Rutz | Zurück zum Leben – mit Corona | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Rutz Zurück zum Leben – mit Corona

Sechs Kapitel Hoffnung

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

ISBN: 978-3-451-82259-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Pandemien sind nichts Neues. Die medizinische Historien-Literatur ist voll davon. So war die nächste Pandemie nur eine Frage der Zeit. Als sich das SARS-CoV-2-Virus aber ausbreitete, schien die Welt gänzlich unvorbereitet. Deutschland kam glimpflich davon. Aus der Gefahr des zunächst unbekannten Virus ist mittlerweile nurmehr ein Risiko geworden, das neben anderen Risiken steht. Es ist also Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen und aufzuzeigen, wie sich zu einer neuen Normalität zurückfinden ließe.

Mit Beiträgen von Michael Hüther, Paul Kirchhof, Armin Laschet, Claudia Nemat, Hendrik Streeck und Christiane Woopen.
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Armin Laschet

Mit Tatkraft und Zuversicht 
Über Regieren in Krisenzeiten
Als ich vor vier Jahren schon einmal in diesem Dom sprechen durfte – es ging bei den DomGedanken um das wichtige Thema »Europa« –, war er bis auf den letzten Platz gefüllt, alle saßen dicht an dicht. Heute Abend ist diese Nähe nicht möglich. Unsere Lebensumstände haben sich maßgeblich verändert. Seit einem halben Jahr bestimmen die Corona-Pandemie und ihre Bekämpfung unseren Alltag. Das öffentliche Leben war zwischenzeitlich fast vollständig zum Erliegen gekommen. Auch mein persönlicher Alltag, wie der Alltag von Ihnen allen, wurde von einem Tag auf den anderen umgestürzt. Umso mehr freue ich mich, dass wir unter den strengen Bedingungen, die Corona uns setzt, heute wieder – nach vielen Monaten – in dieser Form zusammenkommen können. Es ist auch für mich eine der ersten größeren öffentlichen Veranstaltungen. Der Untertitel der diesjährigen DomGedanken lautet: »Fünf Abende der Hoffnung.« Das ist gut gewählt, denn ich wünsche mir, dass der heutige Abend für uns alle ein Abend der Hoffnung und Zuversicht wird. Wer sich in diesem Dom aufhält, der denkt daran, dass dieser 750 Jahre alt ist, er ist ein steinernes Monument von Standhaftigkeit und auch Zeitzeugenschaft. Er hat Friedenszeiten und Kriege erlebt, er war Ort von Freudenfesten und tiefen Hilferufen. Er stand auch schon hier, als die Pandemien des Mittelalters – etwa die Pest – über Europa und die Welt hinwegzogen und Millionen Menschen das Leben kosteten. Und in all diesen Zeiten haben die Münsteraner diesen Ort als einen Ort der Gemeinschaft und des Zusammenhalts erlebt und ihn dazu gemacht. Selbstbestimmung statt Anordnung
Die letzten Monate haben uns und übrigens auch den Religionen einiges zugemutet. Seit 70 Jahren war es das erste Mal, dass wir in Deutschland die Grundrechte so fundamental einschränken mussten wegen des Gesundheitsschutzes, vor allem die Versammlungsfreiheit – es traf Bars, Kinos, Theater, Schulen, Kirchen. Weil hier aber zugleich das fundamentale Recht auf freie Glaubensausübung tangiert gewesen ist, haben wir für Nordrhein-Westfalen einen anderen Weg gefunden als durch staatliche Vorgaben: Die Religionen, die Kirchen haben selbst entschieden, vorübergehend die Präsenzgottesdienste einzuschränken. Wir als Staat haben das dann als Information entgegengenommen. Nun wird man sagen: Das kommt ja auf dasselbe hinaus. So ist es aber nicht. Zwischen dem Gefühl, durch staatliche Vorschrift Kirchen, Synagogen und Moscheen zu schließen, und dem Weg kirchlicher Selbstbestimmung und -beschränkung als freiwilligem Verzicht liegen Welten. Es ist den Kirchen wohl auch leichter gefallen durch das Vorbild des Heiligen Vaters. Unvergesslich wird das Bild bleiben, als Papst Franziskus in diesem Jahr auf dem leeren Petersplatz völlig alleine das Osterfest gefeiert hat. Das hat es wahrscheinlich in zweitausend Jahren Kirchengeschichte noch nie gegeben: Selbst in Kriegen hat man sich versammelt. In diesem Jahr war das nicht möglich, das christliche Osterfest als Gemeinschaftserlebnis fiel aus. Ich bin froh, dass die anderen Religionsgemeinschaften dem gefolgt sind. Die jüdischen Gemeinden, die parallel das Pessach-Fest hatten, verzichteten von sich aus. Auch die muslimischen Gemeinden, die einige Wochen später den Ramadan gefeiert haben, nahmen sich ein Beispiel an dem, was rund um Ostern geschehen ist, und strichen die abendliche Begegnung, das Iftar-Fastenbrechen. Dass die Glaubensgemeinschaften selbst als Akteure gesagt haben: »Wir leisten auch unseren Beitrag zum Schutz des Lebens, wir kommen anders zusammen oder gar nicht«, das war ein wichtiges Signal, für das ich auch im Namen des Landes Dank sagen will. Pandemie heißt: Zeit der Unsicherheit. Ich habe in diesen vielen Wochen sehr oft überlegt: Ist die Entscheidung, die du jetzt heute gefällt hast, richtig? Ist sie so verantwortbar, sowohl beim Schließen als auch beim Öffnen? Für Kinder, die auf Bildung angewiesen sind, hat die Schließung von Schulen und Kitas erhebliche Konsequenzen. Nicht wenige Kinder, die wochenlang nicht mehr Schule und Kita besuchen konnten, haben Kindeswohlgefährdungen erlebt. Über diesen Teil haben wir viel zu wenig geredet, weil wir jeden Tag nur auf die Infektionszahlen geguckt haben, aber nicht auf Menschen, die sich vielleicht in kleinen Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnungen für lange Zeit eng beieinander aufhalten mussten. Und wir wussten nicht: Wie wird sich das Virus verhalten? Wie wird es sich verändern? Wie ansteckend ist es für welche Gruppen der Bevölkerung? Welche gesundheitlichen Folgen hat es für wen? Welche Therapie hilft gegen COVID-19, und wie schnell gelingt die Entwicklung eines Impfstoffs? Viele dieser Fragen sind bis heute nicht beantwortet. Wir müssen alle trotzdem mit der Pandemie leben. In Nordrhein-Westfalen sind nun die Schulen wieder geöffnet. Zweieinhalb Millionen Schüler gehen wieder in die Schule, weil für sie das Recht auf Bildung wichtig ist. Aber wir stehen in der Verantwortung: Wie können wir verhindern, dass Kinder sich und andere infizieren oder krank werden? Solche schwierigen Abwägungen kann man nirgendwo lernen, weil sie mit der Pandemie neu aufgetreten sind. Deshalb waren die Gefühle und Sorgen der Menschen in unserem Land auch höchst unterschiedlich. Manche Menschen kamen zur Staatskanzlei und brachten Blumen mit dem Gruß: »Danke, dass Sie so gut und abgewogen entscheiden!« Aber andere schrieben mir: »Du schickst unsere Kinder in den Tod!« Das sind Gefühlsextreme zwischen Halleluja und Kreuzigung, die man als Politiker auch verarbeiten muss. Viele Menschen fanden die Zeit eigentlich ganz angenehm, als das öffentliche Leben »entschleunigt« wurde, als der Termindruck nachließ, als mehr Zeit für die Familie war. Andere hingegen erlebten und erleben existenzielle Not in der Kurzarbeit, haben Sorge um ihren Arbeitsplatz, bis zum heutigen Tag. Wenn man in einer solchen beschwerten Stimmungslage politische Entscheidungen fällen muss, die gewaltige Konsequenzen für Menschen haben, ist es unverzichtbar, immer auch das Ende mit zu bedenken. »Quidquid agis, prudenter agas et respice finem«, haben wir im Lateinunterricht gelernt: »Was du auch tust, handele klug und bedenke das Ende.« Das freilich ist in Zeiten unvollkommener Informationen – und das sind Pandemie-Zeiten – leichter gesagt als getan. Gefragt: Verantwortungsethik
Der Soziologe Max Weber hat vor genau 100 Jahren einen berühmten Aufsatz geschrieben: »Politik als Beruf.« Er hat darin unterschieden zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Gesinnungsethiker sind rigoros im Vertreten ihrer These. Sie mag im Moment populär sein, aber die reine Gesinnung berücksichtigt nicht die realistischen Folgen. Dafür machen diese Leute dann andere verantwortlich. Gesinnung allein ist aber kein taugliches Rezept. Es kommt auf eine Ethik der Verantwortung an, also darauf, verantwortliche Entscheidungen zu treffen auf bestmöglicher Informationsgrundlage. Und diese bestmögliche Informationsgrundlage ändert sich auch sehr häufig im Verlaufe der Zeit und im Licht neuer Erkenntnisse. Mediziner geben Rat, Virologen geben Rat, Wirtschaftswissenschaftler geben Rat, Kinderpsychologen geben Rat, Kinderärzte geben Rat – aber sie geben nicht alle den gleichen Rat. Auch die Virologen geben nicht alle den gleichen Rat. Und deshalb hat der Politiker die schwierige Aufgabe abzuwägen: Was erscheint dir plausibel, was ist verantwortbar, und wie lässt sich verhindern, dass eine Maßnahme am Ende schlimmere Folgen hat als jene, die man eigentlich bekämpfen wollte? Er muss Entscheidungen treffen, auch solche, die nicht populär sind. Jens Spahn, unser Gesundheitsminister, hat gesagt: »Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.« Das ist ein gutes Wort. Denn es stimmt ja, in ein oder zwei Jahren wird mancher im Rückblick sagen: Wie konnte man nur so entscheiden? Aber im Moment der Entscheidung kann man sich eben nur auf das momentane Wissen berufen. Wer in einer solch schwierigen Situation, einer Ausnahmesituation ohne Vorbild, politische Entscheidungen treffen muss, wer die Entscheidung über einen Lockdown mit seinen tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen fällen muss, der braucht festen Boden unter den Füßen. Angst und Panik waren noch nie gute Ratgeber; Wissenschaft, Vernunft und die uns Christen eigene Zuversicht hingegen schon. In den Paulusbriefen an Timotheus ist das schön formuliert: »Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.« Das heißt für uns: Handeln ohne Angst und Handeln in Gemeinschaft. Denn wir Christen wissen: Der Mensch hat zwar Anspruch auf seine Individualität in Freiheit, aber diese Freiheit trägt nur bis zu den Grenzen anderer. Er ist Person, er ist freies Wesen, aber immer bezogen auf einen anderen. Das ist der Kern des christlichen Menschenbildes. Kein Mensch kann ohne den anderen leben. Schon bei der Geburt sind wir angewiesen auf die Eltern, die einen ernähren, die einen erziehen. Keiner, selbst der mächtigste Mensch der Welt, ist alleine auf die Welt gekommen. Norbert Blüm hat das mal in einem Streit mit einem Wirtschaftsmanager um die Pflegeversicherung auf den Punkt gebracht: »Selbst Sie haben sich als Baby nicht selbst gewickelt!« Und das kann man sofort verstehen,...


Michael Rutz, geb. 1951, ist politischer Journalist und war u.a. Chefredakteur des Fernsehsenders SAT.1 und der Wochenzeitung Rheinischer Merkur. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Fernsehfilme.

Armin Laschet, geboren 1961 in Aachen, ist seit Juni 2017 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Der CDU-Politiker war zuvor Bundestagsabgeordneter (1994 bis 1998) und Europaabgeordenter (1999 bis 2005). Von 2005 bis 2010 war er Minister in der Landesregierung von Jürgen Rüttgers. Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag ist er seit 2010. Bis 2016 war Laschet Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Laschet ist Jurist und gelernter Journalist. Er war unter anderem für das Bayrische Fernsehen tätig und war Chefredakteur der Kirchenzeitung Aachen. Laschet ist verheiratet und hat drei Kinder.

Hendrik Streeck (geboren 1977 in Göttingen) ist Direktor des Instituts für Virologie und Co-Direktor des Zentrums für HIV & AIDS am Universitätsklinikum Bonn. Nach seiner medizinischen Ausbildung an der Charité in Berlin promovierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Von 2006 bis 2009 absolvierte er ein Postdoctoral Fellowship am Partner AIDS Research Center und wurde 2009 zum Assistenzprofessor am Ragon Institute of MGH, MIT und Harvard sowie zum Assistant Immunologist am Massachusetts General Hospital berufen. Im Jahr 2012 wurde er zum Leiter der Immunologie des US Military HIV Research Program (MHRP) ernannt und war zeitgleich Assistenzprofessor für 'Emerging Infectious Diseases' an der Uniformed Services University of Health Sciences in Washington DC sowie an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. Im März 2015 folgte er dem Ruf der W3-Professur der Universität Duisburg-Essen und leitete bis 2019 das Institut für HIV-Forschung. 2019 übernahm er in Bonn die Leitung des Instituts für Virologie sowie des Deutschen Zentrums für HIV und AIDS. Als Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt als pragmatische Stimme in der COVID-19-Bekämpfung und als Berater der Bundes- und Landesregierung. Er ist Kuratoriumsvorsitzender der deutschen AIDS-Stiftung und Mitglied des Expertenrates Corona der Landesregierung NRW.

Prof. Dr. Michael Hüther (geboren 1962 in Düsseldorf) ist Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Er studierte von 1982 bis 1987 Wirtschaftswissenschaften sowie mittlere und neue Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Nach Abschluss des Promotionsverfahrens wurde er 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Jahr 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt.  Seit August 2001 ist er Honorarprofessor an der EBS Business School in Oestrich-Winkel und seit Juli 2004 Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft. Im akademischen Jahr 2016/17 war er Gerda Henkel Adjunct Professor im Department of German Studies an der Stanford Universität, Kalifornien, USA. Von Juni 2018 bis Oktober 2019 war er Mitglied der Refit-Plattform der EU-Kommission, die sich für eine effiziente und bürgernahe Umsetzung der EU-Gesetze einsetzt. Im April 2019 wurde er zum Aufsichtsratsvorsitzenden der TÜV Rheinland AG ernannt. Hüther ist Mitglied des Expertenrates Corona der Landesregierung NRW.

Christiane Woopen (geboren 1962 in Köln) ist Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln. Dort ist sie Direktorin des interfakultären Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health (ceres). An der Medizinischen Fakultät leitet sie die Forschungsstelle Ethik und war Prodekanin für akademische Entwicklung und Gender. Im Rahmen von nationalen und internationalen Forschungsprojekten befasst sie sich u.a.


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