E-Book, Dutch, Flemish, Französisch, Deutsch, Italienisch, Portuguese, 186 Seiten
Salzmann / Ehler Hausbesuch. In das Maul des Wolfes will ich dich stecken
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-947047-25-3
Verlag: Frohmann Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
(Quiero meterte en la boca del lobo, Je veux te fourrer dans la gueule du loup, In bocca al lupo, In de bek van de wolf wil ik je stoppen, É na boca do lobo que te quero pôr)
E-Book, Dutch, Flemish, Französisch, Deutsch, Italienisch, Portuguese, 186 Seiten
ISBN: 978-3-947047-25-3
Verlag: Frohmann Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Über sieben Monate hinweg brachte das vom Goethe-Institut initiierte Projekt zehn bekannte Autorinnen und Autoren aus den Ländern Portugal, Spanien, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Italien und Deutschland mit Privatleuten ins Gespräch. So sind zehn literarische Miniaturen entstanden: Sasha M. Salzmann und Tucké Royale entdecken bei einem Devotionalienhändler die Geheimnisse des palermitanischen Lebens geprägt von muslimischen Spuren, Plastikstühlen und Cafés. A lo largo de siete meses, el proyecto impulsado por el Goethe-Institut ha invitado a diez escritores reconocidos de Portugal, España, Francia, Luxemburgo, Bélgica, Italia y Alemania a encontrarse con ciudadanos de estos países. El resultado fueron diez miniaturas literarias: Sasha M. Salzmann y Tucké Royale descubrieron en casa de un vendedor de objetos religiosos los secretos de la vida palermitana, repleta de huellas musulmanas, sillas de plástico y cafés. Pendant plus de sept mois, ce projet du Goethe-Institut a mis en contact dix écrivains connus, de sept pays différents (Allemagne, Belgique, Espagne, France, Italie, Luxembourg, Portugal) avec des personnes, dans l'intimité de leur foyer. Il revenait ensuite aux écrivains de raconter par l'écriture les expériences qu'ils avaient vécues. C'est ainsi que dix miniatures littéraires ont vu le jour : Sasha M. Salzmann et Tucké Royale découvrent chez un spécialiste d'art religieux les secrets d'une vie palermitaine marquée d'empreintes musulmanes, de chaises en plastique et de bistrots. Per sette mesi, il progetto avviato dal Goethe-Institut ha permesso a dieci autrici e autori noti - provenienti dal Portogallo, dalla Spagna, dalla Francia, dal Lussemburgo, dal Belgio, dall'Italia e dalla Germania - di incontrare e parlare con molti privati cittadini. Così si sono delineate dieci miniature letterarie: Sasha M. Salzmann e Tucké Royale hanno scoperto in un negozio di articoli religiosi i segreti della vita palermitana, plasmata da tracce musulmane, sedie di plastica e caffè. Dit project, een initiatief van het Goethe-Institut, bracht over een periode van zeven maanden tien bekende schrijfsters en schrijvers uit Portugal, Spanje, Frankrijk, Luxemburg, België, Italië en Duitsland met mensen in gesprek. Op die manier ontstonden tien literaire miniaturen: Sasha M. Salzmann en Tucké Royale ontdekken bij een verkoper van religieuze voorwerpen de geheimen van het leven in Palermo, dat beïnvloed wordt door sporen van de islam, plastic stoelen en cafés. Durante sete meses, o projecto da iniciativa do Goethe-Institut levou dez autoras e autores conhecidos, vindos de Portugal, Espanha, França, Luxemburgo, Bélgica, Itália e Alemanha, para encontros com pessoas comuns. Surgiram assim dez miniaturas literárias: Sasha M. Salzmann e Tucké Royale descobrem, junto a um comerciante de artigos religiosos, os segredos da vida de Palermo, marcada por vestígios muçulmanos, cadeiras de plástico e cafés.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Sasha Marianna Salzmann
In das Maul des Wolfes will ich dich stecken
für Palermo Arbeiter, dreifach beschichtet, tragen unter der Sonne eine Leiter so lang wie die gesamte Straße, stellen sie auf, um den Schmuck abzunehmen. Große Kronleuchter aus Pappe machen keine Geräusche. Unter dem Balkon der Wohnung, in die mich die freundliche Signora, wer weiß warum, für fast umsonst rein ließ, beginnt das eine Ende der Leiter, das andere reicht bis an die Kirche der Heiligen, der Mutter aller Mütter. Vor der Kirche raucht ein Pope in braunem Jutegewand Kette, schaut Frauen hinterher und spuckt. Sein Gesicht ist frischer Teig, der schmilzt. Ein Schinken schiebt sich an ihm vorbei, auf dem Rücken eines Jungen, so dürr, passt locker in das Schwein hinein. Ich spucke auch. Tabak auf der Unterlippe. Der Schwarm Menschen zuckt um den Kadaver eines aufgerissenen Schwertfischs vor dem Kircheneingang, schon fast aufgekauft, noch vor Mittag. Wenn man hier Tiere aus dem Meer isst, isst man die Ertrunkenen. Schwertfisch, Thunfisch – alle haben Leichen derer gefressen, die sie hätte sein können, sagt Angela. »Wir sind hier Kannibalen.« Der Platz ist voll, die Piazza Kalsa: Dicke Bäuche quellen hervor unter den Unterhemden breitbeiniger Männer auf Plastikstühlen. Sie sehen auf den Boden, rauchen. Stützen den Kopf auf, halten Ohren zu. Summen. Eine Mutter läuft ihrem Kind hinterher, das achtlos über die Straße jagt und schlägt’s fast tot vor Glück, darüber dass es lebt. Ich höre Schreie, ich verstehe sie nicht. Ich höre Blut in meinen Ohrmuscheln, höre deine Stimme sprechen. Sehe die Bewegung deiner Lippen. Du sagst so viele Sätze und sagst nichts. SieklebenaneinanderohneAbstand du konntest nie das sagen, was du sagen wolltest, suchtest nur das, was dir entglitt. Wiederholtest, holtest nach, holtest auf, verstolpertest dich in Wörtern, die alle gleich klangen, fielst über das Einfache, versuchtest mir etwas zu erklären. Und du hast Recht, ich wollte nicht verstehen. Du warfst mich raus, immer und immer wieder, es war kalt, der Geruch von Katzenpisse an den Hauswänden, ich stieß meinen Kopf dagegen, wollte rein, so oft, bis ich verschwand, weg war, dann wolltest du mich, sofort wolltest du wissen, wo ich bin, sagtest, ich gehöre dir, so würde es sich gehören, dass ich bei dir Bericht ablege über ein Leben, das du nicht verstehst. Ich schlug mich weit und dir gelang es trotzdem, kaum war ich weg, irgendeine Katastrophe und ich rief an, lief zurück. Nicht dieses Mal. Ich bin für immer weg. Über der Kalsa in dem grellen Himmel sehe ich dein gelbliches Gesicht, die viel zu schmalen Fesseln, die langsam kahlen Stellen links und rechts neben dem Scheitel, denke, wenn ich könnte, in das Maul des Wolfes würde ich dich stecken, in das Maul des Wolfes, wo du es warm hast und feucht, umschlungen von den Reißzähnen, zugeschlossen, beschützt vom Tageslicht, im Speichel ruhend wie ein Embryo, bevor er ausgespuckt wird in eine Welt, die ihn in Formen schlägt. Dort wo du es warm hast in der feuchten Höhle, warm gehalten in einem erfrorenen Land, während ich hier Funken schlage in der Sonne, aufs Meer gerichtet, meine Zigarettenspitze über der offenen Fronthaube, über einem zitternden Motor des Mercedes unter meinem Balkon. Ich würde dir den Stern abbrechen und ihn schicken, aber wozu, du bist ja sicher im Maul einer Stadt weit weg. Sicher in der Kälte, in die du uns beide gebracht hast und aus der ich Schiffe nehme auf Inseln mit lauter Karaoke-Musik am Platz. Immer noch, sie singen immer noch, schon seit Tagen. Ich sehe das Meer umrandet von Kränen und irgendwo da an der Promenade sind die Wehen der Santa Rosalia vorbei. Alles ausgespuckt, was sie hatte, ein totes Schiff durch die Stadt geschleift in Silberfarben, die Masse dicht wie Teer, ich eingequetscht zwischen Schultern, Kinder kletterten mir über den Kopf. Aus den Fenstern Konfetti, ich ein Teil des Mückenschwarms zusammengestaucht auf dem Quattro Canti. Dicht gehalten, stehengeblieben, die Straßenlaternen flogen aus, die Masse ein einziges »Ah!« und ich dachte, wenn jetzt etwas passiert, wenn jetzt der Schwarm Angst kriegt und ausbricht, sind wir alle Brei. Die Maskerade tanzte am Himmel, ein Kran hievte über den Platz sechs Seiltänzer, die sich über unseren Köpfen drehten, Sprünge in der Luft, alle schauten nach oben und ich, ich drehte Filme von ihnen, von innen, die, ich wusste, bleiben. Das Silberschiff der Santa Rosalia fuhr schnell vorbei und ich entkam in eine Seitengasse, sprang Stolpersteine lang und suchte Stufen hin zum Wasser, hier in diese Stadt ist ein Kreuz geschlagen und alle Wege führen raus aufs Meer. Ich versuchte auf den Beinen zu bleiben, grade zu bleiben, manchmal stolpere ich auf freien Flächen, meine Knie verheddern sich, das habe ich von dir oder du von mir. Ich trat in Pfützen, Bier in meinen Sandalen, Motorräder sägten in den Ohren, Barrikaden schützten. Man küsste viel und kaufte gebratene Mandeln in Papiertüten. Große Kinder schliefen auf dem Asphalt. Als ich eines fotografieren wollte, schlug mir ein Motorradhelm gegen die linke Schläfe, irgendwer schrie meinen Namen, war nicht sicher, ich verrenkte meinen Hals einmal ganz rum, die Menge trug mich weiter, drückte mich auf die Promenade. Als ich dort ankam war kein Platz zum Denken, in drei, vier, endlos Reihen, saßen Biker, Nussverkäufer, kleine Menschen auf den Schultern Großer, ich kauerte mich auf den Bürgersteig und wartete auf das große Boom. Um mich herum atmeten sie hektisch, Halbstarke machten Affengeräusche. Im Dunkeln blitzten rote Hörner auf schwarzen Haaren. Verkleidung konnte man hier kaufen für vier fünfzig. Ich machte ein Foto von den roten Kegeln, schaute auf das Display, die Frau verschwommen, die Hörner nur als Schlieren, dann ging es los, die Stadt ergab sich im Licht, der Himmel wurde milchig, Musik über dem Meer: Wagner, Michel Jackson und Beethoven. Sie spielten Hymnen. Blumenmuster aus Feuerwerk drehten über meinem Kopf, das Kaleidoskop schoss auf mich zu, die Lichter stachen in meine Wangen, brachen die Nacht, ich sah in die Gesichter um mich, Münder offen, voller rosa Zuckerwatte und Zigarettenrauch, »Ciao Palermo!«, flüsterten manche, ich wollte auch was sagen, dir. Wollte schreien, ich dachte, wenn ich jetzt schreie, merkt es niemand. Bevor ich den Mund öffnen konnte, standen die roten Hörner scharf vor mir, die Frau unter den schwarzen Haaren fragte, warum ich sie filme. Ich zeigte ihr das Foto, ich zeigte – ist verschwommen, keine Sorge, ihr Gesicht nicht drauf, sie sagte: »Trotzdem«. Ich kaufte ihr Zuckerwatte, sie versenkte ihr Kinn darin und fragte, was ich hier mache, ich sagte, weg sein, sie: »Du auch.« Wir warteten nicht auf das Ende dieser Hymne, wir warteten nicht, dass die Menge das tote Schiff der Rosalia zu uns schleifte, wir schlenderten in Vierecken, sie hielt sich an meinem Ellenbogen fest, bis ich die Schlüssel fand, hoch in meine Wohnung, sie zog sich aus und ich sie an mich ran. Ich schnipse meine Zigarette weg, sie fällt in die Motorhaube und funkt auf in dem offenen Mercedes. Der Motor zittert. Ich schmecke sauer auf der Zunge, es kratzt am Gaumen, starre runter, vier Stockwerke, frage mich, wie lang es dauert, bis etwas in die Luft geht, explodiert, wie geht diese Kette von Unvermeidbarem, warte auf das Boom, sehe in die enge Gasse Kinder rennen, wenn ich jetzt runterlaufe, bin ich nicht schnell genug, wenn ich jetzt schreie, versteht es keiner. Ich sehe kleine Körper Funken sprühen, lachen, lachen, rennen, würden ihre Mütter sie vermissen? Nichts passiert, der Motor zittert und bleibt stumm, meine Zigarette verglüht in seinem Inneren. Die Kinder weg. Irgendwo sicher. Die Hitze zirpt an meinen Wangen, ich kneife die Augen zu. Rieche den Saft von Austern. Gehe rein. Die Sonne brennt noch auf den Lidern, das Zimmer dunkel, matt gestellt, ich ahne mehr den Weg als ich ihn kenne. Zunge an den Gaumen gedrückt, es gluckst in mir, ich gehe rein ins Dunkel dieser Wohnung, in der ich seit kurzem bin, mit bekannten Gesichtern im Bücherregal, aber nicht meinen, mit Fotos auf den Kommoden, die du sein könnten, aber nicht sind, stehe vor der Fotografie der Signora, mit meinen Locken und deinen Augen, sie hat nichts mit...