Ruile | Der Zwillingscode | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Ruile Der Zwillingscode

Thriller über Künstliche Intelligenz (KI) und digitale Zwillinge
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7320-1508-5
Verlag: Loewe Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller über Künstliche Intelligenz (KI) und digitale Zwillinge

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-7320-1508-5
Verlag: Loewe Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was passiert, wenn die Dinge, die wir erschaffen, uns gar nicht mehr brauchen? Vincent ist siebzehn und eine Doppel-C-Seele. Sein Sozialpunktestand ist so niedrig, dass an ein Studium nicht zu denken ist. Stattdessen repariert er heimlich die mechanischen Haustiere der Firma Copypet. Eines Tages bringt eine alte Frau eine Katze zur Reparatur. Und die führt Vincent geradewegs in die Simulation - eine virtuelle Welt, in der alle unsere Gegenstände ihr digitales Leben führen. Verborgen in dieser Zwillingswelt aber liegt ein Code. Vincent muss ihn finden, denn davon hängt die Zukunft der Menschheit ab. Margit Ruile erzählt vom Internet der Dinge, einer Welt, in der die digitalen Zwillinge unserer Maschinen und Alltagsgegenstände miteinander vernetzt sind zu einer gigantischen K.I. Ein Thriller mit einem außergewöhnlichen Zukunftsszenario im Stil von Black Mirror.

Margit Ruile wurde 1967 in Augsburg geboren. Sie studierte an der Münchner Filmhochschule, wo sie nach ihrem Abschluss mehr als zehn Jahre in der Lehre tätig war, drehte Dokumentationen und arbeitete als Drehbuchlektorin. Auch das Geschichtenerzählen lernte sie zuerst beim Film. Später fand sie dann heraus, dass Schreiben sich anfühlt, wie im Schneideraum zu sitzen - mit dem riesengroßen Vorteil, dass man die fehlenden Szenen nicht nachdrehen muss, sondern einfach erfinden kann. Margit Ruile lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in München.
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1

Der Tag begann mit einem Klopfen. Drei kurze Schläge an der Haustür, gefolgt von einer kurzen Pause und dann wieder drei Schlägen, die diesmal schon ungeduldiger klangen. Vincent wachte davon auf, zog sich die Bettdecke über den Kopf, blieb noch eine Weile still liegen und hoffte, dass das Geräusch einfach von selbst verschwinden würde oder dass zumindest sein Vater aufstehen und die Tür öffnen würde, wobei Letzteres eigentlich ziemlich unwahrscheinlich war.

Nach einer Weile verließ er fluchend die warme Höhle seiner Bettdecke und ging barfuß die Treppe hinunter. Als er die Haustür öffnete, stand eine alte Frau vor ihm. Sie musste irgendwas zwischen sechzig und achtzig sein, so genau konnte er das nicht schätzen. Jedenfalls hatte sie weiße Haare, die zu einem komischen Turm hochgesteckt waren, und trug einen lila Mantel, der sich grell von den grauen Häusern im Hintergrund abhob. Um sie herum schwirrten kleine Schneeflocken. Es war zwar bereits Mitte März, aber es schneite immer noch, wenn auch hinter den Häusern eine kalte Sonne hervorblitzte.

»Bist du Vincent?«, fragte sie. Ihre Stimme war tief und ein bisschen kratzig.

Vincent nickte. Seine Zehen zogen sich über dem kalten Steinboden zusammen. Die Frau umgab etwas Geheimnisvolles, als käme sie aus einer anderen Welt. Nun, wahrscheinlich war sie nur aus einem anderen Stadtviertel. Aus einem, wo die Menschen wohlhabender waren als hier. Sie sah aus wie jemand mit einem A-Punktestand. Ihr langer pinkfarbener Seidenschal flatterte im kalten Wind und vor sich hielt sie ein großes Paket, als würde sie es umarmen. Vincent bemerkte den irritierten Ausdruck in ihrem Gesicht und ihm wurde schlagartig bewusst, dass er nur in Shorts und einem schlabbrigen T-Shirt vor ihr stand.

»Delia schickt mich«, sagte sie förmlich.

Vincent beschloss, sich zusammenzureißen. »Sie haben einen Auftrag?«, fragte er und richtete sich auf. Warum mussten die Leute auch am Samstag in aller Herrgottsfrühe aufkreuzen?

Die Frau deutete mit dem Kopf auf das Paket vor sich.

»Ich hoffe, du arbeitest auch samstags.«

»Ich arbeite immer.«

»Keine Schule?«

Vincent konnte nicht verhindern, dass er rot wurde. »Dafür ist mein Punktestand zu schlecht.«

»Verstehe«, sagte die Frau und musterte ihn lange.

Vincent vermied es, sie anzusehen, und starrte stattdessen auf das Paket. Es war eigentlich mehr eine quadratische Schachtel, mit einem Deckel, der sie oben schloss. Die Schachtel sah teuer aus. Reflektierendes Papier und so. Wie ein teures Geschenk. Wenn die Frau deswegen hier war, dann konnte er einiges dafür verlangen.

»Mir ist übrigens kalt.«

»Oh. Ja. Entschuldigung!« Er kratzte sich am Kopf. »Kommen Sie rein!«

Die alte Frau brachte Kälte und ein paar verirrte Schneeflocken in die Diele und Vincent war froh, endlich die Tür hinter ihr schließen zu können. Er wollte ihr das Paket abnehmen, damit sie den Mantel ausziehen konnte, doch sie schüttelte nur den Kopf und legte es behutsam auf einen Hocker im Flur. Vincent stellte sich hinter sie, nahm ihr den Mantel ab – oh, er hatte Erfahrung mit Kunden! – und fand noch einen winzigen freien Haken an der mit Mänteln und Jacken zugehängten Garderobe. Sie standen beide im Halbdunkeln und Vincent bedauerte plötzlich, dass er vergessen hatte, die kaputten Birnen in den Lampen über ihm auszutauschen. Es sah so … unprofessionell aus. Eigentlich sah alles hier verdammt unprofessionell aus. Er räusperte sich. »Wenn Sie einen Moment warten würden …« Dann lief er schnell nach oben, schlüpfte in seine Jeans und ein halbwegs sauberes Sweatshirt und zog Socken über seine eiskalten Füße. Die Frau musterte ihn, als er die Treppenstufen wieder herunterkam. Sie hatte ihr Paket wieder in der Hand und drückte es an sich, als ob sie es vor ihm schützen müsste.

»Man sagte mir, du wärst so was wie ein Experte.«

»Ja. Äh, das stimmt.«

»Du siehst so jung aus.«

»Ich werde bald achtzehn.«

»Aha.« Sie schwieg und sah auf ihr Paket. »Und – du machst das schon lange?«

»Seit ich denken kann«, antwortete Vincent. Nun, das stimmte nicht ganz, aber es klang ganz gut. Er nahm ihr behutsam das Paket ab. »Sie können mir jetzt in meine Werkstatt folgen!«, fügte er hinzu. Also das klang doch nun halbwegs professionell und es machte sicher den miesen Auftritt an der Tür vorhin wieder wett! Sie gingen durch den langen engen Flur, wobei Vincent mit einem Bein schnell die Tür zur unaufgeräumten Küche zukickte, und betraten schließlich einen abgedunkelten Raum rechts am Ende des Ganges. Vincent balancierte das Paket in einer Hand und warf mit der anderen ein paar Kabel von einem Stuhl, der neben dem Eingang stand, um ihn der Frau anzubieten. Dann ging er zum Fenster und zog die Jalousien hoch. Es wurde furchtbar hell, Staubteilchen schwebten durch die sonnendurchwebte Luft und ließen sich dann auf den Schrauben und Hämmern, den Ersatzteilen, Tierhaaren und Gelenken nieder. Die Frau blickte sich beeindruckt um, während Vincent mit einer schnellen Bewegung eine geöffnete Vogeldrohne zur Seite wischte. Unter ihr kam eine zerkratzte Arbeitsplatte zum Vorschein, auf die er das Paket stellte.

Die alte Frau setzte sich, sah von der Schachtel zu Vincent und wieder zurück.

»Und du wirst nichts hiervon weitererzählen?«

»Ich unterhalte mich nie über meine Arbeit«, erklärte Vincent. Stimmte nun auch nicht ganz, aber was soll’s.

»Ich will vor allem, dass Copypet nichts davon erfährt.«

»Darauf können Sie sich verlassen«, sagte Vincent. Natürlich konnte sie das.

Schließlich machte er hier günstig eine Arbeit, die dort ein paar Hundert Ether kosten würde. Mindestens. »Wenn Sie mich nicht bei Copypet verraten, werde ich auch nichts über Sie erzählen.«

Die Frau lehnte sich zurück. »Gut.«

Sie schwiegen beide und Vincent spürte ein Kribbeln an seinen Schläfen. Er hatte schon alle möglichen Leute hier gehabt, aber noch nie jemanden, der seine Verschwiegenheit eingefordert hatte. Bislang war es immer er gewesen, der seine Sozialpunkte aufs Spiel gesetzt hatte. Was auch immer in dieser Schachtel war, es musste etwas sehr Besonderes sein. Ein Sondermodell? Ausschussware? Eine Betaversion?

Nach einer schweigenden Ewigkeit hob die alte Frau den Deckel der Schachtel und zog aus dem Inneren einen länglichen Gegenstand, der in blau schillerndes Seidenpapier gewickelt war, das sie nun mit einem leisen Rascheln entfernte. Vincent hielt den Atem an. Es war eigentlich das, was er gedacht hatte. Nein, es war sogar besser. Es war eine Katze. Genauer eine Angorakatze, rotbraun-weiß gestreift. Ein unglaubliches Exemplar mit perfekten Schnurrhaaren und fein modellierten spitzen Ohren. Unglaublich echt.

»Das ist eine 303«, flüsterte er.

Die alte Frau warf ihm einen kurzen Blick zu. Vincent streckte unwillkürlich seine Hand aus. »Darf ich?«

»Nur zu!«

Er strich der Katze über das Fell. Es war sehr weich, lang. Man munkelte, dass sie nachgezüchtete Katzenhaare dafür nahmen und dass jedes Haar einzeln eingesetzt wurde.

»Hast du so eine schon einmal gesehen?«

Vincent schüttelte den Kopf. »Nein, so eine noch nicht.«

Die Frau stellte die Katze auf den Tisch und drückte lange auf einen Knopf hinter den Ohren. Die Katze zuckte und dann erhob sie sich. Sie drehte ihren Kopf zu Vincent und starrte ihn an, ihre Pupillen wurden kleiner und er spiegelte sich in ihren Bernsteinaugen. Die Schnurrhaare zitterten leicht und ihr Fell hob und senkte sich, als würde sie atmen. Er legte ihr die Hand auf den Rücken. Sie hatte sogar Körpertemperatur. Die Katze starrte ihn an und miaute, dann entzog sie sich ihm und lief zu der Frau, die ihr langsam und zärtlich über das Fell fuhr.

»Sie ist unglaublich«, sagte Vincent.

Die Frau lächelte, strich der Katze über den Kopf, die sich unter der Berührung leicht duckte und anfing zu schnurren. Die Frau fasste in das Fell hinter dem Ohr, drückte leicht und die Katze fror mitten in der Bewegung ein. Ihre linke Pfote blieb in der Luft hängen, sie sah nun aus wie eine dieser chinesischen Winkekatzen, die sie nebenan im China-Shop verkauften. Nur natürlich viel, viel echter.

»Und was hat sie?«, fragte Vincent.

»Ich möchte nur, dass du einen kleinen mechanischen Fehler korrigierst.«

Vincent sah sie an. Ein kleiner mechanischer Fehler. Nun, das klang nicht besonders dramatisch.

»Was verlangst du denn normalerweise für so was?«

»Das kommt ganz drauf an, wie lange ich brauche«, antwortete Vincent vorsichtig.

»Ich würde lieber einen Pauschalpreis machen«, sagte die Frau.

»Hmm.« Vincent starrte auf die Katze, taxierte die Schachtel und dann die Frau, die mit ihren schwarzen Lederhandschuhen und in einem teuren Hosenanzug vor ihm saß. »Vierzig Ether.« Als er die Zahl nannte, wurde ihm kurz schwindelig. Es war das Doppelte von dem, was er sonst nahm. Auch bei komplizierten Sachen.

»Vierzig Ether geht in Ordnung.« Die Frau zuckte nicht einmal mit der Wimper.

Vincent biss sich auf die Lippe, um sein breites Grinsen zu verbergen, das von einem jäh aufwallenden Triumphgefühl ausgelöst wurde. Doch in seine Freude mischte sich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht. Nein, wenn er genau darüber nachdachte, dann stimmte wirklich etwas nicht.

»Wie alt ist sie eigentlich?«, fragte er und deutete auf die mechanische Katze.

»Sie ist ein 2057er-Modell vom Herbst.«

»Herbst 2057? Das ist ja noch nicht mal sechs Monate her.«

»Richtig.«

»Aber wieso kommen Sie dann zu mir? Sie...



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