E-Book, Deutsch, 512 Seiten
RuNyx Gothikana - Eine Liebe, die alle Regeln bricht
24001. Auflage 2024
ISBN: 978-3-492-60789-6
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | TikTok made me read it! Die atmosphärische Romance endlich auf Deutsch
E-Book, Deutsch, 512 Seiten
ISBN: 978-3-492-60789-6
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
RuNyx, die ihre Privatsphäre sehr schätzt und als Autorin anonym bleiben möchte, hätte niemals mit dem riesigen TikTok-Erfolg von »Gothikana« gerechnet, der sie sogar auf die Bestsellerliste der New York Times katapultierte.
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Kapitel 2
Corvina war anscheinend nicht die Einzige, die Geheimnisse hatte.
Während sie auspackten und sich im Zimmer einrichteten, brach draußen schnell die Abenddämmerung herein. Corvina beschloss, ihre einzige Freundin, die sie hier auf Anhieb gefunden hatte, direkt auf das Thema anzusprechen, das diese hatte verstummen lassen.
»Stimmt das, was der Junge auf der Treppe gesagt hat?«, fragte sie Jade und beobachtete, wie deren blasse Hand leicht zitterte, als sie weiter auspackte.
»Ja.« Jade seufzte, warf sich – alle viere von sich gestreckt – auf ihr Bett und starrte die hohe Decke an.
Ihr Zimmer war überraschend schön.
Es war geräumig und viel größer als ihr Schlafzimmer in der Hütte. Zwei Doppelbetten waren einander gegenüber platziert und wurden jeweils von einem Nachttisch flankiert. In den Ecken standen riesige Kleiderschränke aus Holz. Direkt gegenüber der Eingangstür war ein großes, atemberaubendes Bogenfenster. Es gab den Blick frei auf die Burgumfriedung inmitten des üppigen, grünen Waldes und weiter den Hang hinunter. Die Zimmerdecke war hoch und wurde von Holzbalken getragen. Sie wusste, dass dies ein typisches Merkmal gotischer Architektur war, auch wenn ihr der Name dafür beim besten Willen nicht mehr einfallen wollte. Schwere, dunkelgrüne Vorhänge hingen links und rechts des Fensters und wurden jeweils von einem glänzenden Seil zusammengehalten. Es war wunderschön und luxuriöser als alles, was sie je kennengelernt hatte.
Und verdammt zugig würde es bei windigem Wetter werden, da es im Turm keine Heizung gab. Zumindest war die Witterung momentan noch erträglich.
Corvina beschloss, sich auf ihr Bett zu setzen, direkt gegenüber dem von Jade.
»Was ist passiert?«, fragte sie zaghaft und immer noch unsicher, ob sie überhaupt wissen wollte, was mit dem Mädchen geschehen war, das vor ihr in diesem Zimmer gelebt hatte.
»Ich weiß es nicht. Alissa war hier glücklich«, begann Jade, den Blick immer noch auf die Zimmerdecke geheftet. »Sie kam genau wie ich aus einer Pflegefamilie, und wir haben uns ziemlich schnell angefreundet. Sie hat das Studium hier geliebt, sie hat die Uni geliebt. Sie war eine gute Studentin, ein guter Mensch. Ihr einziger Regelverstoß bestand in einer Affäre mit einem Professor.«
»Das ist nicht erlaubt?«, hakte Corvina neugierig nach.
Jade schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Es ist eine der striktesten Regeln hier. Studenten und Dozenten führen jeweils ein eigenes Leben. Aber Mr Deverell … Nun ja, er ist anders. Im Prinzip ist er immer noch ein Student oder zumindest war er das zu der Zeit, weil er mit seiner Doktorarbeit beschäftigt war.«
»Moment mal.« Corvina runzelte verwirrt die Stirn. »Wieso war er dann eine Lehrkraft?«
»Anscheinend hat der Professor, der vor ihm hier war, einen besseren Job gefunden, und der Vorstand konnte nicht rechtzeitig Ersatz organisieren. Also hat Dr. Greene – sie ist die Leiterin in diesem Bereich – Mr Deverell erlaubt, die neuen Studenten zu unterrichten, während er an seiner Doktorarbeit geschrieben hat, und sie selbst hat die höheren Jahrgänge übernommen. So etwas hatte es noch nie gegeben, daher gehörte er nicht richtig dazu.«
Wirklich seltsam.
Corvina stand auf und hängte den Rest ihrer Sachen auf Kleiderbügel, während Jade weitersprach: »Aber ich mache Alissa auch keinen Vorwurf daraus, dass sie sich mit ihm eingelassen hat. Sie hätte es nicht tun sollen, aber Mr Deverell – er hat irgendetwas an sich. Er ist heiß und gleichzeitig eiskalt. Niemand weiß auch nur das Geringste über ihn, wo er herkommt, irgendetwas. Silberäugiger Teufel, den Spitznamen haben wir ihm verpasst. Und er hat diese graue Haarsträhne, für die er eigentlich noch viel zu jung ist und die eine besondere Wirkung bei ihm hat, wenn du verstehst.«
Nein, sie verstand es nicht. Aber sie glaubte Jade gerne und lenkte das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema. »Also, Alissa hat sich mit ihm eingelassen?«
»Yup, aber ich war die Einzige, die davon wusste. Sie haben das ja nicht öffentlich bekannt gegeben oder so. Tatsächlich haben sie die ganze Sache ziemlich geheim gehalten. Keine Ahnung, was passiert ist. Manchmal denke ich, es ist seine Schuld. Warum um alles in der Welt hätte sie sonst aufs Dach gehen sollen? Aber ich weiß es nicht.«
Jade presste ihre Handballen gegen die Augen, und Corvina litt mit ihrer Freundin angesichts des Schmerzes, den diese ausstrahlte. Sie machte Anstalten aufzustehen, um sie zu trösten, setzte sich aber gleich wieder hin, weil sie nicht sicher war, was sie tun konnte. Sie knetete den Pulloverstoff zwischen ihren Fingern. Jade richtete ihre grünen Augen wieder auf sie. »Ich war in den Gärten, zusammen mit Troy, dem blonden Arschloch, das wir eben unten getroffen haben, und mit seiner Gruppe, als ich sie auf dem Dach entdeckt habe. Ich hoffe, man hat es inzwischen abgesperrt. Wir haben immer wieder versucht, mit Worten zu ihr durchzudringen, sie zum Zuhören zu bringen. Sie hat nicht einmal einen Blick nach unten geworfen. Kein Zögern. Kein Zurückschrecken. Sie ist einfach vom Dach gelaufen, als könne sie auf der Luft weitergehen.«
Die untergehende Sonne warf ein unheimliches Licht in den Raum, während Jade sprach. Corvina schauderte und hörte zu, als ihre Freundin weiterredete.
Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Ihr Blick schoss in eine Ecke des Raums, in der ein Licht flackerte. Corvina schaute angestrengt und versuchte herauszufinden, ob sie etwas gesehen hatte, aber da schien nichts zu sein.
Mit hämmerndem Herzen stand sie auf und ging zu ihrem Schrank, um weiter einzuräumen, während sie sich weiter auf das Gespräch konzentrierte.
»Sie ist direkt vor mir auf den Boden geknallt, ihr Schädel ist bei dem Aufprall auseinandergebrochen«, erklärte Jade mit zitternder Stimme. »Ich bin damit einfach nicht klargekommen. Also bin ich weggelaufen.«
Corvina verarbeitete das Gehörte, dann wanderte ihr Blick zum Fenster und zu dem Anblick, der sich ihr bot. Ein grotesker Wasserspeier mit weit geöffnetem Maul hockte draußen auf der rechten oberen Ecke der Mauer. Sie wusste, dass es nur ein Regenrohr war, aber das Ding sah furchteinflößend aus. Sie konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie gruselig das bei Nacht aussehen würde.
»Gab es denn keine Ermittlungen dazu?«, fragte sie ihre neue Mitbewohnerin, während sie eine Schublade für ihre Unterwäsche öffnete. Nicht dass sie die gerne trug. BHs und Corvina, das passte einfach nicht zusammen. So wie sie aufgewachsen war, ganz allein, nur in Gesellschaft ihrer Mutter, gab es selten einen Grund, einen BH zu tragen. Einen Slip hatte sie jeden Tag an, außer wenn sie es einfach nicht wollte.
»Niemand hat die Polizei gerufen«, antwortete Jade und lenkte Corvinas Aufmerksamkeit zurück auf das Thema. »Es hieß, der Schulvorstand würde sich darum kümmern, da es sich eindeutig um einen Selbstmord gehandelt habe. Vielleicht hätten sie es der Polizei melden müssen. Ich weiß es nicht.«
Das Ganze war auf jeden Fall höchst sonderbar. Und keineswegs das, was Corvina am ersten Tag an diesem neuen Ort erwartet hatte. Sie war zwar wegen der neuen Schule und der neuen Menschen dort etwas nervös gewesen – das eine wie das andere war ihr nicht vertraut –, aber so etwas hatte sie sich dann doch nicht ausgemalt. Sie wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Also entschied sie sich dafür, weiter schweigend ihre Sachen auszupacken.
»Kannst du mich mal in den Arm nehmen?« Die Stimme hinter ihr veranlasste Corvina dazu, sich umzudrehen. Jade stand ihr gegenüber. Sie waren fast gleich groß. »Meine Pflegefamilie hat immer gesagt, ich soll nach einer Umarmung fragen, wenn ich traurig bin.«
Corvina blinzelte, ein wenig aus dem Konzept gebracht. Ihre letzte menschliche Berührung lag Jahre zurück, als sie die Hand ihrer Mutter gehalten hatte, bevor sie sie hatte loslassen...