Roth | Die Prager Orgie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Roth Die Prager Orgie

Ein Epilog
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-446-25169-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Epilog

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

ISBN: 978-3-446-25169-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In dem Epilog zu Roths Zuckerman-Trilogie versucht Zuckerman unter abenteuerlichen Umständen, im sowjetisch besetzten Prag das Manuskript eines von den Nazis umgebrachten Juden zu retten; eine tiefsinnige Farce, die die Trilogie abschließt.

Roth Die Prager Orgie jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


… aus Zuckermans Notizbüchern
New York, den 11. Januar 1976
»Ihr Roman«, sagt er, »ist unbedingt eins von den fünf oder sechs Büchern meines Lebens.« »Sie müssen Mr. Sisovsky versichern«, wende ich mich an seine Begleiterin, »daß er mir genug geschmeichelt hat.« »Du hast ihm genug geschmeichelt«, sagt sie zu ihm. Eine Frau von etwa vierzig Jahren, fahle Augen, breite Wangenknochen, dunkles, streng gescheiteltes Haar – ein verstörtes, fesselndes Gesicht. Eine blaue Vene wölbt sich gefährlich an ihrer Schläfe, während sie so auf der Kante meines Sofas hockt, ganz ruhig. In Schwarz, wie Prinz Hamlet. Ernstliche Anzeichen von Abnutzung an der Sitzfläche des schwarzen Samtrockes ihres Trauerkostüms. Ihr Duft ist stark, ihre Strümpfe haben Laufmaschen, ihre Nerven sind angegriffen. Er ist jünger, vielleicht um zehn Jahre: der Körper ist dick, klein, stämmig, mit einem breiten, schmalnasigen Gesicht, das die bedrohliche Ausstrahlung einer behandschuhten Faust hat. Ich sehe ihn vor mir, wie er die Stirn senkt und Türen damit einrennt. Doch sein halblanges Haar ist das Haar des umschwärmten Idols, schweres seidiges Haar von nahezu orientalisch dunklem Glanz. Er trägt einen grauen Anzug von sanft schimmerndem Gewebe, das Jackett hat hoch angesetzte Ärmel und ist an den Schultern ein wenig knapp. Die Hose schmiegt sich an einen unproportioniert mächtigen Unterkörper – ein Fußballspieler in langen Hosen. Seine spitzen, weißen Schuhe sind reparaturbedürftig; sein weißes Hemd ist abgetragen, die oberen Knöpfe stehen offen. Etwas vom Schlawiner, etwas vom Gangster, auch etwas vom überprivilegierten Knaben. Während die Frau einen starken Akzent hat, spricht Sisovsky ein nur leicht gefärbtes Englisch, das er mit so großem Selbstvertrauen artikuliert – die Vokale klingen seltsam elegant nach Oxford daß mir die gelegentliche syntaktische Holprigkeit als eine Art von Raffinement vorkommt, als ironisches Spiel, mit dem er den amerikanischen Gastgeber daran erinnern möchte, daß er schließlich nur ein Flüchtling ist, kaum mehr als ein Debütant in jener Zunge, die er schon so fließend und charmant beherrscht. Trotz all dieser Ehrerbietigkeit mir gegenüber scheint er mir zu den Starken zu gehören, zu den Draufgängern, deren Stärke in ihrer Unverfrorenheit liegt. »Sagen Sie ihm doch, daß er mir von seinem Buch erzählen soll«, sage ich zu ihr. »Wie hieß es?« Doch er fährt fort, von meinem zu sprechen. »Als wir von Rom aus in Kanada ankamen, war Ihr Buch das erste, das ich gekauft habe. Ich habe festgestellt, daß es hier in Amerika einen Skandal ausgelöst hat. Als Sie so freundlich waren, einem Treffen mit mir zuzustimmen, bin ich in die Bibliothek gegangen, um herauszufinden, wie die Amerikaner Ihr Werk aufgenommen haben. Die Frage interessiert mich aufgrund der Art und Weise, wie die Tschechen mein Buch aufgenommen haben, das nämlich auch einen Skandal ausgelöst hat.« »Worin bestand der Skandal?« »Bittschön«, sagt er, »es liegt nicht in meiner Absicht, unsere beiden Bücher zu vergleichen. Ihres ist das Werk eines Genies, meins ist ein Nichts. Als ich Kafka studierte, schien mir das Geschick seiner Bücher in den Händen der Kafkologen noch grotesker zu sein als das Geschick Josef K’s. Mir kommt es so vor, als ob das auch auf Sie zutrifft. Dieser Skandal als Reaktion stellt eine weitere groteske Dimension dar und gehört nun zu Ihrem Buch wie die kafkologischen Dummheiten zu Kafka gehören. Wie ja sogar das Verbot meines kleinen Buches eine Dimension schafft, die von mir überhaupt nicht beabsichtigt war.« »Warum wurde es verboten, Ihr Buch?« »Die Dummheit, die Sie ertragen müssen, wiegt schwerer als ein Verbot.« »Stimmt nicht.« »Ich fürchte, es stimmt, cher maître. Es bringt Sie dazu, die Bedeutung Ihrer Berufung zu schmälern. Es bringt Sie dazu zu glauben, daß es keine literarische Kultur gibt, auf die es ankommt. Es stellt eine eindeutige existentielle Schwächung Ihrer Position dar. Das ist bedauerlich, weil Sie tatsächlich ein Meisterwerk geschrieben haben.« Doch sagt er keineswegs, was ihm an meinem Buch gefällt. Vielleicht gefällt es ihm in Wirklichkeit gar nicht. Vielleicht hat er es gar nicht gelesen. Was für eine Subtilität in dieser Beharrlichkeit. Der ruinierte Vertriebene läßt sich nicht davon abbringen, dem amerikanischen Erfolg Mitleid zu bezeugen. Was will er bloß? »Aber Sie sind es doch«, erinnere ich ihn, »dem das Recht verweigert wurde, seinen Beruf auszuüben. Was immer der Skandal war, ich bin reichlich – ja, auf bizarre Weise – entlohnt worden. Das geht von einer Adresse an der Upper West Side bis hin zur Unterstützung ehrenwerter Mörder, damit sie auf Kaution freigelassen werden. Das ist die Macht, die einem hier ein Skandal verleiht. Sie sind es, der am härtesten bestraft worden ist. Ihr Buch zu verbieten, die Veröffentlichung zu unterbinden, Sie aus Ihrer Heimat zu vertreiben – was könnte belastender und dümmer sein? Ich freue mich, daß Sie eine gute Meinung von meinem Werk haben, aber lassen Sie doch die Artigkeiten wegen cher maîtres Lage, mon cher ami. Woran lag es denn, daß das, was Sie geschrieben haben, zu solch einem Skandal wurde?« Die Frau sagt: »Erzähl es ihm, Zdenek.« »Was gibt es da zu erzählen?« sagt er. »Ein satirisches Lächeln ist für die ärger als ausgesprochen ideologischer Fanatismus. Ich habe einfach gelacht. Sie sind ideologiebesessen. Ich hasse Ideologiebesessene. Das ist die Ursache so vieler Ärgernisse. Es ist auch die Ursache meines Zweifels.« Ich bitte ihn, mir sein Zweifeln zu erklären. »Ich habe 1967 in Prag eine harmlose kleine Satire veröffentlicht. Die Russen kamen 1968 auf Besuch, und seitdem habe ich nichts mehr veröffentlicht. Mehr gibt es da nicht zu sagen. Was mich interessiert, sind diese törichten Rezensionen, die ich in der Bibliothek von Ihrem Buch gelesen habe. Nicht daß sie töricht sind, das versteht sich von selbst. Sondern daß keine darunter ist, die man intelligent nennen könnte. Man liest solche Sachen in Amerika, und es packt einen Angst um die Zukunft, um die Welt, um alles.« »Angst um die Zukunft, sogar um die Welt, das verstehe ich. Aber ›um alles‹? Zeigen Sie Mitgefühl für einen Schriftsteller wegen seiner törichten Rezensionen, und Sie haben einen Freund fürs Leben gefunden, Sisovsky, aber nachdem das jetzt erreicht ist, würde ich gern von Ihren Zweifeln hören.« »Erzähl ihm von deinem Zweifel, Zdenek!« »Wie kann ich das? Ich glaube ja nicht einmal an meinen Zweifel, offengestanden. Ich denke nicht, daß ich überhaupt irgendeinen Zweifel habe. Aber ich denke, ich sollte ihn haben.« »Warum?« frage ich. »Ich erinnere mich an die Zeit vor dem Einmarsch in Prag«, sagt er. »Ich schwöre Ihnen, daß nicht eine einzige Rezension Ihres Werkes in den Sechzigern in Prag hätte erscheinen können – das Niveau ist einfach zu niedrig. Und das trotz der Tatsache, daß wir nach vereinfachten Begriffen ein stalinistisches Land waren und die USA das Land intellektueller Freiheit.« »Zdenek, er will nicht von diesen Rezensionen hören – er möchte von deinem Zweifel hören!« »Beruhige dich doch«, sagt er zu ihr. »Der Mann hat dir eine Frage gestellt. « »Ich beantworte sie ja.« »Dann tu es doch. Tu es endlich. Er hat dir schon gesagt, daß du ihm genug geschmeichelt hast!« Italien, Kanada, jetzt New York – sie ist ihn ebenso leid wie ihre Irrfahrten. Während er spricht, schließen sich ihre Augen für einen Moment, und sie berührt die geschwollene Vene an ihrer Schläfe – wie in Erinnerung an einen weiteren unwiederbringlichen Verlust. Sisovsky trinkt meinen Whiskey, sie will nicht einmal eine Tasse Tee. Sie will fort, wahrscheinlich sogar bis in die Tschechoslowakei zurück, und wahrscheinlich auf eigene Faust. Ich greife ein – ehe sie schreien kann – und frage ihn: »Hätten Sie in der Tschechoslowakei bleiben können, trotz des Verbots Ihres Buches?« »Ja. Doch wenn ich in der Tschechoslowakei geblieben wäre, dann, fürchte ich, wäre ich auf den Weg der Resignation geraten. Ich konnte nicht schreiben, nicht in der Öffentlichkeit reden, ich konnte nicht einmal meine Freunde sehen, ohne zu einem Verhör abgeholt zu werden. Wenn man versucht, etwas zu tun, egal was, dann setzt man das eigene Wohlergehen aufs Spiel und das Wohlergehen von Frau, Kindern und Eltern. Ich habe eine Frau dort. Ich habe ein Kind dort und eine alte Mutter, die schon um allzu vieles gebracht worden ist. Du entscheidest dich für Resignation, weil dir klar wird, daß du nichts tun kannst. Es gibt keinen Widerstand gegen die Russifizierung meiner Heimat. Die Tatsache, daß die Besetzung bei allen auf Haß stößt, ist auf lange Sicht überhaupt keine Verteidigung. Ihr Amerikaner denkt in Zeitbegriffen von einem oder zwei Jahren; die Russen denken in Jahrhunderten. Sie wissen instinktiv, daß sie in einer langen Zeit leben und daß die Zeit ihnen gehört. Sie wissen es tief im Inneren, und sie haben recht. Die Wahrheit ist, daß die Bevölkerung im Laufe der Zeit langsam ihr Schicksal hinnimmt. Acht Jahre sind vergangen. Nur Schriftsteller und Intellektuelle werden nach wie vor verfolgt, nur Schreiben und Denken wird unterdrückt; ansonsten sind alle zufrieden, sind sogar zufrieden mit ihrem Haß auf die Russen, und zumeist leben sie besser als je zuvor. Die Bescheidenheit allein verlangt allerdings, daß wir sie zufriedenlassen. Man kann nicht dauernd Geschrei machen wegen...


Roth, Philip
Philip Roth wurde 1933 in Newark, New Jersey, geboren und starb 2018 in New York City. 1998 erhielt er für Amerikanisches Idyll den Pulitzerpreis. Ebenfalls 1998 wurde ihm im Weißen Haus die National Medal of Arts verliehen, und 2001 erhielt er die höchste Auszeichnung der American Academy of Arts and Letters, die Gold Medal, mit der unter anderem John Dos Passos, William Faulkner und Saul Bellow ausgezeichnet worden sind. Er hat zweimal den National Book Award und den National Book Critics Circle Award erhalten, dreimal den PEN/Faulkner Award und außerdem denPEN/Nabokov Award und den PEN/Saul Bellow Award. Bei Hanser erschienen zuletzt Der menschliche Makel (Roman, 2002), Das sterbende Tier (Roman, 2003), Shop Talk (Ein Schriftsteller, seine Kollegen und ihr Werk, 2004), Verschwörung gegen Amerika (Roman, 2005), Jedermann (Roman, 2006), Mein Leben als Mann (Roman, Neuausgabe 2007), Eigene und fremde Bücher, wiedergelesen (2007), Exit Ghost (Roman, 2008), Empörung (Roman, 2009), Portnoys Beschwerden (Neuübersetzung, 2009), Die Demütigung (2010) und Nemesis (2011).

Philip Roth wurde 1933 als Sohn jüdischer Eltern in New Jersey geboren. Nach dem Studium folgten Lehrtätigkeiten an mehreren Universitäten in den Vereinigten Staaten. Seit 1965 lebt er vorwiegend in New York. Sein Werk, in dem sich Philip Roth immer wieder mit der jüdischen Problematik auseinandersetzt, wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Zuletzt erhielt er für Sabbath's Theater den National Book Award.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.