Chance, Einfluss auf die entscheidenden Machtzentren in Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft zwischen Rhein und Elbe zu gewinnen, und deshalb werden die Fanatiker der Gauck-Behörde und ihres Umfelds auch niemals ein Planungspapier zur staatssozialistischen Anpassung der BRD-Ökonomie und der sie tragenden Infrastrukturen an die durch die DDR vorgegebenen Bedingungen vorweisen können. An diesem Befund ändern auch die inzwischen mit lautem Getöse vorgetragenen Enthüllungen über die Westpolitik der SED und die Aktivitäten der Hauptverwaltung Aufklärung im Ministerium für Staatssicherheit nicht das Geringste. Die DDR konnte lediglich versuchen, durch Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, auf einzelne politische Entscheidungsträger und dissidente politische Bewegungen sowie durch eine einigermaßen effiziente Durchleuchtung der Sicherheitspolitik das vom westdeutschen Goliath ausgehende Bedrohungspotential zu mäßigen. Derartige unnütze wie ressourcenverschleißende Aktivitäten hatten die bundesrepublikanischen Gegenspieler nur in den frühen Konfrontationsjahren nötig. Die Versuche zur Subversion der DDR-Gesellschaft mit Hilfe militanter antikommunistischer Vereinigungen wurden Ende der 50er Jahre eingestellt und durch die professionelle Beobachtung der wirtschaftlichen, sozialen und machtpolitischen Entwicklungstendenzen jenseits der Elbe ersetzt. Darauf aufbauend kam es zu langdauernden Bemühungen um die Vorplanung eines mehrstufigen Transformationsprozesses von Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Politik im Sinne der Anpassung an das westdeutsche Gesellschaftsmodell. Hier scheute man keine Anstrengung, um für den »Tag X«, aus dem später eine Art »Jahr X« wurde, gewappnet und im Augenblick der Öffnung des »strategischen Fensters« zur Stelle zu sein. Die Planungen zum Anschließen, Angleichen und Abwickeln des Nachbarstaates entwickelten sich zeitweilig zu einem weit verbreiteten Gesellschaftsspiel, dem Privatunternehmen, Spitzen- und Regionalbehörden, Ärzteverbände, Anwaltsvereine und selbstverständlich auch die mächtigen Organisationen der gewerblichen Wirtschaft frönten. Manches davon mutet heute anachronistisch an, anderes dagegen wirkt hochaktuell, denn es wurde in den Transformationsprozessen von 1989/90 plötzlich virulent. Wichtiger als die dabei getroffenen konzeptionellen Festlegungen war jedoch das mit diesen Vorübungen und Exerzitien verbundene mentale Syndrom: auf jede sich bietende Gelegenheit gefasst und im richtigen Augenblick auf dem Sprung zu sein. Eine Mentalitätsgeschichte des Anschlusses von Staaten in der modernen Geschichte ist möglicherweise erkenntnisträchtiger als die inzwischen allmählich in Gang kommende vergleichende Analyse ihres Pendants in...