Ruederer | Meine Geschichten | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 255 Seiten

Ruederer Meine Geschichten


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3442-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 255 Seiten

ISBN: 978-3-8496-3442-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In den Romanen und Komödien vor dem Ersten Weltkrieg prangerte Ruederer den sittlichen Verfall in der Stadt München, die Korruption, Heuchelei, das 'Schnackerlhafte' der Oberbayern an. Er ging somit auf Konfrontation mit Ludwig Thoma, der ihn als 'allem Ländlichen fernstehenden Städter' beschrieb, der schon die einfachsten Dinge falsch und unvollkommen wiedergibt. Dieser Sammelband beinhaltet seine Erzählungen: Das Grab des Herrn Schefbeck Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara Sein Verstand Der strohblonde Augustin, der brennrote Kilian und die sittliche Weltordnung.

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Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara


Der Pfarrer von Sankt Leonhard trat jeden Morgen, wenn er die heilige Messe gelesen hatte, an das offene Fenster seines Studierzimmers und schaute, ob Regen, ob Sonnenschein war, zur Kirche der heiligen Barbara hinüber, und der Pfarrer von Sankt Barbara trat gleichfalls jeden Morgen, wenn er die heilige Messe gelesen hatte, an das offene Fenster seines Studierzimmers und schaute, ob Regen, ob Sonnenschein war, zur Kirche des heiligen Leonhard hinüber.

Dabei rauchte der Pfarrer von Sankt Leonhard gewöhnlich eine Pfeife und sah ganz behaglich vor sich hin, der von Sankt Barbara aber rauchte keine Pfeife und sah ganz giftig vor sich hin. Und da die beiden großen Ortschaften mit ihren blitzblanken Häusern und Gärten so dicht ineinander gebaut waren, daß kein Fremder wußte, wo Sankt Leonhard aufhörte und Sankt Barbara anfing, konnten sich die hochwürdigen Herren zur selben Stunde jedesmal ganz gut erblicken. Ihre Pfarrhöfe ragten auf leichten Anhöhen mit den großen Kirchen über alle Häuser hinweg und lagen sich fast auf Rufweite gegenüber.

Aber weder dem einen noch dem andern fiel es ein, sich je einen Gruß zuzusenden.

Sie blieben eine Weile stumm am Fenster stehen und schauten über die beiden Gemeinden hin, die den blauen Rauch ihrer Herde einträchtig zusammenbliesen; dann verschwanden sie wieder, der Pfarrer von Sankt Leonhard mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen, der Pfarrer von Sankt Barbara mit zusammengezogenen Augenbrauen und einigen Flüchen, die aber so leise gemurmelt wurden, daß sie der etwas vorlaute Kanarienvogel auf dem Studiertische nicht einmal vernehmen konnte.

Das ging nun schon eine ganz geraume Zeit, und die beiden Schutzheiligen der ehrenwerten Dörfer mochten wissen, wie's gekommen war und wann's wieder enden werde.

»Meinetwegen kann's ruhig so weiter dauern,« sagte der Pfarrer von Sankt Leonhard, wenn er wieder durch sein Zimmer schritt, der von Sankt Barbara aber ließ die knochige Fäuste aneinanderkrachen und dachte in seinem faltigen Lehnstuhl jener schönen, einträglichen Zeiten, wo Barbarer und Leonharder mit ihren Schutzheiligen noch gemeinsam die Wallfahrt bestellten.

Ein bittres Lächeln zog um seine Lippen, als er sich sagte, daß es nun damit für immer vorbei war.

»Diese abergläubische Masse, diese Esel, die sich so an der Nase herumführen lassen!«

Die Esel waren in seinen Augen die Einwohner von Sankt Leonhard, und der sie an der Nase herumführte, das sollte ihr rotbackiger Pfarrer sein, der alle Tage so spöttisch herübergrinste.

Hätte der behäbige Herr mit dem doppelten Kinn und den pfiffigen Augen die bösen Worte seines Nachbarn hören können, er wäre schwerlich aus seiner Ruhe herausgegangen, sondern hätte höchstens die Achseln gezuckt:

»Abergläubisch! Lassen Sie sich doch nicht auslachen! Möchte wissen, wieso die in Sankt Barbara gescheidter sind als die meinigen. Und was das betrifft mit dem Herumführen an der Nase – mein Gott und Vater, da soll mir doch der Herr Kollege weiter nichts vorwerfen, er weiß schließlich auch, wie's gemacht wird.«

Dann wäre er wieder durchs Zimmer geschritten und hätte einen tüchtigen Zug aus seiner Pfeife gethan.

Der hagere Pfarrer von Sankt Barbara aber, der eine gründliche Aussprache schon lange vergeblich herbeisehnte, wäre vom Stuhle gesprungen und hätte auf den Tisch geschlagen, daß der gelbe Kanarienvogel von einem Käfiggitter zum andern geflattert wäre:

»Ich muß mich verwahren gegen eine solche Beschuldigung! Wir wirken da herüben keine so merkwürdigen Wunder mit Ketten und Hirtenstäben, wie Sie da drüben beim heiligen Leonhard.«

Sein Amtsgenosse, immer ruhig und gemütlich, hätte ihn wohlwollend auf die heilige Barbara verwiesen, die einmal in grauer Vorzeit dem armen Geigerlein ihren Schuh zugeworfen habe.

»Bitte sehr, das ist historisch erwiesene Thatsache,« hätte der Pfarrer von Sankt Barbara voll heiligem Eifer geschrieen.

»Ach, was ist denn historisch erwiesen? die Leute von Sankt Kümmernis behaupten von ihrer Schutzheiligen, sie sei es gewesen.«

»Und die Leute von Kühzackel behaupten, daß ihr heiliger Leonhard einen noch kräftigeren Wunderstab besitze, als der eure.«

Unwillkürlich wäre dem dicken Pfarrer das Lachen gekommen.

»Na, so lassen Sie's schwatzen,« hätte er gesagt. »Jedenfalls zieht unser heiliger Leonhard besser als der von Kühzackel und . . . auch besser als die heilige Barbara. Er heilt nicht nur das liebe Hornvieh, nein, er beschwört den Unglauben und alle Verstocktheit, ja, in letzter Zeit hat sich sogar herausgestellt, daß er gegen die Unfruchtbarkeit der Frauenzimmer ausgiebig zu helfen weiß. Mehr kann man doch wahrhaftig nicht verlangen.«

Der Pfarrer von Sankt Barbara hätte zu jedem Worte mit dem Kopf genickt:

»Nein, mehr kann man nicht verlangen in Ihrem heiligen Leonhard! Aber Sie werden mir zugestehen müssen, daß er diese Wunderkraft erst dann an sich entdeckte, als er sich von unserer Barbara in unverantwortlicher Weise getrennt hat.«

Ein listiges Augenzwinkern wäre die Antwort gewesen:

»Pfeift der Wind aus dem Loch? Na, da nehmen Sie sich gefällig selber bei der Nase, und fragen Sie sich, warum sich der heilige Leonhard nicht mehr mit der heiligen Barbara einlassen will.«

Wie ein Geier wäre der Diener der schwerbeleidigten Heiligen auf seinen Gegner losgegangen:

»Sie haben das Band zerrissen, das unsere Heiligen verknüpfte. Sie haben den Unfrieden gestiftet, ja, leugnen Sie's nur nicht. Jahrhundertelang hielten unsere Gemeinden im besten Glauben zusammen, jahrhundertelang gingen sie Hand in Hand auf die Wallfahrt, das einemal mit der heiligen Barbara zum heiligen Leonhard hinüber, das andremal mit dem heiligen Leonhard zur heiligen Barbara herüber – und jetzt? Jetzt schaut kein Hund mehr den andern an, jetzt werden die Häuser angezündet, jetzt wird gerauft an allen Sonntagen, daß die Haare davon fliegen, jetzt wächst die Zahl der unehelichen Kinder ins Maßlose . . .«

Weiter wäre er in seiner übersprudelnden Rede nicht mehr gekommen, denn der gemütliche Pfarrer von Sankt Leonhard hätte ihn hier mit unbändigem Gelächter unterbrochen:

»Die unehelichen Kinder! Ich bitte Sie! Die hat's doch immer bei uns gegeben.«

»Nicht in dieser erschreckenden Weise, wie seit dem Tage der gewaltsamen Trennung des heiligen Leonhard von der heiligen Barbara.«

»Ah bah! Schauen Sie doch die sechs Töchter vom Lebzelter Zachen an! Jede hat ihr Kind, keine hat einen Mann.«

»Diese sauberen Mädchen gehören auch zu Ihrer Gemeinde, Hochwürden.«

»Und ihre sämtlichen Liebhaber zu der Ihrigen, Herr Pfarrer von Sankt Barbara. Kommt also alles auf eines heraus.«

»Oho – oho!«

»Aber natürlich! die Hauptsache bleibt immer, daß die Leute an etwas glauben und fleißig in die Kirche gehen.«

»Wenn die Leute keine Moral mehr haben, dann gehen sie auch nicht mehr in die Kirche.«

»Doch wohl nur in Sankt Barbara?« hätte der dicke Pfarrer spöttisch entgegnet. »Bei mir wenigstens kann ich durchaus nicht klagen, und es wird ja auch Ihnen bekannt sein, daß unser vielgeliebter, heiliger Leonhard die Trennung von der heiligen Barbara im allgemeinen recht gut überstanden hat.«

Dagegen konnte der andere nichts vorbringen, denn daß der heilige Leonhard in der ganzen Umgegend ebenso an Ansehen stieg, als die heilige Barbara an Kredit verlor, bildete ja seinen eigentlichen Grimm gegen den aufblühenden Nachbarort.

»Stimmt, stimmt auffallend,« hätte er verbissen zur Antwort gegeben, »aber bedenken Sie das eine, daß dieser gewaltsame Bruch des Seelenbundes der beiden Heiligen einen ungeheuren Frevel an Gott bedeutet, den Sie auf dem Gewissen haben, Sie ganz allein.«

Jetzt wäre der dicke Pfarrer zum Schlusse fast noch tüchtig grob geworden.

»Ich bedank' mich für Ihre hirnverbrannten Zumutungen! Wissen Sie, wer schuld ist an dem zerrissenen Seelenbund der heiligen Barbara und des heiligen Leonhard? Euer miserables Bier und gar nichts anderes! Wir können uns das schon mal eingestehen, da wir gerade so gemütlich beisammen sind. Hätte dieser Gauner, der Katzenbräu, einen besseren Tropfen für die Wallfahrer gebraut – der heilige Leonhard käme nach wie vor zu seiner Barbara herüber. Statt dessen hat der Kerl einen Sudel verzapft, den der Teufel saufen mochte, aber kein ehrsamer Bittbruder von uns herüber.«

Und mit einem sehr entschiedenen: »So, jetzt wissen Sie's wenigstens,« hätte er dem immer noch kampfbereiten Gegner das breite Hinterteil zugekehrt.

Möglich, daß er sich an der Thüre noch einmal umgedreht hätte, um in spöttischem Tone zu bemerken, daß es der heiligen Barbara im übrigen ja vollkommen freistehe, mit ihrem goldenen Schuh gerade so...



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