Salter | Lichtjahre | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Salter Lichtjahre

Roman
6001. Auflage 2006
ISBN: 978-3-8270-7737-0
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-8270-7737-0
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Auf den ersten Blick ist es paradiesisch: Das privilegierte Leben von Viri und Nedra kreist um Dinnerpartys und Freunde, um einen sonnendurchfluteten Garten, um endlose Ferien am Atlantik mit den Kindern. Doch langsam entblättert sich das Trügerische dieser Idylle: Viri beginnt eine Affäre mit einer jungen Mitarbeiterin, Nedra trifft sich mit einem langjährigen Freund der Familie. In poetischen Bildern führt James Salter uns vor Augen, dass nichts unerbittlicher ist als Zeit und nichts vergänglicher als Glück.

James Salter, 1925 in Washington, D.C. geboren und in New York aufgewachsen, wurde mit seinen großen Romanen »Lichtjahre« und »Ein Spiel und ein Zeitvertreib« auch in Deutschland berühmt. Er diente als Kampfflieger zwölf Jahre lang in der US Air Force und nahm 1957 seinen Abschied, als sein Debüt, Jäger, erschien. Seitdem lebte Salter als freier Schriftsteller in New York City und auf Long Island. Am 19. Juni 2015 verstarb James Salter wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag in Sag Harbor. Er gilt als moderner Klassiker der amerikanischen Literatur.
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2


Es war im Herbst 1958. Ihre Kinder waren sieben und fünf. Das Licht ergoß sich auf den schieferfarbenen Fluß. Ein weiches Licht, Gottes Muße. In der Ferne schimmerte die neue Brücke wie eine Feststellung, wie eine Zeile in einem Brief, die einen aufhorchen läßt.

Nedra war in der Küche bei der Arbeit, ihre Ringe hatte sie beiseite gelegt. Sie war hochgewachsen, beschäftigt; ihr Nacken war bloß. Wenn sie innehielt, um mit gesenktem Kopf ein Rezept zu lesen, war sie überwältigend in ihrer Konzentration, ihrer Hingebung. Sie hatte ihre Armbanduhr an, ihre besten Schuhe. Unter der Schürze war sie für den Abend gekleidet. Es kamen Leute zum Essen.

Sie hatte die Stiele der Blumen, die auf der hölzernen Anrichte ausgebreitet waren, gekürzt und angefangen, sie zu arrangieren. Vor ihr lagen Schere, hauchdünne Käseschachteln, französische Messer. Auf ihren Schultern lag Parfum. Ich werde ihr Leben von innen nach außen beschreiben, von seinem Kern aus, auch das Haus, Zimmer, in denen sich Leben gesammelt hatte, Zimmer im morgendlichen Sonnenschein, die Böden bedeckt mit Orientteppichen, die ihrer Schwiegermutter gehört hatten, aprikosenfarben, rot und braun, Teppiche, die, obwohl sie abgenutzt waren, das Sonnenlicht zu trinken und seine Wärme in sich aufzunehmen schienen; Bücher, duftende Blütenblätter, Kissen in den Farben von Matisse, Dinge wie funkelnde Wahrheiten, von denen viele, hätten sie alten Völkern gehört, für das kommende Leben in die Grabstätten gelegt worden wären: durchsichtige Würfel aus Kristall, Hirschhornteile, Bernsteinperlen, Schachteln, Skulpturen, hölzerne Kugeln, Illustrierte, in denen sich Fotografien von Frauen befanden, mit denen sie sich verglich.

Wer putzt dieses große Haus, wer schrubbt die Böden? Diese Frau – sie tut alles, sie tut nichts. Sie trägt ihren sandfarbenen Pullover, schlank wie eine Gerte, die langen Haare zusammengebunden, das Feuer prasselt im Kamin. Ihr wahres Interesse gilt dem Kern des Lebens: Mahlzeiten, Bettücher, Kleidung. Alles andere hat keine Bedeutung; es wird irgendwie erledigt. Sie hat einen breiten Mund, den Mund einer Schauspielerin, aufregend, strahlend. Dunkle Flecken in ihren Achselhöhlen, Minzduft in ihrem Atem. Sie ist von Natur aus extravagant. Sie macht spontane Einkäufe, geht zu Bendel’s, als würde sie Freunde besuchen, rafft fünf oder sechs Kleider zusammen und betritt eine Kabine, ohne sich die Mühe zu machen, den Vorhang ganz zuzuziehen; während sie sich auszieht, erhascht man einen flüchtigen Blick, schlanke Arme, schlanker Leib, ein kleiner Slip. Ja, sie schrubbt Böden, sammelt schmutzige Wäsche auf. Sie ist achtundzwanzig. Ihre Träume hängen noch an ihr, schmücken sie; sie ist selbstsicher, ruhig, man denkt bei ihr an langhälsige Tiere, an Wiederkäuer, vergessene Heilige. Sie ist vorsichtig, es ist schwer, sich ihr zu nähern. Ihr Leben liegt im verborgenen. Man bekommt sie nur durch den Rauch und die Unterhaltung von vielen Abendessen zu sehen: Essen auf dem Lande, Dinner im Russian Tea Room, dem Café Chauveron zusammen mit Viris Kunden, im St. Regis, im Minotaur.

Es kamen Gäste mit dem Auto aus der Stadt, Peter Daro und seine Frau.

»Um wieviel Uhr kommen sie?«

»Gegen sieben«, sagte Viri.

»Hast du den Wein aufgemacht?«

»Noch nicht.«

Der Wasserhahn lief, ihre Hände waren naß.

»Hier, nimm das Tablett«, sagte sie. »Die Kinder wollen vorm Kamin essen. Erzähl ihnen eine Geschichte.«

Sie stand einen Moment lang da und begutachtete ihre Vorbereitungen. Sie schaute kurz auf die Uhr.

Die Daros trafen in der Dunkelheit ein. Man hörte die Autotüren schwach zuschlagen. Ein paar Augenblicke später standen sie mit strahlenden Gesichtern an der Eingangstür.

»Hier ist ein kleines Geschenk«, sagte Peter.

»Viri, Peter hat Wein mitgebracht.«

»Gebt mir eure Mäntel.«

Der Abend war kalt. In den Räumen spürte man den Herbst.

»Das ist eine schöne Fahrt hierher«, sagte Peter, während er sich die Kleidung glattstrich. »Ich liebe diese Strecke. Sobald man die Brücke überquert hat, ist man mitten im Wald, alles stockfinster, und die Stadt ist verschwunden.«

»Es ist fast urtümlich«, sagte Catherine.

»Und man ist zu dem schönen Haus der Berlands unterwegs.« Er lächelte. Was für eine Selbstsicherheit, welche Siegesgewißheit liegt in den Zügen eines Mannes um die Dreißig.

»Ihr seht wunderbar aus, ihr beide«, sagte Viri.

»Catherine ist ganz vernarrt in dieses Haus.«

»Genau wie ich«, lächelte Nedra.

Novemberabend, immer gleich, klar. Geräucherte Bachforelle, Hammelfleisch, ein Endiviensalat, auf der Anrichte ein entkorkter Margaux. Das Essen wurde unter einem Druck von Chagall aufgetragen, der Meerjungfrau über der Bucht von Nizza. Die Signatur war wahrscheinlich unecht, aber wie Peter schon früher gesagt hatte, was machte das für einen Unterschied, sie war ebensogut wie Chagalls eigene, vielleicht sogar noch besser, mit genau dem richtigen Schuß Lässigkeit. Und der Druck, dieser in reiner Nacht treibende Engel, war schließlich nur einer von Tausenden, von denen sich die meisten nicht einmal durch irgendeine Signatur auszeichneten, echt oder unecht.

»Mögt ihr Forelle?« fragte Nedra, die Platte in der Hand haltend.

»Ich weiß nicht, was ich lieber mag, sie zu fangen oder sie zu essen.«

»Du kannst sie also wirklich fangen?«

»Es gab Zeiten, da hab ich mich das auch gefragt«, sagte er. Er nahm sich eine großzügige Portion. »Wißt ihr, ich hab schon überall geangelt. Forellenangler sind eine Sorte für sich, einsam, wunderlich. Nedra, das schmeckt köstlich.«

Er hatte schütteres Haar und ein glattes, volles Gesicht, das Gesicht eines Erben, eines Mannes, der für den Trust einer Bank arbeitet. Aber in Wirklichkeit war er den ganzen Tag auf den Beinen, ständig Gauloises rauchend, die er aus verkrumpelten Päckchen angelte. Er hatte eine Galerie.

»So hab ich Catherine erobert«, sagte er. »Ich habe sie mit zum Angeln genommen. Eigentlich hab ich sie zum Lesen mitgenommen; sie saß mit einem Buch am Ufer, während ich Forellen fing. Hab ich euch die Geschichte erzählt, wie ich in England angeln war? Ich fuhr zu einem kleinen Fluß, es war einmalig. Das war nicht der Test, das ist der berühmte Fluß, den jahrelang ein Mann namens Lunn verwaltete. Sagenhafter alter Mann, typisch englisch. Es gibt ein wunderbares Foto von ihm mit Pinzette, wie er gerade Insekten sortiert. Der Mann ist eine Legende.

Ich war in der Nähe von einem Gasthaus, einem der ältesten in England. Es heißt ›The Old Bell‹. Ich kam an diese wirklich schöne Stelle, und da waren zwei Männer, die saßen am Ufer und waren nicht gerade glücklich darüber, daß da noch jemand auftauchte, aber da sie Engländer waren, taten sie natürlich so, als hätten sie mich nicht einmal gesehen.«

»Peter, entschuldige bitte«, sagte Nedra. »Nimm dir noch etwas.«

Er bediente sich.

»Nun gut. Ich sagte: ›Wie geht’s?‹ – ›Schöner Tag‹, sagte der eine. ›Ich meine, wie läuft das Angeln?‹ Langes Schweigen. Schließlich sagte einer: ›Sind ’n paar Forellen hier.‹ Noch mehr Schweigen. ›Einer da drüben beim Felsen‹, sagte er. ›Wirklich?‹ – ›Ich hab ihn vor ’ner Stunde gesehen‹, sagte er. Wieder langes Schweigen. ›Großes Ding.‹«

»Hast du den gefangen?« fragte sie.

»Oh, nein. Die Forelle war ein alter Bekannter von ihnen. Du weißt ja, wie das ist; du warst doch schon in England.«

»Ich war noch nirgendwo.«

»Ach, komm schon.«

»Dafür habe ich aber schon alles gemacht«, sagte sie. »Das ist wichtiger.« Ein breites Lächeln erschien über ihrem Weinglas. »Oh, Viri«, sagte sie. »Der Wein ist wunderbar.«

»Der ist gut, nicht wahr? Wißt ihr, es gibt ein paar kleine Geschäfte, wo man – erstaunlicherweise – wirklich guten Wein bekommt, und gar nicht mal teuer.«

»Woher hast du den hier?« fragte Peter.

»Du weißt doch, wo die 56ste Straße ist …«

»Bei der Carnegie Hall.«

»Genau.«

»Da an der Ecke.«

»Die haben ein paar sehr gute Weine.«

»Ja, ich weiß. Wie heißt doch gleich der Verkäufer? Da gibt’s einen bestimmten Verkäufer …«

»Ja, mit Glatze.«

»Der versteht nicht nur was von Weinen; er kennt auch ihre Poesie.«

»Er ist fabelhaft. Jack heißt er.«

»Genau«, sagte Peter. »Netter Mann.«

»Viri, erzähl von der Unterhaltung in dem Laden«, sagte Nedra.

»Das war woanders.«

»Ich weiß.«

»Das war in der Buchhandlung.«

»Komm schon, Viri«, sagte sie.

»Ich hab nur zufällig was mit angehört«, erklärte er. »Ich war auf der Suche nach einem Buch, und da waren diese beiden Männer. Der eine sagte zum andern«, er machte perfekt ein Lispeln nach, »›Sartre hatte recht, wissen Sie.‹«

»›Ach ja?‹« Er machte den anderen nach. »›Womit denn?‹

›Genet ist ein Heiliger‹, sagte er. ›Der Mann ist ein Heiliger.‹«

Nedra lachte. Sie hatte ein volles, nacktes Lachen. »Du kannst das so gut«, sagte sie zu ihm.

»Nein«, wehrte er vage ab.

»Du machst das perfekt«, sagte sie.

Dinner auf dem Land, der Tisch gedrängt voll von Gläsern, Blumen, allen erdenklichen Speisen, Dinner, die in Tabakrauch enden, einem Gefühl von Leichtigkeit. Behagliche Dinner. Die...


Howeg, Beatrice
Beatrice Howeg, aufgewachsen in Frankfurt am Main und London, studierte englische Literaturwissenschaften und Kinder- und Jugendliteratur in Frankfurt. Sie lebt in Berlin und überträgt u.a. Anne Michaels und James Salter ins Deutsche.

Salter, James
James Salter, 1925 in Washington, D.C. geboren und in New York aufgewachsen, wurde mit seinen großen Romanen »Lichtjahre« und »Ein Spiel und ein Zeitvertreib« auch in Deutschland berühmt. Er diente als Kampfflieger zwölf Jahre lang in der US Air Force und nahm 1957 seinen Abschied, als sein Debüt, Jäger, erschien. Seitdem lebte Salter als freier Schriftsteller in New York City und auf Long Island. Am 19. Juni 2015 verstarb James Salter wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag in Sag Harbor. Er gilt als moderner Klassiker der amerikanischen Literatur.



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