E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Salter In der Wand
10001. Auflage 2010
ISBN: 978-3-8270-7207-8
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-8270-7207-8
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
James Salter, 1925 in Washington, D.C. geboren und in New York aufgewachsen, wurde mit seinen großen Romanen »Lichtjahre« und »Ein Spiel und ein Zeitvertreib« auch in Deutschland berühmt. Er diente als Kampfflieger zwölf Jahre lang in der US Air Force und nahm 1957 seinen Abschied, als sein Debüt, Jäger, erschien. Seitdem lebte Salter als freier Schriftsteller in New York City und auf Long Island. Am 19. Juni 2015 verstarb James Salter wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag in Sag Harbor. Er gilt als moderner Klassiker der amerikanischen Literatur.
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VORWORT
Von Richard Ford
Unter Romanlesern ist es ein Glaubensgrundsatz, dass kein lebender Autor bessere amerikanische Sätze schreibt als James Salter. Wir Leser legen Wert auf gutes Schreiben in der Kategorie Belletristik, denn wir wünschen uns, dass da möglichst viel passiert, die Virtuosität in den Sätzen soll auf die nicht steuerbare Energie der Phantasie treffen, sie für die Erzählung einspannen und eine ganz neue, berauschende, bedeutsame Begebenheit inszenieren – alles zum Vergnügen und zur Erbauung des Lesers.
Das macht einen großen Teil der grundsätzlichen Anziehungskraft jeglicher Prosa aus – es macht sie (wenn’s klappt) aufregend. Und gewiss verfügt keiner über ein solches Gespür für die Details der Welt und für deren unauffälliges, emotionales Treiben wie James Salter, keiner nimmt unsere zerbrechliche Menschheit mit so begierigem Funkeln unter die Juwelierslupe wie er. Keiner sonst schmiedet große Aufmerksamkeit und sprachlichen Einfallsreichtum so schön in Sätze, so verschwenderisch, überraschend, manchmal herzlos, aber immer aufregend.
Ebenso unvermeidlich wie selbstverständlich (schließlich sind wir in Amerika) lauert hinter dem allgemeinen Lob für James Salters Leistung der Generalverdacht, der alles gute Schreiben trifft: Es sei l’art pour l’art, abgehoben, aufgehübscht und elitär und lenke so davon ab, dass etwas Grundsätzliches fehle – meistens ist damit der kernige Kern in irgendeiner Variante gemeint, und das lassen wir Amerikaner uns auf keinen Fall bieten (außer wir tun’s doch). »Ich will zum Waldhang gehen«, schrieb Whitman im Gesang meiner selbst, »und ohne Verkleidung und nackt sein«.[1] Es ist, als müssten wir, um wahrhaft und wahrhaft amerikanisch zu sein, immer die unschönen Teile entblößen, dicke Baumstämme schleppen, uns Splitter in die Hände ziehen – und in die Sätze.
Aber es gibt nun mal keine Splitter in Salters Sätzen – nicht in diesem Buch, das Sie in Händen halten. Lichtjahre, zuerst 1975 in den USA erschienen und ein großer Erfolg, schleppt alle dicken Baumstämme, die man je brauchen wird, tut dies aber in einer so leuchtenden Sprache, so klug gewählt und so ausgewogen, dass uns die gewichtigen Themen, auf die der Roman abzielt, vielleicht nicht gleich ins Auge fallen: wie die Liebe überleben kann, wie eine Berufung in der Enttäuschung vertrocknet, wie die raffgierige, aber zu wenig neugierige amerikanische Kultur vergeht, gleich einem Stern, dessen Licht wir noch lange sehen, nachdem sein Feuer verloschen ist.
Lichtjahre lässt sich wegen seiner relativ hohen Verdichtung wie alle großen Werke der Erzählkunst nicht leicht zusammenfassen, zu nuanciert ist sein Blick auf die Menschen, zu reich und unterschiedlich sind seine erzählerischen Effekte, zu breit angelegt seine Absichten.
Vordergründig ist Lichtjahre die Geschichte von Viri und Nedra Berland, einem goldenen Paar, das ein vergoldetes Leben auf dem Lande lebt, voller rauschender Dinnerpartys bei Kerzenschein, interessanter Freunde und schöner Kinder – inklusive Flussblick. Aber dicht unter den glänzenden Oberflächen des Wohlstands gibt es auch enttäuschten Ehrgeiz, ermattete Leidenschaften und ein nagendes Schmollen darüber, dass das Leben nicht noch reicher ist, bloß dass keiner der Berlands über die nötige Klarsichtigkeit verfügt, um so ein Leben zu verwirklichen. Viri, ein zaudernder Architekt, der nach Manhattan pendelt, wäre gern berühmt – nicht etwa ein besserer Architekt. Nedra, seine schöne, dekorative Frau, geht in der Stadt shoppen und lunchen, plant Diners, schläft mit dem Nachbarn und kümmert sich um ihr großes viktorianisches Haus am Hudson, all das in freudiger Erwartung jener besonderen Momente, wenn Viri nach Hause kommt, die Kinder aufgekratzt sind, der Wein gekühlt und die Kernfamilie wieder beieinander ist.
Salter ist nicht nachsichtig mit den Berlands. Einerseits sind sie eins jener gutaussehenden, jugendfrischen Paare, mit denen wir in der Dämmerung auf Gartenpartys in den Hamptons plaudern, die wir aus dem Taxifenster vor dem Modern erblicken, oder die in La Bayadere neben uns sitzen. Aber andererseits – und der Roman führt uns die Berlands ganz bewusst in ganz unterschiedlichem Licht vor – sind sie auch gefühlskalt, aalglatt, schnell albern, risikoscheu und winden sich angesichts der drohenden Gefahr, sich ihr belangloses Leben eingestehen zu müssen. Nedra Berlands Natur offenbare sich, erklärt James Salters Erzähler, »in der Großzügigkeit ihrer Tafel«. (Und sonst nirgends.) (S. 162). Viri ist ein guter Vater, aber das heißt nichts weiter, als dass er »ein schwacher Mann« ist. (S. 172)
Lichtjahre (die Chronik des Ehelebens der Berlands von den frühen Sechzigern, in denen sie Ende Zwanzig sind, sich aber schon etwas alt fühlen, bis in die späten Siebziger, wo sie sich wie abgekämpfte Überlebende vorkommen) steht in ständigen Verhandlungen mit dem Leser, um die Berlands als hochkomplexe Bürger und gleichzeitig (wie ihre Freunde) als Typen zu zeigen, als Leute, denen wir vermutlich nicht unbedingt nacheifern wollen, denn bewundernswert sind sie nicht gerade. »Sie sprachen über den Tag, der vor ihnen lag, als verbände sie nichts als Glück …« Hier sitzen Nedra und Viri an einem der vielen sonnengeküssten Herbsttage am verführerisch mit Äpfeln und der Zeitung gedeckten Frühstückstisch. »… Diese sanfte Stunde, dieser behagliche Raum, dieser Tod. Denn das alles, alle Teller, Dinge, Geräte, Schalen illustrierten, was nicht mehr existierte; es waren Bruchstücke aus der Vergangenheit, Scherben eines verschwundenen Ganzen.« (S. 236–237) Salter will das Haushaltsmodell der Berlands von beiden Seiten betrachten und das eine Tableau von dem anderen relativieren lassen.
Aber trotzdem halten wir die Berlands für eigentlich gute Menschen, die ein flüchtiges Glück behaupten – abgesehen von ihren Affären, was schon in Ordnung geht. Wir erfahren es nicht, aber wahrscheinlich wählen sie die Demokraten. Typischerweise lieben sie ihre Kinder über alle Maßen. Viri verdient anständig (auch wenn Nedra gerne reich wäre). Keiner schlägt den anderen. Sie halten zu ihren Freunden. Nedras Vater ist ein erbärmlicher alter Sack, aber sie behandeln ihn anständig. Sie werden weder ausschweifend noch kleinlich, noch nicht einmal zynisch. Das Unternehmen Ehe ist zum Scheitern verurteilt und geht schließlich unter, aber auch dabei bleiben sie standhaft höflich zueinander, bis zum Ende verbunden durch Zuneigung und den Schutz ihrer Vertrautheit, der sie unmöglich entkommen können.
Lichtjahre erzählt das Leben der Berlands mit Hilfe eines Geflechts aus lebhaften häuslichen Einblicken, vielen pompösen a partes, die unbedingt mitgehört werden sollen – Männergerede und Frauengerede, intimes Geplapper während des Beischlafs –, und oft wirken die Figuren wie die Leute auf alten Polaroids und reden auch genauso aufgesetzt wie die. Der Roman ist eine gelungene Anatomie der amerikanischen Familie, inklusive allem, was für sie spricht, aber ihre Mitglieder ertragen praktisch hilflos – man könnte auch sagen ganz natürlich – das Scheitern.
Da es Salters Wunsch ist, dass wir die Berlands gleichermaßen als Typen wie als Individuen wahrnehmen, da er beharrlich für den früher so genannten erzählerischen Kommentar die Blende öffnet und anpasst und da die Berlands immer wieder das Ziel ironischer Missbilligung sind, während wir sie in ihrer größten Schwäche und in ihren schlechtesten Momenten erleben, auf hochkomische Weise unattraktiv und selbstmitleidig – aus all diesen Gründen dient der Roman auch zur harschen Demontage der sich abnutzenden amerikanischen Kultur, während diese Familie Mustermann die Mitte des Jahrhunderts durchschreitet. »Wenn ich nur Mut hätte …« sinniert Viri, gerade einmal vierzig, »… Wenn ich Glauben besäße. Wir retten uns über die Zeit, als wäre das von irgendeiner Bedeutung und immer auf Kosten anderer. Wir horten uns. Wir haben Erfolg, wenn die anderen scheitern, wir sind klug, wenn sie dumm sind, und wir ziehen weiter, klammern uns fest, bis keiner mehr da ist.« (S. 377). Nedra stimmt in Viris Lamento ein und sagt (viel treffender): »Wir leben zu lange« (S. 381).
In der fast dantesken Klage des Romans über den – krawumm – gegen die Wand fahrenden amerikanischen Lebensstil aus Horten, Festklammern und überallhin metastasierender Maßlosigkeit, nun, da der gesunde Menschenverstand von der Fahne gegangen ist, will Salter keineswegs den Verlust erforschen oder politische Weisheiten liefern. Wir wissen eben nicht, ob die Berlands und Konsorten Demokraten oder Republikaner sind, weil sie alle nicht über zeitgenössische Ereignisse sprechen – den Vietnamkrieg, die Bürgerrechtsbewegung, die Attentate auf Politiker, den ersten Menschen auf dem Mond – oder auch nur über Ursache und Wirkung; sie alle verschwenden keinen Gedanken an die elementarsten Gebote der Verlässlichkeit, bis ihnen das böse Ende mit glühenden Augen ins Gesicht starrt. Die Figuren in Lichtjahre sind alle einfach so, wie sie sind: ehrgeizlose, sentimentale Konsumenten, ahnungslose, isolierte Kulturträger einer Zivilisation im freudlosen Niedergang. »Übrigens reden wir oft über Amerika …« tönt ein affektierter englischer Pseudo-Junker, als ihn die unglückseligen Berlands auf ihrer einzigen Grand tour besuchen, mit der sie krampfhaft ihre Ehe wiederaufleben lassen wollen. (Amerika mag bei Salter den Bach runtergehen, aber...




