Rufener | Du hast gesagt, wir sind zwei Sterne | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Rufener Du hast gesagt, wir sind zwei Sterne


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-25114-7
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-641-25114-7
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



IHRE LIEBE IST GRENZENLOS UND FÜR DIE EWIGKEIT GEMACHT.

Als Aggi und Max sich im letzten Winter endlich ihre Gefühle füreinander eingestanden haben, wissen sie das genau. Doch genau an jenem Tag geschieht ein schrecklicher Autounfall, der ihre älteren Geschwister das Leben kostet. Und Aggis und Max' Leben stürzt ins Chaos. Eine richterliche Verfügung untersagt ihren Familien bald jeden Kontakt. Je wieder zusammen zu sein, erscheint den beiden nur noch wie ein unerreichbarer Traum.

Diese herzzerreißende und Mut machende Geschichte begleitet zwei Liebende durch alle Höhen und Tiefen angesichts unvorstellbarer Trauer und der Frage, ob Liebe alle Wunden heilen kann.
Für alle Fans von Jennifer Niven und Nicola Yoon.

Brenda Rufener wuchs im Nordwesten der USA an der Pazifikküste auf. Sie arbeitete zunächst als Redakteurin, bevor sie sich entschloss, hauptberufliche Autorin zu werden. Sie lebt heute mit ihrer Familie in North Carolina.

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3


Aggi

Wie jeden Abend seit dem Unfall bleibt es an mir hängen, mich ums Essen zu kümmern. Meine kleine Schwester Grace lebt bei Moms Chefin und einziger Freundin, Dr. Nelson, zumindest fünf bis sechs Tage pro Woche. Nach Kates Tod ist in Moms Kopf eine Glühbirne durchgebrannt. Mom meint, sie braucht Zeit zum Trauern, aber wie soll das gehen mit einer Zehnjährigen auf dem Schoß, die um Küsse und Umarmungen bettelt, weil die große Schwester gestorben ist? Ich hab vorgeschlagen, auch bei Dr. Nelson zu wohnen, weil Grace und ich einander brauchen, aber Dad hat nur gesagt: »Verdammt noch mal, nein!« Wenn Dad »Verdammt noch mal, nein!« sagt, dann, weil er nicht die Kontrolle verlieren will, damit ich nicht bei der falschen Person Zuflucht suche. Also bleibe ich zu Hause, mache mir Abendessen und esse es alleine.

Ich filze den Kühlschrank und suche nach etwas Essbarem mit noch nicht abgelaufenem Verfallsdatum. Es lohnt sich nicht, den Ofen anzuwerfen, wenn Grace nicht da ist, also esse ich nur kalt. Müsli. Sandwich. Erdnussbutter aus dem Glas.

Nach Cals Tod, als Kate noch im Krankenhaus lag, habe ich Grace’ Lieblingsessen gemacht, getoastete Fluffernutter-Sandwiches. Dann habe ich sie in Dads alte Lunch-Box gestapelt, Grace am Arm gepackt und bin mit ihr zum See gegangen – Grace in ihrer warmen Steppjacke und mit Handschuhen, ich in meinem Daunenparka. Wir haben uns an den Steg gesetzt, zitternd, aber innerlich warm, weil wir einander hatten und zusammen waren. Mein Mitgefühl galt Max und seiner Familie, aber ich war überzeugt, dass sich unsere beiden Familien wieder erholen würden. Wir würden den Verlust verkraften, wenn ich mich nur gut um den einen Menschen kümmerte, auf den ich aufpassen sollte: Grace.

Aber eines Abends, als Dad aus dem Krankenhaus kam, um nach uns beiden zu sehen, traf er vor dem Haus auf Max’ Vater. Zuerst gab es nur lautes Geschrei. Dann flogen die Fäuste. Es endete mit Schlägen.

Dad sah uns auf der Veranda stehen – ein stummer Blick von ihm genügte. Ich schnappte Grace und floh hinunter zum See. Max wollte uns zum Steg folgen, aber der Schmerz seines Vaters ließ ihn erstarren. Mr Grangers Herz zersplitterte so herzzerreißend, dass die Bäume versteinerten und ebenso Max. Der Verlust seines Bruders hatte all seine Fäden gekappt, lähmte sein Beine und ließ sein Rückgrat zusammensinken, bis er nicht einmal mehr den Kopf heben konnte. Und währenddessen brüllte sein Vater: »Kate ist schuld! Wenn sie nicht gefahren wäre! Wenn sie sich nicht ans Steuer gesetzt hätte! Wenn sie … wenn sie … wenn sie …« Max kam nicht bis zum Steg, wo Grace und ich saßen. Er lief im Kreis und verschwand schließlich im Wald.

Inzwischen hindert ein Kontaktverbot unsere Väter daran, sich zu prügeln. An den Schuldzuweisungen ändert das nichts.

Bevor Mom Grace zu Dr. Nelson schickte, zog ich Grace oft eine warme Jacke an und wir rannten gemeinsam zum See. Es war der einzige Ort, wo wir es aushalten konnten. Allein, aber zusammen. Die Sandwiches schmeckten dort draußen besser, wenn wir zuschauten, wie die Schneeflocken durch die Luft tanzten und aufs Wasser sanken.

Ich wünschte, Grace wäre jetzt hier, dann könnten wir unsere Beine baumeln lassen, die Krusten unserer Sandwiches abzupfen und uns mit der Zunge die gefrorene Marshmallow-Creme von den Lippen lecken. Die Schneestürme draußen sind nichts gegen den Sturm, der sich zu Hause zusammenbraut.

Die backsteingroße Lasagne in der Auflaufform sieht appetitlich aus, aber dazu müsste ich den Herd einschalten. Außerdem erinnert sie mich an Kate.

Zwei Wochen nach ihrem Tod waren alle Aufläufe, die uns die Einwohner von Plum Lake gebracht hatten, restlos aufgegessen und das Geschirr stapelte sich im Waschbecken. Damals beschloss ich, für unsere Familie zu kochen. Ich dachte, wenn wir alle am Tisch beieinandersitzen und darüber sprechen, wie sehr uns Kate fehlt, wird uns das allen helfen. In einem Online-Artikel über Trauer hatte ich gelesen, das jüngste und verletzlichste Mitglied der Familie, also Grace, müsse uns als Gemeinschaft erleben. Mir ging es nicht viel anders. Ich wollte mit Mom und Dad über Kate reden. Ich wollte mich an ihre Witze erinnern. Ich wollte, dass wir zusammen weinen. Es hatten sich bereits hohle Dämme zwischen uns aufgebaut. Tränen würden die Mauern zwischen uns wegspülen und unsere Familie wieder miteinander verbinden, stand in dem Artikel. Und Lasagne auch – zumindest glaubte ich das.

Damals stellte ich mich stundenlang in die Küche, bereitete Pasta zu und übergoss sie mit einer öligen Sauce, doch Mom schickte Grace zu Dr. Nelson und verschwand wortlos in ihrem Zimmer. Also wartete ich auf Dad. Bestimmt würde er sich zu mir an den Tisch setzen und mit mir reden, so wie wir es früher gemacht hatten. Er würde die Lasagne aufspießen und eine Bemerkung machen, wie saftig sie ist. Er würde sich bei mir bedanken und mich bitten, eine Portion für ihn aufzuheben, die er am nächsten Morgen essen wollte, und natürlich würde ich auch für Mom einen Teller zur Seite stellen. Nachdem wir uns satt gegessen hatten, würde er das Kaminfeuer anzünden und fragen, ob ich noch etwas aufbleiben und mit ihm über Kate reden wollte. Über Kate, die talentierte Sängerin, über ihre selbst verfassten Liedtexte, die so wunderschön klangen, wenn Cal die passende Musik dazu komponiert hatte. Wir würden darüber sprechen, dass niemand in ganz Plum Lake auch nur den Hauch einer Chance gegen Kate gehabt hatte, wenn es darum ging, quer durch den See zu schwimmen, und ich würde ihm sagen, dass sie die beste große Schwester und Freundin gewesen war, die man sich vorstellen konnte.

Aber das war blöd von mir.

Als Dad an jenem Abend nach Mitternacht ins Haus gestolpert kam, huschte ich schnell in die Küche und stellte seinen Teller in die Mikrowelle. Aber Dad taumelte zur Anrichte, zog den Aluminiumdeckel von Wölkchens Katzenfutter ab, strich die Fleischpampe mit dem Finger auf eine Scheibe Brot, klappte die Brothälften zusammen und biss hinein, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Ich sagte: »Hey, Dad. Du isst gerade Katzenfutter.«

Er riss mir den Teller Lasagne aus der Hand und schleuderte ihn gegen die Wand. Dad erinnert sich nicht mehr daran, und falls doch, dann erwähnt er es mit keinem Wort. Aber die Tomatensoße ist in die dünne eierschalenfarbene Küchenwand gesickert und hat einen hellrosa Fleck hinterlassen. Dieser Fleck beweist, dass Dad nicht mehr derselbe ist. Er ist zornig, aber aus den völlig falschen Gründen. Wenn ich jetzt in die Küche gehe und den lachsfarbenen Fleck an der Wand sehe, denke ich daran, wie sehr sich unsere Familie verändert hat. Und das macht mich wütend.

Seither setze ich Grenzen, aus reinem Selbstschutz. Wie Mom, als sie Grace weggeschickt hat. Wie Dad, als er Cals Dad verklagt hat. Und ich halte mich inzwischen beim Essen an meine Drei-Zutaten-Regel.

Wenn ich länger als geplant außerhalb meines Zimmers bin, weil ich mehr als drei Zutaten verrühren muss, wird die Luft stickig und schwer. Meine Brust wird eng. Im Freien, in der Schule, ja sogar in meinem Zimmer hinter verschlossener Tür habe ich dieses Problem nicht, meine Brust dehnt sich ganz normal bei jedem Atemzug. Aber dieses Haus erinnert mich immer an die, die ich liebe und verloren habe, und dieser Verlust presst meinen Brustkorb zusammen wie ein bleiernes Gewicht, er zerquetscht die Person, die ich einmal gewesen bin.

Seit Grace zu Dr. Nelson geht, ist unsere Katze Wölkchen die Einzige, um die ich mich noch kümmern muss. Aber selbst wenn ich sie nur füttere, drückt mich das Haus mit seinen Erinnerungen nieder. Grace spürt es auch. In der kurzen Zeit, die sie hier sein darf, sind ihre Augen leer und ihr Lebensmut schrumpft. Das liegt an dem Haus, es erstickt sie. Es fällt mir schwer, Grace nicht bei mir zu haben, aber ich bin doch froh, dass sie weg ist. Bei Dr. Nelson bekommt meine kleine Schwester die Aufmerksamkeit, die sie braucht. Dort ist sie sicher vor verletzenden Worten, die Stiche versetzen und Löcher in ihrem Herzen hinterlassen, die sie ein Leben lang nicht wieder loswird. Es ist besser, wenn nicht sie, sondern ich das Nadelkissen bin.

Mein Mund wird trocken und meine Kehle zieht sich zusammen. Ich bin schon viel zu lange außerhalb meiner Sicherheitszone. Jedes Zimmer in diesem verwahrlosten Haus erinnert mich an Kate – Räume, die sie ausgefüllt hat, Bilder, für die sie posiert hat, Möbel, die sie berührt hat. Das schließt auch Wölkchen ein, die wir von unseren Eltern kurz vor Kates Tod zu Weihnachten geschenkt bekommen haben. Wenn sie schnurrt und ihr weißes Fell an meinen Schienbeinen reibt, schmerzt meine Brust.

Ich stampfe auf den Boden und sofort verschwindet Wölkchen unter dem Tisch und leckt sich die Pfote. Die Katze hat genauso viel Schuld wie wir alle. Weder ihr Schnurren noch ihr weiches Fell konnten Kate trösten und ihr die Kraft geben, bei uns zu bleiben und weiterzuleben.

Das kommt davon, wenn ich zu lange außerhalb meines Zimmers bin. Dann zeige ich mit dem Finger auf andere, spreche sie schuldig. Aber ausgerechnet die Katze? Der Zorn und der Hass und die Vorwürfe, die in die Wänden unseres Hauses gesickert sind, färben auf mich ab. Meine Frustgrenze ist gefährlich niedrig, nachdem ich Max mit diesem Mädchen gesehen habe und mit einer Pizza, die er eigentlich mit mir essen sollte. Dazu kommt noch der frisch gefallene, wie zerrupfte Wattebäuschchen aussehende Schnee, in dem wir früher so gerne rumgealbert haben. Ich wirble herum und wickle eine Haarsträhne um meinen Finger. Meine Widerstandskraft ist wirklich jämmerlich heute. Rasch...


Rufener, Brenda
Brenda Rufener wuchs im Nordwesten der USA an der Pazifikküste auf. Sie arbeitete zunächst als Redakteurin, bevor sie sich entschloss, hauptberufliche Autorin zu werden. Sie lebt heute mit ihrer Familie in North Carolina.

Koob-Pawis, Petra
Petra Koob-Pawis studierte in Würzburg und Manchester Anglistik und Germanistik, arbeitete anschließend an der Universität und ist seit 1987 als Übersetzerin tätig. Sie wohnt in der Nähe von München, und wenn sie gerade nicht übersetzt, lebt sie wild und gefährlich, indem sie Museen durchstreift, Vögel beobachtet und ihren einäugigen Kater daran zu hindern versucht, sämtliche Möbel zu ruinieren.



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