Saint-Exupéry | Die Erde des Menschen | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Saint-Exupéry Die Erde des Menschen


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7306-9172-4
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-7306-9172-4
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Fliegerei war Leidenschaft und Schicksal des Mannes, der den 'Kleinen Prinzen' erfand. Antoine de Saint-Exupéry war viele Jahre als Postpilot über der Wüste Nordafrikas und anderswo unterwegs. Dabei geriet er immer wieder in Grenzsituationen, was ihn über die Frage nach der Bestimmung des Menschen nachdenken ließ. 'Die Erde des Menschen' (bei uns bekannt geworden unter dem Titel 'Wind, Sand und Sterne') ist ein Abenteuerbuch der besonderen Art, das seine Leser in ungeahnte Welten entführt und dabei tiefe Einsichten in den Sinn des Lebens gewährt.

Antoine de Saint-Exupéry, geboren 1900 in Lyon, stammt aus einer der ältesten, französischen Adelsfamilien. 1921 bis 1923 absolvierte er seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe in Straßburg und wurde zum Flugzeugmechaniker und schließlich zum Piloten ausgebildet. Seit 1926 war er Linienpilot, später dann Postpilot nach Argentinien und Saigon. 1926 trat er erstmals als Autor mit der Novelle Der Flieger hervor, sein Roman Nachtflug machte ihn 1930 berühmt. Im Zweiten Weltkrieg war Saint-Exupéry zunächst Ausbilder für Piloten, dann Pilot bei einem Aufklärungsgeschwader. 1943 erschien Der kleine Prinz, das bekannteste Buch von Saint-Exupéry, in welchem er seine Gedanken über den Sinn des Lebens thematisiert. 1944 kehrte er von einem Flug Richtung Grenoble nicht zurück und gilt seither als verschollen.
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I



Es war 1926. Ich hatte gerade als junger Linienpilot bei der Société Latécoère angefangen, die vor der Aéropostale und dann Air France die Verbindung Toulouse–Dakar bediente. Dort erlernte ich den Beruf. Wie meine Kameraden absolvierte ich das Noviziat, das Neulinge dort durchlaufen, bevor sie die Ehre erhalten, die Post zu fliegen. Flugübungen, Reisen zwischen Toulouse und Perpignan, triste Meteorologielektionen im hinteren Teil einer eisigen Flugzeughalle. Wir lebten in Angst vor den spanischen Bergen, die wir noch nicht kannten, und in Ehrfurcht vor den Älteren.

Diese Älteren trafen wir im Restaurant, wo sie uns mürrisch, leicht distanziert, von oben herab Ratschläge erteilten. Und wenn einer von ihnen, der gerade aus Alicante oder Casablanca zurückkam, sich verspätet, das Leder vom Regen durchnässt, zu uns gesellte und einer von uns ihn zaghaft zu seiner Reise befragte, ließen seine knappen Antworten an stürmischen Tagen vor unseren Augen eine fabelhafte Welt entstehen, voller Fallen, Gefahren, plötzlich aufragender Felswände und Turbulenzen, die Zedern entwurzelt hätten. Schwarze Drachen verteidigten die Eingänge von Tälern, Kränze von Blitzen krönten die Gebirgskämme. Die Älteren wussten, wie sie unsere Ehrfurcht aufrechterhalten konnten. Doch zuweilen, verehrt bis in alle Ewigkeit, kehrte einer von ihnen nicht zurück.

Ich erinnere mich an eine solche Rückkehr von Bury, der später in den Corbières verunglückte. Der alte Pilot hatte sich zu uns gesetzt und aß schwerfällig, schweigend, die Schultern noch niedergedrückt von der Anstrengung. Es war am Abend eines jener schlechten Tage, an denen der Himmel vom einen Ende der Strecke bis zum anderen verregnet ist, an denen alle Berge für den Piloten durch den Dreck zu rollen scheinen wie früher die Kanonen, deren Taue gerissen waren und die das Deck der Segelschiffe zerfurchten. Ich beobachtete Bury, schluckte und wagte es schließlich, ihn zu fragen, ob er einen schweren Flug gehabt habe. Bury, die Stirn gerunzelt, über seinen Teller gebeugt, hörte nicht. An Bord der offenen Flugzeuge musste man sich bei schlechtem Wetter an der Windschutzscheibe vorbeibeugen, um besser sehen zu können, und die Ohrfeigen des Windes pfiffen einem noch lange durchs Gehör. Schließlich hob Bury den Kopf, schien mich doch gehört zu haben, sich zu erinnern, und brach auf einmal in schallendes Lachen aus. Und dieses Lachen begeisterte mich, denn Bury lachte selten, dieses Auflachen erhellte seine Müdigkeit. Er gab keine weitere Erklärung zu seinem Sieg ab, ließ den Kopf wieder hängen und kaute schweigend weiter. Aber in dem öden Restaurant, zwischen den einfachen Beamten, die sich hier von den bescheidenen Ermüdungen des Tages erholten, wirkte dieser Kamerad mit den schweren Schultern auf mich seltsam erhaben; er ließ unter seiner harten Schale den Engel durchscheinen, der den Drachen besiegt hatte.

Endlich kam der Abend, an dem ich an der Reihe war, ins Büro des Direktors gerufen zu werden. Er sagte schlicht: »Sie fliegen morgen.«

Ich blieb vor ihm stehen und wartete, dass er mich wieder wegschicken würde. Doch nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Sie kennen doch die Vorschriften?«

Die Motoren boten damals bei Weitem nicht die Sicherheit, die Motoren heute bieten. Oft ließen sie uns plötzlich im Stich, ohne Vorwarnung, begleitet vom ohrenbetäubenden Scheppern zerbrechenden Geschirrs. Und man streckte die Hand aus nach der felsigen Kruste Spaniens, die kaum Halt bot. »Wenn hier der Motor kaputt geht«, sagten wir, »lässt das ganze Flugzeug nicht lange auf sich warten.« Aber ein Flugzeug ist ersetzbar. Das Wichtigste war, nicht blind mit einem Felsen zu kollidieren. Deshalb war uns das Überfliegen von Wolkenmeeren über Gebirgsregionen unter Androhung schwerster Strafen verboten. Wenn ein Pilot eine Panne hat und dann in der weißen Watte versinkt, kann er auf Gipfel prallen, ohne sie zu sehen.

Deshalb wiederholte eine Stimme an jenem Abend ein letztes Mal langsam die Vorschrift: »Es ist sehr hübsch, in Spanien nach dem Kompass über die Wolkenmeere zu fliegen, das ist sehr elegant, aber …«

Und dann noch langsamer: »… aber denken Sie daran: Unter den Wolkenmeeren … liegt die Ewigkeit.«

So nahm die ruhige, so einheitliche, so einfache Welt, die man entdeckt, wenn man aus den Wolken auftaucht, für mich plötzlich eine neue Bedeutung an. Das Angenehme wurde zu einer Falle. Ich stellte mir vor, wie sich diese riesige weiße Falle unter meinen Füßen ausbreitete. Darunter herrschten weder, wie man hätte meinen können, die Geschäftigkeit der Menschen noch der Trubel oder der lebendige Betrieb der Städte, sondern eine noch absolutere Stille, ein noch endgültigerer Frieden. Die weiße Decke wurde für mich zur Grenze zwischen dem Realen und dem Irrealen, zwischen dem Bekannten und dem Unergründlichen. Und ich ahnte bereits, dass ein Schauspiel keinen Sinn hat, wenn man es nicht durch eine Kultur, eine Zivilisation, einen Beruf betrachtet. Auch Bergbewohner kannten die Wolkenmeere. Doch sahen sie diesen geheimnisvollen Vorhang darin nicht.

Als ich das Büro verließ, verspürte ich einen kindlichen Stolz. Im Morgengrauen würde nun ich für eine Gruppe von Passagieren, würde nun ich für die Afrika-Post verantwortlich sein. Aber ich verspürte auch eine große Demut. Ich fühlte mich schlecht vorbereitet. In Spanien gab es wenige Zufluchtsorte; ich fürchtete, im Fall einer Panne nicht zu wissen, wo ich bei einer Notlandung Hilfe suchen könnte. Ich studierte die nüchternen Karten, fand dort jedoch nicht den Rat, den ich brauchte; also begab ich mich, das Herz voll von dieser Mischung aus Verzagen und Stolz, zu meinem Kameraden Guillaumet, um den Vorabend des großen Tages bei ihm zu verbringen. Guillaumet war mir auf den Flugrouten vorausgegangen. Guillaumet wusste, wo die Schlüssel Spaniens lagen. Ich musste mich von Guillaumet einweihen lassen.

Als ich bei ihm eintrat, lächelte er. »Ich kenne deine Neuigkeit schon. Freust du dich?«

Er holte den Portwein und die Gläser aus dem Schrank und kam dann, noch immer lächelnd, zu mir zurück. »Darauf müssen wir anstoßen. Du wirst schon sehen, es wird gut gehen.«

Er verbreitete Selbstvertrauen, wie eine Lampe Licht, dieser Kamerad, der später den Rekord der Postflüge über die Anden und den Südatlantik brechen sollte. An jenem Abend einige Jahre zuvor, in Hemdsärmeln, die Arme unter der Lampe verschränkt, sagte er mir einfach mit dem wohltuendsten Lächeln: »Gewitter, Nebel und Schnee werden dir manchmal Schwierigkeiten bereiten. Dann denk an all die, die das vor dir durchgemacht haben, und sag dir einfach: Was andere geschafft haben, kannst du sicher auch schaffen.« Dennoch rollte ich meine Karten aus und bat ihn, die Reise ein wenig mit mir durchzugehen. Und unter die Lampe gebeugt, an die Schulter des Älteren gelehnt, fand ich den Frieden des Collège wieder.

Doch welch eigenartige Geografielektion erhielt ich da! Guillaumet unterrichtete mich nicht über Spanien; er machte mir Spanien zur Freundin. Er sprach weder von Gewässerkunde noch von Bevölkerungszahlen oder Viehbeständen. Er erzählte mir nicht von Guadix, sondern von den drei Orangenbäumen an einem Feld bei Guadix: »Nimm dich vor ihnen in Acht, zeichne sie auf deiner Karte ein …« Daraufhin nahmen die drei Orangenbäume dort mehr Platz ein als die Sierra Nevada. Er erzählte mir nicht von Lorca, sondern von einem einfachen Bauernhof in der Nähe von Lorca. Von einem wachenden Bauernhof. Und seinem Bauern. Und seiner Bäuerin. Und dieses Paar da irgendwo draußen, fünfzehnhundert Kilometer von uns entfernt, erhielt eine überdimensionale Bedeutung. Die beiden wohnten wie Leuchtturmwärter am Hang ihres Bergs und waren bereit, Menschen unter ihren Sternen Hilfe zu leisten.

So beschworen wir aus der Vergessenheit und unvorstellbarer Entfernung Details herauf, die kein Geograf der Welt kannte. Denn allein der Ebro, der große Städte nährt, interessiert die Geografen. Aber nicht dieser unter Gräsern versteckte Bach westlich von Motril, dieser Nährvater von gut dreißig Blumen. »Nimm dich vor dem Bach in Acht, er verdirbt das Feld … Zeichne auch ihn auf deiner Karte ein.« Oh! Ich würde mich an die Schlange von Motril erinnern! Sie wirkte ganz harmlos, betörte mit ihrem leisen Säuseln gerade mal ein paar Frösche, aber sie schlief nur mit einem Auge. Im Paradies des rettenden Felds, unter den Gräsern ausgestreckt, lauerte sie mir aus zweitausend Kilometern Entfernung auf. Sie wartete nur darauf, mich in lichterlohe Flammen zu verwandeln …

Ich war auch auf die dreißig Kampfschafe gefasst, die dort an der Seite des Hügels, bereit zum Angriff, aufgestellt waren: »Du glaubst, diese Wiese wäre frei, und dann, wumm! Schon rennen dir die dreißig Schafe unter die Räder …« Und ich antwortete mit einem entzückten Lächeln auf eine so hinterhältige Bedrohung.

Und nach und nach wurde das Spanien auf meiner Karte unter der Lampe zu einem Märchenland. Ich markierte die Zufluchtsstätten und Fallen mit Kreuzen. Ich markierte den Bauern, die dreißig Schafe, den Bach. Ich zeichnete genau an der richtigen Stelle die Schäferin ein, die die Geografen vernachlässigt hatten.

Nachdem ich mich von Guillaumet verabschiedet hatte, verspürte ich das Bedürfnis, an diesem eisigen Winterabend spazieren zu gehen. Ich schlug den Mantelkragen hoch und mischte mich mit jugendlichem Eifer unter die unwissenden Passanten. Ich war stolz, mit meinem Geheimnis im Herzen...


Saint-Exupéry, Antoine de
Antoine de Saint-Exupéry, geboren 1900 in Lyon, stammt aus einer der ältesten, französischen Adelsfamilien. 1921 bis 1923 absolvierte er seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe in Straßburg und wurde zum Flugzeugmechaniker und schließlich zum Piloten ausgebildet. Seit 1926 war er Linienpilot, später dann Postpilot nach Argentinien und Saigon. 1926 trat er erstmals als Autor mit der Novelle Der Flieger hervor, sein Roman Nachtflug machte ihn 1930 berühmt. Im Zweiten Weltkrieg war Saint-Exupéry zunächst Ausbilder für Piloten, dann Pilot bei einem Aufklärungsgeschwader. 1943 erschien Der kleine Prinz, das bekannteste Buch von Saint-Exupéry, in welchem er seine Gedanken über den Sinn des Lebens thematisiert. 1944 kehrte er von einem Flug Richtung Grenoble nicht zurück und gilt seither als verschollen.



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