Ruth | Memories of Summer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Ruth Memories of Summer

Wer bist du ohne Vergangenheit? Romantische Future-Fiction für Fans von "Black Mirror"
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96981-004-0
Verlag: Moon Notes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wer bist du ohne Vergangenheit? Romantische Future-Fiction für Fans von "Black Mirror"

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-96981-004-0
Verlag: Moon Notes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mika spendet regelmäßig seine Erinnerungen im NEURO-Institut. Denn was ist schon dabei? Man verdient eine Menge Geld und hilft bei der Behandlung von Depressionen, da die Erinnerungen den Erkrankten eingepflanzt werden. Doch dann tritt Lynn in sein Leben, die so viel über ihn weiß, und plötzlich wünscht Mika sich, er könne sich auch an sie erinnern. Schließlich will er seine Erinnerungen zurückholen - und kommt dabei den Geheimnissen des NEURO-Instituts gefährlich nahe ...

Einst erforschte Janna Ruth als Geologin die Plattengrenzen unserer Welt. Jetzt erschafft sie ihre eigenen Welten. Wenn Janna ausnahmsweise einmal nicht am Computer sitzt, findet man sie kopfüber von der Decke hängend am Vertikaltuch.
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Kapitel 1


Rot glänzend lockt mich das RedPad C zum Schaufenster. Es ist früher Nachmittag, und der Laden platzt bereits aus allen Nähten. Gestern war Release Day. Seit vorgestern haben die Leute vor dem Laden gepennt, um die Ersten zu sein. Natürlich hätte man es sich auch um Punkt Mitternacht liefern lassen können, aber so ein Event zieht immer einige Nostalgiker an.

Eine Schautafel im Fenster listet die Vorzüge des RedPad C auf. Wie immer liegt der Fokus auf der Kamera, die in dem Moment auslöst, in dem man ein geeignetes Motiv gefunden hat. Quasi null Reaktionszeit.

Mich interessiert etwas anderes: Die Machine Learning Engine. Die hohe Lernfähigkeit des RedPad C ist schon jetzt legendär. Nach nur wenigen Wochen Nutzung soll es eine 98-prozentige Genauigkeit haben und immer genau wissen, welche App gerade gewünscht ist.

Nie mehr Langeweile.

So zumindest der Spruch aus der Werbung. Wenn ich an all die Tage denke, in denen ich nicht wusste, was ich mit mir anfangen soll, bin ich nur zu gespannt, ob das RedPad C hält, was es verspricht. Aber dazu muss ich es mir erst mal leisten können. Immerhin kostet das Ding so viel, wie meine Mutter in einem Monat verdient – vor den Steuern.

Schweren Herzens wende ich mich von dem Schaufenster ab und setze meinen Weg fort. Ich hole mein altes B.2 raus und checke im Laufen meinen Kontostand. Mit etwas Glück kann ich Dr. Rhivani dazu überreden, dass sie mir heute etwas mehr entnimmt als gewöhnlich. Dann könnte es vielleicht schon diesen Monat für das RedPad C reichen. Zumindest, wenn ich das B.2 eintausche. Es ist zwar erst ein Jahr alt, aber zwischen dieser und der neuen Version liegen Lichtjahre.

Die Memory Transfer Clinic, kurz MTC, liegt in der Nähe einer Waldenklave. Viele Großstädte legen Wert darauf, solche grünen Taschen inmitten der Häuserschluchten zu pflegen, um das Stadtklima zu verbessern. So ist der Weg zur Klinik immer wie ein kleiner Ausflug ins Grüne. An diesem Frühsommertag erreicht mich der unverkennbare Geruch von Kiefern und Hitze. Ein eigentümlicher Duft, der mich immer an die Sommerferien erinnert, die in wenigen Wochen beginnen. Eine Waldtaube gurrt hoch oben in den Wipfeln, und zwei Eichhörnchen jagen sich lautstark durch das Geäst. Der ungepflasterte Weg knirscht unter meinen Füßen.

Schon tauchen die verglasten Wände des MTC auf, und mein Herz macht einen kleinen Hüpfer vor Freude. Beim ersten Mal war ich noch nervös, aber mittlerweile war ich so oft hier, dass ich mich schon fast wie zu Hause fühle.

Kühle Luft empfängt mich, als sich die Türen öffnen, und eine leise Melodie klingt an mein Ohr. Irgendein alter Millennial-Hit. Gemütlich schlendere ich zur Rezeption und lehne mich mit den Ellenbogen auf die Ablage. »Hey, Marleen.«

Ihre Finger tippen in wahnsinniger Geschwindigkeit über die Tastatur, und das, obwohl sie mir längst ihr Gesicht zugewandt hat. »Du schon wieder.«

Ich rolle die Augen, muss aber grinsen. Natürlich bin ich es schon wieder. Man darf nur einmal alle vierzehn Tage spenden, und mein Kalender weist mich mittlerweile schon im Voraus darauf hin, dass der Tag sich nähert. »Ich habe einen Termin mit Dr. Rhivani.«

»Fünfzehn Uhr dreißig«, bestätigt sie mir und streckt lächelnd die Hand aus.

Ein wenig genervt krame ich nach meiner Chipkarte. Man möchte meinen, dass eine so moderne Einrichtung wie das MTC fähig wäre, ihre Spender direkt einzuloggen, statt jedes Mal die Karte zu verlangen. Zum Glück ist Marleen effizient und hat im Nullkommanix die Unzulänglichkeiten des Systems überbrückt. »Na, dann viel Glück!«

Grinsend schüttle ich den Kopf. Als ob ich Glück bräuchte. Dr. Rhivani schaut in meinen Kopf, nimmt sich, was sie braucht, und in einer halben Stunde bin ich wieder raus.

Zumindest, wenn wir pünktlich anfangen.

Zu dieser Uhrzeit ist der Warteraum gut gefüllt, Spender und Patienten unmöglich voneinander zu unterscheiden. Ich lasse mich neben einem Mädchen meines Alters auf einen Stuhl fallen und hole mein RedPad hervor. Während meine Finger schon über die Bedienoberfläche fliegen und das Logikspiel fortsetzen, das ich in der Pause begonnen habe, bemerke ich aus dem Augenwinkel, wie meine Nachbarin nervös die Hände knetet. Dabei ist ihr Blick starr zu Boden gerichtet.

»Dein erstes Mal?« Das RedPad verschwindet in meiner Hosentasche, während ich das Mädchen genauer mustere. Sie ist definitiv nicht wegen des Geldes da. Dafür sieht ihre Kleidung zu teuer aus. Vielleicht will sie einfach anderen etwas Gutes tun.

Ihre braunen Haare fallen in makellosen Locken über ihren Rücken, und ihre Schuhe erinnern mich an diese eine Filmwerbung. Alles an ihr ist in tadellosem Zustand. Alles, bis auf die angeknabberten Fingernägel, die auf meine Worte hin unter ihren Oberschenkeln verschwinden.

Sie blinzelt, sieht mich aber nur flüchtig an und seufzt, was ich als Zustimmung werte.

»Es tut nicht weh«, versuche ich, ihr die Angst zu nehmen. »Wirklich. Es ist nur ein ganz kleiner Eingriff. Kaum zu sehen. Man verschläft sowieso das meiste.« Sie nickt nur vage, und ich habe das Gefühl, ihr auf die Nerven zu gehen. »Die Spenden sind ziemlich wichtig.«

Mit einem weiteren Seufzen sagt das Mädchen: »Ich spende nicht.«

Das erklärt einiges. Wenn sie nicht zum Spenden hier ist, dann, weil sie eine Spende erhält. Die Prozedur, die sie erwartet, unterscheidet sich kaum von meiner, aber dass das nicht grundlos geschieht, ist selbst mir klar.

Eben noch hatte das Mädchen kaum Interesse an unserer, zugegebenermaßen einseitigen, Unterhaltung. Jetzt starrt sie mich plötzlich mit weit aufgerissenen Augen an. »Mika?«

Stirnrunzelnd schaue ich an mir hinab, ob ich nicht zufällig irgendwo ein Namensschild trage, aber da ist nichts. Sie weiß wirklich, wie ich heiße. »Ja?«

Ein Lächeln verändert das Gesicht des Mädchens und lässt sie regelrecht erblühen. Gut ein Dutzend Sommersprossen fallen mir dabei auf ihrer Nase auf. »Ich bin’s. Lynn.«

Der Name sagt mir nichts. Rein gar nichts, obwohl sie mich anschaut, als wäre ich ihr lange verschollener Bruder. Das höfliche Lächeln kommt mir nur schwer über die Lippen, jetzt, wo sich die Unterhaltung gedreht hat. »Schön, dich kennenzulernen, Lynn.«

Das Strahlen in ihren Augen wird durch meine Worte ein wenig gedämpft. »Kennst du mich nicht mehr?« Im Nu bombardiert sie mich mit Wörtern, die mir irgendwas sagen sollen: »Ottergrund. Der Waldkindergarten. Rinnbachschule?« Ich kenne jeden einzelnen dieser Namen. Es sind die Stationen meiner Kindheit, meine Grundschule und die Wohnsiedlung, in der wir damals gewohnt haben, aber eine Lynn ist mir dabei nicht begegnet.

»Tut mir leid.« Hilflos zucke ich mit den Schultern. Ihre Nervosität hat sie in dem Moment abgelegt, als sie mich erkannt hat, aber mir ist die Situation ziemlich unangenehm. Ich kann sie überhaupt nicht einordnen. »Waren wir in einer Klasse?«

Die Enttäuschung stiehlt ihr das Leuchten in den Augen und das Lächeln. »Ja, schon, aber ich dachte … Du trägst immer noch unser Band.«

Mein Blick wandert hinunter zu meiner rechten Hand. Schon seit einer halben Ewigkeit trage ich ums Handgelenk ein buntes geflochtenes Band. Es ist so lange her, dass ich gar nicht mehr weiß, wie es dazu gekommen ist. Es gehört einfach zu mir. Dass Lynn davon weiß, lässt meinen Nacken kribbeln.

»Wir haben sie zusammen bei unserem Ausflug in der Werkstatt Kunterbunt geflochten. Du hast mir deins geschenkt und ich dir meins.« Um ihre Worte zu unterstreichen, hebt Lynn ihren viel zu dünnen Arm in die Höhe und zeigt mir das ausgefranste Gegenstück zu meinem. Scheint so, als hätte ich mich damals nicht sonderlich gut angestellt. Ihres zeigt kaum Abnutzungserscheinungen.

So langsam wird mir das Ganze unheimlich. »Ach, wirklich?«, quäle ich mir regelrecht heraus, wobei mein Mundwinkel nur müde zuckt. Ich mustere Lynn genauer, suche irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass ihre Geschichte stimmt. Weder die vielen Sommersprossen noch die karamellfarbenen Augen rufen die geringste Erinnerung in mir wach.

Lynn wirkt nun ebenfalls verunsichert. In diesem Moment wünschen wir uns wahrscheinlich beide, dass das Band nur ein Zufall ist, dass ich gar nicht der Junge sein kann, der ihr das ihrige geschenkt hat. Aber sie kannte einen Mika, und dass ausgerechnet am Ottergrund vor zehn Jahren ein zweiter Mika aufgetaucht ist und Lynn solch ein Band geschenkt hat, ist dann doch etwas weit hergeholt.

»Tut mir leid, ich erinnere mich leider nicht daran. Wahrscheinlich ist es zu lange her.« Es ist zwar schade, aber da kann man nichts machen. Das hindert uns ja nicht daran, uns erneut kennenzulernen. Immerhin scheint sie ganz nett zu sein.

Ein kleines enttäuschtes »Oh« entweicht ihr, und sie beginnt wieder damit, ihre Finger zu kneten.

Dieser winzige Laut liegt mir schwerer im Magen, als er sollte. Ich habe ihr in meinem Unwissen wehgetan, und das Warum nagt an mir.

Noch während ich fieberhaft überlege, wie ich es wiedergutmachen kann, werde ich aufgerufen. Das Signal lässt mich vor Erleichterung geradezu aufspringen. »Das bin ich. Viel Glück mit deinem Termin. War schön, dich kennenzulernen, Lynn. Ich meine, wiederzusehen.«

Hastig wende ich mich ab, bevor mich ihr Stirnrunzeln noch aus der Fassung bringt. Ich kann erst wieder tief durchatmen, als ich das Wartezimmer hinter mir gelassen habe und durch die bebilderten Gänge des MTC gehe. Im Behandlungszimmer empfängt mich Dr. Rhivani bereits mit einem Lächeln. »Hallo, Mika. Wie geht...


Einst erforschte Janna Ruth als Geologin die Plattengrenzen unserer Welt. Jetzt erschafft sie ihre eigenen Welten. Wenn Janna ausnahmsweise einmal nicht am Computer sitzt, findet man sie kopfüber von der Decke hängend am Vertikaltuch.



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